Читать книгу Disziplinarrecht Baden-Württemberg - Stefan Stehle - Страница 11
Оглавление– Ein Polizeibeamter, der sich subjektiv mit dem Reichsbürger-Spektrum identifiziert und die verfassungsrechtliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennt, verstößt in erheblichem Maße gegen die Pflicht zur Verfassungstreue. Er ist aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.207
52f) Die Beratungs- und Unterstützungspflicht, § 35 Satz 1 BeamtStG. Hierbei ist insbesondere zu beachten.
53aa) Nach § 35 Satz 1 BeamtStG ist der Beamte verpflichtet, seine Vorgesetzten zu beraten und zu unterstützen. Hierunter fällt die Verpflichtung, den Vorgesetzten von sich aus über bedeutsame dienstliche Sachverhalte und Vorgänge zu informieren,208 wie zum Beispiel über Personalausfall, Betriebsstörungen, die eigene Verhinderung an der Dienstleistung, außergewöhnliche Vorgänge, aber auch schwerwiegendes Fehlverhalten von Kollegen.209 Dagegen ist der Beamte schon aus Gründen des Betriebsfriedens nicht verpflichtet, leichte Dienstverstöße von Kollegen dem Vorgesetzten zu melden. Unterlässt der Beamte es, seinen Vorgesetzten über wesentliche Sachverhalte und Vorgänge zu informieren, so kann dies eine Pflichtverletzung nach § 35 Satz 1 BeamtStG darstellen.
54bb) Die Beratungs- und Unterstützungspflicht bedeutet des Weiteren, dass der Beamte bei Auskünften, Befragungen und Stellungnahmen dem Vorgesetzten gegenüber vollständige und wahrheitsgemäße Angaben machen muss,210 weil es mit der Beratungs- und Unterstützungspflicht nicht vereinbar ist, wenn der Beamte in dienstlich relevanten Angelegenheiten die Unwahrheit sagt. Die Wahrheitspflicht dient der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung. Diese Funktionsfähigkeit erfordert eine reibungslose und vertrauensvolle Zusammenarbeit aller Beteiligter, die durch Offenheit und Wahrheit im dienstlichen Umgang geprägt sein muss.211 Diese Wahrheitspflicht gilt bei dienstlichen Befragungen und Stellungnahmen, aber auch bei Angaben und Befragungen zu Reisekosten, Nebentätigkeiten und dergleichen.212
55cc) Die Verpflichtung des Beamten, dem Vorgesetzten gegenüber vollständige und wahrheitsgemäße Angaben machen zu müssen, besteht ausnahmsweise dann nicht, wenn der Beamte sich durch entsprechende Angaben möglicherweise selbst strafrechtlich oder disziplinarrechtlich belasten müsste.213 Das Passivitätsprinzip des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 GG,214 wonach niemand gezwungen ist, sich selbst strafrechtlich oder disziplinarrechtlich belasten zu müssen, gibt dem Beamten in diesen Fällen das Recht, die Aussage in der Sache zu verweigern. Dieses Passivitätsprinzip gilt sowohl während, aber auch schon vor der Einleitung eines Disziplinarverfahrens,215 vgl. auch § 11 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 Satz 2 und 3 LDG.
56dd) Eine Verpflichtung des Beamten, sich zu offenbaren und dadurch möglicherweise sich selbst strafrechtlich oder disziplinarrechtlich belasten zu müssen, besteht allerdings dann, wenn hierfür ein besonderes dienstliches Interesse besteht. So muss ein Beamter, zu dessen dienstlichen Aufgaben auch das Fahren von Kraftfahrzeugen gehört, den Verlust seines Führerscheins etwa wegen einer außerdienstlichen Trunkenheitsfahrt dem Vorgesetzten melden, weil der Dienstbetrieb davon unmittelbar betroffen ist. Ebenso muss ein Dienstkraftfahrer einen dienstlichen Verkehrsunfall melden, weil die Behörde hier unmittelbar betroffen und gegenüber den Unfallbeteiligten rechtlich verpflichtet ist.216 Ansonsten aber ist der Beamte wegen des Passivitätsprinzips nicht verpflichtet, die Dienststelle zu informieren, wenn gegen ihn ein Strafverfahren eingeleitet worden ist.217 Im Übrigen regelt § 49 BeamtStG, zu welchem Zeitpunkt und in welchen Fällen die Strafverfolgungsbehörde die Dienststelle zu informieren hat.
