Читать книгу Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft - Simone Stöhr - Страница 19

Donnerstag, 14.08.2008 New York, 16:28 Uhr

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Catherine stand erwartungsvoll vor Mikes Tür. Charlie hatte, so wie die letzten Stunden auch, die Führung übernommen und bereits geklingelt. Es war nicht so, dass Charlie ihr unsympathisch war, aber er hatte etwas Nervöses und Eigenartiges an sich, dass Cathy nicht verstand und lieber auf Abstand gehen ließ. Sie hatte viel zu lange ihr Gewissen zurückgeschraubt und war immer tiefer in den Schlamassel hineingeraten. Schon am zweiten Tag nach ihrem Erwachen wurde ihr die Stimme in ihr wieder bewusst, die sie lange versucht hatte zu verdrängen. Diese Stimme war es auch, die sie vor gewalttätigen Männern warnte, doch auch das hatte ihr letztlich bei der Prostitution nicht mehr geholfen, da von Freiwilligkeit sowieso keine Rede mehr war. Mike öffnete die Tür und sie freute sich sein Gesicht wieder zu sehen. Sie hatte ihn vermisst und oft an ihn gedacht die letzten Tage. Ehe sie etwas sagen konnte, schob Charlie ihn schon beiseite und begutachtete die Resultate dessen Arbeit der letzten Tage.

„Ich habe es ja nicht für möglich gehalten, als du von renovieren sprachst, aber da hast du dich wirklich selbst übertroffen. Gratuliere! Jetzt kann ich mir sogar vorstellen, mich bei meinen New York Aufenthalten hier öfter einzuquartieren. Es sieht endlich richtig bewohnbar aus“, äußerte Charlie sich euphorisch.

Catherine stand hinter den beiden und hielt sich im Hintergrund. Sie hatte seit einem Jahrzehnt nicht mehr gesehen wie und wo Mike lebte. Ausgemalt hatte sie sich viel, aber schon alleine der Eingangsbereich übertraf ihre Erwartungen. Der Geruch von neuer Farbe hing noch in der Luft und dennoch war alles so harmonisch aufeinander abgestimmt.

„Danke für das Kompliment. Ich habe auch die letzten 3 Tage genug geschuftet. Hattet ihr einen guten Flug?“, erwiderte Mike und nahm Cathy bei der Hand.

„Komm doch herein. Ich zeige dir gleich alles. Wenn dir etwas nicht gefällt, ändern wir es einfach. Du sollst dich hier wohlfühlen. Einverstanden?“, ging Mike einfühlsam auf sie ein.

Sie wusste nicht, wie sie sich verhalten oder was sie fühlen sollte. Es klang und fühlte sich alles nach einem Märchen an und auch der Prinz stand bereits neben ihr. Nur wollte der partout keiner sein! Schüchtern ging sie den beiden Männern hinterher. Nicht nur der Eingang, auch der Rest der Wohnung wirkte wie ein Bummel im Möbelhaus. Wohlgemerkt ein Möbelhaus das sie sich nie leisten könnte! Mike hatte wirklich mit viel Stil und Geschmack die Penthousewohnung zu einem modernen Palast gestaltet. Zudem hatte er sich noch um einen Therapeuten gekümmert, nachdem er schon alle Hebel in Bewegung gesetzt hatte, einen Platz in Dr. Briskows Klinik zu bekommen. Sie hatte erst beim heutigen Mittagessen erfahren, wie lange die Wartelisten für Dr. Briskows Klinik waren, um einen Platz zu bekommen. Aber die Krönung des Ganzen stellte der Kleiderschrank in dem Zimmer dar, das er für sie vorgesehen hatte. Er war vom Boden bis zur Decke gefüllt mit Unterwäsche, Pullis, Hosen, Kleider und sogar Schuhe! Er hatte an alles gedacht. Noch am Morgen hatte sie sich überlegt, von welchem Geld sie sich neue Kleidung besorgen sollte und schon jetzt waren ihre Träume von ihm erfüllt worden. Sie war überwältigt von seiner Fürsorge und brach in Tränen aus. Vor allem, weil sie noch Stunden vorher so enttäuscht von ihm gewesen war ohne zu wissen, was er alles für sie getan hatte. Er war ihr großes Glück und mehr als sie sich wünschen konnte. Doch auch bei all seiner Fürsorge konnte sie es ihm ansehen, dass er nicht so empfand, wie sie.

