Читать книгу DIE KRANKENSCHWESTER - Sonja Löwe - Страница 19
Hierarchie
ОглавлениеMittlerweile arbeitete ich schon fast neun Jahre in dieser Privatklinik. Der tägliche Kleinkrieg rieb mich nervlich immer mehr auf. Meine gesundheitliche Verfassung wurde seit einigen Monaten zunehmend schlechter. Anscheinend zeigte nun auch das Medikament, das mir mein Hausarzt zur Verbesserung meiner psychischen Verfassung aufgeschrieben hatte, keine Wirkung mehr. Vielleicht hatte sich mein Körper inzwischen an diese Substanz gewöhnt.
Nachts fand ich keine Entspannung mehr, nicht nur, weil der Schlaf unruhig und viel zu kurz war, sondern weil ich etliche Stunden grübelnd im Bett verbrachte. Immer öfter hatte ich Schreibblock und Stift am Nachtkästchen liegen. Ständig kamen mir neue Ideen in den Sinn und ich befürchtete, diese bis am Morgen vergessen zu haben. Allerlei Aufgaben fielen mir ein, die ich unbedingt am nächsten Tag in der Klinik erledigen musste und da blieb mir gar keine andere Möglichkeit, als ständig das Licht anzumachen und alles laufend zu notieren. An Schlaf und innerliches Abschalten war da überhaupt nicht mehr zu denken. Mir schien, mein Gehirn rotierte vierundzwanzig Stunden ohne Unterbrechung, es war mir einfach nicht mehr möglich, diese Gedankenflut abzustellen. Gleichzeitig verfolgten mich ständig die niederträchtigen Intrigen meiner Arbeitsstelle. Probleme erscheinen während der Nacht meist noch wesentlich schwärzer, als sie ohnehin schon sind. Untertags hatte ich ja auch zu funktionieren und so zwang mich mein Inneres, die Bosheiten des vergangenen Tages von einigen meiner Kollegen nachts Revue passieren zu lassen.
Noch nie zuvor in meinem Leben hatten sich Menschen in meinem Umfeld in so hinterhältiger und berechnender Weise verhalten wie an diesem Arbeitsplatz. Deshalb wusste ich nicht, wie ich damit umgehen sollte, doch ich ahnte, dass die Ursache dafür hauptsächlich Neid und Konkurrenzdenken war.
Da ich schon vom Beginn der Klinik an zum Team gehörte, - ich war die erste Angestellte, die eingestellt wurde -, durfte ich bei der Einrichtung der Klinik in vielen Dingen mitbestimmen. Man berücksichtigte meine Wünsche bei der Farbgestaltung der Behandlungsräume und nutzte meine jahrelange berufliche Erfahrung, die ich schon an meinem vorherigen Arbeitsplatz in diesem Fachbereich erworben hatte, bei der Anschaffung von medizinischen Geräten und Einrichtungsgegenständen.
In vielen Bereichen nahm ich von vornherein eine privilegierte Stellung ein, was nicht von jedem später eingestellten Mitarbeiter so ohne weiteres akzeptiert wurde. Besonders einige Ärzte, die meist in diesem Fachgebiet noch unerfahren waren, sich jedoch auf Grund ihrer medizinischen Ausbildung eine gewisse Anerkennung ihrer Person erwarteten, beobachteten mich von Anfang an neidisch, argwöhnisch und misstrauisch.
So musste ich mir bisweilen bissige Bemerkungen gefallen lassen oder wurde von ihnen besonders abwertend behandelt. Wie kamen sie auch dazu, sich von einer diplomierten Krankenschwester etwas sagen zu lassen? So wurde ich schnell in Konflikte von Kompetenz und Machtansprüchen verstrickt.
