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Schwester Sabine

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Für Intrigen und arglistige Machenschaften war besonders meine Vertretung, Schwester Sabine, bekannt. Die Mitarbeiter und auch die Patienten fürchteten ihr rabiates Benehmen und ihren bissigen Umgangston.

Obwohl ich Schwester Sabine für meine Vertretungsposition aus menschlichen Gründen als nicht geeignet empfand, wurde sie von der Geschäftsleitung für diesen Posten bestimmt und meine diesbezüglichen Einwände ignoriert. Auch verfügte sie nicht über die notwendige Fachausbildung und weigerte sich stets, diese Weiterbildung nachzuholen.

An meinen freien Tagen oder wenn ich im Urlaub war übernahm sie die Führung im Pflegeteam. Da sie manchmal nicht ausreichend von den Mitarbeitern respektiert wurde, gab es immer wieder ziemlich peinliche Zwischenfälle. Sie stellte sich ins Zentrum des Behandlungsraumes, stemmte ihre Hände seitlich in die Taille, sodass die Ellbogen nach außen standen, und schrie im Befehlston die Kollegen an: „Ich habe jetzt das Sagen hier und ihr habt jetzt zu parieren und meinen Anordnungen Folge zu leisten, wenn Schwester Sonja nicht da ist!“ Ihr egozentrisches Machtgehabe wurde von den Mitarbeitern nur murrend akzeptiert, aber sie besaß die Fähigkeit, mit fast an Terror grenzenden Drohgebärden die Mitarbeiter gefügig zu machen.

Wurde im routinemäßigen Arbeitsablauf irgendetwas vergessen - es handelte sich meist nur um Kleinigkeiten, - kam von Sabine die sehr gefürchtete Frage: „Wer war das?“ Meist meldete sich dann keiner. Jedoch kam es bisweilen vor, dass eine Mitarbeiterin die andere vor allen Anwesenden anschwärzte und beschuldigte, diese Sache vergessen zu haben und sich dadurch auf die Seite der energischen Schwester Sabine stellte, nur um in Zukunft sicher zu gehen, von ihr nicht auch attackiert zu werden. Es war wohl besser, mit den Wölfen zu heulen als von ihnen gefressen zu werden.

Wenn ich von meiner Freizeit in die Arbeit zurückkehrte, beklagten sich die Kollegen bei mir heftig über das inakzeptable Benehmen von Schwester Sabine. Ich versuchte immer wieder, mit ihr über vernünftige Personalführung zu sprechen, schließlich sollten wir in unserer Position mit gutem Beispiel voran gehen, was Kollegialität und Fairness betraf, und uns nicht zu Aggressionen und Intrigen hinreißen lassen.

Anfangs pflichtete Sabine mir bei und gab zu, dass ihr die Nerven durchgegangen wären und sie sich überfordert gefühlt habe. Sie gelobte, sich in Zukunft angemessener zu benehmen. Von Monat zu Monat jedoch nahm ihr Verhalten immer gewalttätigere Züge an und die Zusammenarbeit mit ihr war für mich irgendwann äußerst mühsam.

Mit ihrem ständig pathologischer werdenden Kontrollzwang traktierte sie in meiner Abwesenheit immer mehr die Mitarbeiter und Patienten.

Mit akribischer Genauigkeit überwachte sie zum Beispiel die Anzahl von Mineralwasserflaschen und Getränkepackungen im Kühlschrank. Die Menge musste stets der von ihr vorgeschriebenen Anzahl entsprechen. War dies nicht so, wurde das dafür zuständige Hilfspersonal lautstark getadelt. Auch musste in der Küche und in jedem Schrank alles peinlichst genau an seinem Ort stehen. Bei teilweise mehr als zwanzig Angestellten kam es schon einmal vor, dass ein Glas oder eine Schüssel in einem Regalfach weiter unten eingeräumt wurde, was von Seiten Schwester Sabines ein Drama darstellte und zu haarsträubenden Diskussionen mit dem nach langem Nachfragen eruierten „Täter“ führte.

