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Kapitel 5 Bewußte Partnerschaft

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Viele, die den spirituellen Pfad betreten haben, wissen nicht recht, wie sie die geistigen Übungen der Bewußtseinsklarheit mit den devotionalen Praktiken der Herzensöffnung verschmelzen können. Es fällt schwer, unser wachsendes, mühsam errungenes Gefühl der Präsenz mit einer grenzenlosen Dankbarkeit gegenüber dem heiligen Unbekannten auszubalancieren. Bei jenen, die in einer bewußten, engagierten Beziehung leben, treffen diese beiden Wege zusammen. Dies ist auch der Grund, weshalb eine solche Beziehung sowohl Prüfstein als auch Höhepunkt eines großen Teils der spirituellen Praxis ist.

Die achtsame Arbeit mit allen Erscheinungen des Geistes, die das Herz verdunkeln, ist der Pfad, auf dem Herz und Geist zusammentreffen. Während wir all das, was sich in einer Beziehung entfaltet, in die Arbeit an uns selbst integrieren und als Schrot für die Mühle inneren Fortschritts verwenden, dringt auch das leiseste Geflüster an unser Ohr: das „Unbewußte“ wird uns „bewußt“.

Der Verstandesgeist unterteilt die Welt in Millionen Bruchstücke. Das Herz vereint sie zu einem Ganzen. Ein „präsentes Herz“ zu entwickeln, ist die Grundbedingung für das Empfangen der unvergleichlichen Gaben, die eine Partnerschaft uns bietet – in spiritueller wie auch psychologischer Hinsicht. Darin besteht eine der Intentionen dieser Arbeit: die faszinierende Klarheit eines innerlich zentrierten Gewahrseins mit dem Drang nach der Vereinigung mit dem Mysterium, mit dem Heiligen zu harmonisieren – als Göttlicher Geliebter, als Elternteil, als Kind, als Baum, als Himmel, als Großmutter Erde.

In einer bewußten Beziehung verschmelzen diese beiden wesentlichen Elemente. Achtsamkeit, die Übung der Konzentration des Gewahrseins auf den gegenwärtigen Augenblick, erweckt eine tiefe Bereitschaft, alte mechanische Muster, Zwänge und Abwehrhaltungen zu überschreiten. Wie auf einer Blindenschrift tasten wir uns weiter zur elementaren Wirklichkeit, erspüren unsere Route von Augenblick zu Augenblick, bemerken jeden Winkel und jede Ritze und dringen behutsam bis ins Zentrum vor. Diese Fähigkeit der Erkundung erlaubt es einer bewußten Beziehung, bewußt zu bleiben und das Auf und Ab des Geistes aufmerksam zu verfolgen, dessen schwankende Dichte das Herz der Einheit und Freude so leicht verschleiern kann.

Die devotionale Qualität einer bewußten Beziehung läßt uns den Partner nicht als den anderen, sondern als Selbst erkennen. Dann öffnen wir uns diesem „anderen Selbst“ als dem Liebespartner. Durch den devotionalen Charakter der Beziehung sieht man den Liebespartner als die reine Essenz des Seins und entdeckt das Göttliche sogar in der Entfaltung der geistigen Prozesse – was die Gedanken durch den Geist bewegt, erweist sich als exakt dieselbe Energie, die auch die Sterne über den Himmel ziehen läßt. Im Strom des Bewußtseins erblicken wir die Zehntausend Manifestationen des Heiligen. Wenn man auf diese Weise schaut, wird offenbar, daß der andere nicht perfekt sein muß, um für dich perfekt zu sein. Und der Alptraum der Perfektion, der die Schönheit eines erlesenen Herzens verzerrt, schwindet mehr und mehr. Man erkennt den anderen als göttliches Geschenk, als Mitverschworenen auf dem Pfad in die unbeschreibliche Weite. Größer als der Geist, ja sogar größer als das Herz sind Liebende, die ohne Vorbehalt füreinander da sind – und dennoch dem Göttlichen Geliebten ihre tiefste Aufmerksamkeit schenken.

