Читать книгу DIE KRANKENSCHWESTER - Sonja Löwe - Страница 13
Es gibt keine Alternative
ОглавлениеIch war eine der langjährigsten Mitarbeiterinnen dieser Klinik und manchmal sagte man spaßhalber von mir, dass ich schon zum Inventar gehöre. Es war selbstverständlich, dass ich immer erreichbar war, dass man sich stets auf mich verlassen konnte und dass ich so gut wie nie krank war. Auch ich selbst konnte mir jahrelang gar keinen anderen Arbeitsplatz vorstellen und dachte immer, dass ich diese Arbeit wohl bis zur Pension ausüben würde.
Vom ersten Augenblick der Gründung dieser Privatklinik vor nun inzwischen fast neun Jahren hatte ich das Unternehmen mit aufgebaut. All meine Energie floss in dieses Projekt, als wäre es mein eigenes Unternehmen. Es steckte enorm viel Herzblut und Engagement von mir in dieser ganzen Sache und daher war ich auch nicht bereit, dies alles ohne weiteres einfach so aufzugeben.
Da ich eine medizinische Fachausbildung in meinem beruflichen Bereich besaß, wollte ich auch nicht in eine andere Klinik überwechseln. Dies hätte für mich, ich ging nun doch schon fast auf die Fünfzig zu, bedeutet, dass ich sozusagen wieder bei null beginnen müsste. Mein ganzes Berufsleben lang hatte ich nur in diesem speziellen Fachbereich gearbeitet und in den letzten dreiundzwanzig Jahren zahlreiche Fortbildungen in ganz Europa besucht, somit mich laufend weitergebildet.
Auch gab es in meiner Nähe keine solche Klinik mit gleichartiger medizinischer Fachabteilung. Wahrscheinlich hatte ich auch nicht den Mut dazu, in meinem Alter noch einmal etwas völlig Neues zu beginnen.
Den seit geraumer Zeit laufenden Kredit für das von mir erbaute Eigenheim musste ich auch noch mehrere Jahre abbezahlen. Die Vorstellung, den Arbeitsplatz zu wechseln, verursachte bei mir daher ziemliche Existenzängste. Falls bei einer diesbezüglichen Veränderung ein monetärer Engpass entstehen würde, wäre ich dann womöglich nicht mehr in der Lage, meine finanzielle Situation zu bewältigen.
Und was sollte ich auch beruflich Neues anfangen? Ich liebte meine Arbeit, ging voll in meinem Beruf auf und dachte mir, dass es auch an anderen Arbeitsplätzen Nachteile oder Probleme geben würde. In diesem Fall könnte ich dann auch nicht einfach davor weglaufen. Also beschloss ich immer wieder, mich zusammenzureißen und weiterzumachen, wie bisher und mein Bestes zu geben. Ich war mir sicher, dass es irgendwann wieder angenehmer werden würde und ich einfach durchhalten musste. Wenn ich die schwerwiegenden Schicksale unserer Patienten betrachtete, die teilweise schon Jahrzehnte chronisch schwer erkrankt waren, musste ich mich sowieso fast schämen, dass ich wegen solcher Kleinigkeiten kapitulieren wollte. Mir wurde bei diesen Überlegungen wieder so richtig bewusst, dass ich überhaupt keinen Grund hatte, mich zu beklagen, denn ich war gesund, an meinem Körper funktionierte alles einwandfrei. Zumindest äußerlich war mir keine Einschränkung anzusehen. Ich stellte mir vor, wie glücklich so mancher unserer Patienten wohl wäre, wenn er körperlich in so einer tadellosen Verfassung wäre wie ich. Es kam mir also wirklich wie eine große Ungerechtigkeit vor, dass ich mit meiner Situation in solcher Weise haderte.
Da ich davon überzeugt war, eine Kämpferin zu sein, wollte ich mich jetzt nicht unterkriegen lassen und war sicher, dass ich das alles schon irgendwie schaffen würde. Aufgeben war für mich eigentlich noch nie ein Thema gewesen und zugeben, dass ich an meine Grenzen gestoßen war und etwas nicht bewältigen konnte, schon gar nicht.