Читать книгу Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft - Simone Stöhr - Страница 14
Dienstag, 12.08.2008 Medical Klinik Boston, 09:28 Uhr
ОглавлениеCathy war die Zeit im Krankenhaus sehr zurückgezogen. Sie wollte nicht an den begleitenden Gesprächskreisen und auch bei den gemeinsamen Mahlzeiten nicht teilnehmen. Es störte sie auch nicht. Die abgeschiedene Isolierung in ihrem Einzelzimmer tat ihr gut und viel mehr noch genoss sie die Stille in sich. Sie hatte Frieden mit sich geschlossen und wüsste nicht, wann sie sich je besser gefühlt hätte, als jetzt die letzten Tage. Einzig Mike, der seit Sonntag nichts mehr von sich hören ließ, schlich sich ab und zu in ihre Gedanken und ließ sie wehmütig an ihn denken. In ihrem Verstand ist es mittlerweile angekommen, dass er nie mehr von ihr wollte, wie Freundschaft. Doch ihr Herz war sturer und wollte es einfach noch nicht begreifen. Er hatte sie gesucht. Er hatte ihr einen Entzugsplatz in einer renommieren Klinik besorgt. Er wollte sie bei sich in New York aufnehmen und sich um sie kümmern. Daraus schloss ihr Herz, dass sie Mike nicht unwichtig war und auch er sie liebte. Es wuchs ein Zwiespalt in ihr, den auch ihr Verstand nicht aufhalten konnte. Es gab Momente, in denen sie Mike als Bruder zu sehen versuchte und dann gingen die Gedanken wieder mit ihr durch und sie überlegte, dass Mike durch ihren Willen zur Abstinenz der Drogen beeindruckt sein würde und durch das künftige Zusammenleben mit ihr auch endlich einsehen würde, wie schön es mit ihr wäre und wie gut es ihm tun würde. Ihre Gedanken waren so paradox und doch real zugleich. Daher war sie froh, dass kein anderer sie hören konnte. Gerade als sie wieder mitten in einem geistigen Konflikt ihres Verstandes mit dem Herzen steckte, klopfte es an der Tür. Ohne eine Antwort abzuwarten öffnete sich die Tür und Dr. Briskow kam lächelnd hinein. Er war ihr in den letzten Tagen ein guter Gesprächspartner geworden und trotzdem schloss sie ihn aus ihren Konflikten mit Mike aus. Mike war ihr persönliches Problem und das wollte sie auch mit niemandem, als mit ihm selbst besprechen. Sie wollte ihm sagen, was sie für ihn empfand und ihm beweisen, dass sie die Frau sein konnte, die er wollte und brauchte. Doch er war eben nicht hier und so war sie mit ihren Gedanken alleine gelassen und musste warten, bis die Tage im Krankenhaus vergingen und sie endlich Mike wiedersehen würde.
„Hallo, wie geht es Ihnen heute? Wollen Sie heute vielleicht am gemeinsamen Mittagessen teilnehmen?“
„Es geht mir gut, aber ich wäre gerne alleine.“
„Ich habe schon verstanden, aber Mr. Carrington hat angerufen. Er lässt ausrichten, dass er bereits nach New York gereist ist, um alle Vorbereitungen zu treffen bis Sie entlassen werden. Er hat für alle Fälle die New Yorker Nummer hinterlassen. Möchten Sie telefonieren? Ich lasse Ihnen gerne das Telefon bringen.“
„Mike ist schon in New York? Wird er Donnerstag kommen, um mich zu holen?“
„Er hat von Donnerstag nichts gesagt, aber wie gesagt, wenn Sie wollen, rufen Sie ihn doch an.“
„Nein, Ich will ihn nicht nerven. Sicherlich meldet er sich noch einmal“, vermutete Cathy.
„Kann ich noch etwas für Sie tun oder sie vielleicht zu einer gemeinsamen Aktivität überreden?“
Cathy lächelte über die stetige Art des Doktors, der nie aufgab. Auch wenn er ihr sympathisch war, so wollte sie trotzdem nicht ihr Zimmer verlassen.
