Читать книгу Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft - Simone Stöhr - Страница 13
Sonntag, 10.08.2008 Wellington, 11:23 Uhr
ОглавлениеMike fuhr mit dem Auto kreuz und quer durch die Stadt. Die letzte Nacht mit Isabella hatte ihn völlig verwirrt. Ob es an der Anspannung und der Situation der letzten Tage lag oder ob es sie selbst war, die ihn um seinen Verstand brachte, wusste er noch nicht. Aber er versuchte der Sache auf den Grund zu gehen, als sein Handy ihn dabei unterbrach.
„Carrington“, meldete sich Mike etwas schroffer als gewollt.
„Dr. Briskow hier. Störe ich Sie gerade?“, fragte der Doktor nach.
„Nein, gibt es Neuigkeiten?“
„Es ist glücklicherweise alles komplikationslos verlaufen. Ich lasse gerade alles vorbereiten, um die Narkose auszuleiten. Sie wollten doch dabei sein, wenn sie aufwacht. Wann könnten Sie hier sein?“
„Ich bin bereits unterwegs. Moment, ich muss schnell schauen, wo ich gerade bin.“
Mike schaltete das Navigationssystem ein und gab das letzte Ziel die Medical Klinik ein. Das System errechnete die Distanz und Mike war verblüfft, dass er ohne es zu merken, nicht weit von der Klinik entfernt war.
„Ich bin in der Nähe und kann in 10 Minuten da sein.“
„Gut, dann bis gleich.“
Mike legte auf und wendete seinen Wagen. Die Gedanken um Bella kreisten wieder in seinem Kopf herum und die weitere Fahrt verlief eher automatisch, denn dass er sie bewusst mitbekam. Nach der Prozedur der Anmeldung in der Klinik ging er schnurstracks in Cathys Zimmer. Die Schwestern und auch Dr. Briskow waren bereits anwesend und beschäftigt mit den Geräten, die um sie herum aufgebaut waren. Mike grüßte in die Runde und stellte sich abseits, bis alles soweit vorbereitet war. Er wollte niemandem im Wege stehen und auch Isabella war noch nicht aus seinem Kopf verschwunden. Er sah die schlafenden Cathy vor sich und versuchte sich das Leben der nächsten Monate mit ihr vorzustellen. Völlig orientierungslos waren sie mittlerweile nicht mehr, schließlich hatte ihm William das New Yorker Hotel überlassen, weshalb sie dort die nächsten Monate leben würden. Eine Wohnung hatte er bereits, auch wenn sie sicherlich noch umgestaltet werden müsste, um dort länger leben zu können, als ein paar Tage im Jahr, wie er sie bisher nutzte. Doch wie sollte es dort weitergehen? Er wollte sich in New York als Führung bewähren und neue Konzepte erarbeiten und umsetzen. Gleichzeitig musste er auch für Cathy da sein. Es würden aufregende Monate werden, in denen er immer einen Spagat zwischen ihr und dem Hotel machen müsste. Eine Situation, die keinen Platz und keine Zeit mehr für Isabella zuließ. Dennoch schmerzte es ihn schon jetzt, wenn er daran dachte, dass sie aus seinem Leben einfach so wieder verschwinden würde. Aber noch hatte er drei Tage, die ihm mit ihr blieben und diese würde er bestmöglich nutzen. Dr. Briskow nickte Mike zu und er setzte sich zu Cathy ans Bett. Ihre Hand haltend saß er da und wartete ab, dass sie erwachte. Die erste halbe Stunde war relativ unspektakulär. Mehrmals bewegten sich ihre Augenlider auf und zu, aber von richtigem Bewusstsein konnte man nicht sprechen. Die Stille und die Zeit für sich, tat Mike gut und er war nicht böse, dass Cathy noch einige Zeit brauchte, ehe sie vollständig erwachte. In seinen Gedanken versunken, vergaß er die Zeit und merkte nicht, wie schnell der Mittag vorbei war. Nur durch seinen Hunger, der sich meldete spürte er die vergangene Zeit. Gerade als er aufstehen wollte, auf der Suche nach etwas Essbarem, drückte Cathy seine Hand. Sie schlug die Augen auf sah ihn lächelnd an.
