Читать книгу Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft - Simone Stöhr - Страница 11
Freitag, 08.08.2008 Wellington, 23:52 Uhr
ОглавлениеEs war fast Mitternacht als sie Wellington erreichten. Für alle Fälle hatte Mike die Kindersicherung in den Türen aktiviert und sich zwischen die beiden Frauen gesetzt, dass niemand William während der Fahrt stören oder flüchten konnte. Deshalb konnte er auf weitere Sicherheitsmaßnahmen, wie Fesseln oder dergleichen getrost verzichten. Doch Cathy dachte nicht im Traum daran zu flüchten. Sie war froh Mike endlich wiederzusehen, auch wenn die Umstände nicht gerade für sie sprachen. Je näher sie Wellington kamen, umso mehr dachte sie wehmütig zurück an die schöne Zeit, die sie mit Mike dort verbracht hatte. Wie sehr hatte sich ihr Leben doch seit diesem Zeitpunkt verändert! Realistisch gesprochen, hatte sie es sogar zerstört. Denn Leben konnte man ihre momentane Lage wirklich nicht mehr bezeichnen. Und obwohl sie noch Mitschuld daran trug, dass ihre Mutter entführt wurde und die Carringtons erpresst wurden, begrüßte Laura sie so herzlich, wie das letzte Mal, als sie ihr das unglaubliche Angebot unterbreitete, das Jasmin ihr letztlich doch vereitelte. Lauras freundliche und zuvorkommende Art verstärkten Catherines Schuldgefühle. Was hätte sie gegeben, wenn dies alles nicht passiert wäre! Aber Laura war nicht die einzige Frau bei den Carringtons. Da war noch eine andere Frau im Haus, die nicht viel sagte und so wie es schien, nicht einmal die amerikanische Sprache verstand und dennoch war sie bemerkenswert ungewöhnlich. Woher dieses Gefühl dafür kam, wusste Cathy nicht, aber es war diese Art und Weise, wie alle um sie herum reagierten, aber vor allem auch Mike. Er schien wie verzaubert von ihr zu sein und dennoch hatte sie nicht den Eindruck, dass sie ein Paar waren. Sie war nicht hässlich, aber auch sicherlich nicht außergewöhnlich schön. Eher besserer Durchschnitt. Also was faszinierte ihn an ihr? Aber dieser Frage konnte sie fürs erste nicht mehr nachgehen. Mike stellte ihr immer wieder die gleichen Fragen, doch sie hatte einfach viel zu viel Angst um ihre Mutter um etwas zu sagen. Und als wäre dieses Verhör nicht schon schwierig genug für sie, kam auch noch ein weiterer Mann hinzu, den Mike als Privatdetektiv vorstellte. Aber auch er konnte ihr die Angst nicht nehmen, sich zu öffnen und so schwieg sie weiter und weiter, bis Mike und der Detektiv vorerst aufgaben und hinausgingen. Dagegen kam die ungewöhnliche Frau wieder, die eine Art Babysitter für sie und Jasmin spielte. Selbst Jasmin hatte schnell kapiert, dass sie der englischen Sprache nicht mächtig war und drohte daher Cathy erneut den Mund zu halten. Das war auch gar nicht so unbegründet. Jasmin musste sie besser kennen, als Cathy gedacht hatte. Sie war wirklich nicht weit davon entfernt Mike alles zu erzählen. Sie wollte ihm helfen und vor allem, wollte sie, dass ihrer Mutter geholfen wird. Und Mike traute sie zumindest zu, dass er ihrer Mutter, im Gegensatz zu ihr selbst, helfen könnte. Cathy wusste zwar nicht, wie er das anstellen hätte sollen, aber sie vertraute auf ihn. Gleichzeitig schüchterten sie die Worte von Jasmin dennoch ein und ließen sie weiterhin an ihrem Schweigegelübde festhalten. Laura trat ein und Jasmin unterbrach sofort ihre Drohungen. Sie sprach kurz mit der ungewöhnlichen Frau, die sie beide beaufsichtigte, und ging genauso schnell wieder. Laura war eine unkonventionelle Frau, die mehr als nur gut in den Carrington Clan passte, da war Cathy sich mehr als nur sicher. Sie beherrschte ganz ohne Zwang und Etikette die Situation und das Geschehen als Gastgeberin in der Villa. Catherine konnte sich noch gut an die Worte ihrer Mutter erinnern, als sie sie gefragt hatte, warum Elizabeth Carrington immer so streng und kalt war. Und Cathy war damals doch sehr verwundert gewesen über ihre Antwort. „Sie will nicht so sein und ist auch nicht wirklich so, aber sie ist überfordert mit den Konventionen die man von ihr als Frau eines Carrington Mannes erwartet. Sie musste ein Stück von sich selbst aufgeben, um die Frau des Mannes sein zu können, den sie liebt“, erklärte ihre Mutter. Cathy war damals noch sehr jung und konnte mit den Worten ihrer Mutter nicht viel anfangen. Aber jetzt im Vergleich zu Laura wurde ihr schlagartig bewusst was damit gemeint war. So zu sein, wie Laura, wäre für Elizabeth Carrington ein Traum gewesen. Doch damals waren die Zeiten anders und auch die Eltern von George Carrington waren anders und hatten andere Ziele für ihren Sohn und ganz gewiss auch andere Vorstellungen für seine Ehefrau. Und gerade durch dieses eigene Martyrium hatte William eine Wahl und Laura konnte so bleiben, wie sie war. Laura beherrschte aber auch ohne die strengen Konventionen die Spielregeln und wusste diese gekonnt einzusetzen und dennoch blieb sie sich selbst treu. Das machte sie so besonders und für Cathy so bewundernswert. Mit Kaffee auf dem Tablett tänzelte sie leichtfüßig ins Esszimmer und stellte jedem eine Tasse hin.