Seit einiger Zeit gab es einen zunehmend spürbaren Ärztemangel, der sich in unserer Klinik besonders stark auswirkte. Da wir keine Fachausbildung für Ärzte anbieten konnten, waren die meisten Bewerber nur vorübergehend für einige Monate bei uns eingesetzt, bis sie die gewünschte Fachausbildungsstelle in einem größeren Krankenhaus antreten konnten. Es handelte sich daher meist um Ärzte, die erst kurz zuvor ihr medizinisches Studium an der Universität absolviert hatten. Auch für junge Ärztinnen mit Familie, die ausschließlich einen Teilzeitjob suchten, war eine Stelle bei uns ideal, denn die Arbeitszeit für Ärzte war geregelt und nicht so anstrengend wie in einer großen Klinik. Es ging hauptsächlich darum, dass immer ein Arzt anwesend war, um kleinere medizinische Probleme von Patienten sofort zu behandeln oder um Rezepte und andere Formulare zu unterschreiben. Die Hauptarbeit am Patienten führten die Pflegepersonen durch.
In den letzten Jahren wurde es jedoch immer schwieriger, unsere Arztstellen ausreichend kompetent zu besetzen. Passende Bewerbungen wurden weniger, sodass der Geschäftsführer dazu überging, fast jeden Bewerber zu akzeptieren, egal, ob sich dieser nun gut für die Stelle eignete oder nicht. Daher kam es dazu, dass Ärzte, die noch nie in diesem Fachbereich gearbeitet hatten, eingestellt wurden.
Demzufolge sollte ich des Öfteren ärztlichen Anordnungen Folge leisten, die dem Patienten Schaden zugefügt hätten. Da dies mit meinem Gewissen nicht vereinbar war und ich die resultierenden Folgen aus meiner langjährigen Berufserfahrung her zur Genüge kannte, weigerte ich mich mitunter, solche Anordnungen auszuführen und versuchte, mein Verhalten den jungen, auf diesem Gebiet offensichtlich noch unerfahrenen Ärztinnen und Ärzten zu erläutern. Ich erklärte ihnen die unangenehmen und teilweise auch gefährlichen Folgen, die sich aus ihren Anordnungen für den Patienten ergeben konnten. Dass ich dadurch bei den Medizinern nicht immer auf Gegenliebe stieß, versteht sich fast von selbst.
Die Auswirkungen der diversen Behandlungsmethoden hatte ich in den dreiundzwanzig Jahren meiner Berufstätigkeit ausführlich kennengelernt und so versuchte ich, aus meiner Erfahrung heraus die Patienten optimal zu betreuen und Zwischenfälle so gut wie möglich zu vermeiden.
Ich erinnere mich an einen jungen Arzt, der sich fast wie ein trotziges Kleinkind benahm und eigensinnig stampfend im Behandlungsraum vor allen Patienten um sich schrie: „Ich bin hier der Arzt und meine Anordnungen sind uneingeschränkt zu befolgen!“ Daraufhin erwiderte ich ihm, er müsse seine Anordnung selbst durchführen, denn ich könnte seinem Therapievorschlag aus Gewissensgründen leider nicht Folge leisten. Für mich hatte das Wohl der Patienten stets oberste Priorität und ich hätte keine Behandlung durchgeführt, die einem mir anvertrauten Kranken schadete.
Nicht nur meine eigenverantwortliche Handlungsweise war einigen Ärzten ein Dorn im Auge, auch andere Gründe sorgten für ausreichend Neid und Missgunst mir gegenüber.
Außer unserem Geschäftsführer und mir besaß niemand ein eigenes Büro und ich merkte, dass so mancher Arzt, der erst später eingestellt wurde, sehr verärgert darüber war, dass er keinen eigenen Raum für sich hatte, um sich untertags zurückziehen zu können. Auch wenn dies nicht direkt geäußert wurde, kamen mir diesbezügliche unschöne Äußerungen und spitzige, neidische Bemerkungen zu Ohren.
Die Klinik war von der Fläche her knapp bemessen, deshalb konnten weitere Büros aus Platzmangel nicht errichtet werden. Da ich zahlreiche Aufgaben auszuführen hatte, brauchte ich dringend ein Büro für alle Unterlagen, sowie ein eigenes Telefon und einen eigenen Computer. In meinem Arbeitszimmer verbrachte ich sicherlich ein Drittel meiner beruflichen Tätigkeit, wenn ich nicht gerade mit Firmenvertretern, Patienten oder mit Bestellungen beschäftigt war. An meinen freien Tagen hielt ich mein Büro verschlossen, da meine vertraulichen Klinikunterlagen nicht jedem zugänglich sein sollten.