„Hi“, begrüßte sie ihn.
„Hi, wie geht’s dir?“, fragte Mike nach.
„Du bist wirklich hier! Ich hatte es gehofft, aber ich hatte wohl nicht wirklich damit gerechnet.“
„Ich halte meine Versprechen! So, wie ich dich auch die nächsten Monate unterstützen werde.“
„Was ist mit Mum? Ist sie frei?“, waren Cathys nächste Sorgen, die sie unbedingt geklärt haben wollte.
„Beruhige dich, es ist alles in Ordnung. Sie ist zur Beobachtung im Krankenhaus, aber es geht ihr gut. Sie wurde die meiste Zeit betäubt und die Ärzte wollten sie daher überwachen, um mögliche Nebenwirkungen mitzubekommen, die zu Komplikationen führen könnten. Willst du mit ihr telefonieren? Ich kann sie schnell anrufen, wenn du möchtest.“
„Nein, noch nicht. Ich bin nur froh, dass es ihr gut geht. Sie wird sicherlich sauer auf mich sein. Es war meine Schuld, dass sie das erleben musste. Ich werde mir das nie verzeihen.“
„Es ist nicht deine Schuld und auch dein Dealer Matthew Warren war es nicht, der dahintersteckte. Diese Jasmin, ihr Halbbruder und dessen Freundin haben das miteinander ausgeheckt. Der Bruder und seine Freundin konnten festgenommen werden, doch diese Jasmin ist leider entkommen und wird noch gesucht.“
„Aber warum? Warum tut Jasmin das? Ich dachte wir sind so etwas wie Freundinnen!“, fragte Cathy verzweifelt.
„Eine Freundin warst wahrscheinlich nur du. Sie hatte andere Ziele verfolgt und wollte schnell das große Geld machen. Und da war ihr jedes Mittel recht dazu. Aber das ist nicht mehr wichtig. Die Polizei wird sie sicherlich bald finden und dann wird sie ihre gerechte Strafe bekommen. Da ist noch eine Sache. Ich habe mich gestern sehr lange mit William unterhalten. Ich kann in New York die Leitung des Hotels übernehmen. Ist es für dich in Ordnung, wenn du mit mir nach New York gehst? Wenn du nicht willst, finden wir sicherlich auch eine andere Lösung. Was sagst du dazu?“
„Ich bin nicht fest gebunden. Ich kann überall leben und warum also nicht New York? Ich bin schon glücklich, dass du mir überhaupt helfen willst, da werde ich dir doch sicherlich nicht im Weg stehen, wenn du deinen Traum erfüllen kannst. Aber wie kommt es, dass William dir New York überlässt?“
„William und ich sind uns während der Entführung näher gekommen und wir haben uns endlich ausgesprochen. Er war nie an der Leitung der Hotels interessiert und wurde von unserem Vater einfach hineingezogen. Ich habe mich mit ihm geeinigt, dass ich in New York einige Konzepte ausprobiere, solange du deine Therapie brauchst, so dass ich mich auch um dich kümmern kann. Wenn du das alles dann gut abgeschlossen hast, werde ich wieder nach Boston zurückkehren und die Konzernleitung übernehmen. Du kannst dann gerne wieder mitkommen, wenn du möchtest. Aber bis dahin vergeht noch viel Zeit und wenn es soweit ist, können wir uns gemeinsam einen Weg überlegen.“
„Ich werde dir sicherlich nicht im Weg stehen.“
„Du stehst mir doch nicht im Weg, du bist ein Teil meines Lebens, den ich schon viel zu lange ausgeschlossen habe. Drogensucht hin oder her, du gehörst genauso zu meinem Leben, wie auch Martha und nun auch William und Laura. Und genau deshalb will ich, dass dein Leben wieder einen Sinn macht und es lebenswert wird. Ich erwarte absolut nichts von dir, außer, dass du den Drogen fernbleibst. Damit erweist du mir den größten Gefallen.“
„Glaube mir, ich werde alles versuchen davon wegzukommen. Du siehst müde aus!“
„Ich habe nicht viel geschlafen die letzten Tage, aber es geht schon.“
„Mike, es ist schön, dass du hier bist, aber du brauchst nicht rund um die Uhr an meinem Bett sitzen. Geh nach Hause und schlaf dich aus! Du warst das Letzte, das ich gesehen habe, als ich eingeschlafen bin und das Erste, als ich wieder aufgewacht bin. Schöner könnte es nicht sein! Aber jetzt geht es mir soweit gut und ich komme vorerst alleine klar. Solange ich im Krankenhaus bin steht mir jede Hilfe zur Verfügung, ich brauche dich hier nicht unbedingt. Erhole dich von den Strapazen und wir sehen uns in ein paar Tagen wieder.“
Cathys Angebot kam Mike sehr entgegen. Er hatte vor die nächsten Tage mit Bella zu genießen und so musste er kein schlechtes Gewissen Catherine gegenüber zu haben. Also widersprach er ihr nicht und nahm ihr Angebot dankend an.
