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1. Allgemeines

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Juden in Mitteleuropa und ihre Geschichte: Spätestens seit der Mitte des 20. Jahrhunderts ist das ein Thema von hoher Brisanz. Oft wurden die Ereignisse des Mordes an Millionen von Juden durch die Nationalsozialisten als Quintessenz der Jahrhunderte langen jüdischen Geschichte Mitteleuropas gesehen, die vielfach als eine bloße Aneinanderreihung von Pogromen, Verfolgungen und Vertreibungen interpretiert wurde. Seit einiger Zeit jedoch lösen sich Historiker von dieser verengten Sichtweise, die, wie die Quellen zeigen, keinesfalls in jeder Hinsicht der historischen Wirklichkeit entspricht. Ein Generationswechsel bei den Forscherinnen und Forschern, die sich mit diesem Thema befassen, öffnete mehr und mehr die Perspektive auf andere Themen der jüdischen Geschichte, ohne jedoch die keineswegs leichten und oft ans Unmenschliche grenzenden Existenzbedingungen und die historische Verantwortung dafür beiseite schieben zu wollen. Für das bessere Verständnis der jüdischen Gesellschaft und Kultur ist das Studium und die Erforschung der inneren Prozesse und kollektiven wie individuellen Leistungen letztlich aufschlussreicher als die Klärung des Umgangs der Mehrheitsgesellschaft mit den Juden, der mehr über erstere aussagt. Anders formuliert: Die Arbeit an und mit der jüdischen Geschichte sollte versuchen, mehr die oftmals unbekannte Innenperspektive in den Mittelpunkt zu stellen und Juden eher als Subjekte denn als Objekte der Geschichte zu verstehen, wie es häufig der Fall war. Ausgehend von dieser Position wird sich das vorliegende Buch vor allem mit der inneren Perspektive und den Leistungen der Juden als Individuen und als Gruppe befassen. Fragen der Judenfeindschaft und ihrer religiösen und gesellschaftlichen Motivation werden daher hier nur am Rande behandelt werden.

Bedeutung der jüdischen Geschichte

Die über Jahre betriebenen Forschungen und zahllosen Veröffentlichungen machten die mitteleuropäische Wissenschaft zu einem wichtigen und international beachteten Faktor in der Historiografie über Juden. Neben der erwähnten Grundmotivation der historischen Verantwortlichkeit kristallisiert sich immer mehr heraus, was das Einmalige an der jüdischer Geschichte in Europa ausmacht: Die Juden waren über Jahrhunderte die einzige bedeutende nichtchristliche Minderheit in zahlreichen Territorien und Staaten, so auch im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und den späteren politischen Einheiten. Damit lassen sich an ihrem Beispiel zahlreiche Fragen zur Existenz einer kulturell und religiös andersartigen Minderheit erörtern, nicht nur im Hinblick auf diese selbst, sondern auch mit Blick auf den Umgang mit Juden durch die Mehrheitsgesellschaft. Unter Beachtung dieser Perspektive lässt sich somit jüdische Geschichte als ein faszinierendes Feld betreiben, dem jedoch offenbar wegen des besonderen Forschungsgegenstandes und der damit verbundenen, notwendigen Spezialkenntnisse noch immer ein wenig die Anerkennung durch die so genannte allgemeine Geschichtswissenschaft fehlt. Zu oft wird jüdische Geschichte als „Sonderfall“ verstanden. Jedoch kann sie ohne gute Kenntnisse der allgemeinen Zusammenhänge nicht seriös betrieben werden. Daher sollte jüdische Geschichte nicht als „Nischenfach“, sondern vielmehr als Teil der allgemeinen Geschichte verstanden werden. Wie im Weiteren und auf vielen Seiten dieses Buches zu sehen sein wird, waren Juden trotz ihrer religiösen, kulturellen und rechtlichen Sonderstellung auch immer Teil der allgemeinen Gesellschaft, partizipierten zusehends an ihr und konnten sie an nicht wenigen Stellen beeinflussen – ein Umstand, der noch immer viel zu wenig gewürdigt wird.

Unbestreitbar ist es für eine tiefere Beschäftigung mit jüdischer Geschichte notwendig, nicht nur historische Fakten und Zusammenhänge zu verinnerlichen und den allgemeinen Kontext im Blick zu haben: Ohne Grundverständnisse der Besonderheiten der jüdischen Religion und Kultur sowie der Kenntnis jüdischer Geschichte in ihrer gesamten Breite wird die Beschäftigung mit Themen aus diesem Bereich immer mit gewissen Lücken behaftet bleiben. Solche Lücken weisen einige Arbeiten auf, die zwar eindeutig die Motivation der Erhellung meist lokaler oder regionaler jüdischer Geschichte aufweisen und dies auch vielfach leisten, aber meist auf Grundlage externer Quellen betrieben wurden (die zugegebenermaßen häufig die einzig verfügbaren Quellen sind). In jüngster Zeit hat sich das Bild in dieser Hinsicht etwas gewandelt, da mehr und mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über doppelte Kompetenzen sowohl als Historiker wie als Judaisten verfügen. Auch wenn nicht jeder Interessierte am Thema ad hoc diese Kompetenzen für sich erlangen kann, so soll doch das vorliegende Buch dazu ermuntern bzw. ein Grundwissen für Studierende der frühneuzeitlichen Geschichte und Interessierte zur Verfügung stellen.

Zielsetzungen

Diese Arbeit folgt keinem chronologischen Konzept. Vielmehr versucht sie, ausgehend von der Situation zu Beginn des 16. Jahrhunderts, die verschiedenen Aspekte jüdischen Lebens innerhalb der Epoche darzustellen, nicht ohne dabei intensiv auf die Entwicklungen über die rund 300 betrachteten Jahre zu verweisen. Ausgehend von allgemeinen Überlegungen zur Forschungsgeschichte und der Einbettung der Thematik in den Wissenschaftskontext wird zunächst die Situation der Juden in der christlichen Umwelt dargestellt. Darauf folgen Betrachtungen zur Autonomie und dem politischen Handeln, an die sich Fragen zur Religion, Kultur und Alltag der frühneuzeitlichen Juden anschließen. Eine Darstellung der allgemeinen Charakteristika des Judentums wird hier jedoch nicht erfolgen. Dies ist in der Literatur schon wiederholt realisiert worden und würde den Rahmen des vorliegenden Buches sprengen. Weiter folgen Ausführungen zur Berufsstruktur und Existenz und abschließend, nun dennoch an eine Chronologie anknüpfend, die Darstellung der im Verlauf der Epoche zunehmenden Akkulturation und schließlich der Aufklärung am Ende des 18. Jahrhunderts, die den Beginn der Moderne so eindrücklich aufzeigte.

Geschichte der Juden Mitteleuropas 1500-1800

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