„Versucht nachher auch ein wenig zu schlafen. Ich habe oben das zweite Gästezimmer fertig gemacht“, sagte sie freundlich und einladend zu ihnen.
„Ihr könnt uns hier doch nicht ewig festhalten?“, schoss Jasmin zurück.
„Nicht ewig, nur bis morgen! Wenn ihr etwas braucht, lasst es Mike wissen, er wird sich darum kümmern“, waren Lauras letzten Worte, bevor sie wieder hinausging.
Ein paar Minuten später kam Mike mit dem Privatdetektiv zurück. Die Unbekannte fragte Mike etwas, zeigte auf den Detektiv und schon folgte Mike ihr hinaus. Es war wie ein Band, das zwischen ihnen bestand und den einen vom anderen nie lange trennte. Genau so wollte sie immer mit Mike verbunden sein. Was hatte diese Frau, was sie nicht hatte? Es dauerte nicht lange und Mike kehrte alleine mit zwei Tellern Sandwiches zurück. Er stellte wortlos einen vor Jasmin und einen behielt er in der Hand.
„Cathy, kommst du bitte mal mit?“, sagte er freundlich als wäre nichts vorgefallen.
Sie ging mit ihm nach draußen und Jasmin war die Überraschung ins Gesicht geschrieben. Sie feuerte ihre warnenden Blicke Cathy hinterher, selbst wenn sie Zweifel an deren Wirkung ohne ihre Anwesenheit hatte. Sie musste hier dringend verschwinden, koste es was es wolle. Letztlich blieb nur noch der letzte Aufpasser und sie beobachtete ihn aufmerksam, um Lücken zu entdecken und diese nutzen zu können. Doch für den Moment gab es keine, wie sie leidvoll feststellen musste.
Cathy dagegen saß mit Mike auf der Hollywoodschaukel, die wie früher immer noch auf der Terrasse stand. Als Kinder verbrachten sie viel Zeit auf der Schaukel und redeten über alles Mögliche. Aber am meisten erinnerte sie die Schaukel an die Träume von einem Leben mit Mike. Wann immer sie hier saß, stellte sie sich vor, wie schön sie als Ehepaar hier Händchen haltend säßen und den Kindern im Garten beim Spielen zusehen würden. Ein Bild, das so real für sie gewesen war, dass sie nie daran gezweifelt hätte, dass es nicht so kommen würde. Aber rückblickend gesehen war nichts auch nur annähernd an ihre Wünsche und Phantasien herangekommen. Es war nur einem unglücklichen Desaster zu verdanken, dass sie überhaupt hier mit ihm saß. Stumm schaukelten sie hin und her und Cathy schlang hastig die Sandwiches hinunter, die er ihr reichte. Sie hatte ganz vergessen, wie hungrig sie war. Eine der vielen Nebenerscheinungen der Drogen. Man vergaß einfach zu viel um sich herum! Aber genau das war es, was ihr bisheriges Leben nur annähernd erträglich gemacht hatte. Wenn sie an die vielen Kerle dachte, mit denen sie schlafen musste, wäre es ohne Drogen gar nicht vorstellbar gewesen. Mike sagte kein Wort und Cathy war ihm dankbar dafür. Sie konnte ihm nichts sagen, selbst wenn sie es wollte. Das Leben ihrer Mutter stand auf dem Spiel und nicht zuletzt, ihr eigenes Leben, wenn Matthew sie in die Finger bekam.
„Cathy, weißt du noch, wie wir früher immer hier gesessen haben?“, fragte Mike sie völlig unerwartet und riss sie damit aus ihren Gedanken. Sie wusste nicht, worauf er hinauswollte und nickte unsicher.
„Mir ist vorhin wieder eingefallen, was wir uns früher immer ausgemalt hatten“, fuhr Mike fort. „Wie unser Leben einmal sein sollte. Ich war so auf die Leitung des Konzerns versteift gewesen, dass ich mir nie einen Plan B überlegt hatte. Ich glaube, das war der größte Fehler, den ich in meinem Leben gemacht hatte. Seit Jahren habe ich mich in meinem Selbstmitleid verkrochen und einfach nur gelebt, aber ohne einen Sinn darin zu sehen. Erst in den letzten Tagen ist mir aufgegangen, dass ich so nicht weiter machen will. Also habe ich es vor zu ändern! Ob ich es schaffe, weiß ich nicht, aber ich werde es auf jeden Fall versuchen.“
„Warum erzählt du mir das alles?“, unterbrach Cathy ihn. Was wollte er ihr damit sagen?
„Ich dachte es interessiert dich. So wie früher, als wir über alles noch reden konnten. Da hatten wir uns auch alles anvertraut. Warum kann es nicht mehr so sein, wie früher?“
„Weil wir mittlerweile in völlig verschiedenen Welten leben. Du kannst alles haben, was du willst und ich verkaufe meinen Körper. Schau uns doch an! Mehr Unterschiede kann es nicht geben!“, warf sie ihn ärgerlich an den Kopf.