„Danke, das ist lieb von dir, auch wenn es eigentlich umgekehrt sein sollte. Ich wollte für dich da sein und nicht du für mich. Aber vielleicht hast du Recht. Ich lasse in New York alles vorbereiten und hole dich dann in ein paar Tagen hier ab für dein neues Leben. Dr. Briskow wird dir in allem mit Rat und Tat zur Seite stehen. Vielleicht hat er auch noch wertvolle Tipps für dich, die dir beim psychischen Entzug helfen können. Für alle Fälle lasse ich dir noch meine Handynummer da. Da kannst du mich jederzeit erreichen.“
Mike schnappte sich einen Stift und schrieb auf der Rückseite des Patientenscheins, der auf dem Nachtkästchen lag, seine Handynummer auf. Er hoffte, dass sie nicht anrufen würde und doch wollte er, dass sie das Gefühl hatte, dass er für sie da war. Er umarmte sie und verabschiedete sich von ihr mit einem Küsschen auf die Wange. Dann war er weg und Catherine lag alleine in ihrem Bett. Ihr Kopf war leer und zum ersten Mal wusste sie nicht, was sie denken sollte oder wollte. Es war nichts da, dass sie bewegte, dass sie beherrschte oder dass sie antrieb. Einfach nur eine Stille und Leere herrschte vor. Sie versuchte in sich hinein zuhören und nach bekannten Stimmen zu lauschen. Stimmen, die ihr all die Jahre gesagt hatten, was sie tun sollte. Stimmen, die ihr sagten, dass Mike der Mann ihres Lebens war. Stimmen, die nach Vergessenheit riefen und sie an Drogen erinnerten. Stimmen, die sie quälten mit Vorwürfen und zur Selbstzerstörung aufriefen. Doch genau in diesem Moment konnte sie keiner dieser Stimmen hören. Und verblüffender Weise nicht einmal die Stimme, die lauter, wie alle anderen schrie – die Stimme nach Vergessenheit. Diese war es auch, die Catherine immer wieder zu den Drogen greifen ließ. Je schlechter es ihr ging, desto mehr schrie die Stimme nach Vergessenheit. Sie wollte alles, was sie jemals falsch gemacht hatte, einfach vergessen. Vergessen, dass sie sich den Drogen hingegeben hatte und vergessen, dass sie auf der Straße gelandet war. Vergessen, dass sie alle Menschen, die ihr etwas bedeuteten enttäuscht und verloren hatte. Vergessen, dass andere, widerliche Menschen Macht über sie hatten und sie nicht mehr Herr über sich selbst war. Doch alles schien auf einmal nicht mehr wichtig zu sein. Nichts davon berührte sie noch, oder machte ihr Angst. Selbst ihre ewigen Gedanken, was Mike jetzt von ihr halten würde, waren wie vergessen. Es war eine einzige, friedliche Stille in ihr. Manche Menschen würden sich jetzt fürchten, doch für Cathy war es der Frieden auf Erden, nachdem sie immer gestrebt hatte. Entspannt lehnte sie sich zurück, starrte an die Decke und genoss einfach die Ruhe in sich selbst. Stunden vergingen, doch sie nahm keine Zeit mehr wahr. Selbst das Klopfen an der Tür nahm sie nicht wahr. Dr. Briskow trat ein und sah besorgt zu seiner Patientin. Sie starrte an die Decke und regte sich nicht. Dr. Briskow ging eilig auf sie zu und prüfte ihren Puls. Er vermutete einen psychischen Schock und erschrak im ersten Moment, als sie sich auf seine Berührung rührte.