Vielleicht erfahren wir dann wie Ondrea in tiefer Meditation die Göttliche Mutter, die Barmherzige Mutter, die sich uns nähert und flüstert: „Du bist immer in meinen Armen geborgen. Du brauchst nur deinen Kopf an meine Schulter zu lehnen.“ Und wir werden überwältigt von Dankbarkeit gegenüber unserer wahren Natur – für unsere wahre Natur. Tränen der Freude fließen, wenn wir erkennen, daß die Freiheit so nah ist wie der nächste Atemzug. So nah wie der Atem innerhalb des Atems.

Achtsamkeit zeigt uns die Natur des Schattens, Herzensgüte zeigt uns die Natur des Lichtes. Ohne die Balance dieser Qualitäten entwickeln wir uns entweder mit blinden Augen in der Dunkelheit oder in einem Licht, das uns blendet. Hier wie dort sind wir unfähig, die subtilen Spannungen des Geistes und seiner Impulse im schimmernden Nebel unserer Begierde nach mehr und unserer Sehnsucht nach einem Ende des Leidens wahrzunehmen. Wenn wir aber geradeaus blicken wollen, müssen wir den Schatten mit dem Licht umarmen. Wir lehnen unseren weltverdrossenen und eigensüchtigen Kopf an die heilige Schulter – und in der Umarmung mit der Göttlichen Geliebten löst sich unser Leid in Tränen auf. Das Licht existiert aus sich selbst heraus, der Schatten ist eine Störung des Lichtes durch etwas scheinbar Massives. Mit der Erkundung dieser scheinbaren Massivität der Dinge verliert auch der Schatten seine Konturen, löst sich auf und zerrinnt im präsenten Herzen.

Das Ausbalancieren von Herzenswärme und Achtsamkeit verleiht der Partnerbeziehung eine Qualität der Praktikabilität und Großzügigkeit, die Zuversicht und Freude in den Prozeß unserer Heilung bringt. In den Prozeß, der uns jenseits des Geistes mit der unaussprechlichen Schönheit des Herzens, mit dem Göttlichen Geliebten verschmelzen läßt.

Die bewußte Beziehung kann ein Pfad sein, auf dem wir durch das Verschmelzen der Übungen zur Geistesklarheit mit einer umfassenden Teilhabe am Herzen ganz und gar lebendig werden. Sie ist eine Aufforderung zur Erkundung sowohl jener ständig ablaufenden Konditionierung der kognitiven Mechanismen, die wir „Verstand“ nennen, als auch des starken Heimwehs nach Gott, das uns zur Ganzheit zieht. Wir entwikkeln die devotionale Wesensart, die den anderen als unseren Nächsten, die unsere/n Liebste/n als die Göttliche Geliebte erkennt. In dieser Weise vollzieht sich der Ablauf und die Technik des Loslassens unseres Leidens (die schwerste Arbeit unseres Lebens) im gemeinsamen Herzen unserer Suche nach Vollendung – als eine Mixtur aus konstantem Gewahrsein und zeitloser Präsenz.

Unsere Aufgabe ist es, präsent zu bleiben, offen für das Universum und verletzbar für die Wahrheit. Wenn wir vollkommen präsent sind und den konditionierten Geist studieren, dann wird der, der wir nicht sind, von dem erkannt, der wir tatsächlich sind. Jenseits alter Vorstellungen vom Selbst, so als befänden wir uns zwischen zwei Inkarnationen, entdecken wir uns selbst als den reinen Lebensfunken, der noch keine Form angenommen hat – der noch nicht männlich oder weiblich, reich oder arm, verwundet oder geheilt ist, der noch nicht den Trennungen des Geistes unterliegt. Es ist einfach unser wirkliches Herz, unser universales Sein. Bereit, zu lieben und geliebt zu werden, von Augenblick zu Augenblick für die unbeschreibliche Reise des Geistes zum Geiste neu geboren.