Sie lebte mittlerweile am Abgrund und es war ihr auch nicht mehr zu helfen. Er dagegen hatte jämmerliche Sorgen über eine Position im Familienunternehmen, obwohl er auch ohne diese Stellung genug Geld und Einfluss hatte. Es war ihr nie im Leben die Unterschiede zwischen ihnen so bewusst, wie in diesem Moment. Sie spürte, wie ihr Körper nach den Drogen verlangte. Der Arm schmerzte und auch das Zittern hatte sie längst nicht mehr unter Kontrolle. Sie musste dringend an Heroin herankommen. Unerwartet für Cathy zog Mike sie an sich heran.
„Du frierst ja! Reiche ich dir aus oder soll ich uns noch eine Decke holen?“, sagte er mitfühlend.
Einerseits wollte sie sich an ihn heran kuscheln. Das wollte sie schon immer! Andererseits wusste sie auch, dass er von ihr Informationen wollte. Informationen, die sie ihm nicht geben konnte, wenn sie das Leben ihrer Mutter nicht gefährden wollte. Sie konnte sein Aftershave riechen und spürte seinen warmen Arm um ihre Schultern. Es war einfach zu verführerisch ihn so nah bei sich zu haben. Sie vergaß ihre Vorsicht und schmiegte sich eng an ihn, jedoch ohne ihn anzusehen.
„Ist schon gut so!“
„Cathy, kann ich mit dir über ein Thema reden, über das wir schon lange sprechen hätten sollen?“
„Was meinst du?“, fragte sie verwirrt.
„Ich meine deine Gefühle für mich.“
Dieses Thema kam völlig unerwartet für Cathy und gleichzeitig erstaunte sie seine Direktheit bei diesem Thema. Warum wollte er in einer Situation wie dieser, ausgerechnet über dieses Thema sprechen?
„Ich habe natürlich davon gewusst, aber ich bin dem ganzen bisher immer lieber aus dem Weg gegangen. Doch ich denke jetzt, das war falsch! Ich möchte dir gerne meine Sicht zeigen, wenn du mich lässt“, erklärte er den Themenwechsel.
Cathy war überrumpelt und verwirrt, weswegen sie kein Wort herausbrachte.
„Du warst mir immer wichtig und es macht mich traurig, wenn ich sehe, wie die Drogen dich fertig machen. Du kannst Martha fragen, wie oft ich mich, immer wieder nach dir erkundige. Aber meine Art der Liebe, die ich für dich empfinde ist anders, als deine. Für mich wirst du immer meine kleine Schwester sein. Ich weiß, dass wir keine Geschwister sind, aber so sind wir aufgewachsen und so fühle und empfinde ich es. Als ich merkte, dass es für dich darüber hinaus ging, hatte ich geglaubt, dass es sich legen würde, wenn wir uns seltener sehen und du dich mit anderen Männern triffst. Doch heute weiß ich, dass es der völlig falsche Ansatz war. Wir haben unsere Freundschaft durch mein Verhalten kaputtgemacht und geklärt hat sich dabei noch lange nichts. Das war dir gegenüber nicht fair und ich möchte mich dafür entschuldigen. Kannst du mir verzeihen?“
Seine Worte verwirrten sie. Sie wusste nicht, ob er es ernst meinte oder ob er sie mit dieser Thematik nur verunsichern wollte. Da Cathy weiterhin schwieg, stand er auf und ging vor ihr in die Hocke, damit er ihr in die Augen schauen konnte.
„Cathy, es tut mir wirklich wahnsinnig leid und ich möchte es unbedingt wieder gut machen. Wenn ich dir helfen kann, von den Drogen wegzukommen oder es anderweitig wiedergutmachen kann, tue ich es. Du musst es mir nur sagen! Ich möchte, dass es wieder so wird, wie früher.“
Seine demütige Haltung vor ihr und seine braunen Augen, die sie unablässig anschauten, ließen sie glauben, dass er es wirklich ernst meinte. Das war endgültig zu viel für Cathy und sie brach in Tränen aus. Mike setzte sich wieder neben sie auf die Hollywoodschaukel und zog Cathy an sich heran. Er streichelte ihr über das Haar und ließ ihr Zeit zum weinen. Sie hasste ihr Leben, das sie die letzten Jahre geführt hatte. Sie hatte immer den Traum Mrs. Carrington zu werden und hatte die Ablehnung von Mike nie verstanden, geschweige denn verarbeitet. Jeden Mann, den sie kennenlernte, verglich sie mit ihm und keiner konnte ihm nur annähernd das Wasser reichen. Am meisten litt sie momentan darunter, dass sie Schuld an der Entführung ihrer Mutter hatte, auch wenn sie direkt nichts damit zu tun hatte. Am liebsten wollte sie einfach nur ein kleines Mädchen wieder sein, hier mit Mike auf der Hollywoodschaukel sitzen und über sinnlose Träume plaudern. Das Weinen tat ihr so gut, auch wenn sie vor Kälte zitterte. Mike spürte, wie sie zitterte und hob sie hoch.
„Komm, ich bring dich nach oben ins Bett. Schlaf dich erst einmal aus.“
Sie sah ihn erstaunt an.
