Читать книгу Geschichte der Juden Mitteleuropas 1500-1800 - Stefan Litt - Страница 11
4. Jüdische und allgemeine Geschichte
ОглавлениеAkademische Verankerung
Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein wurde die Geschichte der Juden meist nur von jüdischen Historikern betrieben. Nahm sich doch einmal ein nichtjüdischer Historiker der Thematik an, so geschah das oft mit einer antisemitischen Motivation. Nicht zufällig erreichte das so produzierte Schriftgut gerade in der NS-Zeit eine „Blüte“, wiewohl es wissenschaftlich kaum irgendwelchen Ansprüchen genügen konnte (die auch nicht wirklich gefordert waren) und offenbar eher dem persönlichen Fortkommen der Autoren innerhalb der Hierarchie des Regimes diente. Auch in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg war im deutschen Sprachraum die Wahl dieses Forschungsgegenstandes eher selten anzutreffen und, bedingt durch den Holocaust, mit einigen Berührungsängsten verbunden. Dementsprechend ermangelte es dem Fach lange an einer angemessenen akademischen Verankerung. Auch wenn sich das Bild insgesamt gewandelt hat, sind bis heute Historiker, die sich überwiegend mit Fragen der Geschichte der Juden befassen, nur selten im festen Lehrkörper von Geschichtsinstituten an europäischen Universitäten Europas anzutreffen. Einige Abhilfe erfährt die Situation durch die gelegentliche Aufgreifung der Thematik durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der allgemeinen Geschichte, die sich teilweise mit jüdischen Aspekten auseinandersetzen. Oft jedoch wird das
Thema der Judaistik bzw. den Jüdischen Studien überlassen, die aber durch den gewaltigen Anspruch der immensen fachlichen Breite hier naturgemäß nicht immer die gesamte Bandbreite bedienen können. Trotz dieser Probleme muss festgestellt werden, dass die Präsenz der Jüdischen Geschichte mittlerweile bedeutend größer ist als noch vor zwei oder drei Jahrzehnten.
Notwendige Integration
Es wurde schon bemerkt, dass jüdische Geschichte nicht nur als Nische oder Sonderfall verstanden werden darf, da trotz aller Ausgrenzung und Feindschaft Juden in gewissem Maß auch immer an der allgemeinen Gesellschaft Anteil hatten bzw. diese sogar an manchen Stellen beeinflussten und sie ihrerseits von ihr beeinflusst wurden. Aufgrund der starken beruflichen und wirtschaftlichen Einschränkungen, denen Juden auch in der Frühen Neuzeit unterlagen, erstreckte sich ihr Wirken oft auf den finanziellen bzw. wirtschaftlichen Bereich. Jedoch war gerade hier der Einfluss von Vertretern der jüdischen Wirtschaftselite nicht zu unterschätzen, wie nur einige kurze Beispiele zeigen mögen: Jakob Bassevi von Treuenberg war führendes Mitglied eines Finanzkonsortiums, das die gewaltigen kaiserlichen Heere unter Albrecht von Wallenstein durch gesteigerte Münzproduktion finanzierte und damit indirekt den Verlauf des Dreißigjährigen Krieges mitbestimmte. Samson Wertheimer war als Heereslieferant und Bankier maßgeblich daran beteiligt, dass die kaiserlichen Heere 1683 die Türken vor Wien abwehren und in den nachfolgenden Auseinandersetzungen erheblich schwächen konnten. Die Hofjuden Leffmann Behrens und Behrend Lehmann waren von großer Wichtigkeit, als es um die Erlangung von Kurwürde bzw. polnischer Königskrone für ihre welfischen und sächsischen Dienstherren ging. Dies sind jedoch nur die spektakulärsten Fälle. Monopolartige Stellungen von Juden im Handel mit Vieh und landwirtschaftlichen Produkten im ländlichen Raum zeigen, dass sie, wenngleich weniger prominent, durchaus wesentlich am alltäglichen Wirtschaftsleben ihrer Zeit teilhatten. Das gemeinschaftliche Leben mit Christen auf dem Land führte zu zahllosen alltäglichen Berührungspunkten, die das gegenseitige Wissen über die internen Lebensumstände beförderten, aber dennoch die Ausgrenzung in letzter Konsequenz nie vermeiden konnten. Amsterdamer jüdische Kaufleute hatten immensen Anteil an der Finanzierung ganzer Flotten der Niederländischen Ostindien-Kompanie (Vereenigde Oostindische Compagnie – V. O. C.) und spielten somit eine nicht unerhebliche Rolle beim Zustandekommen des fernöstlich-europäischen Gewürzhandels über die Niederlande. Und schließlich, um mehr auf kulturelle Aspekte zu sprechen zu kommen, griffen Philosophen jüdischer Herkunft wie Baruch Spinoza, Moses Mendelssohn oder Salomon Maimon aktiv in die Dispute ihrer Zeit ein und veränderten nicht nur die allgemeinen Ansichten über die Juden, sondern auch die Denkmodelle ihrer Zeit. Es gibt also einige Gründe, die jüdische Geschichte nicht zu losgelöst von der allgemeinen zu betrachten. Allerdings ist es ein internationales Phänomen, dass die Bereiche noch allzu oft separat erforscht und analysiert werden, statt sie im gebührenden Kontext zu betrachten.