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Kapitel 8 Kleiner Geist, kleines Herz – großer Geist, großes Herz

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Wenn wir vom „Beziehungskummer“, von einem Problem in unserer Liebesbeziehung sprechen, dann vertreten wir gewöhnlich einen Standpunkt, wo wir auf meinen Kummer, auf mein Beziehungsproblem bezogen sind. In einem Kummer, den ich solchermaßen mit „mir“ gleichsetze, bleibt für den „anderen“ nur wenig Raum, ganz zu schweigen vom Göttlichen Geliebten. Da fehlt jeglicher größere Kontext. Alle Erfahrung beschränkt sich auf ein persönliches Gefühl der Abgrenzung, auf ein kleines Ich, das sich mit seinen separaten Inhalten identifiziert. In der Zen-Praxis nennt man dies den kleinen Geist – den Geist, dessen Kontext allein in seiner Vorstellung von sich selbst besteht.

Wie ein Kind, das bei einem Wutanfall puterrot wird und die Luft anhält, weigern wir uns, das Leid loszulassen, das wir aus unserem Kummer schaffen. Wir verwandeln die ganze Welt in „meinen Kummer“. Dann aber, kurz bevor wir ausatmen, wird uns bewußt, daß dieses Festhalten nur auf tiefere Ebenen der Unbewußtheit führt. Und während wir ausatmen, fließt der große Seufzer des Loslassens über die winzige Welt meines Kummers, meiner Probleme hinaus in die Universalität des Kummers, der Probleme. Dies ist der große Geist.

Der kleine Geist ist das Persönliche. Der große Geist ist das Universale.

Der kleine Geist ist auf seine Inhalte bezogen. Der große Geist steht in Beziehung zu seinen Inhalten.

Der Zen-Meister Suzuki Roshi, der uns diese Begriffe näherbrachte, sagte, daß „alle Dinge“ im großen Geist vorhanden sind.

Wenn die Tendenz des kleinen Geistes, sich um seinen Schmerz zusammenzuziehen, in einem gütigen Gewahrsein aufgelöst wird, entsteht ein neuer Kontext, ein neuer Bezugsrahmen. Mein Geist wird zu dem Geist – der kleine Geist wird zum großen Geist. Denn der Raum all unserer problematischen Erfahrungen wird in einen erweiterten, in diesem Augenblick ruhenden Brennpunkt einbezogen. In diesem größeren Raum vollzieht sich eine Verminderung des Widerstandes, ein Preisgeben unseres Leidens an etwas Sanfteres und Urteilsfreieres, das alte Fluchtreflexe und Aggressionen, Schauspielereien und Aversionen überschreiten möchte.

Der kleine Geist identifiziert sich nur mit seinem Inhalt. Der große Geist identifiziert nur den Prozeß.

Wenn wir eine leidvolle Liebesbeziehung betrachten, gleichzeitig aber das Leid in uns selbst beobachten und einfach den Prozeß zu erkennen beginnen, der sich hier entfaltet, dann öffnet sich rings um die bedrückenden Emotionen ein Raum. Und wir entdecken, daß daß es nicht lediglich um unseren Schmerz, um unser Problem geht, sondern um das ureigene Problem des separatistischen Geistes, der im Hinblick auf die völlige Teilhabe an der Beziehung mit der Forderung konfrontiert wird, sich selbst nicht länger den Weg zu versperren. Es geht um das Problem, in einem Geist zu leben, der noch immer mit Konditionierungen befrachtet, noch immer so ungeheilt und verletzt, so kummerbeladen ist – so verdichtet, daß unsere wahre Natur verschleiert wird. Indem wir über die Fokussierung auf meinen Geist in den Prozeß des Geistes eintauchen, erwacht in uns die Ahnung, daß wir Teil einer großen Familie von Wesen sind, die in diesem einen Augenblick in diesem einen Geist und Körper mit diesem einen Problem zu kämpfen haben. Und „mein“ Schmerz, „mein“ Problem wird zu „dem“ Schmerz, zu „dem“ Problem, in einer Beziehung zu leben. Und nun ist auch der Raum für die Göttliche Geliebte vorhanden – selbst inmitten einer Krise.

Wenn uns klar wird, daß der Schmerz, mit dem wir uns alle auseinandersetzen, ein Aspekt unseres subjektiven Kummers und fast ausweglos im kleinen Geist eingeschlossen ist, dann gelangen wir in den großen Geist und nehmen unseren Kummer nicht mehr so persönlich. Beobachten wir konstant die Kollisionen zwischen dem Wunschbild unser selbst und den realen Gegebenheiten, fühlen wir uns genötigt, Ergebnisse herbeizuträumen. Im Gewahrsein des großen Geistes aber, wo der reale Augenblick zählt, gibt es keinen Widerstand gegen unseren Widerstand. Wenn wir uns im Negativen nicht mehr negativ verhalten, uns von den Schatten des alten Geistes nicht länger überraschen oder zu Bewertungen verleiten lassen, erkennen wir, daß es weder die Arbeit unseres Partners noch unsere Arbeit ist, die zu tun ist, sondern einfach nur die Arbeit. Sie gibt uns auf, unsere Verantwortung für diese Inkarnation zu akzeptieren. Sie erfordert die Fähigkeit, aus dem großen Geist heraus zu antworten, statt zwanghaft auf den kleinen Geist zu reagieren. Und sie bedarf eines voll und ganz gelebten Lebens, in dem wir nicht länger bereit sind, in den alten Posen des ungebändigten Kummers zu verharren, den wir alle in uns tragen.

