Читать книгу Nachtlilien - Siri Lindberg - Страница 19

***

Оглавление

„Ganz vorsichtig. Ja, so. Bis du ein ganz leises Klicken hörst.“ Es war die Zeit der Ersten Meditation. Gerrity kauerte dicht neben ihm, Kiéran konnte die Küchendünste riechen, die aus seiner Robe aufstiegen. Anscheinend hatte er geholfen, die Morgenspeise zuzubereiten.

„Da war doch schon ein Klicken.“

Gerrity lachte leise. „Mir scheint, du bekommst allmählich so scharfe Ohren wie ein Xher. Gut, dann müsste es jetzt eigentlich aufgehen. Zieh mal.“

Kiéran zog die dünnen Metallhaken aus dem Schloss, und drückte die Klinke. Die Tür schwang ihm entgegen. Gerrity gluckste vor Vergnügen, und Kiéran klopfte ihm triumphierend auf den Rücken. Doch er merkte, dass Gerrity dabei fast unmerklich zusammenzuckte.

„Was ist los?“

„Ach, nichts“, sagte Gerrity etwas zu schnell.

„Blödsinn. Du bist verletzt, stimmt´s? Hast du was abgekriegt bei der Ertüchtigung?“

„Na ja, ein bisschen.“ Gerrity lachte wieder, doch diesmal klang es nicht echt. „Noch nie hat jemand behauptet, dass ich ein sonderlich begabter Krieger bin. Aber die Klopperei gehört halt dazu hier, und ich geb´ mir Mühe. Gestern hatte ich einfach Pech. Kommt vor.“

Kiéran runzelte die Stirn. Er war bei den Terak Denar für die Ausbildung der Novos verantwortlich, und solche Probleme kannte er nur zu gut.

„Erzähl“, sagte er, und dann hielt er den Mund, damit Gerrity ins Reden kam.

Das leise Klirren von Metall erklang, als Gerrity die Schlüsseldrähte auf den Boden legte. „Meistens übe ich mit Aincar oder Neraia, beides auch Novizen. Kennst du Aincar schon? Er meditiert gerne und ist viel bei den Pferden, weil er der vierte Sohn eines Bauern ist und Heimweh hat. Ich mag ihn. Und Neraia auch, sie ist ziemlich ruhig und blüht meistens erst bei den Spiegelzeremonien richtig auf. Nur leider – gestern sollte ich nicht mit ihnen, sondern mit Farnek üben. Der schlägt so hart zu, dass ich nachher grün und blau bin. Er bildet sich was drauf ein, und freut sich, wenn er mir Angst einjagen kann. Leider ist er sehr stark und wild auf die Kämpfe.“

Von dieser Sorte gab es auch bei den Terak Denar ein paar. Kiéran nickte. „Und euer Fechtmeister? Warum greift er nicht ein? Das wäre eigentlich seine Aufgabe.“

Ein tiefer Seufzer. „Das Problem ist, Farnek ist sein Lieblingsschüler.“ Gerrity zögerte. „Äh, sag mal, könntest du mir vielleicht irgendwie helfen? Ich weiß nicht, vielleicht durch ein paar Hinweise oder indem du Farnek so fertig machst, dass er zwei Tage lang nicht aufstehen kann? Oder so was. Ich meine, immerhin bist du ein Elitekämpfer und so.“

Kiéran spürte, wie sein ganzer Körper starr wurde. „Leider bin ich jetzt blind, wie du vielleicht schon mitbekommen hast. Wenn ich Pech habe, bin ich derjenige, der von Farnek verprügelt wird.“ Bitterkeit stieg in ihm auf, und heiße Wut auf das Schicksal. Die Kette der Demütigungen schien kein Ende zu nehmen. Würde das jetzt immer so weitergehen?

Schluss jetzt. Hier geht es ausnahmsweise mal nicht um dich. Kiéran zwang seine Gedanken weg von seinen eigenen Problemen und hin zu Gerritys. „Wahrscheinlich wäre es die beste Lösung, wenn ich mal ernsthaft mit eurem Fechtmeister rede und mit ihm bespreche, wie man mit Farnek umgehen könnte.“

Ein langes Schweigen, dann wieder Gerritys Stimme. „Ja, vielleicht. Tja, schade. Ich werde schon irgendwie klarkommen.“

Diesmal blieb Gerrity nicht lange, und Kiéran wusste, dass er seinen Freund enttäuscht hatte.

