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c) Hauptsiedlungsregionen während der Epochenwende

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Leerräume in Europa

Während der Frühen Neuzeit lebten die Juden in Europa in einer deutlichen Ungleichverteilung, die sich – bedingt durch Ausweisungen und erneute Zulassungen – immer wieder im Verlauf der Epoche ändern sollte. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts waren große Teile des westlichen Europas von Juden fast gänzlich unbesiedelt, also vor allem die iberische Halbinsel, Frankreich, die Niederlande und auch die britischen Inseln. Während des Mittelalters hatte es dort jeweils Juden gegeben, die aber spätestens bis zum Ende des 15. Jahrhunderts fast gänzlich vertrieben worden waren (England bereits 1290, Frankreich 1394, Spanien 1492). Die fehlende Zentralstruktur der Herrschaft im Heiligen Römischen Reich verhinderte eine flächendeckende Ausweisung, wie sie in Frankreich, England oder Spanien geschah. Skandinavien sollte überhaupt erst zum Ende des 18. Jahrhunderts eine gewisse Rolle für Juden spielen.

Böhmen-Mähren-Österreich

Die zentralen und östlichen Teile des Kontinents hingegen wiesen Regionen mit teilweise starker jüdischer Besiedlung auf. Innerhalb des Reiches ist hier zunächst der zusammenhängende Raum Böhmen-Mähren-Österreich zu nennen, in dem Juden sowohl in großen und bedeutenden Gemeinden wie Prag, Nikolsburg und Wien (ab dem späten 16. Jahrhundert) lebten, wie auch in einem zum Teil sehr dichten Netzwerk kleinerer und kleinster Gemeinden und Ansiedlungen.

Rhein/Main-Hessen-Schwaben-Franken

Die für das zentrale Europa vielleicht bedeutendste Region ist die von Worms im Westen über Hessen, Schwaben und Franken bis hinein in das südwestliche Thüringen reichende. Dieser relativ große Siedlungsgürtel umfasste neben vielen kleinen und kleinsten Landgemeinden auch die großen städtischen Zentren wie Frankfurt a. M., Worms, Friedberg und Fulda, die zumeist große Stabilität besaßen und für die räumliche Struktur jüdischer Siedlung und die Konsolidierung auf neuem Niveau ab ca. 1570 von großer Bedeutung waren. Die Juden der Städte Frankfurt a. M. und Worms wurden lediglich kurzzeitig zu Beginn des 17. Jahrhunderts vertrieben, während Friedberg eine der ganz wenigen Gemeinden war, die seit dem Mittelalter, in diesem Fall spätestens seit dem 13. Jahrhundert, eine kontinuierliche Geschichte aufweisen konnte. Politisch suchten viele Juden dieser Region die Nähe zum Kaiser, was durch die Existenz der verbliebenen großen reichsstädtischen Gemeinden erleichtert wurde. Bedingt durch die rabbinischen Autoritäten, die in diesen Gemeinden wirkten, war diese Siedlungsregion auch in religionsgesetzlicher Hinsicht für die Juden Deutschlands von immenser Bedeutung, da nicht wenige Festlegungen für das gesetzestreue Leben hier getroffen wurden, die für die umliegenden Gemeinden verbindlich wurden und auch darüber hinausstrahlten. Im weiteren Verlauf der Frühen Neuzeit ging von hier meist die Erschließung neuer Siedlungsregionen innerhalb des Reiches aus.