Besonders umstritten war auch die Frage, ob der Beamte im Disziplinarverfahren der Wahrheitspflicht unterliegt, wenn er Angaben zur Sache macht.218 Geht dem Disziplinarverfahren etwa ein sachgleiches Strafverfahren voraus, so hat der Beamte im Strafverfahren das Recht, zu schweigen oder auch unwahre Angaben zu machen. Dann kann aber in einem nachfolgenden Disziplinarverfahren ein Verhalten, welches die Rechtsordnung zuvor im Strafverfahren hinnimmt, nicht als erschwerender Umstand bei der Maßnahmebemessung zur Last gelegt werden. Vielmehr dient es der Wahrung der Einheit der Rechtsordnung, an die Wahrnehmung des Rechts auf Verteidigung auch außerhalb des Strafverfahrens keine staatlichen Sanktionen zu knüpfen. Das wäre aber der Fall, wenn dem Beamten disziplinarrechtlich zum Nachteil gereichen könnte, dass er Verteidigungsmöglichkeiten ausgeschöpft hat, die das Strafprozessrecht zulässt. Unabhängig davon würde man das Recht des Beamten auf angemessene Verteidigung im Disziplinarverfahren erheblich einschränken, wenn man im Disziplinarverfahren eine Wahrheitspflicht annehmen würde. Denn der Beamte wäre dienstrechtlich auf die Wahl beschränkt, entweder zu schweigen oder zu gestehen. Jede nicht der Wahrheit entsprechende Einlassung, insbesondere auch eine verharmlosende Darstellung des Fehlverhaltens, wäre als weitere Dienstpflichtverletzung bei der Maßnahmebemessung erschwerend zu berücksichtigen. Aus diesen Gründen liegt es nahe, die Grenzen der dienstrechtlichen Wahrheitspflicht im Disziplinarverfahren grundsätzlich an den Grenzen des zulässigen Verteidigungsverhaltens im Strafverfahren zu orientieren. Damit wäre die Grenze des dienstrechtlich Zulässigen erst dann überschritten, wenn der Beamte im Disziplinarverfahren wider besseres Wissen Dritte diffamiert oder sonst vorsätzlich gegen die Strafbestimmungen verstößt.219
57ee) Rechtsprechung zu § 35 Satz 1 BeamtStG
– Der Beamte verletzt seine Beratungs- und Unterstützungspflicht nach § 35 Satz 1 BeamtStG, wenn er es unterlässt, seinem Vorgesetzten korruptionsverdächtige Umstände in der Behörde zu melden wie etwa die Kenntnis von Manipulationen bei Ausschreibungen durch Kollegen.220
– Verstößt ein Schulleiter gegen die ihm obliegende Wahrheitspflicht, indem er in den Erhebungsbögen zur amtlichen Schulstatistik bedingt vorsätzlich deutlich überhöhte Schülerzahlen angibt, ist regelmäßig eine Kürzung der Bezüge angemessen.221
– Ein zulässiges Verteidigungsverhalten des angeschuldigten Beamten im Strafverfahren darf nicht als belastender Umstand im Disziplinarverfahren bei der disziplinarrechtlichen Maßnahmebemessung berücksichtigt werden.222
58g) Die Weisungsgebundenheit (Gehorsamspflicht), § 35 Satz 2 BeamtStG.. Die Weisungsgebundenheit des Beamten regelt § 35 Satz 2 und 3 BeamtStG, die persönliche Verantwortung des Beamten für die Rechtmäßigkeit seiner Handlungen § 36 BeamtStG. Daneben gilt für die Rechtmäßigkeit bei der Anwendung unmittelbaren Zwanges, insbesondere durch Polizeibeamte, § 48 LBG, da das BeamtStG insoweit keine Regelungen enthält.
