Читать книгу DIE KRANKENSCHWESTER - Sonja Löwe - Страница 18
Sparmaßnahmen
ОглавлениеWie in zahlreichen Kliniken, wurde auch eines Tages bei uns beschlossen, Personal einzusparen. Die Geschäftsleitung war der Meinung, dass es in anderen Kliniken wesentlich weniger Pflegepersonal gab als bei uns und dort die anfallende Arbeit auch zu bewältigen war.
Natürlich war es mein Part, diesen für das Personal unangenehmen Beschluss der Geschäftsleitung den Kolleginnen und Kollegen bei der nächsten Teamsitzung mitzuteilen.
Das Pflegeteam war aufgebracht. Zuerst befürchteten einige der Mitarbeiter Kündigungen, aber die Situation wurde so gelöst, dass nach Erhöhung der Patientenanzahl die Anzahl der Mitarbeiter gleich blieb.
So kam es dazu, dass wir daraufhin mehr Patienten betreuen und gleichzeitig noch neue Aufgaben erfüllen mussten. In der Zukunft sollten noch mehr Studien und Statistiken durchgeführt werden. Die Folge waren vermehrte Blutabnahmen und sonstige Untersuchungen, die wir erledigen mussten, um die Wirkungen von verschiedenen Therapien schwarz auf weiß nachzuweisen. Aus rechtlichen Gründen war es natürlich auch unerlässlich, all diese Vorgänge genauestens im Computer zu dokumentieren.
So wurden die Zeiträume, die wir vor diversen Laborgeräten und vor dem Computer verbrachten, länger und die Zeit für die Betreuung der Patienten gleichzeitig kürzer.
Wenn es Patienten bisweilen psychisch schlecht ging und sie sehr verzweifelt waren und weinten, blieb manchmal keine Zeit, ihnen beizustehen, sie zu betreuen oder zu trösten, auch wenn sie in diesem Moment besonders dringend Hilfe und Zuwendung benötigt hätten! Ein unbarmherziger Zeittakt diktierte, dass diverse Dokumentationen und allerlei andere Tätigkeiten keinen Aufschub duldeten.
Diese Situationen erschienen mir besonders unmenschlich und ich spürte, dass dies keinesfalls die Art war, wie ich mir eine würdige Behandlung von kranken Menschen vorstellte. Machtlos und deprimiert stand ich dieser ausweglosen Lage gegenüber, denn sie war von höherer Instanz so vorgegeben und schien unwiderruflich.
Durch die Mehrbelastung des Personals kam es bei uns allen zu Überstunden und in der Folge zu häufigeren Krankenständen. Daher mussten immer mehr Kollegen für andere Mitarbeiter kurzfristig Schichtdienste übernehmen, was sich nicht gerade positiv auf das gesamte Teamverhalten auswirkte. Stress und in der Folge auch Mobbing unter den Kollegen nahmen weiter drastisch zu. Der Umgangston untereinander wurde immer harscher und aggressiver.
Es gelang mir kaum noch zwischen den streitenden Mitarbeitern zu schlichten oder Kompromisse auszuhandeln. Auf Grund der neuen Situation konnte ich nun bei der Dienstplangestaltung nicht mehr ständig auf Unstimmigkeiten Rücksicht nehmen.
Gewisse Kollegen zogen sich gekonnt aus der Lage, in dem sie oft kurzfristig, das heißt spät abends oder früh morgens, nur wenige Minuten vor Dienstbeginn, mitteilten, dass sie nun Fieber oder starke Migräne hätten und den Dienst nicht antreten könnten. Es müsse daher dringend noch jemand gefunden werden, der die Schicht für sie übernehmen könne. Dies war jedoch um diese Uhrzeit und so kurzfristig kaum mehr möglich.
Daher kam es nun oft vor, dass eine Pflegeperson die Arbeit allein verrichten musste, die noch vor kurzer Zeit drei Kollegen erledigt hatten. Man kann sich vorstellen, dass dies im Team zunehmend zu einer äußerst schlechten Stimmung führte und die allgemeine Überforderung deutlich anstieg. Die Mitarbeiter fühlten sich stark überlastet und zeigten zunehmend Anzeichen völliger Erschöpfung.
Ab und zu kamen Kolleginnen in mein Büro und schütteten mir ihr Herz aus. Ihre Nerven lagen blank und sie berichteten mir niedergeschlagen, wie sie nun in Stresssituationen vermehrt den zwischenmenschlichen Gemeinheiten und seelischen Attacken der anderen Mitarbeiter ausgesetzt waren. Einige litten dadurch bereits an körperlichen Beschwerden wie Magenschmerzen, Schlaflosigkeit und Pulsrasen. Wie gut ich sie verstehen konnte! Verständnisvoll sprach ich den Betroffenen Mut zu und versuchte, sie seelisch aufzurichten. Keiner von ihnen merkte, dass es mir selbst psychisch oft noch viel schlechter ging. Niemand sollte je etwas von meinem labilen Zustand merken, das hatte ich mir fest vorgenommen.
Die Geschäftsleitung und der Chefarzt wollten keine Klagen hören. Solange die Behandlung der Patienten bewältigt werden konnte, gab es keinen Grund, wieder mit mehr Personal zu arbeiten.
Leider war der wirtschaftliche Aspekt, wie überall, nun der allein maßgebliche. Ich hoffte im Geheimen dauernd, dass wir niemals einen schwerwiegenden Notfall bei den Patienten hätten, wenn wir mit derart wenig Personal arbeiteten, denn dies konnte fatale Folgen haben. Ich wies die Geschäftsleitung auch mehrfach auf diese Gefahr hin, um nicht früher oder später dem Vorwurf ausgesetzt zu werden, dieses Problem wäre nicht bekannt gewesen. Dennoch, auf meine Befürchtungen wurde nicht reagiert.