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Überbelastung

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Wenn das Personal knapp war, ließ ich meine eigenen Aufgaben im Büro liegen und half bei der Betreuung der Patienten mit, obwohl ich stattdessen auch andere Kollegen hätte zusätzlich einteilen können. Doch da ich sowieso schon in der Klinik war, versuchte ich, so gut es ging, meine Kolleginnen und Kollegen zu schonen und zu unterstützen. So vermied ich es, sie zu zusätzlichen Diensten einzuteilen. In unserem Beruf ist Freizeit ein kostbares Gut.

Es war mir wichtig, dass alle Kranken stets gut versorgt und gepflegt waren. Mein Stress wuchs, wenn sich die Akten und diversen Aufgaben auf meinem Schreibtisch anhäuften, ich mit meiner eigenen Arbeit nicht fertig wurde, weil es Personalengpässe gab und ich zum wiederholten Male einspringen musste. Häufig saß ich dann nach der Pflege der Patienten noch für Stunden in meinem Büro, um meine eigenen Schreibarbeiten fortzusetzen, während die anderen Kollegen schon längst nach Hause gegangen waren, um ihren Feierabend zu genießen.

Bei manchen Arbeiten und Aufgaben wurde mir von der Geschäftsleitung eine meist viel zu kurze Frist gesetzt, in der ich gewisse Dinge zu erledigen hatte. Konnte ich diese Arbeiten nicht rechtzeitig abschließen, wurde ich von der Geschäftsleitung und dem Chefarzt unhöflich gemaßregelt und unter Druck gesetzt. Man hatte kein Verständnis dafür, wenn ich die Aufträge nicht zeitgerecht erledigen konnte, weil unvorhergesehene Krankenstände des Personals zu zusätzlichen Arbeitsbelastungen meinerseits führten. Dies interessierte meinen rücksichtslosen Chef absolut nicht. Wichtig war ihm nur, dass alles in der Klinik reibungslos funktionierte. Wie dies gewährleistet wurde, darum hatte ich mich allein zu kümmern.

An ein Privatleben meinerseits war da schon längst nicht mehr zu denken. Meist kam ich erst spät nachts von der Arbeit nach Hause und musste wieder früh morgens in der Klinik sein. Obwohl ich meinen Beruf gerne ausführte, fühlte ich mich durch diesen ständigen Termindruck in meinem Privatleben überaus limitiert und psychisch sehr gestresst. Ich hatte schon lange aufgehört irgendwelchen Hobbys nachzugehen oder Kurse zu besuchen, denn ich konnte nichts planen, weil es häufig vorkam, dass ich unvorhergesehen in der Klinik aushelfen musste.

Der Wunsch der Geschäftsleitung, dass ich Tag und Nacht erreichbar sein musste, auch an Wochenenden und Feiertagen, wurde nicht etwa zusätzlich finanziell abgegolten wie ein Bereitschaftsdienst, sondern gehörte laut Ansicht der Geschäftsleitung selbstverständlich zu meinen Aufgaben. Ich hatte ein Diensthandy und einen Dienst-Laptop zu Hause und es wäre keinesfalls toleriert worden, wäre ich nicht jederzeit abrufbar gewesen.

Mehrmals schon hatte ich bei der Geschäftsleitung anklingen lassen, dass ich gewisse Aufgaben abgeben wolle, und auch, dass ich nicht rund um die Uhr erreichbar sein könne, sondern eine zeitweise Aufteilung dieser Arbeiten mit meiner Vertretung Schwester Sabine sinnvoll wäre. Ich erklärte meinem Chef, dass auch ich gelegentlich zeitliche Freiräume bräuchte und einen Anspruch auf ein Privatleben hätte. Leider stieß ich dabei immer auf taube Ohren und man sagte mir, dass die ständige Erreichbarkeit zu meinem Job gehöre und es da nichts zu diskutieren gäbe. Ich müsse zeitlich rund um die Uhr verfügbar sein.