„Willst du nicht wissen, was ich von der Entführung weiß?“
„Es ist mir nicht wichtig! Wir zahlen morgen das Geld und dann wird Martha zurückkommen. Du musst nichts sagen.“
„Ihr wollt einfach so das Lösegeld zahlen?“
„Ja, warum nicht? Martha ist für uns ein Familienmitglied. Wir tun natürlich alles, um sie wieder zurückzubekommen.“
Catherine brach wieder in Tränen aus. Das Schluchzen hielt an, während er sie nach oben trug und in sein Bett legte.
„Laura meinte zwar, dass du und Jasmin zusammen schlafen könnt, aber ich denke es ist besser, wenn du heute Nacht alleine schlafen kannst. Du hast Angst vor dieser Jasmin, stimmt`s?“
Catherine nickte und hielt sich weiter an ihm fest.
„Kannst du bei mir bleiben?“, bat sie ihn.
„Als Freund ja, als Mann nein. Kommst du damit klar?“, stellte er seinen Standpunkt noch einmal klar.
Sie nickte wieder, worauf er sich neben sie legte. Eng aneinander gekuschelt lagen sie da und die Tränen liefen ihr weiter über die Wangen. Mike packte sie fest in die Decke ein, da ihr Zittern weiter zu nahm.
„Hast du Entzugserscheinungen?“, fragte er, um seine Gedanken bestätigt zu bekommen.
„Ja, ich hatte nicht genug Geld verdient, um Drogen zu bekommen“, brachte sie unter Zähne klappern hervor.
„Ich werde dir helfen, davon loszukommen, wenn du willst. Aber ich besorge dir keine Drogen! Damit das von vornherein klar ist!“
„Ich will ja davon loskommen, aber es ist die Hölle.“
„Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin für dich da und gemeinsam schaffen wir es. Versuch dich zu entspannen!“
Sie zitterte weiter wie Espenlaub und schwitzte trotzdem, dass ihr das Wasser herunterlief.
„Michael, ich wollte nicht, dass Mum etwas passierte. Das musst du mir glauben.“
„Das weiß ich doch! Mach dir keine Sorgen, wir bekommen das schon wieder hin“, beruhigte er sie.
„Es ist alles meine Schuld, dass das passiert ist. Die Drogen kosten so viel Geld. Geld das ich nicht habe. Das letzte Mal als ich Mum sehen wollte, habe ich dummerweise Jasmin mit hierher gebracht. Jasmin ist die Freundin von dem Zuhälter und Dealer, der mir die Drogen gibt. Oft hatte ich sie auf Pump bekommen. Er wollte plötzlich alles auf einmal zurück, doch ich hatte nichts mehr. Jasmin meinte, ich könnte doch zu Laura und William gehen, doch das wollte ich nicht. Sie haben mich dann vor die Wahl gestellt mich zu prostituieren oder sie würden Mum entführen, um das Geld von euch zu bekommen. Ich wollte nicht, dass Mum etwas passiert und ihr in die Sache auch noch hineingezogen werdet. Daher habe ich mich auch für die erste Variante entschieden. Mike, glaube mir, das wollte ich wirklich nicht!“, schluchzte sie. „Er hat mir versprochen, dass er sie in Ruhe lässt.“
Cathy brach in Tränen aus und Mike nahm sie schützend in die Arme.
„Das weiß ich doch. Wie heißt dein Dealer?“
„Das kann ich dir nicht sagen! Er lässt mich umbringen, wenn ich das sage.“
„Du brauchst keine Angst zu haben, ich beschütze dich! Dir kann bei mir nichts passieren.“
„Sei mir bitte nicht böse. Ich kann wirklich nicht! Er wird Mum etwas antun und danach bin ich dran.“
„Ich bin dir nicht böse.“
Er streichelte ihr übers Haar, um sie zu beruhigen. Die Entzugserscheinungen nahmen zu und sie hatte Schwierigkeiten, sich auf ein Gespräch zu konzentrieren. Ihr linker Arm tat ihr höllisch weh. Er wartete darauf, dass eine erleichternde Spritze hineinstieß. Sie wusste nicht, wie lange sie diese Schmerzen noch aushalten konnte. Vor einem Jahr hatte sie selbst einen kalten Entzug probiert, doch sie hatte nur wenige Stunden durchgehalten und es seitdem gemieden noch einmal soweit kommen zu lassen. Sie hatte Angst vor den Schmerzen, die ihr bevorstanden und dem was noch kommen könnte, sie aber bislang noch nicht kannte. Nur die Tatsache, dass Mike für sie da sein wird, erleichterte ihr den Entschluss einen weiteren Entzug zu wagen.