„Wie geht es Ihnen? Haben Sie Schmerzen?“
„Nein, es ist alles in Ordnung, Doktor.“
„Kann ich Sie trotzdem kurz untersuchen?“
„Natürlich.“
Cathy lehnte sich zurück und Dr. Briskow leuchtete in Ihre Augen, um die Reaktionsfähigkeit zu testen. Anschließend prüfte er noch den Blutdruck und den Puls. Alles war in Ordnung, trotzdem sah sie nicht danach aus. Auch einen Schock konnte er ausschließen.
„Körperlich sind die Entzugserscheinungen nun größtenteils vorbei. Es kann vorkommen, dass Sie noch Schmerzen ab und zu empfinden. Das liegt aber nicht am körperlichen Entzug, sondern die Schmerzen treten als eine Art Phantomschmerz auf, den die Psyche auslöst. Und das ist der Punkt an dem Sie stark sein müssen. Ich kann Ihnen für diese Art von Schmerzen keine Medikamente oder Linderung geben. Das müssen Sie alleine schaffen. Ich empfehle Ihnen daher eine Psychotherapie, um die seelischen Gründen aufzuarbeiten. Natürlich kann Sie niemand dazu zwingen, aber für einen langanhaltenden Erfolg ihres Entzuges wird es notwendig sein.“
„Ich weiß. Mike hat mir das alles schon erklärt“, entgegnete Cathy knapp. Der Doktor war ihr nicht unangenehm, aber er störte sie dennoch dabei die friedliche Ruhe zu genießen.
„Ms. Coleman, Ihr Aufenthalt hier war alles andere als geplant. Normalerweise untersuche ich meine Patienten eingehend und erfrage die Hintergründe, ehe ich mich entscheide, sie als Patienten aufzunehmen oder nicht. Auch wenn das Vorgeplänkel bereits übersprungen ist, möchte ich trotzdem mehr über sie erfahren. Vor allem möchte ich wissen, warum sie mit den Drogen aufhören möchten.“
„Doktor, wie heißen Sie eigentlich?“, fragte Cathy neugierig. Mike hatte es zwar erwähnt, aber sie hatte es sich leider nicht gemerkt.
„Julian Briskow, Dr. Briskow, Julian. Was Ihnen lieber ist. Ich pflege ein sehr offenes Verhältnis zu meinen Patienten und sehe mich viel eher als Helfer und Freund, denn als Respektsperson.“
„Schön, ich denke aber, dass ich lieber bei Dr. Briskow bleibe. Kann ich Sie etwas fragen?“
„Natürlich, dafür bin ich doch hier.“
„Diese friedliche Leere in mir. Bleibt sie oder kommen die Stimmen wieder?“
Das war es, was sie beschäftigte, ging es Julian Briskow durch den Kopf. In den Jahren seiner Arbeit hatte er sich viel mehr mit Psychologie beschäftigten müssen, als er das in seinen Studienjahren für möglich gehalten hatte. Doch meist war der körperliche Zustand eines Menschen nur Ausdruck der Seele. Immer wieder neu war für ihn jedoch, wie jeder Mensch verschieden auf die gleiche Situation reagierte. Diese innere Leere von der sie sprach, erlebten ungefähr 70% aller Patienten nach dem erwachen. Die einen gerieten in einen Angstzustand und hatten regelrechte Panikattacken, die anderen versuchten krampfhaft die Leere mit Ablenkung zu füllen und wieder andere, ein sehr geringer Teil, genossen diese Stille. Es gab keine wissenschaftliche Erklärung dafür, wodurch diese Stille entstand und warum die einen es spüren konnten und die anderen nicht. Doch Dr. Briskow vermutete, dass es damit zusammenhing, dass die Psyche während des Komas den körperlichen Entzug nicht mitbekommen hatte und nun nach Anzeichen und Körperreaktionen suchte, die das Suchtverhalten zeigte. Doch da gab es nichts mehr und das vermittelte der Psyche ein Gefühl von Leere. Doch bald schon würde die Psyche die körperlichen Entzugserscheinungen in Form von Phantomschmerzen imitieren, um die kaputte Seele mit Drogen zu versorgen. Daher war es unverzichtbar eine Psychotherapie zum Entzug zu machen.
