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d) Wandel der christlichen Rechtsauffassung gegenüber den Juden
ОглавлениеReuchlin und die Juden im Römischen Recht
Neben der Siedlungssituation und der inneren Verfasstheit wandelte sich allmählich auch die Stellung, die die Juden im Rechtssystem des Reiches und in der allgemeinen Auffassung einnahmen. Bedingt durch das Fortschreiten des Humanismus setzten innerhalb der christlichen Welt bald neue Ansätze im Denken gegenüber den Juden ein. Besonders tat sich hier Johannes Reuchlin (1455 – 1522) hervor, der sich nicht nur als Humanist und Hebraist bei Kaiser Maximilian I. (1459 – 1519) gegen die Beschlagnahme und Verbrennung jüdischer Bücher einsetzte, sondern auch als Jurist für den Schutz des Eigentums, körperlicher Unversehrtheit und freier Religionsausübung eintrat. Im Rahmen des sich zunehmend durchsetzenden Römischen Rechts maß er den Juden in seiner juristischen Argumentation sogar den Status als cives Romani zu, also als Bürger des Römischen Reiches, die ihr Recht auf juristischem Weg einklagen konnten. Dass sich dieses Konzept auf beiden Seiten, sowohl der christlichen, wie der jüdischen, im Weiteren mehr und mehr durchsetzte, zeigt u. a. die rege Inanspruchnahme der Reichsgerichte (Reichkammergericht in Speyer/Wetzlar; Reichshofrat in Prag/Wien) durch jüdische Prozessparteien in den kommenden Jahrzehnten und Jahrhunderten sowie die dort praktizierte verhältnismäßig objektive Rechtsprechung gegenüber Juden.
E
Hebraisten
Christliche Gelehrte vor allem während des 16. und 17. Jahrhunderts aus dem Umfeld des Humanismus, die sich dem Studium der hebräischen Sprache und Kultur widmeten. Dabei pflegten sie zuweilen auch Kontakte zu jüdischen Gelehrten, nicht selten in Form von Korrespondenz in hebräischer Sprache.
Herrschaftsrechte über die Juden
Innerhalb des Prozesses der zunehmenden Territorialisierung des Reiches ist zu beobachten, dass auch die Rechtsgrundlage jüdischer Existenz einen Wandel vollzog. Das mittelalterliche Modell der vom König bzw. Kaiser verliehenen Privilegien auf der Grundlage des Konzeptes der Kammerknechtschaft der Juden funktionierte schon im frühen 16. Jahrhundert nicht mehr ohne Weiteres, da mehr und mehr Territorialherren auf ihr landesherrliches Recht pochten, das sie einst vom König oder Kaiser als Regal, also als königliches Herrschaftsrecht, verliehen bekommen hatten. Danach waren sie allein berechtigt, über Aufnahme, Duldung oder Ausweisung der Juden zu entscheiden, während der Kaiser ausschließlich auf seine Besitzungen bzw. Herrschaftsräume, neben den Erbländern, hier vor allem die Reichsstädte, beschränkt sein sollte. Da die Kaiser nicht auf dieses Herrschaftsrecht im Rahmen des Reiches verzichten wollten, gab es immer wieder konkurrierende Versuche von Kaiser und Territorialherren, die Rechtshoheit über Juden für sich in Anspruch zu nehmen. Neben wiederholt ausgegebenen kaiserlichen Privilegien in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurden die Rechtsgrundlagen für die territoriale Existenz der Juden zunehmend in den aufkommenden Landesordnungen, häufig auch in supplementären so genannten Judenordnungen fixiert, was als ein erster Schritt zur Einbindung der Juden in das allgemeine Rechtssystem der sich herausbildenden Territorialstaaten angesehen werden kann. Im Gegensatz zum Reich blieb allerdings das Privilegienrecht für die Juden Polens noch längere Zeit von großer Bedeutung.