Читать книгу Nachtlilien - Siri Lindberg - Страница 16

„Ich vermisse dich und wünsche dir alles Gute. Wohlstand dem Clan und Treue dem Earel! Deine Milly.“

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„Danke, dass Ihr mir vorgelesen habt.“ Kiéran erhob sich und ging mit steifen Schritten in die Richtung, in der er den Ausgang vermutete.

„Moment, hier ist der Brief. Wollt Ihr ihn nicht mitnehmen?“ Yllsa klang ein wenig hilflos.

„Nein. Tut mir einen Gefallen und verbrennt ihn. Am besten mit dem anderen Abfall.“

Kiéran knallte die schwere Tür des Archivs hinter sich zu. Er atmete schwer, und seine Augen prickelten. Er marschierte zu seiner Kammer, und zum Glück begegnete ihm auf dem Weg niemand. Am liebsten hätte er das Regal zertrümmert, den Waschtisch umgestoßen, die Faust gegen die Wand gedonnert, die heugefüllte Matratze mit dem Schwert in tausend Fetzen zerlegt. Doch dann presste er sich doch nur mit dem Rücken gegen die kalte Steinwand und ließ sich daran herabsinken, bis er auf dem Boden hockte. Er schlang die Arme um die Knie und legte den Kopf darauf.

Wieso habe ich nie gemerkt, was für ein Mensch sie ist? Bei allen Göttern, habe ich mir diese Magie zwischen uns nur eingebildet? Anscheinend hat sie nicht mal darüber nachgedacht, herzukommen. Vielleicht war ich für sie nie mehr als der brillante, junge Elitekämpfer, der ihr die Chance bietet, an den Hof der AoWestas zu gelangen und dort mit ihren Kleiderentwürfen die feine Gesellschaft zu beeindrucken.

Auf einmal war ihm kalt, aber er hatte nicht die Energie, sich den Umhang zu holen. Am liebsten wäre er nie wieder aufgestanden.

Lange blieb er dort sitzen, und dem Gong, der zur Abendspeisung rief, schenkte er keine Beachtung. Erst spät in der Nacht, lange nach der Zeremonie des Schwarzen Spiegels, als tiefe Stille herrschte im Tempel, stand er auf. Unfassbar, noch immer ließen sie seine Tür unverriegelt, selbst nach dem Zwischenfall bei der Zeremonie. Wieso vertrauten sie einem Roten Wolf wie ihm? Er wusste, dass nur draußen vor dem Tempel zwei bewaffnete Priester patrouillierten, drinnen war alles unbewacht. Lautlos verließ er seine Kammer und streifte durch die Gänge. Von Gerrity wusste er, dass sie zu dieser Zeit in Dunkelheit getaucht waren, niemand würde ihn sehen. Und er selbst brauchte kein Licht mehr.

Mit Vergnügen hätte er es jetzt mit einem Dutzend Soldaten aus Thoram aufgenommen. In den letzten Tagen hatte er in seiner Kammer begonnen, seinen Körper mit Übungen zu kräftigen, und nun fühlte er sich fast wieder so geschmeidig und kraftvoll an wie zuvor. Pflege! Ich – Pflege! Ist ja auch wahnsinnig anstrengend, mir ab und zu vorzulesen. Das hätte sie wohl gerade noch geschafft.

Niemand war hier, außer ihm selbst. Und ein paar Wesen, die zu seinen Füßen durch den nächtlichen Tempel huschten und hin und wieder ein Piepsen ausstießen, fast zu hoch für menschliche Ohren. Kiéran tastete sich vor zur Waffenkammer – sie war nicht abgeschlossen – und beschaffte sich ein paar Wurfsterne. Dann stand er bewegungslos in einem der Säle und wartete, bis er das Trappeln winziger Pfoten hörte. Mit aller Kraft schleuderte er den Stern in diese Richtung und wartete auf das schrille Fiepen eines verletzten Nagers. Doch es gab nur ein hartes Klenk, als der Stern von der Wand abprallte, und Kiéran hörte, wie die Ratte sich hastig davonmachte. Es dauerte eine Weile, bis er den Wurfstern wiederfand.

Die ganze Nacht lang jagte er, und traf jedes Mal daneben.

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