Meinen Egoismus zu betrachten, dürfte sich nur schwer ertragen lassen. Meine kalte Gleichgültigkeit. Meine Furcht vor Intimität. Erkennen wir aber die Furcht vor Intimität, die kalte Gleichgültigkeit, die Furchtsamkeit des Geistes, so wird uns allmählich die Universalität unserer individuellen Heilung bewußt.

Als man Mutter Teresa fragte, wie sie inmitten einer so schwierigen Situation arbeiten könne, sagte sie, daß sie ihre kranken und sterbenden Patienten nur als „Jesus in seiner leidvollen Verkleidung“ sähe. Ähnlich sehen wir auf der anderen Seite des Frühstückstisches jemanden sitzen, der die Grenzen seines Schmerzes auslotet und an der Heilung lebenslanger Konfusionen und Sorgen arbeitet – und allmählich erkennen wir das Problem der Partnerschaft in dem Schmerz, den wir in uns tragen. Betrachten wir also unseren Partner in den Zeiten von Wirrnissen und Sorgen einfach als „den Göttlichen Geliebten in seiner leidvollen Verkleidung“.

Während sich das Herz den Sorgen des Geistes öffnet, zerfließen die Konturen des kleinen Geistes im Kontext unserer menschlichen Situation und Bedingtheit, unserer alltäglichen Trauer, die nun dem großen Geist begegnet und schließlich von ihm getragen wird. Wenn sich der kleine Geist jenseits seines isolierten Leidens dieser universalen Teilhabe öffnet, wird er zum großen Geist, dem Pfad zur Göttlichen Geliebten.

Jesus sagte, daß er sich mitten unter den Menschen befände, die sich in seinem Namen versammeln. Wenn sich zwei Menschen gemeinsam dem Heiligen zuwenden, umgibt sie die Gnade als latente Kraft. Wenn wir mit barmherzigem Gewahrsein an allem teilhaben, was uns begegnet, ohne irgendetwas festzuhalten oder zu verurteilen, erhalten wir direkte Einsicht in die Natur des Bewußtseins selbst. In den Prozeß, der unseren Prozeß trägt. Und wir können einander erfahren, statt uns nur zu „kennen“. Wir tauschen die „lebendige Wahrheit“ nicht mehr gegen ein altersschwaches Denkmodell ein, gegen irgendeine überlebte Vorstellung, die unser Gefühl für jenes Wesen auf der anderen Seite des Frühstückstisches trübt.

Wenn zwei Menschen gemeinsam dem Göttlichen Geliebten entgegenstreben, ist der Boden geweiht, und Prioritäten werden absolut klar.

Und dann tauchen wir in die Perspektiven jener großartigen christlichen Vorstellung ein, die besagt, daß wir alle Zellen im Körper Christi sind. So wunderbar allein schon diese Vorstellung ist – sie wird von ihrer Erfahrung noch weit übertroffen. Wir alle sind Luftblasen im Buddha-Geist. Buddha perlt im Körper der Leere – Teilchen der Unermeßlichkeit.

Anandamaji Ma, eine große indische Heilige und die Verkörperung reiner Hingabe, sagte einmal: „Die Leute kommen zu mir und fragen: ‘Ma, was möchtest Du?’ Sie wissen, was ich möchte, aber was da fragt, ist einfach ihr Ego. Wirklich, das Einzige, was sie mir geben können, ist, daß sie das von der Göttlichen Geliebten Trennende aus ihrer Frage entfernen, und erkennen, wer sie wirklich sind.“ Wenn wir unserem spirituellen Partner etwas geben möchten, das ihm zeigt, „wie sehr wir ihn wirklich lieben“, dann besteht das passendste Geschenk immer im Aufheben jener Trennlinie, über die hinweg Geschenke dargeboten werden.

Und unterscheidet sich dies so sehr von dem, was der Heilige Franziskus meinte, als er uns aufforderte: „Begehrt nicht danach, geliebt zu werden, sondern zu lieben“? Wir sollten nicht nur Geliebter oder Geliebte sein, sondern der/die Göttliche Geliebte. Wir sollten die Liebe nicht erstreben, sondern Liebe sein.

Nisargadatta, ein meisterhafter Lehrer der heiligen Leere und reinen Nichtdualität, dessen Name interessanterweise „Herr Natürlich“ bedeutet, wurde einmal gefragt, wie man mit den separatistischen Eigenschaften umgehen solle, die der kleine Geist in Beziehungen so oft manifestiert. Er sagte: „Laßt jeden Gedanken los außer ‘Ich bin Gott und du bist Gott’.“ Er verschenkte eine Schnellzugfahrkarte. Er machte den Göttlichen Geliebten zum Bahnschaffner. Doch auch bei dieser Schnellzugreise mußt du, wenn die letzte Station erreicht ist, den Rest des Weges zu Fuß zurücklegen.

Dieses Loslassen in die große Liebe ist das kostbare Geschenk der Partnerbeziehung, wenn wir unsere Prioritäten auf unser Geburtsrecht, die unerschöpfliche Heilung richten. Wir akzeptieren die kleinen Triumphe und Niederlagen unserer ewig wechselhaften Vergangenheit und lösen uns von ihnen. Dies ist der kleine Geist, aufgelöst im großen Geist, erfüllt von der Entdeckung des gemeinsamen Weges zur Göttlichen Geliebten – zur Erfahrung, dieser Geliebte zu sein.

In Liebe umarmen

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