Wenn wir diese tieferen Ebenen des Bewußtseins, die wir als „Herz“ bezeichnen, mit anderen teilen, entdecken wir hinter unserem konditionierten Selbstbild, wer wir tatsächlich sind. Alles, was uns in der Isolation festhält, wird im gemeinsamen Herzen unserer Heilung erfahren. Der eigentliche Akt dieser Befreiung von unserem Leid im heilenden Raum der Beziehung ist ein Akt der gemeinsamen Bindung an die „Heilung, für die wir Geburt annahmen“.

Viele glauben, sie müßten eine Entscheidung treffen zwischen dem Pfad geistiger Kontemplation, den psychologischen, weisheits- und achtsamkeitsorientierten Yoga-Richtungen und dem Pfad des andächtigen Herzens, dem Mysterium, der bedingungslosen Liebe, der Hingabe an den Göttlichen Geliebten, dem Hohelied der Liebe. Doch die Beziehung ist ein Pfad, der alle anderen Richtungen einbezieht.

In Wahrheit sind Unterscheidungen wie die zwischen Herz und Geist ausgesprochen willkürlich. Das Herz ist einfach eine tiefere Ebene des Geistes, ein Kanal zu unserer elementaren Natur. Sobald wir über unsere begrenzte Konditionierung, über unseren alltäglichen Geist hinausgehen, gelangen wir in die bedingungslose Liebe – in das Herz.

Die Partnerbeziehung ist einer der höchsten und schwierigsten Yogas. Yoga bedeutet buchstäblich „Vereinigung“. Alles Getrennte soll mit dem Einen verschmelzen. Ein Aspekt des Yoga ist darauf gerichtet, die einzelnen Teile des Körpers im Großen Körper zu vereinen. Ein weiterer eint den Großen Geist. Und auf einer noch tieferen Ebene vollzieht sich die Vereinigung der „Seele“ mit der Göttlichen Geliebten, des Persönlichen mit dem Universalen. Am Anfang begegnen sich zwei Wesen als Liebende. Dies vertieft und erweitert sich, bis die Liebenden in ihrem Herzen zum Göttlichen Geliebten werden. Hier treffen wir auf die mystische Vereinigung, die in vielen heiligen Schriften angesprochen wird. Es ist die Alchimie der Herzen, die gleich den eng verflochtenen Hemisphären des Gehirns als zwei Hälften eines einzigen Körpers verschmelzen. Hier werden zwei zu einem: zur Göttlichen Geliebten. Es ist die Vereinigung von Geist und Herz, die Heilung, nach der wir Leben um Leben gesucht haben. Diese Einheit vollzieht sich nicht einfach mit einem Partner, sondern mit dem Mysterium selbst, mit unserer grenzenlosen essentiellen Natur. Sie geschieht im Reich der Hingabe, wo diese Hingabe keine Niederlage bedeutet, sondern ein Loslassen des Widerstandes gegen den nächsten Augenblick, die nächste Inkarnation. Widerstand heißt, sich gegen das Weitergehen zu sträuben. So verlangt der Yoga der Beziehung die Bereitschaft, über unseren Widerstand, unsere Grenzen, unser sicheres Territorium hinauszugehen. Eine bewußte, engagierte Partnerschaft bewegt sich jenseits der Theorie, jenseits bequemer Methoden und leidvoller Verhaltensmuster hin zum Praktizieren der lebendigen Wahrheit. Sie läßt die Blicke der Liebenden über den Frühstückstisch hinweg ineinander verschmelzen.

Eine bewußte Beziehung ist der Weg, auf dem der Geist im Herzen versinkt, auf dem unsere angstvollen und separatistischen Neigungen in der Weiträumigkeit unseres wahren Herzens Heilung finden. Sie gestattet eine mystische Vereinigung von solcher Kraft, daß die Unterschiede zwischen mir und dem anderen verschwinden und eine Einheit mit allem entsteht, was ist. Sie dringt in das Geheimnis der Einheit reinen Gewahrseins und reiner Liebe ein. Sie riskiert alles.

In Liebe umarmen

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