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NOSTALGIE ALS TRÄUMEREI VERSUS NOSTALGIE ALS RESTAURATION

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Die Theoretikerin Svetlana Boym unterscheidet mit ihrer Dichotomie von der reflexiven Nostalgie versus restaurativen Nostalgie. Letztere reicht von einer griesgrämigen Ablehnung von allem Neumodischen und Progressiven bis hin zu hartnäckigen militanten Versuchen, die Uhr zurückzudrehen, um eine ältere Ordnung wiederherzustellen (die Bandbreite reicht hier von gegenwärtigen amerikanischen Auswüchsen wie der Tea-Party-Bewegung und Glenn Becks »Restoring Honor«-Kundgebung 2010 bis hin zu zahlreichen Ausprägungen wie theokratischem Fundamentalismus, Royalismus, Nativismus oder neo-faschistischen Bestrebungen für eine ethnisch gesäuberte Heimat etc.). Die restaurative Nostalgie präsentiert sich gerne prunkvoll (die Paraden der Oranier in Ulster), folkloristisch und romantisch-nationalistisch. Diese unterfüttern das kollektive Ego mit Geschichten über die ruhmreiche Vergangenheit, aber gleichzeitig nähren sie alte Wunden und Fehden (man denke an den uralten Unmut, der in den Nationen im ehemaligen Jugoslawien gärt).

Die reflektive Nostalgie dagegen ist persönlicher Natur, meidet die politische Arena gänzlich, um sich ganz der Träumerei hinzugeben, oder sie durch Kunst, Literatur und Film zu sublimieren. Sie ist weit davon entfernt, ein verlorenes, goldenes Zeitalter wiederherzustellen, sondern findet Vergnügen in der nebligen Ferne der Vergangenheit und kultiviert die bittersüßen Schmerzen der Vergänglichkeit. Die Gefahr der restaurativen Nostalgie liegt in ihrem Glauben, dass die verwundete »Ganzheit« des politischen Körpers geheilt werden kann. Aber die reflektive Nostalgie weiß tief drinnen, dass der Verlust unwiederbringlich ist: Die Zeit verwundet alle Ganzheit. In der Zeit zu existieren bedeutet, an einem endlosen Exil zu leiden, eine fortwährende Trennung von den wenigen wertvollen Momenten, die das Leben auf der Welt zur Heimat werden lassen.

Für den Begriffsrahmen des Pop ist Morrissey der oberste Poet der reflexiven Nostalgie (auch wenn Ray Davies ihm mit »Waterloo Sunset« und dem Herbst-Almanach englischer Schwermut, The Kinks Are the Village Green Preservation Society, starke Konkurrenz macht). Sowohl bei den Smiths als auch während seiner Solokarriere trauert Morrissey einem Ort und einer Zeit nach (das Manchester der 60er und 70er), in der er keine glückliche Stunde vergeudete [A. d. Ü.: Im Original Anspielung auf die Songzeile »I never stole a happy hour around here« aus dem Song »Late Night, Maudlin Street«]. Allerdings hat Morrissey ab und an auch die Grenze zur gefährlichen restaurativen Nostalgie überschritten, mit kontroversen Auftritten (als er sich auf einem Rock-Festival in den Union Jack eingehüllt hat), missverständlichen Songs (»The National Front Disco«) und unbedachten Äußerungen in Interviews (als er 2007 im NME mitteilte, dass das heutige Großbritannien kaum mehr als ein Land mit eigener Jugend erkennbar sei und das teilweise der Immigration zuschrieb).

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