„Sie scheinen diese Leere zu genießen. Dennoch empfinden die meisten Menschen diese Leere als beängstigend. Was finden Sie daran so schön?“, fragte er neugierig nach.
„So viele Stimmen haben auf mich eingeredet und mich nie in Ruhe gelassen! Ich wollte schon lange das alles nicht mehr und trotzdem habe ich irgendwann nachgegeben, um für kurze Zeit wieder Ruhe zu haben. Doch daraus sind wieder andere Probleme entstanden und ich wurde erpressbar und konnte so nie aus dem Dilemma heraus. Ich habe einfach keinen Ausweg mehr gesehen und bin jetzt nur noch froh, von all dem nichts mehr zu hören. Diese Stille in mir ist beruhigend und entspannend zugleich. Ihren Worten kann ich entnehmen, dass es nicht ewig anhalten wird, oder?“
„Ein oder zwei Tage wahrscheinlich. Dann wird sich ihr psychischer Entzug bemerkbar machen. Als sie gestern hier ankamen, waren sie im kalten Entzug schon sehr weit fortgeschritten. Wie kam es dazu? Hatten Sie den Entzug bereits geplant?“
„Geplant war gar nichts. Mein Dealer, der mich auch auf den Strich geschickt hatte, hatte mir keine Drogen mehr gegeben und mich so erpresst einen weiteren Freier aufzusuchen. Es gab eigentlich eine Abmachung, aber an die hat er sich nie gehalten, wenn Geld im Spiel war. So auch gestern Abend. Nur dann kam alles anders. Mike hatte mich gesucht und auch gefunden. Mir ging es zu dieser Zeit schon schlecht, aber Mike hatte mich gebeten durchzuhalten, da wir morgens schon hierher wollten. Schon das war verdammt hart und ich hatte mir mehrmals überlegt, wie er es schaffen wollte, so schnell einen Klinikplatz zu bekommen. Immer wieder war ich kurz davor abzubrechen, doch diese Frau hat mir geholfen und letztlich hat Mike es doch geschafft. Er schafft meist das, was er sich in den Kopf gesetzt hat. Wie hat er Sie herumbekommen?“
„Wir haben eine gemeinsame Bekannte, die sehr überzeugend war“, gestand Dr. Briskow.
„Mike hatte etwas mit ihr, oder?“, vermutete Catherine und die Direktheit verwirrte ihn.
„Vermutlich schon. Ich habe sie nicht gefragt, aber er sagt ja“, offenbarte er ihr.