„Warum weinst du? Habe ich etwas falsch gemacht? Dann ändern wir es einfach!“, versuchte er sie zu beruhigen und drückte sie an seine Schulter.

„Nein, es ist alles perfekt. Ich bin nur überwältigt, was du alles auf die Beine gestellt hast. Wie kann ich das überhaupt nur wiedergutmachen?“

„Versprich mir einfach, dass du dich von den Drogen fernhältst und die Therapie durchziehst. Dann sind wir Quitt!“

In der Küche stießen sie wieder auf Charlie, der sich über den Kühlschrank hermachte.

„Hey Mike, du hast sogar eingekauft! Dass ich das noch einmal erleben darf. Ich hatte schon vor Catherine freie Verköstigung im Meritage anzubieten, damit sie bei dir nicht noch mehr abmagert.“ Charlie lächelte Cathy an, während er weiter den Kühlschrank inspizierte.

„Das Angebot nehmen wir trotzdem an. Denn Kochen zählt leider nicht zu meinen Stärken. Wenn du schon mal hier bist, willst du dich dann nicht vielleicht ein wenig nützlich machen und uns etwas Leckeres zum Essen zaubern? Du kannst dir damit deine Unterkunft für die nächsten Tage verdienen!“, stichelte Mike.

„Danke für die Einladung. Bei so netter Gesellschaft, nehme ich doch gerne an!“

Verschmitzt lächelte er Cathy wieder an. Doch sie blickte nur verlegen auf die Seite. Charlie verlor seine Unsicherheit und Nervosität in Mikes Gesellschaft, dagegen kam sie mit dem gelösten Charlie auch nicht wirklich besser klar. Es waren nicht die Worte die sie störten, sondern nur, dass sie vom falschen Mann kamen.

„Cathy, du kannst, wenn du willst, ein entspannendes Bad nehmen. Fühl dich wie zu Hause. Ich rufe dich dann, wenn das Essen fertig ist“, bot Mike ihr an.

„Klingt gut, aber ich habe keinen Hunger. Das ist noch eine Nebenwirkung der Drogen“, erklärte sie ihm.

„Warte erst mal ab, was ich dir Leckeres auftische. Da wird dir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Der Hunger kommt dann ganz von alleine“, mischte sich Charlie in die Unterhaltung ein.