„Möchtest du bis morgen zur Überbrückung Schmerzmittel nehmen?“
„Was heißt bis morgen? Was hast du morgen vor?“
„Ich habe mich schon länger mit dem Thema Entzug beschäftigt. Ich wollte dir schon viel früher helfen, nur wusste ich nie, wie ich es anstellen sollte. Die erfolgreichste Therapie derzeit ist der Turboentzug. Hast du schon mal davon gehört?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Du wirst für 24 Stunden unter Vollnarkose gesetzt. Dadurch bleiben dir die größten Entzugserscheinungen erspart. Weitere 3 Tage wirst du noch stationär behandelt, falls noch Symptome auftreten. Nach diesen 4 Tagen sind die körperlichen Entzugserscheinungen mit Medikamenten so behandelbar, dass es keine körperlichen Symptome mehr gibt. Doch, wenn es auch keine körperliche Abhängigkeit mehr gibt, musst du immer noch gegen deine psychische Sucht ankämpfen. Du brauchst auf jeden Fall eine Psychotherapie, um die Ursachen aufzuarbeiten, damit du nicht wieder rückfällig wirst. Wenn du einverstanden bist, bringe ich dich morgen früh, für den ersten Teil deiner Therapie, der Vollnarkose, in die Medical Klinik. Ich kläre das mit der Übergabe des Geldes noch und bis du wieder aufwachst, bin ich wieder da! Wenn wir die ersten 4 Tage überstanden haben, werden wir uns gemeinsam überlegen, wo und wie wir die Psychotherapie machen lassen. Okay?“
„Du hast dir aber schon sehr viele Gedanken darüber gemacht“, sagte sie erstaunt.
„Glaubst du es macht mir Spaß dich so elend, wie jetzt zu sehen? Es funktioniert aber nur, wenn du mir hilfst. Ohne deine Hilfe und deinen Willen kann ich nichts erreichen!“
„Ich versuche es, aber ich kann dir nichts versprechen. Ich hatte es schon einmal versucht und nach ein paar Stunden wieder abgebrochen. Es ist schwerer als du denkst.“
„Wir bekommen das schon hin. Möchtest du jetzt Schmerz- oder Schlafmittel, dass du schlafen kannst?“
„Ich denke, das wäre eine gute Idee. Du kommst aber wieder, oder?“, fragte sie unsicher nach.
„Natürlich. Ich bleibe bei dir!“
Mike rollte sich aus dem Bett und ging zur Tür, als ihn Catherine zurückhielt.
„Matthew Warren“
„Wer ist das?“
„Matthew Warren ist der Dealer und Freund von Jasmin, alias Susan Bennett. Sie wohnen in Quincy, direkt an der Quincy Bay.“
„Danke. Ich bin gleich zurück!“
Der Privatdetektiv sperrte Jasmin nach oben ins Gästezimmer ein. Sie lauschte seinen Schritten, die sich immer weiter entfernten. Sobald sie außer Hörweite waren, machte sie sich auf, um nach einem Fluchtweg zu suchen. Sie öffnete das Fenster und überlegte einen Moment dort nach unten zu klettern. Doch es war einfach zu hoch und ihre Stöckelschuhe waren auch nicht gerade für diese Aktion geeignet. Also suchte sie nach weiteren Möglichkeiten oder Vorteilen, die sie nutzen konnte. Sie untersuchte die Tür und auch die Schränke wurden eingehend gemustert. Nichts war für eine Flucht geeignet. Selbst die Bettlaken waren aufgrund der Höhe aussichtslos. Verzweifelt setzte sie sich aufs Bett. Sie musste doch hier irgendwie herauskommen und ihren Bruder warnen. Es war zwar mehr als unwahrscheinlich, dass Cathy auf ihn kommen würde, aber man musste den Teufel auch nicht an die Wand malen! Und wenn sie Matthews Namen verriet, war es nicht schwer, dass er auf ihren Halbbruder kam. Immerhin stammte die Idee von ihr und sie hatte oft genug auf ihn eingeredet, dass sie die Entführung doch durchziehen sollten. Doch Matt beharrte auf seinem Standpunkt, dass er es Cathy versprochen hatte und außerdem Cathy mit diesem Druckmittel viel besser funktionieren würde. Wie dämlich er doch war! Was nützte ein Druckmittel für ein paar Tausender, wenn man mit der Entführung eine Million und mehr auf einmal abstauben könnte? Sie hätten ausgesorgt und Jasmin müsste sich und ihren Körper nicht mehr verkaufen. Das waren doch ganz andere Aussichten, als ein blödes Druckmittel, von dem sie nichts hatte! Wütend über ihre missliche Lage zog sie ihre Schuhe aus und warf sie gegen die Wand. Warum haben nicht schon früher ihre Alarmglocken geläutet? Vielleicht hätte sie im Hotel für Aufruhr sorgen sollen, dann hätte sie eine Chance zur Flucht gehabt, aber so saß sie eingesperrt in diesem Zimmer und konnte nichts machen als abzuwarten und sich am nächsten Morgen auf dem Polizeirevier wieder vorzufinden. Es war zum Haare ausreißen! Sie rutschte vom Bett herunter und holte ihre Schuhe, um sie erneut gegen die Wand zu donnern. Da fiel ihr der kleine Spalt in der Wand auf. Sie stand auf und folgte der Linie, die ein Rechteck in der Wand einnahm. Es war ein Ausschnitt in der Wand, der perfekt in die Vertäfelung des Zimmers integriert war. Ihr wäre von keinem Punkt des Zimmers aufgefallen, dass es diesen Ausschnitt überhaupt gab, wenn sie nicht mitten davor