59aa) Nach § 35 Satz 2 BeamtStG ist der Beamte verpflichtet, die vom Vorgesetzten erlassenen Anordnungen und Weisungen auszuführen und zu befolgen. Die Weisungsgebundenheit des Beamten ist unverzichtbar für die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und darüber hinaus notwendige Voraussetzung für die parlamentarische Verantwortung des zuständigen Ressortministers.223 Die Weisungsgebundenheit des Beamten besteht gegenüber allen örtlich und sachlich zuständigen Vorgesetzten. Wer im Einzelfall die zuständigen Vorgesetzten sind, ergibt sich aus dem Geschäftsverteilungsplan (Organigramm) der betreffenden Dienststelle. Die Weisungsgebundenheit bindet den Beamten sowohl an allgemeine Dienstanweisungen,224 ebenso wie an spezielle Einzelweisungen des Vorgesetzten.225 Private Aufträge eines Vorgesetzten fallen nicht darunter.226 Die Weisungsgebundenheit des Beamten gilt grundsätzlich auch bei rechtswidrigen Weisungen,227 es sei denn die Rechtswidrigkeit der Weisung ist auf den ersten Blick erkennbar, etwa weil es sich um eine strafbare Handlung handelt228 oder wenn die Weisung gegen die Menschenwürde verstößt.
Im Disziplinarverfahren schließt das Passivitätsprinzip aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 GG, wonach niemand gezwungen ist, sich selbst strafrechtlich oder disziplinarrechtlich belasten zu müssen,229 bestimmte Weisungen aus. Das Passivitätsprinzip steht solchen Weisungen entgegen und macht sie unzulässig, die eine Mitwirkung an der selbstbelastenden Aufklärung im Disziplinarverfahren anstreben oder zur Folge haben. Deshalb ist zum Beispiel ein Alkotest zur Feststellung einer Alkoholisierung während des Dienstes nur auf freiwilliger Basis möglich230 (vgl. im Übrigen oben Rn. 23).
60bb) Der Beamte ist für die Rechtmäßigkeit seiner dienstlichen Handlungen, auch wenn er auf Weisung des Vorgesetzten gehandelt hat, nach § 36 Abs. 1 BeamtStG persönlich verantwortlich. Das bedeutet, dass der Beamte für Handlungen, die er auf Weisung des Vorgesetzten ausgeführt hat, strafrechtlich, haftungsrechtlich und disziplinarrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann.231 Die Problematik, zum weisungsgemäßen Handeln verpflichtet zu sein und trotzdem für die Handlung persönlich verantwortlich zu bleiben, muss der Beamte durch die Remonstration nach §§ 36 Abs. 2 und 3 BeamtStG, 48 LBG lösen.232 Hat der Beamte Zweifel oder Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit einer dienstlichen Weisung, so hat er diese dem Vorgesetzten gegenüber nach § 36 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG unverzüglich geltend zu machen. Hält dieser die Anordnung aufrecht, so hat der Beamte sich an den nächst höheren Vorgesetzten zu wenden, § 36 Abs. 2 Satz 2 BeamtStG. Besteht auch dieser auf der erteilten Anordnung, so muss der Beamte sie ausführen, ist aber von seiner eigenen Verantwortung befreit, es sei denn, das aufgetragene Verhalten verstößt gegen die Menschenwürde oder ist strafbar oder ordnungswidrig und die Strafbarkeit oder Ordnungswidrigkeit ist für den Beamten erkennbar, § 36 Abs. 2 Satz 3 und 4 BeamtStG. Der Beamte kann eine schriftliche Bestätigung verlangen, § 36 Abs. 2 Satz 5 BeamtStG. In der Kommentierung wird zu Recht darauf hingewiesen, dass das in § 36 Abs. 2 BeamtStG geregelte Verfahren in der Praxis eher selten ausgeschöpft wird. Gleichwohl verleiht schon das bloße Bestehen dieser Regelung auch substantiierten Einwänden des Beamten Gewicht und Bedeutung, welche im Einzelfall auch die Rechtsfolge des § 36 Abs. 2 Satz 3 BeamtStG auslösen können, insbesondere wenn die Einwendungen schriftlich vorgetragen worden sind.233 § 36 BeamtStG enthält keine Regelung für Polizeivollzugsbeamte, die unmittelbaren Zwang anwenden. Deshalb gilt für sie die Regelung des § 48 LBG.