„Na gut“, antwortete sie abwesend und ging in ihr Zimmer. Sie war froh um die Rückzugsmöglichkeit, die Mike ihr bot. Und auch ein warmes Bad klang verlockend. Sie ging ins Bad und ließ das Wasser ein. Mehrere neue Flaschen an Badeölen standen auf der Ablage und warteten darauf von ihr ausprobiert zu werden. Mike hatte wirklich an alles gedacht. Die vielen Jahre im Hotelwesen und seinem Sinn für Gästebewirtung hatten ihn sicherlich bei der Umgestaltung der Wohnung sehr geholfen. Sie setzte sich auf den Wannenrand und studierte die Etiketten der Flaschen, bis sie sich schließlich für Orange und Zimt entschieden hatte und das Öl ins einlaufende Wasser rinnen ließ. Sie atmete tief ein und genoss den Duft, der sich immer stärker in ihrer Nase ausbreitete. Ohne Eile entledigte sie sich ihrer Kleidung und stieg anschließend in die vollgefüllte Wanne. Stück für Stück rutschte sie weiter hinein und das warme, duftende Wasser umschloss bis auf den Kopf jeden Zentimeter ihres Körpers und weichte langsam, aber stetig ihre Haut auf. Der Duft des Badeöls war irgendwie berauschend. Was mit ihr in der Klinik während der Narkose gemacht wurde, wusste sie nicht, aber sie nahm seitdem alles viel intensiver und empfindsamer war, als es die letzten Jahre der Fall war. Die Drogen hatten sie doch sehr abstumpfen lassen und um den Körper so wahrzunehmen wie jetzt, hatte sie noch vor kurzem einen ganzen Cocktail aus Pillen, Kräutern oder einem Schuss benötigt. Sie genoss das Gefühl und dennoch hatte sie Angst, dass genau dieses Gefühl sie wieder zur Abhängigkeit bringen würde. Was jetzt noch als harmlos zu bezeichnen war, reichte ihr bald nicht mehr aus und die Steigerungen nach weiteren Kicks ließen ihre Hemmschwelle schnell wieder sinken. Schon alleine die Erkenntnis machte sie traurig und auch die Tatsache, dass sie ihr Versprechen doch zu voreilig abgegeben hatte. Sie dachte immer der körperliche Entzug mit all seinen Schmerzen wäre ihr größter Gegner, doch jetzt wusste sie, dass sie selbst ihr größter Gegner war. Über kurz oder lang würde sie wieder rückfällig werden, wenn sie dem Druck nicht mehr standhalten kann. Die Aussichten waren mehr als nur deprimierend und auch Mike würde ihr dabei wenig helfen können. Entmutigt wusch sie sich die Haare und seifte ihren geschundenen Körper ein. Arme und Beine waren übersät mit Einstichstellen, die teilweise entzündet waren und unzähligen, aufgekratzten Hautstellen aufgrund des Juckreizes – eine Nebenwirkung des Heroins. Ihr Körper hatte schon viel gelitten die letzten Jahre. Ihre sonst so schöne weibliche Form war ganz schön in Mitleidenschaft gezogen. Außer Haut und Knochen war nicht mehr viel an ihr dran. Im Vergleich zu früher hatte sie viel an Schönheit eingebüßt. Sie hatte keinen Spiegel vor sich, aber die schwarzen Augenringe konnte sie sich auch so bildlich vorstellen. Und ihr strohiges Haar ließ sie erst recht wie eine zerrupfte Henne aussehen. Alles Tatsachen, die es ihr bei der Umwerbung von Mike noch schwieriger machten. Sie würde nicht nur mit der Therapie ihre Seele aufmöbeln, sondern auch ihren Körper wieder auf Vordermann bringen müssen. Das Wasser begann kalt zu werden und Catherine stieg notgedrungen aus der Wanne. Sie wickelte sich in eines der großen Saunahandtücher, die im offenen Wäscheschrank lagerten und widmete sich ihren zerzausten Haaren. Ohne zu föhnen band sie die Haare zusammen und schlüpfte in ihr Zimmer, um ihren neuen Kleiderschrank genauer zu inspizieren. Sie zog die Schublade mit der Unterwäsche heraus und begutachtete die Dessous, die Mike eingekauft hatte. Was war ihm in diesem Moment nur durch den Kopf gegangen? Die Dessous, sowie der Rest der Garderobe waren sicherlich nicht billig gewesen. Die Kleidung war sexy, aber keineswegs nuttig, wie ihre letzte Garderobe. Und als sie es probierte, konnte sie einen weiteren Unterschied auch noch spüren. Die Dessous waren wunderbar angenehm zu tragen und nichts drückte oder kratzte auf der Haut. In der Tür nebenan fand sie einen kuscheligen Nicki-Anzug, der ihr bequem aussah. Fertig angezogen fühlte sie sich um einiges besser, als zuerst. Sie fühlte sich stark genug den beiden Männern wieder entgegenzutreten und öffnete entschlossen ihre Zimmertür. In der Küche unterhielten sich die beiden Männer freundschaftlich, als Catherine hinzukam. Charlie hatte wirklich nicht übertrieben, es roch mehr als nur köstlich und sie bekam tatsächlich ein wenig Hunger. Sie setzte sich zu den beiden und Mike schenkte ihr auf Nachfrage ein Glas Mineralwasser ein. Es fiel ihr auf, dass Mike und Charlie sich blind verstanden und ohne viele Worte die Handgriffe des anderen voraussahen. Niemand stieß sich oder verschüttete etwas, obwohl sie auf engen Raum beide viel herumhantierten. Sie alberten herum und auch Catherine konnte sich mit der Zeit nicht mehr das Lächeln verkneifen. Die beiden waren so unterhaltsam und lenkten sie gleichzeitig von ihren eigenen Problemen so gekonnt ab. Sie hätte sich in der momentanen Situation keine besseren Freunde vorstellen können.

Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft

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