„Ihre feste Freundin?“
Dr. Briskow schüttelte den Kopf und drehte abwesend an seinem Ehering. „Meine Frau…“
„Es tut mir leid. Aber warum helfen Sie mir und Mike überhaupt. Es wäre viel logischer, wenn sie uns zum Teufel jagen.“
„Ich kann sauer auf ihn sein, aber nicht auf Sie. Wenn ich Ihnen meine Hilfe verweigere, breche ich meine eigenen Grundsätze: jedem Patienten, der wirklich aufhören will, zu helfen. Ich habe die Klinik vor 6 Jahren mühsam aufgebaut und war dabei immer meinen Grundsätzen treu. Die Quote der Ex-Junkies, die nie wieder angefangen haben, gibt mir recht. Warum machen Sie seine Affären mit?“
„Ich habe mit Mike keine Beziehung, falls Sie darauf anspielen. Ich habe mir immer mehr mit Mike gewünscht, jedoch scheine ich so ziemlich die einzige Frau in ganz Boston und der halben Welt zu sein, die nichts mit ihm hatte. Meine Mutter war die Haushälterin und gleichzeitig das Kindermädchen der Carringtons. In den Zeiten, als seine Eltern geschäftlich unterwegs waren, habe ich mit in der Villa wohnen dürfen. Sie können sich vorstellen, dass es bei der Leitung eines Hotelkonzerns nicht gerade wenige Geschäftsreisen gab. Mein ganzes Leben lang wollte ich nichts anderes als diesen Mann! Je mehr ich ihn wollte, desto mehr hatte er sich von mir distanziert. Und damit bin ich nie wirklich klar gekommen.“
„Sie meinen, Sie haben wegen ihm mit Drogen angefangen?“
„Gehen Sie doch von sich selbst aus. Sie lieben Ihre Frau und bekommen immer wieder ein neues Verhältnis ihrer Frau mit und können absolut nichts daran ändern. Sie kommen von ihr einfach nicht los und können sie auch nicht daran hindern mit anderen etwas zu haben. Ich habe keinen anderen Ausweg mehr gesehen als mit Drogen diese Eifersucht zu betäuben.“
„Haben Sie niemals versucht sich von ihm zu lösen? Mit einer Therapie oder so?“
„Mit einer Therapie nicht. Aber ich habe so ziemlich alles andere ausprobiert. Ich hatte jede Menge Männer, die mich auf andere Gedanken bringen sollten. Ich hatte sogar eine Phase, in der ich in die Kirche gerannt bin und zu Gott gebetet habe, um von ihm loszukommen. Doch nichts hatten diesen Schmerz in mir vertreiben können. Nur die Drogen gaben mir für eine gewisse Zeit Linderung. Und das war der Anfang vom Ende.“
„Egal wie viele Geschichten ich höre. Sie fangen unterschiedlich an und enden doch alle gleich. Was mich noch interessiert: Sie sind doch schon sehr lange abhängig. Warum hat er ausgerechnet jetzt nach Ihnen gesucht und will Ihnen helfen?“
„Wir haben die letzte Nacht sehr lange darüber geredet.“
Dr. Briskow merkte sofort den zeitlichen Fehler in ihrer Erzählung. Doch er wollte sie nicht unterbrechen. Es passierte vielen, die aus dem Koma wieder aufwachten, dass sie die Zeit des Komas nicht hinzuzählten.
„Mike denkt momentan viel über sein Leben nach und ich denke, das hängt mit dem Engel zusammen. Jedenfalls hatte er sich für sein Verhalten mir gegenüber entschuldigt und mir auch seine Sicht der Dinge erklärt. Er hatte mich nie als Frau, sondern als Schwester gesehen und gehofft, ich würde meine Verliebtheit aufgeben, wenn wir uns weniger sehen würden. Und nach allem, wie ich ihn kenne, glaube ich ihm das auch. Er konnte schließlich auch nicht wissen, dass es für mich nicht nur eine Schwärmerei war.“
„Und was hat das mit dem Engel auf sich?“, hinterfragte Dr. Briskow ihre Worte, aus denen er nicht ganz schlau wurde.
„Das weiß ich auch nicht so genau. Ich habe diese Frau letzte Nacht zum ersten Mal gesehen. Sie spricht nicht unsere Sprache und trotzdem schien sie alles verstanden zu haben. Sie war wie ein Engel letzte Nacht zu mir. Ich war einfach nicht in der Lage zu sprechen, doch sie wusste genau wie es mir ging, was ich brauchte und fühlte. Es war ein komisches und gleichzeitig ein schönes Gefühl so verstanden zu werden. Die ganze Nacht war sie für mich da und das mit einem so liebevollen Selbstverständnis. Wie ein Engel eben. Ich denke, dass sie auch Mike zum nachdenken angeregt hat.“
Dr. Briskow war sich nicht sicher, ob sie zu jener Zeit des Entzuges gerade fantasiert hatte und sie sich deshalb diese Erinnerung so im Gedächtnis behalten hatte. Denn glauben konnte er es ihr einfach nicht. Dafür klang es zu realitätsfremd.