61cc) Rechtsprechung zu § 35 Satz 2 BeamtStG
– Die Gehorsamspflicht gilt grundsätzlich auch bei rechtswidrigen Weisungen, es sei denn die Rechtswidrigkeit ist offenkundig und auf den ersten Blick eindeutig zu erkennen.234
– Zur Frage, inwieweit ein Beamter durch eine dienstliche Weisung in eigenen Rechten betroffen sein kann.235
62h) Die Verschwiegenheitspflicht, § 37 BeamtStG.. Die Verschwiegenheitspflicht ist geregelt in § 37 BeamtStG. Daneben gilt ergänzend die Regelung des § 57 LBG.
63aa) Die Verschwiegenheitspflicht nach § 37 BeamtStG bedeutet, dass der Beamte über die ihm bei oder bei Gelegenheit236 seiner dienstlichen Tätigkeit bekannt gewordenen dienstlichen Angelegenheiten Verschwiegenheit zu wahren hat. Die Verschwiegenheitspflicht sichert die rechtsstaatlich einwandfrei, zuverlässig und unparteiisch arbeitende öffentliche Verwaltung und schützt die persönlichen Rechte und Interessen des Bürgers.237 Sie ist auch Bestandteil der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums nach Art. 33 Abs. 5 GG und bedeutet insoweit auch eine Einschränkung des Grundrechts der Meinungsfreiheit des Beamten nach Art. 5 Abs. 1 GG.238 Sie erstreckt sich auf alle Angelegenheiten, die dem Beamten in Zusammenhang mit seiner dienstlichen Tätigkeit bekannt geworden sind. Dabei ist die Art und Weise der Kenntniserlangung unerheblich.239 Ein Verstoß ist auch durch Unterlassen möglich, etwa bei einer unterbliebenen Sicherung von Personalakten.240 Die Verschwiegenheitspflicht besteht gegenüber allen Personen außer gegenüber dem Vorgesetzten und denjenigen Kollegen, die dienstlich mit der entsprechenden Angelegenheit befasst sind.241 Die Verschwiegenheitspflicht gilt auch nach Beendigung des Beamtenverhältnisses und auch im Ruhestand, §§ 37 Abs. 1 Satz 2, 47 Abs. 2 BeamtStG.
64bb) Die Verschwiegenheitspflicht gilt nicht,
– soweit Mitteilungen im dienstlichen Verkehr geboten sind, § 37 Abs. 2 Nr. 1 BeamtStG,
– soweit Tatsachen mitgeteilt werden, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen, § 37 Abs. 2 Nr. 2 BeamtStG,
– soweit gegenüber den in § 37 Abs. 2 Nr. 3 BeamtStG genannten Behörden ein durch Tatsachen begründeter Verdacht einer Korruptionsstraftat nach §§ 331 bis 337 StGB angezeigt wird.
Unberührt von der Verschwiegenheitspflicht bleiben die gesetzlich begründeten Pflichten, geplante Straftaten anzuzeigen und für die Erhaltung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung einzutreten, § 37 Abs. 2 Satz 2 BeamtStG. Für alle Personen, die Aufgaben und Befugnisse im Bereich der Personalvertretung wahrnehmen, gilt daneben die Regelung des § 7 LPVG. Unberührt von den Regelungen des § 37 BeamtStG bleiben schließlich spezielle gesetzliche Geheimhaltungsvorschriften. Dazu zählen die Straftatbestände der §§ 201, 203, 204, 206, 353b und 355 StGB, der Datenschutz (§ 6 LDG), das Sozialgeheimnis (§ 35 SGB AT) und das Steuergeheimnis (§ 30 AO).