„Nein Dr. Briskow. Ich weiß Sie meinen es nur gut, aber glauben Sie mir, es geht mir gut und ich brauche momentan diese Abgeschiedenheit.“
Dr. Briskow ging leicht enttäuscht wieder hinaus. Er hatte gehofft, dass die Nachricht von Mike Carrington sie aufrütteln würde. Ohne es zu merken war sie schnell zu seiner Lieblingspatientin geworden. Ihre Gedankenwelt war manchmal so klar und intelligent und dann wieder verschwommen und undurchsichtig, dass er Schwierigkeiten hatte ihr zu folgen. Er hatte sich eingeredet, dass sie eine Patientin, wie jede andere auch war, aber sie war anders. Sie passte nicht in das typische Schema seiner üblichen Patienten. Sie war weder arm und in schlechten Verhältnissen aufgewachsen, noch war sie reich und ohne gesetzte Grenzen im Leben. Aber vor allem interessierte ihn an ihr die Verbindung zu Mike Carrington. Durch sie bekam er ungewollt ein anderes Bild von ihm, von dem er nicht wusste, ob er es gutheißen sollte oder nicht. Er wollte sauer auf ihn sein und ihm die Schuld für seine Probleme in der Ehe machen. Doch gerade diesen Einsatz, den er für eine Freundin erbrachte, ließ es ihn schwerfallen, Mike Carrington als schlechten Menschen oder gar als Satan zu sehen. Daher zog es ihn regelrecht in das Zimmer von Catherine Coleman, damit er mehr von ihr über den wahren Mike Carrington erfuhr, aber auch die Geschichte von Catherine hatte es ihm angetan. Sie hatte nicht unrecht gehabt, was die zurückgestoßene Liebe und die damit verbundenen Gefühle anging. Gerade, dass sie das Beispiel mit ihm und Rebecca wählte, hatte ihn getroffen. Rebecca war schon immer ein Mensch gewesen, die andere gerne auf Distanz hielt, sie etwas näher kommen ließ, um sie nur anschließend wieder weit weg von sich zu stoßen. Eine Art und Weise, die er hasste, ihn paradoxerweise aber auch nicht von ihr loskommen ließ. Dass sie mit ihrem Beispiel den Nagel so sehr auf den Kopf getroffen hatte, konnte sie nicht wissen, aber machte Julian ganz schön nachdenklich.
Am Nachmittag hielt Cathy es nicht mehr aus. Sie wollte dringend Mike anrufen und seine Stimme hören. Er fehlte ihr und sie hatte mit seiner Nachricht vom Vormittag zumindest einen Grund bei ihm anzurufen. Sie klingelte nach der Schwester und ließ sich das Telefon bringen. Anstatt der Schwester stand Dr. Briskow wieder in der Tür und überreichte es ihr. Er hoffte so sie in ein Gespräch verwickeln zu können. Mit einem Lächeln überreichte er ihr das Mobilteil der Station und den Zettel auf dem er die Nummer von Mike Carrington in New York notiert hatte. Laut den Klinikregeln war Telefonieren nur unter Aufsicht möglich und zeitlich begrenzt. Damit sollte umgangen werden, dass Kontakt mit Dealern oder Drogenabhängigen während dieser Zeit stattfand. Auch wenn das körperliche Verlangen anfangs nicht da war, konnte trotzallem ein verlockendes Gespräch des Dealers oder anderer Drogenabhängigen dafür sorgen, dass der Patient an seine psychische Abhängigkeit erinnert wurde. Daher war es auch wichtig die ersten Tage unter Beobachtung und unter Gleichgesinnten, abgeschieden von der beeinflussbaren Umwelt zu sein. Die Regeln waren auch Catherine Coleman bekannt und Dr. Briskow wollte die Gelegenheit nutzen durch ihr Gespräch mehr von ihr oder Mike Carrington zu erfahren. Catherine wählte mit zitternden Fingern die Nummer vom Notizzettel. Sie wollte so gerne Mikes Stimme hören und hatte trotzdem ein schlechtes Gewissen, dass sie ihm ungelegen kommen könnte. Nervös hielt sie den Hörer und wartete auf das Tüten in der Leitung. Doch statt dem Freizeichen war nur das Belegt-Zeichen zu hören. Enttäuscht legte sie auf und übergab Dr. Briskow das Telefon wieder zurück. Komischerweise empfand sie, dass er ebenfalls enttäuscht wirkte, auch wenn sie in diesem Moment nur dachte, dass sie sich das einbilden musste.