Elsass und Rheinland

Daneben existierten entlang des Rheins, vor allem im Elsass und in den Kerngebieten der Rheinpfalz und des Kurfürstentums Köln einige Gebiete mit jüdischer Präsenz, die teilweise schon während des Mittelalters gegründet wurden. Die Gemeinden im Elsass waren schon frühzeitig gut organisiert und versuchten, ihre Interessen mithilfe von Fürsprechern durchzusetzen. Der bekannteste Fürsprecher (Schtadlan) war Josef (Josel) von Rosheim (1478?–1554), der im Laufe seines Lebens auch weit über das Elsass hinaus in dieser Funktion für die Juden im Reich tätig war und oft mit dem Kaiser und seinen Beamten verhandelte. Diese Gruppen und Gemeinden hatten zu der oben genannten großen Hauptregion zahlreiche Kontakte, wie überhaupt alle Gebiete jüdischer Siedlung niemals für sich getrennt existierten, sondern vielmehr in ständigem ideellen und personellen Austausch standen. Dies äußert sich in der Rezeption von religionsgesetzlichen Abhandlungen, der Wanderung von Jeschiwa-Studenten zu Gelehrten in anderen Regionen und in der Aufnahme von Familien bzw. Gemeindebediensteten aus anderen Gegenden, wie sie vielfach in den Quellen beschrieben sind. So stammte der Autor einer Lebensbeschreibung aus dem späten 16. und frühen 17. Jahrhundert, Ascher Levi aus Reichshofen im Elsass (1598 bis nach 1634), ursprünglich aus dem Altmühltal im Fränkischen, kam aber durch den Wohnortwechsel seiner Eltern ins Elsass, bevor ihn seine Wanderungen zu Studienzwecken als Jugendlicher bis in das südöstliche Mitteleuropa führten. Dies war bei weitem kein Einzelfall, sondern geschah häufig, sowohl freiwillig wie auch erzwungen. Daraus resultierten weit verzweigte Familienverbindungen unter den Juden verschiedenster Regionen, wie sie auch von Ascher Levi bezeugt werden, und letztlich ein hohes Maß an Mobilität.

Polen

Starke Bindungen bestanden in jeder Hinsicht auch zu dem jüdischen Siedlungsraum in Osteuropa, der seit der Frühen Neuzeit größere Bedeutung für die Juden Europas insgesamt besaß und bis hinein ins 20. Jahrhundert behalten sollte. Die Landschaften in Podolien und Wolhynien waren von einem sehr dichten Netz jüdischer Siedlungen und Gemeinden geprägt, das in Europa einzigartig war. Mit Krakau/Kazimierz, Lublin und Posen können hier nur die bedeutendsten genannt werden, die maßgeblich die traditionell-religiöse jüdische Welt mitbestimmten.

Sefarden in Europa

Waren alle bisher genannten Regionen zu Beginn des 16. Jahrhunderts fast ausschließlich durch aschkenasische Juden geprägt, so erfuhr das norditalienische Siedlungsgebiet bereits seit dieser Zeit eine deutlich andere Entwicklung. Neben den schon seit dem Mittelalter und vielleicht früher ansässigen Juden ließen sich dort auch verstärkt Flüchtlinge aus Spanien nieder und gründeten teilweise recht große und bedeutende sefardische Gemeinden. Daneben strömten schon seit dem 15. Jahrhundert aus dem Raum nördlich der Alpen Vertriebene nach Italien, so dass es dort Juden unterschiedlichster Herkunft und Tradition gab. Wenn es später auch in anderen Teilen Europas, besonders in den Vereinigten Provinzen der Niederlande, sefardische Gemeinden gab, so blieb dieses Gemisch in Norditalien doch etwas nahezu Einzigartiges in der frühneuzeitlichen jüdischen Welt, zumal es sich hier weiterhin vor allem auf den urbanen Raum konzentrierte und die für Zentraleuropa festgestellte „Atomisierung“ jüdischen Lebens nicht zutrifft.

An dieser Grundkonstellation jüdischer Siedlungen änderte sich in Mitteleuropa in den folgenden Jahrhunderten bis 1800 wenig. Die wichtigsten Änderungen waren, neben einem allmählichen Wachstum der Landgemeinden und dem Erstarken regionaler Zentren, die meist ereignisbedingten wellenartigen Migration innerhalb des beschriebenen Raumes, die Ausweitung nach Nordosten innerhalb des Reiches und die seit ca. 1600 einsetzende, schnelle Besiedelung der Niederlande, später auch Englands.

Geschichte der Juden Mitteleuropas 1500-1800

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