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Metatron

11. November

Himmel

Niemand von ihnen war gerne hier, das sah Metatron den Erzengeln deutlich an. Er selbst versuchte, seinen Unmut so gut wie möglich zu verbergen, aber da ihn in niemand darauf ansprechen würde, wusste er erstens nicht, ob er damit Erfolg hatte, und fühlte sich zweitens von allen Seiten beobachtet.

Sie saßen an einem runden Tisch in einem verhältnismäßig kleinen Zimmer und schauten auf einen Riss im Raum, der ihnen als Fenster zur Erde diente. Es zeigte eine vollkommen verwüstete Landstraße, ein quasi zu Staub zerfallenes Haus und mehrere einsturzgefährdete Gebäude in der Umgebung.

Gabriel seufzte. Er saß Metatron direkt gegenüber, die langen schwarzen Haare fielen ihm teilweise ins Gesicht, die tiefblauen Augen wirkten müde. Letzte Nacht hatte er Wache gehalten und dem Desaster zugesehen. »Das können wir nicht hinnehmen«, sagte er jetzt. »Das Maß an Zerstörung ist zu groß.«

Remiel neben ihm nickte. Sie war nur Minuten vor Metatron hier angekommen. Davor hatte sie wohl wieder eine Horde aufgebrachter Schutzengel mit fast haltlosen Begründungen beruhigen müssen. »Hin und wieder einzelne Menschen zu opfern ist das Eine. Schutzengel müssen ein gewisses Maß an Kollateralschaden hinnehmen. Aber das«, sie nickte knapp in Richtung des Fensters, »das war vermeidbar.«

»Trotzdem ist es essenziell, dass sich die Schutzengel aus dieser Sache heraushalten«, sagte Gabriel.

»Ich weiß.«

»Wenn sich die Hölle so sehr einmischt, können sie nur verlieren.«

»Ich weiß!«, erwiderte Remiel und rutschte nervös auf ihrem Stuhl herum. »Und ich will behaupten, das ist mir von uns allen am meisten bewusst. Genauso, wie dass wir nicht ewig Glück haben können.«

Metatron nickte. Insgeheim hatte niemand damit gerechnet, dass Luzifer es überhaupt so lange in der Hölle aushielt. Sie hatten ihm höchstens ein paar Jahre gegeben und die Sicherheitsmaßnahmen entsprechend auf diese Zeitspanne ausgelegt. Uriel sollte längst zurück im Himmel sein, die Schutzengel beruhigter und die Katastrophe schon passiert.

»Was ich sagen will, ist dass ich nicht viel länger für meine Leute garantieren kann«, fuhr Remiel fort. »Nicht bei der momentanen Lage und der Aussicht, dass die Unruhe länger dauern wird. Es ist nicht richtig, den Schutzengeln dauerhaft zu predigen, dass sie sich gefälligst unter Kontrolle halten sollen.«

Bei dem Wort »richtig« verdrehte Jehudiel kaum merklich die Augen und rückte seine Brille zurecht. Der Richter hatte sich im vergangenen Jahr mehr mit diesem Konzept beschäftigen müssen als ihm lieb gewesen war und mittlerweile gab es kaum etwas, das ihn ähnlich aufregte wie dieses Wort. Wenn Metatron sich das vor Augen führte, war er doch ganz erleichtert, nichts von der Sache mitbekommen zu haben.

Zum Glück nahm ihm Michael die Aufgabe ab, eine Entscheidung für die Erzenge zu treffen. »Wir haben uns geeinigt, Attentäter zu schicken«, erklärte der Heerführer. »Sie sollen sich um die beiden Menschen kümmern. Wenn sie die Erde das nächste Mal betreten, sind sie tot, vorausgesetzt, Luzifer erledigt das nicht für uns.«

Obwohl nur vier der sieben Erzengel hier saßen, fühlte sich Metatron, als schauten sie ihn gerade alle mit der Erwartung an, dass er die Sache abnickte und damit erledigte. Die Last der Blicke reichte beinahe aus, um dem nachzugeben und Michael machen zu lassen, aber so funktionierten die Dinge am Ende nicht.

›Was ist Gottes Wille?‹, dachte er und schaute auf die Tischplatte, als könnte die ihm weiterhelfen. Sie blieb still, ebenso wie sein Wasserglas und der Haufen Notizzettel, der sich inzwischen überall verteilt hatte. ›Wie soll ich für ihn sprechen? Alle denken, dass ich weiß, was er will, aber…‹

Es war nicht so, als hätte er nicht mehrfach nachgefragt, aber Gott hatte ihn jedes Mal dazu angehalten, zu tun was er für richtig hielt. Ein kompetenterer Herrscher hätte das wohl als Freiheit empfunden.

