Читать книгу DIE KRANKENSCHWESTER - Sonja Löwe - Страница 14
Ausfallserscheinungen
ОглавлениеHin und wieder zweifelte ich schon, ob mein Zustand noch „normal“ war und sorgte mich, ob meine Gefühle und Beschwerden weiterhin zu verheimlichen wären oder diese Situation eventuell mit der Zeit doch in Richtung Burnout laufen könnte. Gelegentlich hörte ich in meinem Umfeld von Personen unseres Berufszweiges, die gehäuft von dieser Erkrankung betroffen waren. Wenn ich bewusst in mich hinein fühlte, dann war ich nicht mehr sicher, ob ich so noch lange weitermachen konnte. Auch verspürte ich immer häufiger diverse Angstzustände, vor allem befürchtete ich, dass ich den täglichen Aufgaben nicht mehr gewachsen sein könnte. Manchmal wurden die einfachsten Anforderungen plötzlich so belastend für mich, als würde ich vor einem unüberwindbaren Berg stehen. Dann überkam mich auf einmal eine unbeschreibliche Panik, wenn ich nur einen ganz gewöhnlichen Anruf tätigen musste.
Verließ ich mein Haus, um zur Arbeit zu gehen, litt ich schon morgens unter Stress und Konzentrationsschwäche. Ich musste manchmal mehrmals nachkontrollieren, ob ich die Haustüre abgesperrt oder den Herd ausgestellt hatte. War ich bereits einige Meter vom Haus entfernt, musste ich noch einmal umkehren und erneut den Herd kontrollieren und als ich dann wieder einige Meter von der Eingangstüre entfernt war, zweifelte ich schon wieder, ob ich wohl abgeschlossen hatte. Gleichzeitig erschreckte mich dies alles sehr, denn ich ahnte, dass da etwas mit mir nicht mehr stimmen konnte. Ich befürchtete schon, dass ich womöglich an einer Zwangserkrankung leiden könnte. So ein Verhalten hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht bei mir beobachtet.
Auch litt ich neben meinen Konzentrationsschwierigkeiten zunehmend an Gedächtnislücken. Erinnerung und Merkfähigkeit ließen plötzlich drastisch nach. Alles schrieb ich mir auf, um nur ja nichts zu vergessen. Jeden Termin trug ich im Kalender ein und täglich notierte ich zudem eine lange Liste von Aufgaben, die ich abarbeiten sollte. Oft war ich dann am Ende des Tages sehr unzufrieden mit mir, wenn ich nicht alles erledigt hatte.
Einmal traf ich eine Mitarbeiterin beim Einkaufen und wusste, dass ich diese Person gut kannte, erinnerte mich jedoch nicht mehr, woher. Ich ließ mir nichts anmerken, als sie mich ansprach, denn es war mir sehr unangenehm, dass ich nicht wusste, wer sie war. So wechselte ich einige allgemeine, belanglose Worte mit ihr, damit ihr nicht auffiel, dass ich sie nicht erkannte. Die Tatsache, dass ich plötzlich so extreme Erinnerungslücken aufwies, beunruhigte mich sehr. Erst einige Stunden später fiel mir wieder ein, dass diese Frau ja eine unserer Mitarbeiterinnen gewesen war.
Manchmal, wenn ich mit dem Auto fuhr, hatte ich plötzlich Momente, in denen ich mich nicht mehr erinnerte, wohin ich eigentlich fahren wollte. Das Ziel war mir während des Fahrens von einer Sekunde auf die andere entfallen. Es war extrem beängstigend und verunsichernd für mich, weil ich befürchtete, vielleicht eine Form von Demenz zu entwickeln.
Einmal behandelte ich einen Patienten und obwohl die Situation eigentlich routinemäßig verlief, also keine besondere Anstrengung darstellte, und auch die Raumtemperatur nicht außergewöhnlich hoch war, bekam ich einen Schweißausbruch und fing am ganzen Körper an zu zittern. Verzweifelt versuchte ich, mir nichts anmerken zu lassen, doch der Patient fragte mich plötzlich: „Geht es dir nicht gut?“ Mittlerweile tropften mir schon die Schweißperlen über die Stirn und die Nase und er hielt mir ein Papiertaschentuch entgegen, damit ich mich abwischen konnte. Es war mir überaus peinlich und ich sagte: „Nein, nein, alles in Ordnung, es ist nur ein bisschen heiß hier.“
Zu Hause versuchte ich es dann gelegentlich mit einer Entspannungs-CD, in der Hoffnung, eine Meditation könnte mich etwas zur Ruhe bringen. Doch kaum hatte ich den CD-Player gestartet, ließen mich meine alltäglichen Gedanken nicht los, denn das unangenehme Gedankenkarussell begann sofort in meinem Kopf zu kreisen und ich konnte es nicht abschalten. Es gelang mir nicht, mich auf die sanfte Musik zu konzentrieren und den ruhigen Anweisungen der Stimme Folge zu leisten. Eigentlich sollten ja auch so viele andere Dinge dringend erledigt werden, da konnte ich nicht einfach so sinnlos herumsitzen, um mich zu entspannen. Ich musste meine Zeit effektiv einteilen und nutzen, denn sie war überaus knapp bemessen.
Immer mehr spürte ich gleichzeitig, dass etwas gewaltig aus dem Ruder lief und ich die Situation bald nicht mehr im Griff haben würde.