65cc) Ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht liegt beispielsweise vor, wenn sich ein Beamter bei innerdienstlichen Meinungsverschiedenheiten mit dem Vorgesetzten an die Öffentlichkeit wendet („Flucht in die Öffentlichkeit“), insbesondere um dadurch Unterstützung für seine Auffassung zu finden. Ein Verstoß gegen § 37 BeamtStG liegt auch vor wenn ein Polizeibeamter einen zur Festnahme Ausgeschriebenen darüber informiert, dass er im Computer der Polizei erfasst ist242 oder Daten für einen Bekannten aus polizeilichen Datendateien ohne dienstliche Veranlassung abfragt und diese an Dritte weitergibt.243 Die Schwere der Pflichtverletzung hängt davon ab, welche der Verschwiegenheitspflicht unterliegenden Tatsachen mitgeteilt worden sind. Wendet sich ein Beamter wegen innerdienstlicher Meinungsverschiedenheiten an die Öffentlichkeit, so ist dies in aller Regel nur ein leichtes Dienstvergehen.244 Wesentlich schwerwiegender ist dagegen, wenn etwa ein Mitarbeiter einer Ordnungs- oder Polizeibehörde außenstehenden Dritten mitteilt, wann und wo welche Kontrollmaßnahmen durchgeführt werden sollen.
66dd) Rechtsprechung zu § 37 BeamtStG
– Ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht liegt vor, wenn innerdienstliche Meinungsverschiedenheiten in die Öffentlichkeit getragen werden („Flucht in die Öffentlichkeit“). Dem Beamten ist es verwehrt, interne Meinungsverschiedenheiten nach außen zu tragen.245
– Die „Flucht in die Öffentlichkeit“ ist eine Pflichtverletzung, wenn sich der Beamte an die Öffentlichkeit wendet, um so seine Interessen gegenüber dem Vorgesetzten besser vertreten zu können. Derartige Pflichtverletzungen werden von der Rechtsprechung regelmäßig als leichtes Dienstvergehen angesehen und mit einem Verweis oder einer Geldbuße geahndet. Deshalb sind in diesen Fällen Zwangsmaßnahmen wie Beschlagnahme oder Durchsuchung nach § 17 LDG unverhältnismäßig und daher unzulässig.246
– Eine Pflichtverletzung liegt vor, wenn ein Beamter versucht, eigene Vorstellungen über innerdienstliche Angelegenheiten durch eine „außerdienstliche Lobby“ zu verstärken, und er sich zu diesem Zweck an die Öffentlichkeit wendet. Ein anderer Maßstab gilt jedoch dann, wenn der Beamte eindeutig als Vertreter einer Gewerkschaft auftritt. In diesem Bereich ist er „natürlicher Widerpart des Dienstherrn“ und hat auch wegen des Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG einen größeren Freiraum.247
67i) Pflichten in Zusammenhang mit Nebentätigkeiten des Beamten, §§ 40 BeamtStG, 60 bis 66 LBG. § 40 BeamtStG enthält nur eine sehr unvollständige und nicht abschließende Regelung zum Nebentätigkeitsrecht, die nur Mindeststandards festlegt und die genauen Regelungen dem Landesrecht überlässt. Deshalb bleiben auch nach Inkrafttreten des BeamtStG die landesrechtlichen Nebentätigkeitsregelungen der §§ 60 bis 66 LBG ebenso anwendbar wie die Landesnebentätigkeitsverordnung (LNTVO) und die Hochschulnebentätigkeitsverordnung (HNTVO).248