»Erst einmal müssen wir herausfinden, wie sich die Sache weiter entwickelt«, erklärte Metatron, als er das Schweigen nicht mehr aushielt. »Vielleicht werden die Menschen in der Hölle getötet.«

Natürlich war das mehr Hoffnung als eine vernünftige Strategie. Entsprechend wunderte es ihn wenig, dass Michael neben ihm trocken auflachte. »So was erledigt sich nie von alleine«, sagte er. »Luzifers Diener sind immer noch da und da dachten wir auch erst, sie würden irgendwann aufgeben. Stattdessen versuchen sie alles und sie versuchen es weiter, bis selbst der sturste Schutzengel irgendwann die Nerven verliert oder der erste Soldat. Der ganze Himmel will diese Leute tot sehen, damit die Welt wieder die Alte ist.«

»Ich muss den Schutzengel versichern, dass das bald aufhört«, pflichtete Remiel ihm bei. »Dass wir das seit sechshundert Jahren auf unbestimmte Zeit machen, ist das größte Problem. Wenn die Belastung noch größer wird, halten sie das nicht mehr durch.«

›Glaub mir, wir wollen alle, dass es aufhört‹, dachte Metatron und da war es wieder, das schlechte Gewissen. Die Schuld. Und die Last des Schweigens, das er sich selbst auferlegt hatte. ›Die Frage ist, wie wir das anstellen. Und wer davon profitiert.‹

»Ich sage nicht, dass wir alles so lassen, wie es ist. Ich will nur vorsichtig sein. Jeder Engel, den wir zusätzlich auf die Erde schicken, ist ein Risiko.«

»Dieses Maß der Zerstörung ist es wert, das einzugehen«, erwiderte Gabriel direkt. »Mit Verlaub, der Himmel hat sich lange genug zurückgehalten. Es wird Zeit, dass wir Luzifer und den Dämonen, die die Ereignisse von letzter Nacht mit zu verantworten haben, Grenzen aufzeigen. Es ist unsere Aufgabe, die Erde vor Schaden zu bewahren und wenn wir uns aufs Warten und Beobachten beschränken, dann werden wir dem nicht mehr gerecht. Wir müssen eine Situation schaffen, in der wir den Schaden einschätzen können und ich sehe das gerade nicht gegeben.«

Mit den Worten bewegte sich Gabriel nah an der Grenze dessen, was man dem Stellvertreter Gottes ins Gesicht sagen durfte, ohne dafür belangt zu werden. Entsprechend fühlten sie sich an wie ein gut gezielter Schlag in den Magen, aber am Ende blieben sie wahr. Keine Entscheidung zu treffen, war die schlechteste von allen.

»Jetzt sind die beiden Menschen ohnehin nicht in unserer Reichweite«, überredete sich Metatron zu sagen. Es fühlte sich an, als würde er sowohl Luzifer als auch die Erzengel enttäuschen. »Michael, du bereitest die Attentäter vor, falls sie doch wieder auf der Erde auftauchen. Wir sollten im Rahmen unserer Möglichkeiten außerdem versuchen, an Informationen zu kommen, um zu verstehen, warum die Sache gestern Nacht überhaupt passiert ist.« Metatron schaute in die Runde und fragte sich, ob das wohl der Beschluss war, den alle hören wollten.

Michael nickte. Gut. Er traute sich noch am ehesten, Metatron zu widersprechen. »Ich sehe, was sich machen lässt«, sagte er. »Jophiel und ich arbeiten etwas aus. Ihr bekommt die Ergebnisse morgen.«

»Danke.« Metatron wollte sie jetzt schon nicht sehen und sich nicht damit beschäftigen, ebenso wenig wie mit den anderen Dingen, die heute noch auf seinem Plan standen. Er wollte ins Bett und die Sache verschlafen, wollte nicht funktionieren, konnte es nicht. Das Gefühl, dass sein Körper nicht nach ihm aussah und der Gedanke, dass ihn der ganze Himmel für männlich hielt, schrien ihm im Kopf herum, seitdem er heute Morgen in den Spiegel geschaut hatte. Er konnte sich selbst kaum zuhören.

Gabriel atmete einmal tief ein und aus, schloss kurz die Augen. »Gut«, sagte der Vorstand der Erzengel schließlich. »Mit dem Beschluss werden wir uns alle anfreunden können.« Da ihm niemand widersprach, fuhr er nach einem stillen Moment fort. »Diese Menschen werden in den nächsten Tagen sterben, und sei es durch unsere Hand. Danach sehen wir weiter.«

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