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2.Das Dienstvergehen

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3Das Dienstvergehen ist ein zentraler Begriff des Disziplinarverfahrens. Der Begriff des Dienstvergehens ist in § 47 BeamtStG definiert. Danach liegt ein Dienstvergehen vor, wenn der Beamte schuldhaft eine ihm obliegende Pflicht verletzt hat, § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG. Die Verfolgung von Dienstvergehen der Landes- und Kommunalbeamten in Baden-Württemberg regelt das Landesdisziplinargesetz (LDG),7 vgl. § 1 LDG. Voraussetzung für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens ist, dass tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen, § 8 Abs. 1 LDG. Voraussetzung für die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme ist, dass der Beamte tatsächlich ein Dienstvergehen begangen hat.

4a) Die einzelnen Dienstpflichten für Landes- und Kommunalbeamte in Baden-Württemberg ergeben sich in erster Linie aus dem Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz),8 (vgl. §§ 33 ff. BeamtStG). Daneben ergeben sich die Pflichten weiterhin aus dem Landesbeamtengesetz Baden-Württemberg (LBG), soweit das BeamtStG keine oder keine abschließende Regelung enthält,9 wie dies etwa für den Bereich der Nebentätigkeiten10 oder der Teilzeitbeschäftigung der Fall ist, vgl. §§ 40 und 43 BeamtStG. Neben dem BeamtStG und dem LBG können sich Dienstpflichten für Landes- und Kommunalbeamte in Baden-Württemberg auch aus weiteren Gesetzen ergeben, etwa aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG),11 welches vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz schützt,12 oder für Polizeibeamte auch aus dem Legalitätsprinzip nach § 163 StPO. Schließlich können Dienstpflichten auch aus Verwaltungsvorschriften oder Dienstanweisungen des (Dienst-)Vorgesetzten begründet werden, an die der Beamte nach § 35 Satz 2 BeamtStG gebunden ist.

Dabei ist im Einzelfall aufzuzeigen, welches konkrete Verhalten des Beamten gegen welche konkrete Dienstpflicht verstößt.13 So kann beispielsweise unentschuldigtes Fernbleiben vom Dienst an einem genau zu bezeichnenden Zeitraum gegen die Pflicht nach § 34 Satz 1 BeamtStG (vgl. Rn. 15 ff.) verstoßen, eine Unterschlagung oder Untreue zum Nachteil des Dienstherrn nach §§ 246, 266 StGB kann einen Verstoß gegen § 34 Satz 2 und 3 BeamtStG darstellen (vgl. Rn. 26 ff. und 34 ff.) und die Missachtung einer konkreten dienstlichen Weisung kann einen Verstoß gegen § 35 Satz 2 BeamtStG darstellen (vgl. 58 ff.).

5b) Der Beamte kann gegen eine bestehende Pflicht sowohl durch aktives Tun als auch durch Unterlassen verstoßen.14 Dabei passen die strafrechtlichen Begriffe „Versuch/Vollendung“ und „Täterschaft/Teilnahme“ nicht für das Disziplinarrecht. Wer einem anderen Beamten bei dessen Dienstvergehen auch nur behilflich ist, begeht ein eigenes Dienstvergehen und nicht etwa nur bloße Beihilfe. Dabei ist entscheidend für den Tatbestand einer Pflichtverletzung schon der Handlungswille, nicht dagegen erst der Erfolg.15 Deshalb kann auch in der strafrechtlichen Vorbereitungs- oder Versuchshandlung eine selbstständige Pflichtverletzung liegen. Ein versuchtes Dienstvergehen gibt es nicht.

Die alte Streitfrage, ob der bloße Verdacht einer Pflichtverletzung schon ein eigenes Dienstvergehen darstellen kann,16 hat durch die neuere Rechtsprechung des BVerwG eine erfreuliche Klarstellung gefunden. Danach verbietet schon die verfassungsrechtliche Unschuldsvermutung, dass allein die Erweckung des Verdachtes eines Dienstvergehens schon als Verstoß gegen § 34 Satz 3 BeamtStG gewertet werden kann.17 Erforderlich ist vielmehr, dass dem Beamten ein konkreter Verstoß gegen eine konkrete Dienstpflicht nachgewiesen wird.

6c) Ein Verhalten des Beamten außerhalb des Dienstes stellt nach § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG nur dann ein Dienstvergehen dar, wenn es nach den Umständen des Einzelfalles in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für das Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Für den Beamten wird also ein großzügigerer Maßstab angelegt, weil er nicht im Dienst ist, sondern als Privatperson auftritt. Dabei kommt es für die Frage, ob ein Fehlverhalten als innerdienstlich oder als außerdienstlich zu bewerten ist, nicht unbedingt darauf an, ob es während der Dienstzeit stattgefunden hat (formelle Dienstbezogenheit). Entscheidend ist vielmehr, ob ein enger sachlicher Zusammenhang mit dienstlichen Aufgaben besteht (materielle Dienstbezogenheit).18 So ist der Verrat von Dienstgeheimnissen gegen Geld auch dann eine innerdienstliche Pflichtverletzung, wenn dies außerhalb der Dienstzeit und in der Privatwohnung des Beamten erfolgt ist. Umgekehrt ist ein Betrug gegenüber einem Kreditinstitut auch dann eine außerdienstliche Pflichtverletzung, wenn die unwahren Angaben der Bank gegenüber während der Arbeitszeit gemacht worden sind.

