Читать книгу Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft - Simone Stöhr - Страница 10
Freitag, 08.08.2008 Boston, 22:20 Uhr
ОглавлениеJasmin schleppte Candy hinter sich her. Mittlerweile war auch Cathy übergegangen sich an ihren Nuttennamen zu gewöhnen. Jasmin war ungewöhnlich aufgekratzt und bester Laune, die Candy sich beim besten Willen nicht erklären konnte. Aber es ging ihr auch nicht gut genug, um es herausfinden zu wollen. Seit sie auf den Strich ging war ihr Bedarf an Drogen drastisch gestiegen, wogegen Matthew ihren Drogenkonsum ständig kontrollierte, um sie weiterhin gefügig und willenlos zu halten. Daher hatte er ihre zustehenden Drogen nach dem Einkommen gestaffelt, dass sie nach Hause brachte. Und wenn dann so ein lausiger Tag, wie der gestrige dabei war, an dem sie zu wenig verdiente, strich er ihr einfach ihre Ration der Drogen. Und mit genau diesen Auswirkungen des Entzugs hatte sie gerade zu kämpfen. Okay, es war noch am Anfang, aber jeder Junkie kannte das unruhige Gefühl in einem, die zitternden Hände, die Übelkeit und das ständige Denken an Drogen, das zwar noch zu ertragen war, aber sicherlich keinesfalls als angenehm zu bezeichnen war. Richtig unangenehm wurde es erst später, das wusste sie bereits aus eigener, schmerzlicher Erfahrung.
„Was ist denn los mit dir, Candy?“, fragte schließlich Jasmin nach.
„Mir ist kotzübel und ich will nach Hause. Kannst du den nächsten Kerl nicht einfach alleine erledigen?“
„Wenn ich es alleine könnte, hätte ich dich Jammerlappen sicherlich nicht mitgenommen. Du lässt dich ganz schön hängen! Mann Candy, mittlerweile solltest du dich schon daran gewöhnt haben!“, schnauzte sie Cathy an.
„Ich bin es einfach nur leid und will nach Hause. Wo gehen wir überhaupt hin?“, fragte sie nach.
„Zum absoluten Glücksgriff. Ein reicher Geschäftsmann, der nach einem Abenteuer zu dritt sucht. Stell dir vor, er zahlt ohne mit der Wimper zu zucken 500 $ die Stunde für uns.“
„Also wieder einer, der sich schon im Vorfeld verraten hat, bevor du den Preis mitteilen konntest!“, schloss Cathy aus der Aussage.
Das war nicht unüblich. Warum sollte man für die gleiche Arbeit nicht mehr nehmen, wenn man auch mehr bekommen konnte? Nachfrage und Angebot regelten wie überall den Preis. Deswegen war jede Prostituierte bei der Telefonannahme darauf getrimmt, so viel wie möglich im Vorfeld über den Freier herauszufinden, damit der Preis dann automatisch nach oben korrigiert werden konnte. Sie standen vor dem Carrington Hotel und Jasmin blickte ehrfürchtig nach oben.
„Baby, heute heißt es Luxus! Wir sind zu zweit, was soll da schon Unerwartetes kommen? Irgendein alter, reicher Knacker, der zu Hause nicht das bekommt, was er will. Vermutlich ist er in 5 Minuten am Ende und zahlt uns 500 $ dafür.“
Sie gingen hinein und unauffällig zu den Fahrstühlen, ehe einer des Personals sie bemerken konnte. Auch wenn Gäste des Hotels sich Prostituierte bestellten, so war das Personal des Carrington dennoch angewiesen, sie zu vertreiben, um den guten Ruf nicht zu verlieren. Das war auch allgemein bei den Prostituierten bekannt. Unauffällige Kleidung und Benehmen waren daher oberste Priorität, wenn es um die Nobelhotels ging und man sich nicht ein lebenslanges Hausverbot einhandeln wollte, was schlichtweg das KO Kriterium für alle reichen Freier war. Die Türen gingen auf und die beiden verschwanden schnell unbemerkt im Fahrstuhl. Jasmin suchte an der Leiste mit der Zimmeraufteilung in welches Stockwerk sie fahren mussten.
„Scheiße. Der Kerl wohnt in der Nobelsuite des Hotels. Ich hätte mindestens 1000 $ verlangen müssen! Das kann er sich bei den Zimmerpreisen hier immer noch bestens leisten“, fluchte Jasmin.