Am Fussboden suchte sie nach kleinsten versteckten Verunreinigungen, die sie täglich beobachtete, um zu sehen, wie lange sie nicht entfernt wurden. Es war ihr dann eine regelrechte Genugtuung, die Damen vom Reinigungsdienst fertig zu machen, weil sie ihren Job nicht ausreichend gut durchführten.

Selbstverständlich bin ich der Meinung, dass Hygiene in einer medizinischen Einrichtung eine äußerst hohe Priorität hat, aber es kommt darauf an, wie man Reklamationen durchführt und Kritik übt, denn der Ton macht die Musik.

Mit pedantischer Kleinlichkeit kontrollierte Schwester Sabine, ob die Patienten auch alle ihre Wolldecken und Hausschuhe nach der Therapie aufgeräumt hatten. Konnte sie da eine diesbezügliche „Verfehlung“ feststellen, wurden die Patienten wie kleine, unfolgsame Lausebengel und Schulmädchen „heruntergeputzt“. Es war entwürdigend und verletzend für die Patienten und für uns Pflegepersonen äußerst peinlich.

Betagte Patienten, vorwiegend ältere Männer, behandelte Schwester Sabine besonders rüde und abwertend. Sie schrie die Kranken teilweise aus nichtigen Gründen an, wenn sie sich zum Beispiel aus Angst vor Schmerzen bei der Therapie nicht gleich so verhielten, wie Schwester Sabine es von ihnen erwartete. Manche der Patienten waren auf Grund ihres langjährigen Leidens schon etwas verlangsamt, und da riss Schwester Sabine dann häufig der Geduldsfaden. Es ging zuweilen so weit, dass Patienten sich vor ihr buchstäblich fürchteten. Auf jeden Fall war sie bei ihnen als „Feldwebel“ und „Beißzange“ berüchtigt. Diese Bezeichnungen trauten sich die Patienten aber nur hinter vorgehaltener Hand und flüsternd zu äußern, wenn Sabine nicht in der Nähe war. Häufig entschuldigte ich mich bei sämtlichen Leuten für ihr Verhalten, statt dass sie sich selbst entschuldigt hätte.

Oft überlegte ich, warum sie sich so seltsam und aggressiv verhielt. Weshalb sie vor allem bei männlichen Zeitgenossen so unerbittlich und ungerecht reagierte, war mir nicht klar. Vielleicht hatte sie in ihrer Kindheit und Jugend unerfreuliche oder bedrohliche Erfahrungen gemacht? Es lag mir jedoch fern, sie darauf anzusprechen, denn ich war der Meinung, dass mich das nichts anginge. Viele von uns haben in der Vergangenheit unangenehme Erfahrungen mit Mitmenschen oder Familie erlebt, aber wenn man im pflegerischen Bereich tätig ist, sollte man versuchen, unbefangen und gewaltlos auf die Patienten zuzugehen. Keiner der Kranken kann etwas dafür, wenn wir persönliche Probleme haben. Zum Beruf einer ausgebildeten Krankenschwester gehört es, die Patienten adäquat und professionell zu betreuen und sie nicht auf Grund von persönlichen Abneigungen schlecht zu behandeln oder zu traktieren. Wenn man nicht mit Menschen umgehen kann oder diesen fast schon feindselig gegenübersteht, dann ist man, meiner Meinung nach, im pflegerischen oder medizinischen Bereich an der falschen Stelle und sollte solch einen Beruf keinesfalls ergreifen.

Schwester Sabine legte sich fast mit jedem an, ganz gleich ob es die Angestellten der Transportunternehmen waren oder das Rettungspersonal, Ärzte, Patienten, Pflegepersonal, Reinigungspersonal.

Täglich gab es lautstarke Auseinandersetzungen, wenn sie im Dienst war, teilweise schrie sie unwirsch ins Telefon, wenn jemand unsere Klinik anrief.