gesessen wäre. Nur was war dieser Ausschnitt? War er vielleicht eine Tür, die hier hinausführte? Ihre Hoffnung stieg und sie untersuchte weiter den Ausschnitt und drum herum, um vielleicht einen Mechanismus zu finden, der die Türe öffnen könnte. Vorsichtig tastete sie den ganzen Bereich ab, um jede Unregelmäßigkeit spüren zu können. Doch es war nichts festzustellen. In der Nähe des Ausschnittes war ein Bild. Vielleicht lag darunter auch die Lösung des Rätsels. Sie nahm es vorsichtig von der Wand und stellte euphorisch fest, dass ein Knopf darunter versteckt war. Sie drückte erwartungsvoll hinein und stellte mit Freude fest, dass der Ausschnitt schwungvoll aufschnappte. Jetzt blieb nur noch zu hoffen, dass die Tür irgendwo hinausführte und sie in Freiheit war. Sie blickte in die Dunkelheit und brauchte einen Moment, bis ihre Augen sich daran gewöhnt hatten. Schemenhaft konnte sie durch das schwache Mondlicht die nächsten zwei Meter vor sich ausmachen. Es schien ein Weg zu sein, der in die Dunkelheit hineinführte. Langsam tastete sie sich voraus und ging einige Meter bis sie zu einer Tür gelangte. Sie drückte die Klinke und mit einem Knarzen öffnete sie sich. Dahinter war ein riesiger Lagerraum. Vermutlich war sie so zum Speicher des Hauses gekommen. Alte Möbel und Kisten standen eingestaubt herum. Kinderspielsachen stapelten sich in einer Ecke und frusteten vergangene Zeiten hinterher. Es war ein Ort der tausend vergessenen Schätze und Jasmin bedauerte es fast, nicht länger hierbleiben zu können. Sie hatte ein Faible für antike Dinge, doch bisher nie das richtige Kleingeld dazu gehabt, um sie sich auch leisten zu können. Doch das schien ab morgen anders zu werden, wenn sie endlich hier einen Ausweg finden würde! Sie ging weiter bis zum Ende des Raumes und entdeckte zu ihrer Freude hinter einem großen, alten Eichenschrank eine Wendeltreppe, die nach unten führte. Wenn sie nach unten führte, musste es logischerweise auch einen anderen Weg zum Speicher geben. Ein Weg, der sie hier herausführen würde. Vorsichtig stieg sie die alten Stufen hinunter, die verdächtig knarzten, aber dennoch stabil schienen. Nach etlichen Wendungen der Treppe kam sie in einer Art Schuppen für Gartengeräte an. Harken, Schaufeln und Hacken hingen fein säuberlich aufgereiht an der Wand und drum herum waren in Regalen Blumentöpfe, Dünger, kleine Schaufeln und Harken, Blumenerde und auch ein Rasenmäher stand in der Ecke. Der Raum war schwach vom Mondlicht erhellt, das durch das Fenster schien, aber eine Tür war auf den ersten Blick nicht erkennbar. Jasmin orientierte sich daher am Fenster und strich die Wand entlang, bis sie auf eine Art Tür stieß. Sie rechnete fest damit, dass sie von außen verschlossen war und war umso mehr überrascht, als sie quietschend aufging. Durch die Tür gelangte sie in den Garten und von dort aus war es ein Kinderspiel zur Straße zu kommen. Sie war schon knapp am alten verrosteten Tor, durch das sie mit Catherine im Februar schon gekommen war, als sie Geräusche im Garten vernahm. Scheiße! Sie haben es schneller bemerkt, als ich gedacht hatte, ging es ihr durch den Kopf. Wenn sie jetzt aus dem Tor rennen würde, würde sicherlich das Quietschen des Tores sie verraten. Auch wenn sie so schnell wie möglich von hier wegwollte, so musste sie jetzt doch einen kühlen Kopf bewahren und sich erst einmal verstecken und abwarten. Das war ihre einzige Chance! Mit den Schuhen in der Hand ging sie auf Zehenspitzen zur mannshohen Kirschlorbeerhecke und versteckte sich in den großen schützenden Blättern. Die Äste piekten sich überall in ihre Haut und auch ihre Haare verhedderten sich bei dem Versuch noch weiter in die Hecke hinein zu kriechen. Den Atem anhaltend, hörte sie Schritte über den Rasen näher kommen, doch waren sie noch zu weit entfernt, als dass man sie im Schutze der Dunkelheit entdecken konnte. Mucksmäuschenstill saß sie dort und wartete darauf, dass die Schritte sich wieder entfernten. Doch statt zu verschwinden hörte sie noch weitere Schritte auf sich zukommen. Vermutlich waren es der ältere Carrington und der Privatschnüffler, dachte Jasmin. Sie hörte erleichtert, wie der Carrington die Suche abblies und sie wieder über den Garten zurück ins Haus gingen. Sie blieb noch einige Minuten, um ganz sicher zu gehen und verschwand dann durch das eiserne Tor auf die Straße. Der Privatschnüffler hatte ihr dummerweise die Tasche abgenommen und so war sie ohne Geld und Handy. Aber sie war frei! Zu allem Überfluss hatte die Hecke einigen Schaden an ihr angerichtet - die Haare zerzaust, die Strumpfhose voller Laufmaschen und blutigen Stellen an Armen und Beinen. Trotzallem, musste sie schnellstmöglich zu Enrique kommen und ihn vor den Carringtons warnen.