Eine halbe Ewigkeit lag Kiéran auf seinem Bett und versuchte sich davon zu überzeugen, dass er vernünftig gehandelt und Gerrity einen guten Rat gegeben hatte. Dann stieß er einen leisen Fluch aus und rollte sich von der Liege. Xatos´ Rache, das ging nicht! Er musste zumindest bei der Ertüchtigung auftauchen und sich selbst einen Eindruck davon verschaffen, was geschah. So gut das mit seinen verbliebenen Sinnen eben ging.

Kiéran überlegte, ob er die Robe tragen sollte, oder doch lieber seinen Lederpanzer. Wenn er Glück hatte, beeindruckten die Insignien der Terak Denar diesen Farnek. Es konnte aber genauso gut sein, dass das Gegenteil der Fall war. Vielleicht war die Chance auf einen leichten Sieg über einen von AoWestas Elitekämpfern eine große Verlockung. Also doch lieber die Robe, die erinnerte nicht ständig daran, wer und was er war.

Zum Glück blieb noch etwas Zeit vor der Ertüchtigung. Der Bart, der ihm in den Tagen seiner Krankheit gewachsen war, musste weg, Kiéran fühlte sich nicht wohl damit. Und dann wollte er sich noch in Ruhe aufwärmen und lockern. Nur für alle Fälle. Rucco, der Haus- und Hofmeister des Tempels, lieh ihm ein Rasiermesser und die Paste dazu. Aber es war eine Quälerei, sich ohne Spiegel zu rasieren, und kostete Kiéran mehr Zeit, als er eingeplant hatte. Die Narben auf der linken Seite seines Gesichts machten die Sache noch komplizierter. Wie schwer war er verunstaltet? Er hatte noch immer keine Ahnung. Vielleicht war es gut, dass es zu keinem Wiedersehen mit Marielle mehr kommen würde. Mitleid und Abscheu zugleich zu ertragen schaffte er nicht, beides für sich genommen war schon schlimm genug.

Als er mit der Rasur fertig war, hatte er sich ein paarmal geschnitten, und hier und da standen sicher noch Stoppeln. Jetzt würde er zu spät und mit blutverschmiertem Gesicht zur Ertüchtigung gehen müssen. Auch das Aufwärmen fiel aus. Egal. So furchterregend, wie er jetzt aussah, würde sowieso niemand mit ihm kämpfen wollen.

Es war ein sonniger Tag, doch es wehte eine kühle Brise. Kiéran hob das Gesicht in den Wind, er genoss die Berührung auf seiner Haut und die klare Luft, die nach Tau und Gras roch. Wo es zum Übungsplatz ging, wusste er längst. Schon von Weitem hörte er den Klang der stumpfen Metallschwerter, mit denen trainiert wurde.

Kiérans Füße wollten sich einfach nicht mehr vorwärts bewegen. Es wird in einer Katastrophe enden. Zu früh. Es ist noch zu früh! Ich werde mich lächerlich machen.

Doch er zwang sich, weiterzumarschieren, und dann ging der gepflasterte Weg auch schon in Sand über. Angekommen. Mit heftig klopfendem Herzen stellte sich Kiéran an den Rand des Sandplatzes und wandte das Gesicht den Kämpfern zu. Er hörte, wie die Schläge der Novizen und Priester zögerlich wurden, schließlich verstummten. Sie hatten ihn gesehen. Jetzt war es zu spät, wieder zu verschwinden und sich in seiner Kammer zu verkriechen.

Stiefel knirschten im Sand. Jemand kam mit eiligen Schritten näher.

„Wohlstand dem Clan“, sagte die Stimme eines jungen Mannes. „Ihr beehrt uns? Mein Name ist Otris, ich bin Fechtmeister dieses Tempels.“

Der Mann klang außer Atem. Anscheinend nahm er selbst an der Ertüchtigung teil. Das war reichlich dumm von ihm, denn es nahm ihm die Zeit, Haltung und Schlagabtausch der Teilnehmer genau zu prüfen und zu korrigieren.

„Treue dem Earel“, erwiderte Kiéran den Gruß höflich, ohne sich seine Gedanken anmerken zu lassen. „Der Erste Priester Dinesh hat mich eingeladen, der Ertüchtigung beizuwohnen, und das wollte ich mir nicht entgehen lassen. Ich denke, ich sehe einfach ein wenig zu.“

Zusehen? Kiéran spürte, wie verwirrt Otris war. Vielleicht fragte er sich jetzt, ob Kiéran überhaupt blind war. Äußerlich sah man es seinen Augen ja nicht an. „Äh, ja. Gerne. Wie Ihr wünscht. Wir üben gerade Abwehrmanöver.“

„Vielleicht könntet Ihr mir die Namen der Kämpfer nennen, von rechts nach links?“

„Natürlich.“ Otris´ Stimme klang fragend, doch dann ratterte er die Namen herunter. „Neraia mit Eristan, Zarius mit Uram, Lil Tori mit Thar.“

Seit Kiéran sich nichts mehr notieren konnte, war er gezwungen, sich auf sein Gedächtnis zu verlassen. Jetzt konzentrierte er sich mit aller Kraft darauf, sich die Namen und vor allem auch ihre Reihenfolge einzuprägen. Wenn er auch nur einen davon vergaß, wurde es nutzlos, dass er sich überwunden hatte hierherzukommen.