Oft spürte ich eine lähmende Müdigkeit und fühlte mich kraftlos und ohne Energie. Ich empfand eine ungeheure Sehnsucht danach, endlich Zeit für mich zu haben. In den letzten Jahren hatte ich mir durch meine jahrelange Berufstätigkeit doch einen bescheidenen Wohlstand erarbeiten können, über den ich noch nie zuvor in meinem Leben verfügt hatte, denn meine Kindheit und Jugend waren gekennzeichnet gewesen von einem kargen Lebensstil und großer Armut. Doch was nützte es mir nun, dass ich ein kleines, hübsches Haus gebaut hatte, wenn ich über keine Zeit verfügte, mich darin auszuruhen, vielleicht die Sonne auf der wunderschönen Terrasse mit dem grandiosen Blick auf den See zu genießen? Häufig verspürte ich das übermächtige Gefühl, dass mein Leben nutzlos an mir vorbei ziehen würde und ich eigentlich keinen Sinn mehr darin fand, in der Form, wie ich es schon seit einigen Jahren führte.

Die nur dürftig bemessene Freizeit war ausgefüllt mit den täglichen Pflichten, die man zu Hause zu erledigen hat. Meine Arbeit im Haushalt war auf das Allernotwendigste beschränkt. Natürlich musste ich sehen, dass ich in meinem privaten Bereich noch alles so gut wie möglich in Ordnung halten konnte, aber vieles blieb mit der Zeit zu Hause liegen, weil ich einfach zu erschöpft war. In meinem Garten wucherte mehr und mehr das Unkraut, was mich sehr frustrierte, aber ich hatte weder Zeit noch Energie, dies alles zu bewältigen. Lebensfreude empfand ich schon seit Jahren gar nicht mehr. Ich konnte über nichts mehr unbeschwert lachen oder mich freuen.

Mein einziges Bestreben war nur noch, mir ja nicht anmerken zu lassen, dass ich dem Ganzen nicht mehr gewachsen war. Ich wusste, dass sich Neider unter den Kollegen befanden, die nur darauf lauerten, eine Schwachstelle bei mir zu entdecken, um mich danach sukzessive fertig zu machen. Auch merkte ich schon länger, dass Schwester Sabine auf meine berufliche Position spekulierte und mich deshalb immer häufiger verbal attackierte oder sich nicht an gemeinsam vereinbarte Absprachen hielt und mir hinterhältig in den Rücken fiel.

Täglich hatte ich sozusagen eine Maske auf, wenn ich arbeitete. Immer erschien ich leistungsfähig und belastbar im Dienst, war freundlich und höflich, versuchte für alle ein Vorbild zu sein und auf diese Weise mit gutem Beispiel voran zugehen, denn ich wollte, dass auch die Pflegepersonen stets liebenswürdig und höflich mit Patienten und Kollegen umgingen. Ich war der Meinung, dass keiner im Team, einschließlich mir selbst, das Recht hatte, wegen privater Probleme schlechte Stimmung zu verbreiten und die Mitmenschen zum Opfer der eigenen Launenhaftigkeit werden zu lassen. Äußerlich voller Elan nahm ich mich täglich der Probleme von Patienten und Mitarbeitern an und hatte für alle ein offenes Ohr und eine helfende Hand. Keiner sollte merken, wie es in meinem Inneren aussah. Ich erledigte alle Telefonanrufe und E-Mails und organisierte Besprechungen, schrieb Protokolle, vereinbarte Untersuchungstermine für Patienten und erstellte die Dienstpläne für das Pflegepersonal. Bestellungen mussten erledigt und Reparaturen für defekte Geräte geregelt werden. Eigentlich brachte mir die Arbeit seit Jahren eine gewisse Erfüllung und Befriedigung, doch mit Sorge beobachtete ich die Probleme mit unserem Personal, die nach meinem Empfinden immer schlimmer wurden.