Cathy wartete bereits ungeduldig, dass Mike wieder zurückkam. Ihr ging es zusehends schlechter und sie brauchte ihn dringender denn je, um weiter durchzuhalten. Ihr war kalt und Schweiß rann aus allen Poren an ihrem Körper hinunter. Schnell war sie durchnässt und ihr Magen schien auch noch zu rebellieren. Länger konnte sie nicht mehr durchhalten. Die Schmerzen waren zu groß und viel zu stark um sie länger ertragen zu können! Einzig Mike war ein Grund es überhaupt noch weiter zu versuchen. Ihm wollte sie etwas beweisen. Und deshalb brauchte sie ihn ganz schnell hier – hier bei ihr. Alleine würde sie aufgeben, das war Catherine absolut klar! Als ob auch ihr Körper dessen Erkenntnis bewusst war, stieg ihr die Magensäure den Hals hinauf und sie spürte schon den bitteren Geschmack im Mund, ehe sie schnell genug aus dem Bett hechten konnte. Mit der Hand vor dem Mund versuchte sie das meiste des Übels zu verhindern und rannte, so schnell sie konnte ins Badezimmer. Schwallartig erbrach sie die eben noch heißbegehrten Sandwiches und hatte mit starken Krampfanfällen, bis hin zu Magenkrämpfen zu kämpfen. Ihr war als würde sich ihr Innerstes nach außen kehren. Zärtlich kamen Hände hinter Cathy hervor und nahmen ihre Haare aus dem Gesicht, um sie vor der Kloschüssel zu retten. Cathy war sich sicher, dass es nicht Mikes Hände waren, doch wer der Besitzer der Hände war, ließ sich gerade schlecht herausfinden. Ihr Körper war nicht mehr zu kontrollieren. Die Muskeln spielten verrückt und auch, wenn kein Mageninhalt mehr vorhanden war, so hörte der Reiz des Würgens noch lange nicht auf. Gerne hätte sie sich umgedreht und ihren Engel in der misslichen Lage gedankt, doch auch die Sprache, war ihr bis auf ein röcheln und stöhnen nicht mehr möglich. Das war es wovor sie immer Angst hatte und oft genug schon zu hören bekam. Und jetzt wusste sie, warum ein entkommen von den Drogen so schier unmöglich war. Kein Mensch hielt diese Schmerzen und diese Kontrolllosigkeit bei klarem Verstand lange genug aus, um es zu schaffen. Es war als steckte ihr Verstand im Gefängnis ihres Körpers und wurde ununterbrochen gefoltert ohne, dass sich ihr Verstand nur annähernd dagegen wehren konnte. Sie wurde für sich selbst zum größten Feind, der nur zu gerne den Drogen wieder nachgab, sobald er die Folter nicht mehr aushielt. Es war frustrierend, gerade in diesem Moment des Loskommen-Wollens, diese Erkenntnis zu machen. Und zu wissen, dass jede Anstrengung, die sie jetzt unternahm, ihr Leiden nur verlängern würde. Es gab keinen Ausweg und wenn sie daran glaubte, machte sie sich nur etwas vor. Warum also sollte sie weiterhin leiden? Es machte keinen Sinn! Das musste auch Mike einsehen. Sie hatte ihr Leben verspielt und war selbstschuld daran. Jetzt musste sie auch die Konsequenzen tragen und mit Kerlen schlafen, die sie anwiderten. Und trotz allen Ekels, kam ihr das im Vergleich zu der jetzigen Situation noch recht harmlos vor. Sie hatte sich kurz vom Brechreiz erholen können, doch schon bald holte sie eine neue Welle heim, begleitet von Magenkrämpfen und einem brennen im Hals, welches durch die viele Säure verursacht wurde. Die wortlose, aber dennoch verständnisvolle Person im Hintergrund strich ihr sanft über den Hinterkopf und den Rücken hinab. Cathy spürte die Wärme, die die Hand an den Stellen, die sie berührte, zurückließ. Es kam ihr komisch vor, aber genau diese simplen Berührungen stärkten sie und halfen ihr neuen Mut zu schöpfen. Es war als würde die Hand ihre Seele streicheln. Und dabei wusste sie noch immer nicht, wem diese Hand gehörte. War es Laura oder doch diese ungewöhnliche Frau, die auch Mike in ihren Bann gezogen hatte? Nur Augenblicke später, klopfte es an der Tür und sie erkannte Mikes Stimme, auch wenn sie ihn nicht verstand. Die Tür wurde von der Person hinter ihr geöffnet und sie erkannte Mike, der sie erschrocken anstarrte. Die versprochenen Schlaftabletten hatte er fest umklammert, während er die Situation zu realisieren versuchte. Cathy konnte an seinem erschrockenem Gesicht sehen, dass er vermutet hatte, dass sie geflüchtet war. Und irgendwie, konnte sie es ihm auch nicht einmal übelnehmen. Sie hatte immerhin schon ein paar Mal die letzten Stunden daran gedacht, weil sie dringend Drogen brauchte. Sie schämte sich für ihre Gedanken und sie schämte sich auch, dass er sie jetzt so sah. Endlich hörte Cathy auch die sanfte Stimme, die zu der liebevollen Person hinter ihr gehörte. Sie sprach in einer anderen Sprache, die Mike mühelos beherrschte. Seine vielen Reisen kam ihm da sicherlich zugute, vermutete Cathy. Sie wusste nicht, was gesprochen wurde, aber sie konnte deutlich heraushören, dass die Frau wusste, wie sie Mike überzeugen musste. Als sie spürte, dass er den letzten Widerstand endlich aufgegeben hatte, wand er sich endlich an sie. Bislang war sie überhaupt nicht einbezogen worden und sie wusste auch nicht, ob sie kurze Zeit mit dem Erbrechen aufhören hätte können, um ihre Sprache wieder zu finden. Er beugte sich zu ihr hinunter, um mit ihr auf Augenhöhe zu sein und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Cathy, es ist so, dass Bella der Meinung ist“, begann er vorsichtig „dass ich etwas schlafen sollte. Sie würde sich gerne um dich kümmern, wenn du möchtest. Ich habe ihr aber schon gesagt, dass du das nicht möchtest, aber sie besteht darauf, dass ich mit dir spreche.“
Cathy nickte schwach, doch Mike ging nicht darauf ein und sprach weiter.