Sie drückte auf den Knopf für die 10. Etage und ärgerte sich über sich selbst, ohne auf Candy weiter zu achten. In Gedanken überlegte sie sich Zusatzleistungen, die sie ihm schmackhaft machen wollte und somit automatisch eine Gehaltsverbesserung darstellten. Keine unübliche Praxis und wenn die Freier einmal heißgemacht waren, zahlten sie sowieso jeden Preis, denn keiner wollte in dieser Situation noch darauf verzichten! Oben angekommen hatte sie ihre Strategie so ziemlich fertig und ging zielstrebig auf die Zimmertür Nummer 1030 zu. Schon von außen war der Flur und die wenigen, weit voneinander liegenden Türen pompöser gestaltet, als die anderen Zimmer, die Jasmin bisher kannte. Auch Catherine war bislang nie in dieses Stockwerk gekommen und staunte nicht schlecht. Jasmin klopfte und trat einen Schritt zurück. Sie hatte gelernt, dass alte Knacker nicht mehr so gut sahen und Jasmin für sie besser zu erkennen war, wenn sie nicht so nah am Türspion stand. Sie hörte Schritte und einen Moment später, wesentlich früher als sie erwartet hatte, wurde die Tür geöffnet. Jasmin war beunruhigt, als sie den jungen, gutaussehenden Mann vor sich sah. Er gehörte auf den ersten Blick nicht zu der Kategorie Männer, die mit Prostituierten verkehrten und sich Frauen kaufen mussten. Garantiert würde ihm jede Frau freiwillig hinterherlaufen. Das hatte nur eines zu bedeuten: spezielle, sexuelle Vorlieben und vor allem körperliche Gewalt. Sie konnte beobachten, wie er Candy mit Neugier beobachtete und war froh, so aus dem gröbsten draußen zu sein. Sie konnte sich Candys Gedanken und Panik bereits denken und musste sich nicht einmal umdrehen, um ihren Gesichtsausdruck bildlich vor sich zu sehen. Doch dadurch entging ihr das Entsetzen und die Überraschung, die Cathy im Gesicht stand. Der ganze Tag war einfach zu viel für sie und sie stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch. „Was zum Teufel machte Mike denn hier“, war ihr erster Gedanke, gefolgt von „oh Gott, was denkt er von mir, wenn er mich so sieht“ und „seit wann geht er überhaupt zu Nutten?“. Hatte er das schon immer getan und sie hatte ihn völlig falsch eingeschätzt? Für Cathy brach eine Welt zusammen und gleichzeitig spielte sich wie in einem Film ihr früheres Leben mit Mike in der Kindheit ab. Die Situation und das Ganze waren so abwegig, dass ihr schlichtweg die Worte fehlten. Daher war sie froh, dass Mike das reden übernahm.
„Kommt herein und setzt euch. Möchtet ihr etwas trinken? Ich kann auch schnell den Zimmerservice kommen lassen.“
Jasmin war verwirrt, wie Cathy aus dem Augenwinkel mitbekam und sie konnte es ihr nicht verübeln. Mike war alles andere als ein typischer Freier, was ihre Hoffnung, sich doch nicht in ihm geirrt zu haben, wieder aufkeimen ließ. Dennoch hielt ihr innerer Konflikt sie fest im Griff und sie war unfähig etwas zu sagen oder zu tun. Jasmin setzte sich perplex aufs Sofa und Candy tat es ihr gleich. Mike drehte sich zur Minibar und holte sich einen Cognac heraus.
„Möchte jemand von euch auch etwas?“, fragte Mike erneute.
„Einen Martini, bitte“, bat Jasmin, um die Nerven zu behalten.
„Und was ist mit dir, Catherine? Auch etwas?“, fragte Mike weiter.
Jasmin blickte sofort auf. Er kannte Candy mit richtigem Namen! Ihr Blick wechselte zwischen Mike und Candy hin und her. Sie sah, wie Candy eingeschüchtert neben ihr saß und am liebsten vor lauter Scham im Sofa versunken wäre. Was wurde hier gespielt? Catherine versuchte ihre Gefühlsregungen unter Kontrolle zu halten und kämpfte schwer damit. Aus Mikes Mund klang ihr Namen so wunderschön und wie er sich auch um sie bemühte, ließ die Verliebtheit wieder aufblühen. Gleichzeitig war sie wütend auf ihn, dass er sie so sah und dass er es tatsächlich wagte sich Nutten ins Hotel seines Vaters zu bestellen! Was war nur aus ihm geworden? Dann war sie wieder eifersüchtig, weil er sie nicht alleine gebucht hatte, sondern mit Jasmin gemeinsam, um sie höchstwahrscheinlich bloßzustellen, wie sie vermutete. Alleine dieser Gedanke reichte aus, dass sie wieder wütend wurde und dadurch auch endlich wieder ihre Worte fand.
„Was soll das Michael? Seit wann kaufst du dir Frauen? Du hättest mich immer haben können und jetzt willst du mich kaufen? Oder willst du mich nur demütigen?“, schrie sie ihn an.
„Ich will nichts dergleichen“, gab er genauso barsch zurück. „Das war Lauras Idee, euch zu buchen. Du kannst dich bei ihr dafür bedanken. Eigentlich sollte William hier stehen, aber du weißt ja, wie prüde er ist“, sagte er wieder etwas sanfter.
Was sollte denn Laura damit zu tun haben? Und warum zog er jetzt auch noch William in die ganze Sache mit hinein? Es war doch jedem klar, der William kannte, dass er schon die Straßenseite wechseln würde, sobald eine Prostituierte ihm nur entgegenkommen würde.
„Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Was hat Laura damit zu tun?“
„Deine Mutter wurde vor 2 Tagen entführt! Man will 1 Million Dollar Lösegeld für sie“, knallte er ihr die Tatsachen auf den Tisch.
Catherine erblasste und der Schock stand ihr ins Gesicht geschrieben. Matthew hatte also auch dieses Versprechen nicht gehalten! Warum war sie so blöd gewesen und hatte sich darauf verlassen? Natürlich wollte er die große Kohle machen und nichts war einfacher, als ein paar Millionäre um eine Million zu erleichtern. Wie musste es ihrem Vater nur dabei gehen? Er war bestimmt krank vor Sorge.
„Wie geht es Daddy?“, fragte sie neugierig.
„Er hatte vor einem Monat einen Schlaganfall und liegt immer noch im Krankenhaus. Wir haben ihm noch nichts von der Entführung gesagt, weil er sich nicht aufregen darf“, erklärte Mike ihr verständnisvoll.
Dennoch traf die Nachricht Catherine wie ein Schlag und sie fing unerwartet wieder zu zittern an. Was hatte sie nur alles angerichtet? Sie war schuld daran, dass ihre Familie zugrunde ging. Sie wusste dass Matthew nicht zimperlich war und ihr wurde schlecht bei dem Gedanken, was er ihrer Mutter antun könnte. Wütend schaute sie zu Jasmin, die sofort verstand, was der Blick bedeutete und dennoch dem Blick standhielt, um sie weiter einzuschüchtern, was ihr auch gelang.
„Da du anscheinend weißt, wovon ich rede“, ging Mike auf sie zu, nachdem auch er den Blickwechsel mitbekam „wärst du so nett und würdest mich auch darüber aufklären?“
„Ich weiß nicht, wovon du redest!“, spielte Cathy die Situation herunter.
„Ich denke es gibt niemanden, der dich besser kennt als ich. Also lüg mich nicht an! Vor wem hast du Angst? Vor deiner Freundin hier?“
Er sah dabei direkt Jasmin an, die sich daraufhin wegdrehte.
„Ihr könnt mir jetzt helfen Martha zu finden oder ich werde euch beide der Polizei übergeben, da ihr euch zur Prostitution angeboten habt. Und wie ihr hoffentlich wisst ist das in diesem Bundesstaat immer noch verboten. Die Entscheidung liegt bei euch! Ich lasse euch 5 Minuten Zeit. Und übrigens eine Flucht ist ausgeschlossen. Wie Cathy weiß, gehört uns das Hotel und ich habe vorsorglich alles sperren lassen“, drohte er ihr sicherheitshalber.
Damit ließ er sie alleine und ging zur Suite hinaus. Und Cathy nutzte die Gelegenheit von Jasmin mehr darüber zu erfahren.
„Was habt ihr mit meiner Mutter gemacht?“, fauchte sie Jasmin an.
„Gar nichts haben wir mit ihr gemacht“, gab diese trotzig von sich.
„Halte mich nicht für blöd. Ich weiß genau, dass es deine Idee gewesen war. Ihr habt also nicht einmal dieses Versprechen eingehalten. Welches Druckmittel wollt ihr nun gegen mich verwenden? Wollt ihr auch noch meinen Vater entführen?“, warf sie ihr vor.
„Du wirst gefälligst deinen Mund halten, sonst kann ich wohl nicht mehr für die Gesundheit deiner Mutter garantieren“, drohte ihr Jasmin. „Außerdem solltest du deinem Freund ziemlich schnell klarmachen, dass es deiner Mutter nur schadet, wenn wir nicht bis morgen früh nach Hause kommen. Du kennst Matthew und ich würde nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass er sich nicht an ihr abreagiert. Also überlege dir gut, was du sagst und tust.“
Cathy begriff sehr wohl, was das zu bedeuten hatte. Und das konnte auch Mike nicht verhindern! Selbst wenn Jasmin es zugegeben hatte, so wusste sie noch nicht einmal, wo sich ihre Mutter aufhalten sollte. Zumindest nicht in Quincy, das wäre ihr aufgefallen. Und im gleichen Moment fiel ihr der alte Luftschutzbunker im Garten ein. Sie mied diesen Ort, da dort schon mal ein Freier sie schwer missbrauchte. Aber dort waren die Schreie nicht hörbar. Dort konnte sie durchaus sein, ohne dass sie es mitbekommen hätte. Mitten in ihren Gedanken kam Mike zurück.
„Ihr habt Glück! Laura will euch das Polizeirevier ersparen und euch sogar noch nach Wellington einladen. Diese Einladung könnt ihr unmöglich ausschlagen! Also darf ich bitten meine Ladies.“
Er streckte den Arm nach ihnen aus und machte eine einladende Bewegung zur Tür. „William wartet bereits in der Tiefgarage und wir wollen ihn doch nicht warten lassen, oder?“