Es existierte noch ein für das Personal allgemein nutzbares, großes Nebenzimmer, in dem Ärzte oder Pflegekräfte ihre Pausen verbringen oder man ungestört Schulungen oder Besprechungen durchführen konnte. Mehrere Polstersitzgruppen mit einigen niedrigen Glastischchen, sowie ein Schreibtisch mit Laptop für die Allgemeinheit standen dort zur Verfügung.
Auch die überaus stark zu spürende Hierarchie, die sich in rücksichtslosem Machtgehabe gegenüber anscheinend niedriger einzustufendem Personal und gegenüber Patienten zeigte, empfand ich als unerträglich. Warum bildeten sich manche Ärzte so viel auf ihren anscheinend unantastbaren Berufsstand ein und zogen so eine Show ab? Obwohl auch sie nur Menschen aus Fleisch und Blut, mit Stärken und Schwächen sind, maßten sie sich ohne ersichtlichen Grund an, „Götter in Weiß“ zu sein. Wehe, wenn man eine ihrer Entscheidungen oder Feststellungen in Frage stellte!
Die Art, wie sie manchmal in unmenschlicher Weise den Patienten schwerwiegende Diagnosen ohne Vorwarnung bei der Visite buchstäblich „um die Ohren hauten“, schien mir menschenverachtend und gefühllos. Ob sie damit das Leben des Betroffenen noch gänzlich zerstörten oder ihm den letzten Funken an Hoffnung auf Genesung raubten, spielte für sie überhaupt keine Rolle. Etliche Male erlebte ich es schon, dass das Pflegepersonal die Patienten, die nach solch einer vernichtenden Aussage eines Arztes psychisch vollkommen am Boden zerstört waren, beruhigen und trösten musste. Oftmals war es wichtig, ihnen noch auf irgendeine erdenkliche Weise Hoffnung zu geben, damit sie sich nicht vollkommen aufgaben. In diesen Fällen hörte ich dann spöttische Bemerkungen von Seiten einiger Ärzte. Ich erinnere mich, wie einer der Mediziner zu mir sagte: „Du bist wohl Mutter Theresa?“
Die außerordentliche Gefühllosigkeit mancher Doktoren machte mich unsagbar wütend, aber ich konnte nichts dagegen tun. Ich war nur ein Rädchen in dieser Maschinerie, die sich Schulmedizin oder Klinikalltag nennt, und ich musste so funktionieren, wie es von mir erwartet wurde.
An dieser Stelle will ich auch hervorheben, dass es einige erfreuliche Gegenbeispiele unter den Ärztinnen und Ärzten gab. So möchte ich für diejenigen dieses Berufsstandes eintreten, die sich einfühlsam und mitfühlend verhielten und sich für das Wohl der Patienten in vorbildlichem Maße einsetzten. Auch sie waren oft über das unmenschliche Verhalten ihrer Kollegen entsetzt, konnten jedoch ebenfalls nichts an der Situation ändern.
So kam es häufig für mich zu sehr belastenden Situationen. An solchen Tagen verstärkte sich mein Gefühl, dass diese Art der Krankenbetreuung immer weniger zu mir und meiner inneren Einstellung passte. Patienten sollten, nach meinen Vorstellungen, nicht wie am Fließband gefühllos abgefertigt werden! Mein Wunsch wurde immer größer, erkrankte Menschen individuell und mit angemessener Zeit zu behandeln und zu betreuen, um auf ihre Bedürfnisse und Probleme eingehen zu können. Dies war aber in einer schulmedizinischen Einrichtung zeitlich anscheinend nicht möglich und angeblich nicht finanzierbar. Wie schade und wie traurig! Es deprimierte mich immer mehr, all meine Energie tagtäglich an die diversen Zwistigkeiten und Auseinandersetzungen mit Mitarbeitern zu verschwenden.