68aa) Sinn und Zweck des Nebentätigkeitsrechts. Durch die Regelungen des Nebentätigkeitsrechts soll verhindert werden, dass durch die Ausübung einer Nebentätigkeit dienstliche Interessen beeinträchtigt werden können, § 62 Abs. 2 und 3 LBG. Darunter ist insbesondere eine übermäßige zeitliche Inanspruchnahme des Beamten durch die Ausübung der Nebentätigkeit, eine mögliche Interessenkollision zwischen Hauptamt und Nebentätigkeit oder eine Gefährdung des Ansehens der öffentlichen Verwaltung zu verstehen. Keine solche Beeinträchtigung dienstlicher Interessen sind dagegen andere Gesichtspunkte, etwa arbeitsmarktpolitische oder wirtschaftspolitische Gründe.249 Liegt eine solche mögliche Beeinträchtigung dienstlicher Interessen nach § 62 Abs. 2 und 3 LBG nicht vor, ist die Genehmigung zu erteilen bzw. darf die Nebentätigkeit ausgeübt werden. Ein Ermessen der Dienststelle besteht insoweit nicht. Der Beamte hat insoweit vielmehr einen Rechtsanspruch auf Erteilung der Genehmigung bzw. Ausübung der Nebentätigkeit, weil die Grundrechte der Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 GG auch das Recht beinhalten, in der Freizeit eine entgeltliche Tätigkeit auszuüben.250
69bb) Der Begriff der Nebentätigkeit. Nebentätigkeit ist jede nicht zum Hauptamt des Beamten gehörende Tätigkeit innerhalb oder außerhalb des öffentlichen Dienstes.251 Ausgenommen sind unentgeltliche Tätigkeiten, die nach allgemeiner Anschauung zur persönlichen Lebensgestaltung gehören,252 § 60 Abs. 1 LBG. Hierunter fallen etwa die Hilfe unter Verwandten und Nachbarn oder die vielfach übliche unvergütete Mitarbeit in Vereinen, Gewerkschaften, politischen Parteien oder Kirchengemeinden.
Nicht als Nebentätigkeit gelten die Wahrnehmung öffentlicher Ehrenämter, wie etwa Gemeinderat, Ortschaftsrat, Kreisrat, Schöffe, ehrenamtlicher Richter oder Verwaltungsrat, und die unentgeltliche Vormundschaft, Betreuung oder Pflegschaft, § 60 Abs. 2 LBG. In diesen Fällen muss die Tätigkeit aber vorher angezeigt werden.
70cc) Die erforderliche Genehmigung. Der Beamte bedarf für die Übernahme einer Nebentätigkeit einer vorherigen Genehmigung, wenn nicht eine Ausnahme nach § 63 Abs. 1 LBG vorliegt, § 62 Abs. 1 LBG. Dabei setzt § 63 Abs. 1 Nr. 1 LBG eine unentgeltliche Nebentätigkeit voraus. Diese Voraussetzung wird nur in atypischen Ausnahmefällen vorliegen, da eine Nebentätigkeit in aller Regel gerade auf einen Verdienst abzielt.253 Unter schriftstellerischer Tätigkeit nach § 63 Abs. 1 Nr. 3 LBG fällt das Verfassen von Texten in Büchern, Zeitungen und Zeitschriften. Keine schriftstellerische Tätigkeit ist das Drucken und Vertreiben des von einem Anderen fertig verfassten Textes.254 Künstlerische Tätigkeit nach § 63 Abs. 1 Nr. 3 LBG ist jede Art von Schaffung oder Darbietung von Kunst, also zum Beispiel durch Theater- oder Musikaufführungen.255 Vortragstätigkeit bedeutet das Abhalten von einzelnen Vorträgen und ist im Einzelfall gegenüber Lehr- und Unterrichtstätigkeit abzugrenzen.256 Eine nicht genehmigungspflichtige Nebentätigkeit nach § 63 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4 LBG sowie eine Tätigkeit in Selbsthilfeeinrichtungen nach Nr. 5, für die eine Vergütung geleistet wird, ist anzeigepflichtig, § 63 Abs. 2 Satz 1 LBG.