Bei der Frage, inwieweit ein außerdienstliches Fehlverhalten eines Beamten auch ein Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG darstellt, ist auch die geänderte und für den Beamten günstigere Rechtsprechung des BVerwG19 zu beachten. Danach hat sich die gesellschaftliche Auffassung insoweit geändert, als dass von einem Beamten außerdienstlich kein wesentlich anderes Sozialverhalten erwartet wird als von einem Durchschnittsbürger. Ein außerdienstliches Fehlverhalten kann den Pflichtenkreis des Beamten nur berühren, wenn es die Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit betrifft und dadurch mittelbar dienstrechtliche Relevanz erlangt. Eine Pflichtverletzung allein reicht hier zur Annahme eines Dienstvergehens nicht aus. Hinzutreten müssen weitere auf die Eignung zur Vertrauensbeeinträchtigung bezogene Umstände. Ob und in welchem Umfang durch das außerdienstliche Verhalten eines Beamten das für sein Amt erforderliche Vertrauen beeinträchtigt wird, hängt in maßgeblicher Weise von Art und Intensität der jeweiligen Verfehlung ab. Dabei kommt vorsätzlich begangenen Straftaten eine besondere Bedeutung zu.20

Maßgeblich dabei ist auch, ob der Pflichtenverstoß des Beamten einen Bezug zu seinem Amt hat. So haben etwa Polizeibeamte von Berufs wegen Straftaten zu verhüten, aufzuklären und zu verfolgen. Sie genießen daher in der Öffentlichkeit eine besondere Vertrauens- und Garantenstellung. Dieses berufserforderliche Vertrauen wird in besonderem Maße beeinträchtigt, wenn Polizeibeamte selbst Straftaten begehen.21 Entsprechendes gilt bei außerdienstlichen Vermögensdelikten von Kassenbeamten oder Sittlichkeitsdelikten von Lehrern im privaten Bereich.22

7d) Auch ein Fehlverhalten im Ruhestand kann eine Dienstpflichtverletzung darstellen, soweit gegen eine Dienstpflicht verstoßen wurde, die auch noch im Ruhestand besteht. Im Ruhestand gelten insbesondere die Pflicht zur Verfassungstreue nach § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG, die Verschwiegenheitspflicht nach § 37 BeamtStG, hinsichtlich der Ausübung einer Erwerbstätigkeit § 41 BeamtStG und das Verbot der Annahme von Belohnungen und Geschenken nach § 42 BeamtStG, vgl. § 47 Abs. 2 BeamtStG.

8e) Nach § 47 Abs. 1 BeamtStG muss die Pflichtverletzung schuldhaft begangen sein.

9aa) Wer eine Pflichtverletzung begeht, handelt regelmäßig auch rechtswidrig. Rechtfertigungsgründe sind im Disziplinarrecht selten. Im Einzelfall können in Betracht kommen eine Pflichtenkollision23 oder die Remonstration bei einer rechtswidrigen Weisung,24 vgl. auch nachfolgende Ausführungen unter Rn. 60. Keine Rechtfertigung bedeutet allerdings die stillschweigende Duldung von Fehlverhalten durch den Vorgesetzten. Dies folgt schon daraus, dass grundsätzlich jeder Beamte für den ihm übertragenen Aufgabenbereich selbst verantwortlich ist. Ein geduldetes Fehlverhalten kann allerdings das Maß der Pflichtwidrigkeit mindern und insoweit zu einer Milderung der Disziplinarmaßnahme führen.25

10bb) Ein schuldhaftes Dienstvergehen liegt nur vor, wenn der Beamte die Pflichtverletzung vorsätzlich oder fahrlässig begangen hat.26 Vorsätzlich handelt, wer den disziplinarrechtlichen Tatbestand mit Wissen und Wollen verwirklicht. Hält der Beamte die Verwirklichung des Tatbestandes nur für möglich, nimmt er ihn jedoch in Kauf, handelt er bedingt vorsätzlich. Fahrlässigkeit liegt vor, wenn diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen wird, zu welcher der Beamte nach den Umständen des Einzelfalles und seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und im Stande ist.27 Auch ein fahrlässiges Verhalten kann demnach ein Dienstvergehen darstellen, wobei aber der Grad der Fahrlässigkeit bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme von Bedeutung sein kann.

11cc) Die Feststellung des Verschuldens setzt neben Vorsatz oder Fahrlässigkeit auch die Schuldfähigkeit des Beamten voraus. Im Disziplinarrecht werden die Regelungen der §§ 20 und 21 StGB analog angewendet. Liegen die Voraussetzungen des § 20 StGB vor, so entfällt mangels Schuldfähigkeit ein Dienstvergehen. Dagegen ändert das Vorliegen einer verminderten Schuldfähigkeit nach § 21 StGB nichts am Vorliegen einer schuldhaften Dienstpflichtverletzung. Dies kann jedoch im Einzelfall bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme von Bedeutung sein.28 In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass auch stillschweigenden Feststellungen zu einer (nicht angenommenen) Schuldunfähigkeit in einem rechtskräftigen Strafurteil die Bindungswirkung des § 14 Abs. 1 LDG für das Disziplinarverfahren zukommen kann.29

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