Zu Hause konnte ich mich innerlich nicht mehr von den Ereignissen des Tages distanzieren. Oft verfolgten mich Vorfälle bis in die späte Nacht. Ich lag im Bett, wälzte mich schlaflos hin und her und die Gedanken quälten mich mehr und mehr. Noch nach Stunden ärgerte ich mich über Begebenheiten, die sich in der Arbeit zugetragen hatten und gegen die ich mich nicht zur Wehr setzen konnte. Oder ich musste an Patienten denken, die vielleicht zu ihrer belastenden chronischen Erkrankung nun noch weitere schwerwiegende gesundheitliche Probleme bekommen hatten und jetzt nicht mit der zusätzlichen, erdrückenden Diagnose zu Rande kamen. Manchmal spürte ich, dass es Situationen gab, in denen ich mich unfähig fühlte, den Patienten noch irgendeinen Trost spenden zu können, das belastete mich mit zunehmendem Alter immer mehr. Ich merkte, dass ich diesbezüglich immer dünnhäutiger wurde und einfach keine Nerven mehr dafür hatte.

Wenn zu Hause ein Anruf aus der Klinik kam, empfand ich das noch schlimmer, denn dann ging es meist um organisatorische Schwierigkeiten, die keinen Aufschub duldeten oder jemand vom Personal war erkrankt und ich musste nach Ersatz suchen. So rief ich meine Kollegen an mit der Bitte, für die erkrankte Pflegerin oder den Pfleger ausnahmsweise einzuspringen. Einige Mitarbeiter nahmen prinzipiell keine Anrufe entgegen, denn, wenn sie auf dem Telefondisplay sahen, wer da anrief, ahnten sie schon, dass sie vermutlich gefragt werden würden, ob sie einen Dienst übernehmen könnten. Andere hatten keine Zeit und kamen mit allen erdenklichen Ausreden. Wenn keiner gefunden werden konnte oder ich keine Rückmeldung bekam, musste ich eben wieder selbst zur Verfügung stehen. Denn die Arbeit musste erledigt werden, die Behandlung der Patienten duldete keinen Aufschub.

Manchmal fühlte ich mich unbeschreiblich ausgelaugt, weil ich schon so viele Stunden Dienst geleistet hatte. Bald würde ich diese belastende Arbeitssituation nicht mehr bewältigen können. Oft befürchtete ich, dass ich in absehbarer Zeit irgendeine schwerwiegende Krankheit bekommen würde, wenn ich nicht auf die alarmierenden Symptome meines Körpers hörte.

Schon seit langem litt ich nachts unter Schlaflosigkeit. Abends nach der Arbeit war ich völlig aufgedreht und fand stundenlang keine innerliche Ruhe. Seit einiger Zeit quälte mich obendrein ein lauter, sehr unangenehmer Tinnitus, dann peinigte mich wieder ein fürchterliches Pochen in meinem Ohr und ließ mich nachts nicht mehr abschalten. Schlief ich dann nach Stunden des Wachliegens endlich ein, wurde ich von beklemmenden Albträumen geplagt. Ich erwachte schweißgebadet und die furchtbaren Träume hinterließen entsetzliche Angstgefühle. Danach lag ich die restliche Nacht wach und konnte keinen Schlaf mehr finden. Die Gedanken kreisten um die Probleme des Alltags und ich hatte das Gefühl, dass es in meinem Leben nichts mehr anderes gab als diesen Beruf mit all seinen Schwierigkeiten. Alles belastete mich nur noch und es war mir nicht mehr möglich, dieses sich immer drehende Gedankenkarussell abzustellen und an etwas anderes zu denken. Ich fühlte mich wie ein Hamster in einem Hamsterrad. Dieses Bild ist noch heute sehr stark in mir eingeprägt. Das Rad drehte sich immer schneller und der Hamster, nämlich ich, konnte da nicht mehr Schritt halten. Das Tempo war schon lange nicht mehr mein eigenes und folterte mich mit unbarmherzigem Zwang immer weiter und schneller zu rennen. Ich funktionierte nur noch. Warum ich nicht in Erwägung ziehen konnte, endlich dieses quälende Rad zu verlassen, sprich aus dieser schrecklichen Lage auszusteigen, weiß ich nicht. Mir war gar nicht bewusst, dass durch die ständige seelische und körperliche Überbelastung langfristig meine Gesundheit Schaden nehmen könnte.

DIE KRANKENSCHWESTER

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