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Kapitel 9 Korrekte Grammatik
ОглавлениеDie Göttliche Geliebte ist kein Substantiv, sondern ein Verb – lstheit, die sich unaufhörlich entfaltet. Es ist reine Binheit. In der gleichen Weise und auf der gleichen Ebene bist auch du kein Substantiv, sondern ein sich entfaltender Prozeß. Auch du bist der Göttliche Geliebte, die energetische Soheit, auf die sich weite Teile der devotionalen Literatur, der Dichtkunst und der Heiligen Schriften beziehen, wenn es um den Ausdruck persönlicher Erfahrungen des Göttlichen geht.
Wenn wir unseren Partner als ein Substantiv betrachten, ist er irgendwie nicht ganz so lebendig wie wir. Er ist zu einem Modell, zu einem in unserem Geist eingefrorenen Objekt geworden, statt das Subjekt unseres Herzens zu sein. Wir haben die lebendige Wahrheit durch eine Vorstellung ersetzt, in deren Enge kein Platz für die Göttliche Geliebte bleibt.
Gleich einer geschlossenen Faust hat der kleine Geist den Kontakt zu seiner essentiellen Offenheit verloren. Er hat sich krampfhaft verengt und empfindet jede Lockerung als schmerzhaft. Es erscheint ihm schwierig, die Finger zu lösen, die so lange eine imaginäre Bedrohung des imaginären Selbst umklammert haben. Der kleine Geist wird ständig von seiner ängstlichen Isolation belauert. Er steht nur mit einem Fuß auf dem Boden. Er weigert sich, ganz geboren zu werden. Es ist sein Kummer, der ihn in eine Partnerbeziehung zieht. Er mißt die Welt an seinem eigenen Leid. Doch mit der Zeit läßt jene Verkrampfung Muskeln verkümmern, und wenn uns die Aussicht auf Liebe zu freudigen Pirouetten oder Sprüngen beflügelt, bemerken wir, daß wir nicht beweglich oder stark genug sind. Der kleine Geist erweist sich als zu klein für unsere Träume. Offenbar bedarf die namenlose Unermeßlichkeit, der das heimwehkranke Herz entgegenstrebt, eines größeren Geistes, um sich entfalten zu können.
Für den kleinen Geist ist der Göttliche Geliebte nur eine Vorstellung. Ein neues Rätsel. Doch der große Geist jenseits der Isolation ist entschlossen, keiner Sache auszuweichen und nichts beiseitezuschieben – und nirgendwo stehenzubleiben. Für den kleinen Geist ist eine „angenehme Beziehung“ das höchste der Gefühle. Für den großen Geist ist sie nur ein Startpunkt, nur ein Basislager, von dem aus der Aufstieg erfolgt. Das vertraute Gelände, wo die Forschungsreise zu den verfeinerten Ebenen beginnt, die uns erwarten.
Für den kleinen Geist ist die Göttliche Geliebte bestenfalls ein Ziel – noch etwas, das er nicht „hat“, ein weiterer Mangel, eine weitere Verengung seiner Grenzen. Für den großen Geist ist der Göttliche Geliebte eine Erfahrung, eine beständige Möglichkeit, eine ständige Präsenz. Der kleine Geist denkt die Göttliche Geliebte. Der große Geist verwirklicht ihn.
Der kleine Geist hält sich selbst für seine Gedanken. Der große Geist beobachtet, wie sich die Gedanken von selbst denken.
Der große Geist, so drückte es Suzuki Roshi aus, versorgt die Verlangen des Geistes wie eine ausgedehnte Weide ein wildes Pferd. Wenn wir dieses Wildpferd – unseren alltäglichen Kummer, unsere mürrische Verlegenheit – in einen engen Stall (den kleinen Geist) sperren würden, so sagte er, dann würde es wie wild ausschlagen und die Holzlatten zertrümmern – eine Gefahr für andere und sich selbst. Überließen wir diesem Pferd aber die saftigen grünen Auen und wildblühenden Gefilde einer großen Weide (des großen Geistes), würde es vielleicht anfangs etwas bocken und schnauben, sich schließlich jedoch niederlassen, im Grase wälzen und friedlich ruhen.
Der kleine Geist hat nur Raum für Einen. Und auch hier wird der Platz schon etwas knapp. Der große Geist aber hat für alles Raum, auch für euch beide. Der kleine Geist bewältigt kaum zwei Dinge zur gleichen Zeit. Der große Geist hat Raum für alle Zeit und für den stetigen Fluß aller Dinge. Im großen Geist schwebt der kleine Geist recht bequem dahin.
Wenn du ein Verb bist, wirst du nicht mehr von deinen Beschränkungen, von deinen Kapazitäten und Dualitäten definiert. Und das grenzenlose Sein, die unvergleichliche Ruhe und Erfüllung deines wahren Herzens bilden keine Bedrohung mehr. Die Tragödie besteht in Wahrheit nicht darin, daß wir eines Tages sterben müssen, sondern darin, daß wir uns in unserem Leben so oft der Apathie überlassen. Wen wundert es, daß uns dumpfe Sorgen begleiten, wenn wir in einem so unermeßlichen Universum ein so triviales Leben suchen. Wen wundert es, wenn Beziehungen manchmal zu Problemen führen.