„Ich habe dir versprochen, dass ich für dich da bin und dazu stehe ich auch“, versicherte er ihr.
Cathy versuchte sich aufzuraffen und ihm fest in die Augen zu blicken. Es kostete sie unheimliche Kräfte, kurz mit ihm sprechen zu können.
„Sie hat Recht...“, flüsterte sie mit rauer Stimme.
„…Du brauchst deinen Schlaf…“
Sie musste kurz aussetzen, ehe sie weitersprechen konnte. „…dass du dich um Mum kümmern kannst… das ist vorerst wichtiger…“, krächzte sie „…Ich werde mit ihr schon klarkommen… Versprich mir bitte, dass du Mum … zurückholen wirst…“
Mit letzter Kraft beugte sie sich zu ihm vor und sagte: „Versprich es!“, ehe sie zusammensackte. Dann brachen ihre Worte ab und mit einer schwachen Handbewegung winkte sie ihn zur Tür hinaus.
„Ich verspreche es dir“, sagte er aufrichtig und verabschiedete sich dankbar von der engelsgleichen Frau hinter Cathy.
Er ging und die Frau, die Mike vorhin Bella nannte, schloss die Tür. Sie beugte sich hinunter und Cathy konnte sie erstmals richtig ansehen und ihr Gesicht studieren. Sie hatte sanfte grüne Augen, die genau zu wissen schienen, was Cathy dachte oder fühlte. Ihr Mund zeigte ein verständnisvolles Lächeln und ihre blonden Locken umspielten frech ihr Gesicht. Aber das Unglaublichste an ihr war das Strahlen, das von ihr ausging. Cathy dachte erst sie phantasierte und der Entzug spielte ihren Sinnen einen Streich. Aber mehr und mehr passte das Strahlen zu der Person vor ihr. Vor ein paar Stunden dachte Cathy von der Frau noch, dass sie durchschnittlich wäre und sie konnte sich nicht erklären, was Mike an ihr fand. Doch jetzt war es ihr klarer, denn je. Sie musste ein Engel sein! Cathy rechnete ihr das hoch an, gerade, weil die Frau sie nicht kannte und sich dennoch wie ein Engel uneigennützig die ganze Nacht um die Ohren schlug für sie. Cathy hatte den Wunsch sich zu bedanken und erkenntlich zu zeigen, aber ihr Körper versagte ihr jeglichen Dienst. Die Anstrengung war schon zu groß, als sie vorhin noch mit Mike sprach. Zumindest ließ ihr Brechreiz nach und sie konnte sich etwas entspannen, auch wenn ihr durch die ruckartigen Bewegungen des Brechens jeder Muskel im Körper wehtat. Die Frau schien zu wissen, dass es aufhörte und spülte das Erbrochene hinunter. Anschließend packte sie Catherine unter den Achseln und zog sie rückwärts in ihr Zimmer und legte sie vorsichtig auf ihr Bett. Sicherheitshalber brachte sie noch einen Eimer ins Zimmer und dämmte das Licht bis auf das kleine Licht am Nachttisch. Es war als konnte sie Cathys Gedanken lesen und wusste sofort was sie brauchte oder was ihr schadete. Die ganze Nacht blieb sie auf und war ständig auf den Beinen, um auf ihre Bedürfnisse, die schier im Minutentakt wechselten, einzugehen. Mal bekam sie Fieber und Bella machte ihr Wadenwickel, dann fror sie wieder und ihr Engel packte sie in Decken ein. Es war ein wunderbares Gefühl so gut verstanden zu werden, ohne auch nur ein einziges Wort sprechen zu müssen, was sie auch definitiv nicht gekonnt hätte. Auch wenn sie sich Mike gewünscht hatte, so musste sie eingestehen, dass er bei weitem nicht so fürsorglich gewesen wäre, wie sie. An ihrem Schmunzeln erkannte Cathy, dass sie auch diese Gedanken gesehen haben musste. Es war eine schier endlose Nacht, in der an Schlaf nicht im Geringsten zu denken war. Sie hatte Schmerzen und wünschte sich nur noch tot zu sein. Wenn sie nur daran dachte, wie die Schmerzen die nächsten Tage noch zunehmen würden, war sie froh, dass Mike für sie die Variante der Vollnarkose gewählt hatte. Momentan saß sie gefangen in ihrem Körper und musste alles ertragen. Während der Vollnarkose war das nicht anders, aber zumindest empfand sie dann keine Schmerzen mehr. Die Aussicht war durch den jetzigen Zustand geradezu verlockend. Daher kam es ihr wie eine Erlösung vor, als Mike plötzlich mit den Worten „wir müssen los“ vor ihr stand. Alles was jetzt kam, konnte nur noch besser werden.