71dd) Die Versagungsgründe des § 62 Abs. 2 und 3 LBG. Die Nebentätigkeitsgenehmigung ist zu versagen bzw. die Ausübung der Nebentätigkeit ist nicht zulässig, wenn zu besorgen ist, dass durch die Nebentätigkeit dienstliche Interessen beeinträchtigt werden, § 62 Abs. 2 Satz 1 LBG. Dies ist der Fall, wenn bei verständiger Würdigung der gegenwärtig erkennbaren Umstände unter Berücksichtigung der erfahrungsgemäß zu erwartenden Entwicklung eine Beeinträchtigung dienstlicher Interessen wahrscheinlich ist.257 Zur Konkretisierung sind in § 62 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 4 und Abs. 3 LBG Fallgruppen genannt, die in der Praxis den ganz überwiegenden Teil der Versagungsgründe umfassen dürften.
72Nach § 62 Abs. 3 LBG ist die Genehmigung zu versagen, wenn sie nach Art und Umfang die Arbeitskraft des Beamten so stark in Anspruch nimmt, dass die ordnungsgemäße Erfüllung seiner dienstlichen Pflichten behindert werden kann, § 62 Abs. 3 Satz 1 LBG, also eine Beeinträchtigung der Dienstleistungspflicht nach § 34 Satz 1 BeamtStG zu befürchten ist. Diese Regelung wird durch die Fünftelvermutung des § 62 Abs. 3 Satz 2 LBG konkretisiert, wonach die Voraussetzung des § 62 Abs. 3 Satz 1 LBG in der Regel als erfüllt gilt, wenn die zeitliche Beanspruchung durch eine oder mehrere Nebentätigkeiten in der Woche ein Fünftel der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit überschreitet. Die Fünftelvermutung gilt für alle genehmigungspflichtigen und alle genehmigungsfreien Nebentätigkeiten. Bei der Fünftelvermutung handelt es sich jedoch nur um Anhaltspunkte. Maßgebend bleibt die individuelle Arbeitsbelastung des einzelnen Beamten.258 Abweichungen sind daher sowohl nach unten als auch nach oben möglich. Liegen die Voraussetzungen der Fünftelvermutung vor, so kehrt sich die Beweislast um und der Beamte muss aufzeigen, dass in seinem Fall besondere Umstände eine Genehmigung rechtfertigen.259 Für beurlaubte und teilzeitbeschäftigte Beamte gilt die Regelung des § 62 Abs. 3 Satz 4 LBG. Die Fünftelvermutung gilt auch für Beamte, die der allgemeinen Arbeitszeitregelung nicht oder nicht voll unterliegen wie z. B. Lehrer. Für Hochschullehrer gilt jetzt die Neuregelung des § 62 Abs. 3 Satz 5 LBG.
73Nach § 62 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 4 LBG ist die Genehmigung zu versagen, wenn die Nebentätigkeit den Beamten in einen Widerstreit mit seinen dienstlichen Pflichten bringen kann, § 62 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 LBG, wenn die Nebentätigkeit die Unparteilichkeit oder Unbefangenheit des Beamten beeinflussen kann, § 62 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 LBG, wenn die Nebentätigkeit zu einer wesentlichen Einschränkung der künftigen dienstlichen Verwendbarkeit des Beamten führen kann, § 62 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 LBG oder wenn die Nebentätigkeit dem Ansehen der öffentlichen Verwaltung abträglich sein kann, § 62 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 LBG. Diese Untersagungstatbestände können nicht immer getrennt voneinander betrachtet werden, die Grenzen sind zum Teil fließend.260 Sie werden alle von dem Ziel bestimmt, jeden Anschein eines möglichen Interessen- oder Loyalitätskonflikts zu vermeiden. Unter diesen Gesichtspunkten sind folgende Nebentätigkeiten unzulässig:
– Ein Steuerbeamter ist nebenbei in einem Lohnsteuerhilfeverein tätig.261
– Ein Lehrer ist Geschäftsführer eines Reisebüros und zugleich mit der Planung und Durchführung von Klassenfahrten befasst262 oder erteilt außerschulischen Nachhilfeunterricht für die Schüler seiner Schule.263
– Ein Polizeibeamter ist nebenbei tätig als Warenhausdedektiv,264 als Kontrollmitarbeiter im Rundfunkgebührenwesen,265 als Taxifahrer266 oder im privaten Sicherheitsgewerbe267.
