Читать книгу DIE KRANKENSCHWESTER - Sonja Löwe - Страница 16

Das Tief

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Schon lange war meine Lebensfreude völlig erloschen. Ich konnte nichts mehr genießen und fühlte mich absolut unglücklich. Eine unendliche Traurigkeit überkam mich immer öfter und legte sich wie ein riesiger, dunkler Mantel erdrückend auf mich. Alles war davon überschattet. Wie sollte es weitergehen? Ich spürte immer mehr, dass irgendwann ein Tag kommen würde, an dem dieser Zustand plötzlich endete. Wie dieser Moment dann aussah, ob die Probleme gelöst oder womöglich mein Leben zu Ende sein würde, davon hatte ich keine konkrete Vorstellung. Aber das dumpfe Gefühl, dass bald eine abrupte Wendung in meinem Leben nahte, verstärkte sich immer mehr.

Eines Tages saß ich an meinem Schreibtisch im Büro. Hinter mir lag mal wieder eine ziemlich ruppige Montagsbesprechung mit Klaus. Seinen ganzen Frust und Ärger hatte er auf mir abgeladen und ich fühlte mich total erschöpft und überlastet.

Nach seinen Wünschen sollte ich einige Mitarbeiter für Fortbildungsseminare anmelden und mich auch um die Unterkünfte in Hotels kümmern. Eigentlich gehörte dies für mich zur Routine, aber ich fühlte mich plötzlich wie gelähmt und nicht mehr in der Lage, die notwendigen Schritte dafür einzuleiten. In meinem Büro sitzend stieg eine unbeschreibliche Furcht blitzartig in mir hoch. Ich saß nur noch da und fing an zu weinen. Ich wusste nicht mehr ein noch aus und fühlte mich komplett ausgelaugt und innerlich leer. Außer der lähmenden Angst spürte ich gar nichts mehr und vermochte auch zuerst keinen klaren Gedanken mehr zu fassen.

Plötzlich konnte ich an nichts mehr anderes denken, als aus dem Fenster zu springen. Mein Büro lag im 2. Obergeschoss und ich machte mir keine Gedanken, welche Konsequenzen ein Sprung aus dieser Höhe hätte. Ich konnte überhaupt an nichts dergleichen denken. Vielleicht hätte ich lediglich Verletzungen davongetragen, denn so hoch gelegen war das Fenster nicht, allerdings gab es unten einen asphaltierten Platz und eine Betontreppe. Darüber dachte ich jedoch überhaupt nicht nach. Ich verspürte nur auf einmal den ganz starken Wunsch, dort hinaus zu springen und allem ein Ende zu setzen, weil ich es einfach nicht mehr aushielt. Auch dachte ich in diesem Moment nicht an meine Familie oder an Freunde und was meine Tat für Auswirkungen auf sie haben könnte. Ich machte mir keine Gedanken, ob ich vielleicht diese Menschen vollkommen vor den Kopf stoßen oder sie seelisch sehr verletzen würde. Dass sie gar nicht verstehen könnten, warum ich das getan hätte und womöglich noch bei sich selbst eine Schuld suchen würden. Wahrscheinlich war ich in diesem Moment einfach egoistisch, aber auch mit meinen Kräften am Ende und wollte nur noch meiner unerträglichen Situation entfliehen.

In diesem Moment der totalen Verzweiflung klingelte das Telefon. Eine ehemalige Arbeitskollegin, die jetzt in einem anderen Krankenhaus arbeitete, war am anderen Ende der Leitung und fragte mich etwas Dienstliches. Sogleich versuchte ich, meine düstere Stimmung zu überspielen, damit sie ja nicht merkte, dass es mir schlecht ging. Sie redete einige Zeit mit mir und als das Gespräch beendet war, dachte ich noch einmal darüber nach, was mir vor dem Telefonat plötzlich in den Sinn gekommen war. Ich erschrak über mein Vorhaben. Der Moment war nun vorüber, in dem ich mein Leben jäh beenden wollte. Obwohl ich mich immer noch in einer verzweifelten und sehr depressiven Stimmung befand, wurde mir bewusst, dass ich so nicht weiter machen konnte und mir dringend Hilfe suchen musste.

