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c) Die Republik der Vereinigten Provinzen der Niederlande

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1603

Gründung der ersten sefardischen Gemeinde „Beit Ja’akow“ in Amsterdam

1639

Gründung der „Hochdeutschen“ (aschkenasischen) Gemeinde in Amsterdam

1656

Juden werden wieder in England geduldet

„Neuchristen“ in den Niederlanden

Jüdisches Leben im niederländischen Raum während der Frühen Neuzeit hatte zunächst nur wenig mit der mitteleuropäisch-aschkenasischen Kultur gemein. Nach der mittelalterlichen Besiedlung vor allem in den östlichen und südlichen Landesteilen und deren Ende in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts trat die erneute Präsenz von Juden im späten 16. Jahrhundert in einer für Mitteleuropa völlig neuen Erscheinungsform hervor. Schon während des 16. Jahrhunderts gab es in Antwerpen eine größere Gemeinde von portugiesischen Händlern, so genannten „Neuchristen“, die die Nachfahren von zwangskonvertierten spanischen bzw. portugiesischen Juden waren. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts kamen sie in den Verdacht, weiter ihrem alten Glauben anzuhängen, was schließlich 1585 zur Vertreibung von 19.000 Kaufleuten aus der Handelsmetropole an der Schelde führte, unter ihnen zahlreiche, pejorativ so bezeichnete „Marranos“, Menschen mit jüdischer Herkunft. Diese Vertriebenen mussten sich eine neue Heimat suchen und sind in den letzten Jahren des Jahrhunderts als die ersten Familien mit diesem Hintergrund in den 1581 in der „Union von Utrecht“ unabhängig gewordenen Nördlichen Niederlanden, den Vereinigten Sieben Provinzen, nachweisbar. 1587 garantierten ihnen die Provinz von Zeeland und 1588 die Generalstaaten das Recht, in den nördlichen Provinzen zu handeln. Daher ließen sie sich vor allem im aufblühenden Handelszentrum Amsterdam, aber auch in kleinerem Maßstab, im näher zu Antwerpen gelegenen Middelburg nieder. Andere Städte folgten bald darauf in den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts: Alkmaar, Haarlem, Rotterdam und Den Haag, um nur die wichtigsten zu nennen, öffneten ihre Tore für die Menschen „portugiesischer Nation“, wie sie offiziell meist genannt wurden.

Rückkehr zum Judentum

Kurz nach der Niederlassung in Amsterdam kehrten die Neuchristen offen zu ihrem ursprünglichen Glauben zurück und bildeten schon 1603 die erste Gemeinde. Die offene Abkehr vom Christentum war ein ungewöhnlicher Schritt, der in den meisten anderen europäischen Ländern von den christlichen religiösen und säkularen Machthabern kaum geduldet worden wäre und mit Sicherheit tödliche Konsequenzen nach sich gezogen hätte. Die verhältnismäßig liberale Atmosphäre in den meisten Städten und Orten der Vereinigten Provinzen sollte bald der Grund dafür werden, dass sich zahlreiche Juden, sefardische und aschkenasische, im Territorium der See- und Handelsgroßmacht niederließen und in Amsterdam schließlich die bedeutendste jüdische Gemeinschaft Europas in der Frühen Neuzeit formten.

Religiöse Toleranz in den Niederlanden

Dabei zählte vor allem die seit der Mitte des 16. Jahrhunderts entstandene Überzeugung, dass prosperierender Handel und somit die Stärke des Landes nur durch Tolerierung anderer Konfessionen und Religionen möglich war, und dass erfolgreiche Handelsleute durchaus andere religiöse Ansichten als die offiziell gewünschten haben konnten. Diese modernen Ansichten konnten sich jedoch zunächst nur in den frühneuzeitlichen Niederlanden dauerhaft als Grundmuster der Politik etablieren. Zwar waren die polnischen Privilegien grundsätzlich von einer ähnlichen Sichtweise getragen worden, jedoch war die Wichtigkeit Polens als Handelsmacht im Vergleich zu den Niederlanden eher zweitrangig. Waren die Juden innerhalb des Reiches meist nur nach Verhandlungen und finanziellen Gegenleistungen akzeptiert, so luden einige Städte in den Niederlanden die sefardischen „Neuchristen“, wissend um deren jüdische Identität, sogar ein, sich dort niederzulassen. Man kann bei aller Toleranz (im Sinn der damaligen Zeit) jedoch davon ausgehen, dass sich diese Einladungen zumeist auf die wohlhabenden und erfolgreichen Handelsleute beschränkten.

Sefardisches Netzwerk

Von dem entstehenden Zentrum der sefardischen Diaspora in den Vereinigten Provinzen, und hier vor allem in Amsterdam, spannten die Händler ihre Kontakte in einem internationalen Netz, das noch immer seine Zentrale in Portugal, aber die weiteren Hauptknoten in Antwerpen, Venedig, Livorno, Hamburg und London hatte, wo sich in etwa zur gleichen Zeit ebenfalls sefardische Gemeinden etablieren konnten. Im Rahmen der Ausbreitung niederländischer Interessen siedelten sich Sefarden aus den Niederlanden im Verlauf des 17. Jahrhunderts schließlich auch in Handelskolonien und Überseegebieten an, wie etwa kurzzeitig (1635 – 1644) im brasilianischen Recife, in Surinam, später in Curaçao und in Neu Amsterdam, dem späteren New York. Durch die persönliche Intervention des sefardischen

Rabbiners, Theologen und Buchdruckers Menasse ben Israel (1604 – 1657) beim britischen Lord-Protector Oliver Cromwell (1599 – 1658) erreichte er die Zulassung von Juden in England, wo sie sich seit 1656, zunächst in London, niederließen. In den meisten Fällen handelte es sich bei ihnen zunächst wieder um sefardische Familien, die aus den Niederlanden kamen. Auch ein großer Teil der später einwandernden aschkenasischen Juden stammte aus den Niederlanden, so dass sich die beiden Gemeinschaften noch weit bis ins 18. Jahrhundert hinein in mancherlei Hinsicht glichen.