– Ein Amtsarzt eröffnet nebenbei eine private Praxis.268
– Ein Hochschullehrer führt nebenbei Aufträge aus, die auch das Hochschulinstitut, dem er angehört, erledigen kann oder will.269
– Ein beamteter Arzt eines Gesundheitsamtes wird tätig für eine private Pflegeversicherung.270
74Die Ausübung einer nicht genehmigten Nebentätigkeit während einer Dienstunfähigkeit wegen Krankheit hat die Gerichte in jüngster Zeit mehrfach beschäftigt.271 Die Ausübung einer Nebentätigkeit zu einer Zeit, in der der Beamte wegen Krankheit keinen Dienst verrichtet, ist ein Verstoß gegen die Gesunderhaltungspflicht des § 34 Satz 1 BeamtStG, wenn die Nebentätigkeit nach Art und Umfang generell geeignet ist, die Wiederherstellung der Dienstfähigkeit zu beeinträchtigen. Eines konkreten medizinischen Nachweises bedarf es nicht.272 Denn der Beamte hat, wenn er wegen Krankheit keinen Dienst leisten kann, alles ihm Zumutbare zu tun, um eine rasche Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit herbeizuführen. Nichts anderes kann aber auch für eine genehmigte Nebentätigkeit gelten. Wer wegen einer krankheitsbedingten Dienstunfähigkeit dem Dienst fernbleibt, muss sich während der Krankschreibung der genehmigten Nebentätigkeit enthalten, jedenfalls dann, wenn die Nebentätigkeit geeignet ist, die alsbaldige und nachhaltige Genesung zu beeinträchtigen.273 Fühlt der Beamte sich imstande, Dienstleistungen auch nur in beschränktem Umfang wieder zu erbringen, so handelt er pflichtwidrig, wenn er sie seinem Dienstherrn nicht anbietet, der ihm das Gehalt weiterbezahlt und ihm aus Anlass der Krankheit soziale Vorteile gewährt.274
Daneben kann bei einer Nebentätigkeit während der Zeit einer Krankschreibung auch ein Verstoß gegen § 62 Abs. 2 Nr. 4 LBG vorliegen, denn die Öffentlichkeit hat kein Verständnis dafür, dass ein staatlich alimentierter Beamter zwar keinen Dienst leisten kann, aber trotzdem in dieser Zeit einer Nebentätigkeit nachgeht.275 Ein solches Verhalten ist geeignet, dem Ansehen der öffentlichen Verwaltung abträglich zu sein.
75ee) Rechtsprechung zum Nebentätigkeitsrecht
– Ein schweres Dienstvergehen und ein Verstoß gegen die Gesunderhaltungspflicht liegen regelmäßig vor, wenn ein Beamter in Zeiten, in denen er wegen Krankschreibung keinen Dienst leistet, eine ungenehmigte Nebentätigkeit ausübt. Dabei bedarf es auch keines konkreten Nachweises, dass die Nebentätigkeit den Gesundungsprozess behindert oder verzögert hat. Ein solches Verhalten stößt vielmehr sowohl beim Dienstherrn als auch in der Allgemeinheit auf Unverständnis und weckt erhebliche Zweifel an der Integrität des Beamten. In diesen Fällen ist daher regelmäßig die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder die Zurückstufung in Betracht zu ziehen, wenn dies über einen längeren Zeitraum geschieht.276
– Ein Untersagungsgrund nach § 62 Abs. 2 Nr. 4 LBG liegt auch dann vor, wenn zu befürchten ist, dass der Beamte die Nebentätigkeit teilweise während der Arbeitszeit wahrnimmt. Dabei genügen berechtigte Zweifel des Dienstherrn. Denn die Bevölkerung hätte wenig Verständnis, wenn ein mit Steuergeldern alimentierter Beamter der Nebentätigkeit mehr Aufmerksamkeit widmen würde wie seinem eigentlichen Beruf.277