Am gleichen Abend fuhr ich noch in Tränen aufgelöst zu meinem Hausarzt, den ich schon seit langem gut kenne und zu dem ich auch Vertrauen habe, und schilderte ihm meinen Zustand. Weinend berichtete ich ihm von den immer höheren Anforderungen, die man beruflich an mich stellte und von dem unerträglichen Arbeitsklima, den Intrigen und dem Mobbing. Wie sehr mich das alles belastete, und dass ich immer häufiger daran dachte, all diesen Belastungen endgültig zu entfliehen, sprich meinem Leben ein Ende zu setzen. Alles was ich wollte, war nur noch Schlafen und Ruhe und nicht mehr mit all diesen Problemen und verletzenden Bosheiten konfrontiert zu werden.

Der Hausarzt riet mir mit Nachdruck zu psychologischer Unterstützung bei einem Therapeuten, aber ich bat ihn nur inständig um ein Antidepressivum. Ich wolle es zuerst mit Medikamenten versuchen. Der Arzt äußerte seine Befürchtung, das gewünschte Medikament könnte meinen Antrieb steigern, jedoch unter Umständen in eine falsche Richtung. So bestände die Gefahr, dass die stimmungsaufhellende Wirkung erst verspätet einsetzen würde, ich jedoch durch den gesteigerten Antrieb womöglich einen Suizid verüben könnte. So wäre es unverantwortlich, ja unter Umständen gefährlich für mich, mir diese Art von Medikament als alleinige Maßnahme zu verordnen.

Als ich versprach und immer wieder beteuerte, vernünftig zu sein und mir sicherlich nichts anzutun, verschrieb er mir das ersehnte Medikament. Mein einziger Wunsch war, endlich wieder psychisch stabiler und belastbarer zu werden und den täglichen Anforderungen meines Berufes standhalten zu können.

Mit großer Hoffnung nahm ich in den nächsten Tagen die Kapseln regelmäßig ein. Nach circa zwei Wochen verspürte ich plötzlich eine deutliche Besserung meiner seelischen Verfassung. Ich fühlte mich nicht mehr so müde und hatte eine wesentlich positivere Einstellung. Vieles, was mir vorher schwer gefallen war, ging jetzt wieder leichter von der Hand. Meine Leistungsfähigkeit stieg merklich an und auch die täglichen Streitereien und Unstimmigkeiten in der Arbeit machten mir immer weniger aus, ja, ich nahm sie nur noch entfernt wahr und sie prallten sozusagen an meiner, durch das Medikament neu errichteten, psychischen „Schutzhülle“ ab. Äußerungen oder Handlungen, die mich noch vor kurzem bis ins Tiefste verletzt hatten, erschienen mir nun durch das Medikament abgemildert, als schütze mich ein starker Wall vor der für mich so hartherzig und rücksichtslos erscheinenden Umgebung. Es faszinierte mich, dass ein paar kleine Kapseln eine so positive und erstaunliche Wirkung auf mich ausübten. Endlich kam meine Energie zurück. Ich verspürte morgens wieder mehr Antrieb und konnte in kurzer Zeit wesentlich mehr Arbeit bewältigen. Die Ängste wurden geringer und ich war psychisch nicht mehr so angreifbar und verletzlich. Auch kam ich nun mit relativ wenig Schlaf aus. Glücklicherweise hatte ich also die passende Therapie gefunden, um meine Arbeit wieder erfolgreich erledigen zu können. Diese Erkenntnis ließ mich erleichtert aufatmen und machte den üblichen Alltag wieder erträglicher für mich.

So nahm ich auch das bald folgende Ereignis zuerst relativ gelassen.

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