Ihr Verhalten war wirklich sehr unangenehm und ich bat sie häufig, dass sie sich doch endlich mehr zurücknehmen solle und lernen müsse, ihre unberechenbaren Gefühlsausbrüche unter Kontrolle zu bringen. In unserem Beruf käme es auch auf Empathie und Herzenswärme an, denn die Patienten benötigten nicht nur körperliche Pflege und Unterstützung, sondern auch Einfühlungsvermögen und seelische Betreuung. Ein militärischer Führungsstil und aggressive Übergriffe wären hier fehl am Platze.

Nach diesen Gesprächen zeigte sich Schwester Sabine mir gegenüber stets einsichtig. An den darauf folgenden Tagen bemühte sie sich sehr um eine Verbesserung ihres Verhaltens und wir waren überrascht, wie freundlich sie sein konnte. Aber dies dauerte nicht lange an und schon zeigte sie wieder ihr gewohnt pedantisches und aggressives Wesen.

Da sie mit unserem Geschäftsführer Klaus ein überaus einmütiges Verhältnis hatte, sie waren sozusagen auf einer Wellenlänge, konnte sich Schwester Sabine fast alles erlauben. Es gelang ihr immer wieder, Klaus auf ihre Seite zu ziehen, sie waren sich in fast allen Themenbereichen sehr einig. War dies einmal nicht der Fall, so gelang es Schwester Sabine mit subtiler Manipulation, Klaus in die gewünschte Richtung zu lenken, ohne dass er es selbst bemerkte. Hinterlistig bearbeitete sie ihn so lange, bis er ihr jeden Sonderwunsch erfüllte oder ihrer Meinung war.

Zum Glück gab es auch sehr hilfsbereite und nette Kolleginnen und Kollegen im Pflegeteam, auf die ich immer zählen konnte. Es war eine Freude, mit ihnen zusammenzuarbeiten, weil sie einen freundlichen Umgang mit den Patienten pflegten, ein angenehmes und ausgeglichenes Wesen hatten und sich wirklich sehr bemühten, alle Aufgaben ordentlich zu erledigen.

Obwohl ich stets versuchte, die anfallenden Arbeiten so gerecht wie möglich aufzuteilen, traf es doch häufiger jene Mitarbeiter, die sich sowieso für alles engagierten. Andere wussten genau, wie sie sich gezielt zu vielen Anforderungen entziehen konnten.

Besonders ärgerte ich mich über eine Mitarbeiterin, die ständig vorgab, wegen Kopfweh oder Bauchweh nicht arbeiten zu können. Ich sah sie mehrmals vergnügt mit Freunden durch den Ort spazieren, während ich gerade mal wieder meinen freien Tag geopfert hatte, um ihren Dienst zu übernehmen. Doch da gab es für mich keine Handhabe, denn bei solchen Unpässlichkeiten ist Bettruhe vom behandelnden Arzt nicht zwingend vorgeschrieben. Ich glaube, die betreffende Mitarbeiterin hatte einfach keine Lust mehr zu arbeiten. Häufig kam sie dreißig bis sechzig Minuten zu spät zum Dienst und fand es nicht einmal für nötig, sich bei ihren Kollegen dafür zu entschuldigen.

In ihren passivsten Phasen setzte sie sich demonstrativ während der Arbeitszeit mit einem Roman in die Küche und überließ ihrer anderen Kollegin die ganze Arbeit. Ich fand dies sehr rücksichtslos von ihr. Mehrmals versuchte ich mit ihr darüber ein Gespräch zu führen, aber sie blockte immer ab oder gab mir patzige Antworten. Monatelang bekam sie immer wieder eine neue Chance, auch wenn längst offensichtlich war, dass sie unsere Gutmütigkeit nur ausnützte. Ihr monatelanges dreistes Verhalten, das sich auch durch häufige Ermahnungen nicht änderte, führte schließlich doch zur Kündigung.

Ein bisschen enttäuscht war ich schon von manchen Kollegen, die Ungerechtigkeiten miterlebten, sich jedoch nicht für die davon Betroffenen einsetzten, sondern sich eher noch auf die Seite des Aggressors schlugen. Auf der anderen Seite kann ich heute verstehen, dass die meisten Angst hatten, ihren Job zu verlieren oder selbst gemobbt zu werden, wenn sie sich einmischten.

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