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DERRIDA, FREUD UND DAS ARCHIV

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»Mal d’ archive« klingt beinahe wie ein richtiges Leiden: Wie die Berufskrankheit der Archivare, die zu viel Zeit in den Kellern verbracht haben, eine Störung, die Akademiker und Antiquare erfasst, die austesten, wo die Grenzen des menschlichen Gehirns bei der Aufnahme von Informationen liegen. Aber in Wahrheit – und wie wir es von Derrida ja auch erwarten – erweist sich diese Idee als viel komplexer, subtiler und paradoxer.

In Dem Archiv verschrieben: Eine Freudsche Impression verfolgt Derrida die Spuren des »Archivs« bis zurück zu archeion, dem griechischen Wort für die Residenz höherer Würdenträger (die Archonten). Ursprünglich bedeutet das Wort »Archiv« zweierlei, »Anfang« und »Gebot«. Die Idee des Archivs ist also tief mit Vorstellungen von Ursprung und Ordnung, Authentizität und Autorität verbunden. Die Silbe »Arch« ist die Gleiche wie in den Wörtern »archaisch«, »Archetyp« und »Archäologie«, aber auch das »arch«, das wir in Wörtern wie »Monarchie« finden. Das Archiv ist auch mit dem Wort »Arche« verwandt, wie in Noahs Arche (das Schiff, in dem auf Gottes Befehl alle Tiere gerettet und klassifiziert wurden), aber auch mit der Bundeslade (»Ark of Covenant«), dem Behältnis, in dem die Tafeln der zehn Gebote aufbewahrt wurden.

Im französischen Mal d‘archive ist sowohl die Vorstellung von der Krankheit als auch vom Bösen enthalten. Für Derrida liegt dem Archivierungstrieb etwas Morbides und Unheilvolles zugrunde: »Es heißt, sich ihm in einen zwingenden, repetitiven und sehnsüchtigen Begehren … zum Ursprung … zum archaisch Ort des absoluten Anfangs« zu nähern. Derrida zieht eine Verbindung zwischen diesem Zwang und dem freudianischen Todestrieb. Freud behauptete, dass »es die Aufgabe« des Todestriebs sei, »das organische Leben in den leblosen Zustand zurückzuführen.« Eine seiner Manifestationen im menschlichen Verhalten (und erweitert auch in der Kultur) ist der »Wiederholungszwang«. Für Freud war der regressive Trieb »viel primitiver, viel elementarer« als das Lustprinzip, was der Grund dafür ist, warum Thanatos den Eros so oft »überwindet«. En mal d‘archive bedeutet aber auch »Archive zu benötigen«, ein verzweifeltes Sehnen, das mit einer Sucht vergleichbar ist. Derrida schreibt, »es heißt, vor Leidenschaft zu brennen. Es heißt unaufhörlich, unendlich nach dem Archiv suchen zu müssen, da wo es sich entzieht. Es heißt, ihm nachzulaufen, da, wo selbst wenn es davon viel gibt …« Getrieben von einer Mischung aus Selbstüberschätzung und Manie gerät der Trieb, Wissen anzuhäufen und zu speichern, außer Kontrolle, und er droht, das ganze Gebäude des Archivs zum Einsturz zu bringen.

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