„Qaran mit Rinalania, Gerrity mit Farnek.“

Aha. Der arme Kerl musste tatsächlich wieder mit Farnek üben. Wie Gerrity wohl dreinblickte – war er überrascht, Kiéran hier zu sehen? Freute er sich, war er misstrauisch?

„Weiter! Die Abwehrübung!“ kommandierte Otris jetzt, und der Klang von aufeinandertreffenden Schwertern ertönte wieder.

Langsam und konzentriert schritt Kiéran die Reihen der Übenden ab, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Jetzt musste er neben Neraia und Eristan stehen. Einer der Übungspartner schien ein wenig schüchtern zu sein, zögerlich in der Verteidigung, aber flink. Wahrscheinlich das Mädchen. Ihr Partner – Eristan, der Zweite Schmiedemeister – war deutlich erfahrener, sicher und fest waren seine Schläge, aber er schonte die junge Novizin, gab ihr die Gelegenheit, Zuversicht zu gewinnen. Hin und wieder gab Eristan ihr einen kurzen Hinweis oder machte Neraia eine Bemerkung. Ein gutes Paar.

Zarius mit Uram – hier wurde ernsthaft gefochten, und beide hielten sich gut. Aber hin und wieder gab es einen Misston, wenn die Schwerter schräg zusammenprallten. Anscheinend vergaß Uram, die Klinge zu drehen, wenn er sie zur Verteidigung hochzog. Sollte er es ihm sagen? Vielleicht später, unter vier Augen. Wenn er die Übenden ganz offen korrigierte, würde Otris zu Recht wütend werden, weil sich Kiéran dann so verhielt, als sei er der Fechtmeister.

Jetzt musste er gleich neben Gerrity und Farnek sein. Kiérans Neugier war geweckt. Ja, man hörte sofort, dass die beiden keine guten Partner waren. Gerritys Schläge waren hastig und furchtsam, er hatte ganz deutlich Angst, verletzt zu werden. Doch genau daran, an Schmerzen und den eigenen Tod, durfte man während eines Kampfes nicht denken, sonst war man verloren.

Farnek drosch drauflos, als gebe es kein Morgen. Dabei war seine Technik eher plump, soweit Kiéran das beurteilen konnte. Es klang, als würde hier Holz gehackt.

Kiéran schaffte es nicht, noch länger zu schweigen. „Farnek, vielleicht wäre es besser, wenn Ihr weniger Kraft einsetzt. Im Gefecht würdet Ihr Euch so viel zu schnell verausgaben.“

Farnek schnaubte und ließ einen noch wuchtigeren Schlag folgen. Kiéran hörte Gerrity aufkeuchen.

„Es liegt kein Ruhm darin, einen unterlegenen Gegner zu quälen“, sagte Kiéran, und diesmal gab er seiner Stimme die eisige Schärfe, die er sich für besonders begriffsstutzige Novos aufsparte. Das schien selbst Farnek zu beeindrucken, denn es wurde still. Doch dann hörte Kiéran ihn ausspucken. „Mir scheint, da heult ein zahnloser Wolf“, sagte er mit rauer, aber selbstbewusster Stimme.

Hastige Schritte, anscheinend bemühte sich Otris, so schnell wie möglich an die Seite seines Lieblingsschülers zu gelangen. „Was geht hier vor? Farnek, was genau hast du eben gesagt?“

Farnek wiederholte seine Bemerkung mit sichtlichem Genuss, und diesmal hatte es jeder gehört. Schockiertes Schweigen senkte sich über das Feld. Kiéran wusste, dass er eigentlich keine Wahl hatte, als Farnek zum Duell zu fordern. Na wunderbar.

Er hätte noch einen letzten Versuch machen können, die Situation zu entschärfen, doch er spürte in sich, dass er es gar nicht wollte. Vielleicht hatte er genau das gebraucht, einen Feind aus Fleisch und Blut. Unvermittelt war er in heiterer Stimmung.

„Diese Worte bedürfen der Sühne“, sagte er, wie das Ritual es vorschrieb. „Bleibt die Wahl der Waffe mir überlassen?“

Ein Raunen erhob sich auf dem Kampfplatz.

Nachtlilien

Подняться наверх