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Kapitel 1 Den Pfad beschreiten

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Dieses Buch ist nicht allein dazu bestimmt, in einer geradlinigen Weise gelesen zu werden. Es bietet oftmals einen experimentellen Prozeß. Satz für Satz, Bild für Bild innerlich aufgenommen, läßt es Heilung in Herz, Geist und Körper fließen.

Wir teilen den Prozeß, aus dem wir täglich lernen, zum Nutzen all derer, die ihre Beziehung als Pfad der Selbstergründung nutzen wollen. Diese Arbeit kann man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Dies ist ein Buch über partnerschaftliche Verpflichtung, nicht über partnerschaftliche Abhängigkeit. Und die Techniken lassen sich nicht auf Beziehungen alten Stils anwenden, die von einseitiger Dominanz geprägt wurden und unser allzu menschliches Leid so lange aufrechterhalten haben.

Wenn sich treue Herzen aufrichtig verbinden, findet eine mystische Vereinigung statt. Es ist eine Verbindung zweier Wesen in ihrer Ganzheit, die das Fundament für weitreichende Einsicht und Entwicklung bildet. Es ist eine heilende Zusammenarbeit.

Obwohl wir oft die Begriffe des Verschmelzens, des Einswerdens oder des Aufgehens in der Einheit verwenden, geht es hier nicht darum, daß sich eine Person für eine andere aufgibt. Es geht nicht um „ein Beschränken, ein wechselseitiges Einwilligen, das den einen oder beide Partner der Möglichkeit völliger Freiheit und Entfaltung beraubt“, so wie es der große deutsche Dichter Rilke bei solchen Bindungen fürchtete.

Solange zwei Menschen nur versuchen, eins zu werden, werden sie möglicherweise die Orientierung verlieren. Wenn ihr höchster Anspruch aber in der Einheit jenseits solcher Konzepte besteht – wenn beide Herzen dem universalen Herzen, unserem Geburtsrecht, unserer Urnatur verpflichtet sind – dann kommen beide voran. Und dieser beständige Hochseilakt ist atemberaubend.

Wenn Rilke sagt, man könne im besten Falle erwarten, daß „zwei Einsamkeiten einander schützen, grenzen und grüßen“, dann spricht er davon, was normalerweise erreichbar ist. Man entbrennt nicht für die Göttliche Geliebte. Man liebt einander noch ein wenig mehr als die Wahrheit. Man scheut davor zurück, alles hinzugeben – und den Segen neuer Horizonte zu erschauen.

Der Abstand, den du zu deinem Schmerz, deiner Trauer, deinen vernachlässigten Wunden einnimmst, ist auch der Abstand, den du zu deinem Partner hast. Und der Abstand von deinem Partner bezeichnet deinen Abstand von der lebendigen Wahrheit, deiner eigenen großen Natur. Was auch immer diese Distanz, diese Trennung von uns selbst und unseren Lieben aufrechterhalten mag, es sollte teilnahmsvoll und bewußt erkundet werden. Diese Distanz wird nicht überwunden, indem der eine dem anderen „seinen Freiraum opfert“, sondern indem beide Partner gemeinsam in das Unbekannte eindringen, das zwischen ihnen liegt. Der Geist erschafft den Abgrund, aber das Herz überquert ihn.

Durch eine bewußte Beziehung lernen wir, uns selbst wie auch andere so zu behandeln wie unser einziges Kind. Und achtsam dabei zu sein. Sie läßt uns das Herz nicht brechen. Eine bewußte Beziehung ist in einem Maße heilend und lebensbejahend, wie eine unbewußte Beziehung alten Stils hinderlich und lebensverneinend sein kann. Der ungünstige Effekt solch einer unbewußten Beziehung besteht darin, daß wir so klein in ihr bleiben, weil unser Glück von äußeren Umständen abhängt. Es sind eher Bedürfnisse als Geschenke, die in eine solche Verstrickung eingewoben werden. Eine bewußte Beziehung aber bietet die Möglichkeit, über die Kluft von mir und dem anderen hinweg eine Verbindung ins Herz des geliebten Wesens zu schaffen. Sie gestattet uns Gewahrsein inmitten des Beziehungsgeflechtes. Und dann sieht alles gleich ganz anders aus.

In Liebe umarmen

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