Erst einige Jahrzehnte nach dem Zustrom der „Portugiesen“ in die Niederlande kamen die ersten aschkenasischen Juden ebenfalls in das Territorium der Republik. Erste Siedlungen gab es zwar schon in der Mitte des 16. Jahrhunderts in der Gegend um Groningen und in Appingedam, allerdings blieben diese sehr klein und waren kaum mehr als abgelegene Inseln für Nischenexistenzen anzusehen, von denen keine ausstrahlende Dynamik ausging.

Zuwanderung von Aschkenasen

Anders hingegen die sich schnell bildende Gruppe in Amsterdam: Ausgelöst durch den Dreißigjährigen Krieg strömten etwa ab den 1620er Jahren vermehrt aschkenasische Juden in die Vereinigten Niederlande. Die meisten von ihnen waren jedoch verarmt waren und wirkten in ihrem gesamten Auftreten völlig anders als die stark integrierten, gebildeten und oft vermögenden Sefarden. Zunächst waren die aschkenasischen Migranten meist deutscher Herkunft und konnten anfangs in den Unternehmen der etablierten Amsterdamer Sefarden und in deren Haushalten Anstellungen finden. Auch ihre religiösen Bedürfnisse wurden zunächst in den drei sefardischen Gemeinden der Stadt und deren Synagogen befriedigt. Als jedoch die Zahl der mitteleuropäischen Zuwanderer weiter stieg, wurde klar, dass die sefardischen Gemeinden mit dieser sie zahlenmäßig überflügelnden Gruppe überfordert waren. Ab 1635 gab es eine eigene aschkenasische Gebetsvereinigung. Die Gemeinde wurde offiziell 1639 unter dem Namen „Hoogduitse gemeente“ (Hochdeutsche Gemeinde) gegründet.

Schnelles Wachstum der aschkenasischen Gemeinden

Man kann sicher davon ausgehen, dass nicht nur die Erwägungen von Kriegsflüchtlingen, sich möglichst schnell in ruhigere Gebiete zu begeben, zum Zustrom geführt hatten. Die Erfahrung beim Umgang mit der jüdischen Geschichte lehrt, dass sich kaum etwas schneller verbreitete als die Nachricht über annehmbare und wenig restriktive Lebensumstände in einem Staat oder Territorium. Verstärkt wurde der Zustrom infolge der Pogrome in Polen 1648 / 49 und durch den Ersten Nordischen Krieg, wonach sich zahlreiche Juden von dort auf den Weg in die Vereinigten Provinzen machten, und dort vor allem wieder Amsterdam aufsuchten. Dieser Zulauf und die Tatsache, dass bei allen Gemeinsamkeiten die deutschen Juden mit den polnischen eben nicht in jeder Hinsicht gleich zu setzen waren, führte dazu, dass es neben der Hochdeutschen Gemeinde bis 1673 auch eine polnische gab, die jedoch auf Druck der Stadtführung sich wieder mit der deutschen vereinigen musste. Die blanken Zahlen verdeutlichen am eindrucksvollsten, welcher Sog von den neuen Gemeinden in den Niederlanden ausging: lebten um 1610 nur etwa 400 sefardische Juden in Amsterdam, so waren es 1630 schon 1000. 1674 gab es bereits 2500 Sefarden und 5000 Aschkanasen; 1748 lebten insgesamt 22.000 Juden in der Metropole und am Ende des Jahrhunderts (und der Republik) gab es 1795 neben 3000 Sefarden 22.000 Aschkenasen. Insgesamt machte die jüdische Bevölkerung von Amsterdam in diesem Jahr 11,3% der Stadtbevölkerung aus.

Neben dem unbestrittenen Zentrum jüdischen Lebens in den Niederlanden, auf Jiddisch auch mit dem Wort mokum, Ort, was schlichtweg den idealen Aufenthaltsort meinte, bezeichnet, gab es auch in zahlreichen anderen Städten und Dörfern der Vereinigten Provinzen und der Generalitätslande weitere Gemeinden, die zusammen, im Gegensatz zum mokum, die mediene, das Land, darstellten. Mit einigem quantitativen Abstand nach Amsterdam waren Rotterdam und Den Haag die weiteren Großgemeinden in 18. Jahrhundert. Bemerkenswert war vor allem das dichte Netz der Gemeinschaften in der Provinz Holland (Amsterdam, Rotterdam, Den Haag, Haarlem, Leiden, Maassluis, Delft, Dordrecht usw.). Somit waren die größten Gemeinden in dieser Provinz angesiedelt, was eine Parallele zur Bedeutung Hollands innerhalb der Vereinigten Niederlande darstellt. Eine ebenfalls hohe Dichte von Gemeinden fand sich noch in der Provinz Gelderland, allerdings ohne wirkliche Großgemeinden. Innerhalb von 150 Jahren hatte sich somit das Gebiet der nördlichen Niederlande von einem Leerraum jüdischen Lebens zu einem der wichtigsten Zentren Europas überhaupt entwickelt, was für die Periode der Frühen Neuzeit einen einmaligen Prozess darstellt, sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht.

Geschichte der Juden Mitteleuropas 1500-1800

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