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2.8 Zusammenfassung

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Nachdem der ursprünglich aus dem Militärischen stammende Avantgardebegriff spätestens Anfang des 20. Jahrhunderts ins literarisch-künstlerische Feld übergetreten war, hat er in der heutigen Waren- und Konsumgesellschaft endgültig seine Entgrenzung erfahren und ist aus unserem heutigen Alltag nicht mehr wegzudenken. Heute ist alles Avantgarde, was sich als solche bezeichnet, deshalb ist ein linearer und relativer Avantgardebegriff unbrauchbar geworden.

Der Avantgardebegriff wird daher als Epochenbegriff verwendet und bezeichnet die frühe und sogenannte historische Avantgarde zwischen dem ersten futuristischen Manifest und dem Zweiten Weltkrieg. Sie wird vor allem durch ihren Gruppencharakter, ihren Versuch, Kunst in Lebenspraxis zu überführen und die Auflösung der traditionellen Triade Künstler-Kunstwerk-Rezipient charakterisiert.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts feiert die Avantgarde durch die Studentenproteste und den Eintritt der westlichen Welt in die Postmoderne als Neo-Avantgarde ihr Comeback. Allerdings hatten sich die Umstände avantgardistischen Schaffens grundlegend verändert. Die Avantgarde operierte inzwischen im spätkapitalistischen Kontext einer fortgeschrittenen Waren- und Konsumgesellschaft. Der Kunstmarkt hatte sich nach dem Zweiten Weltkrieg von Europa nach New York verschoben, wo eine vermeintlich ideologiefreie neo-avantgardistische Kunst produziert wurde: aus der zeitlichen und räumlichen Distanz heraus war die frühe Avantgarde in Verruf geraten, schließlich hatte sie nach der Einschätzung mancher mit ihren totalitären Zügen und ihrer Fortschritts- und Geschichtsgläubigkeit die europäische Katastrophe mitzuverantworten. Nachdem die frühe Avantgardeforschung auf der Suche nach einer umfassenden Theorie gewesen war, die die unterschiedlichen avantgardistischen Ismen synthetisieren sollte, differenzierte sie sich mit dem Eintritt der westlichen Gesellschaft in die Postmoderne in den 1980er Jahren aus in verschiedene Teilbereiche und widmete sich bisher unbeachteten Themen, wie z. B. der Position der Frau in der Avantgarde.

Es galt fortan, historische und Neo-Avantgarde zueinander zu positionieren. In der europäischen und insbesondere in der theorieaffinen deutschsprachigen Forschung wurde die historische Avantgarde als tiefgreifender Einschnitt in Kunst und Kultur erlebt. Die Avantgarde brach mit der Moderne und versuchte als erste künstlerische Bewegung, die Institution Kunst zu verlassen und von der Kunst her das Leben zu verändern. Nachdem dieser Versuch mit der Einverleibung der Avantgarde durch die widerstandsfähige Institution Kunst gescheitert war, erreichte die nachfolgende Kunst nie mehr die radikale und revolutionäre Kraft der frühen Avantgarde. Im anglo-amerikanischen Raum dagegen wurden die Errungenschaften der historischen Avantgarde, die dort keine große Rolle gespielt hatte, so gut wie ausgeblendet. Erst mit der Neo-Avantgarde hatte eine echte Revolution in Kunst und Kultur stattgefunden.

In der Avantgardeforschung haben sich im Laufe der Zeit verschiedene Denkfiguren herausgebildet, die aber nicht als konkurrierend aufgefasst werden sollten, sondern als einander ergänzend und erhellend. Diese Figuren befassen sich mit verschiedenen Fragen. Steht die Avantgarde in der Tradition der Moderne oder bricht sie mit ihr? Ist die Avantgarde vor allem ein ästhetisches oder ein politisches Phänomen? Inwiefern ist die Avantgarde in ihrem Bestreben, die Kunst in Lebenspraxis zu überführen, gescheitert? Wie positioniert sich die Avantgarde zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft? Wie positioniert sie sich zum Raum?

Angesichts der Fülle an Avantgardetheorien mag es verwundern, dass das Theater bisher noch keinen prominenteren Platz in der Avantgardeforschung eingenommen hat, schließlich können viele Aspekte, Widersprüche und Aporien der Avantgarde am Theater durchdekliniert werden. Die Avantgarde hat die drei wichtigsten Kunstkategorien (Kunstwerk, Künstler, Rezipient) aufgeweicht und steht damit dem Theater nah, wo die Destabilisierung dieser Kategorien bereits institutionell angelegt ist.

Der umstrittene Begriff des Avantgardetheaters umfasst das Theater der historischen Avantgarde in der Zwischenkriegszeit, das nouveau théâtre der späten 1940er und der 1950er Jahre und das postdramatische Theater ab den 1960er Jahren. Der Zweite Weltkrieg kann insofern als Zäsur für das Avantgardetheater gelten, als sich die äußeren Bedingungen avantgardistischen Schaffens nach 1945 drastisch verändert hatten. Die Differenzen können wie folgt festgehalten werden:


Abb. 12

Mit dem postdramatischen Theater erfuhr das Avantgardetheater erneut einen Bruch, der es – diesmal von innen heraus – verwandelte:


Abb. 13

Trotz oder gerade aufgrund der Pluralität und Entgrenzung des Avantgardebegriffs besteht auch im 21. Jahrhundert noch immer Klärungsbedarf. Mit dem Altern der Avantgarde und den neuen Medien haben sich neue Bereiche für die Avantgardeforschung aufgetan. Dabei muss die Avantgarde sowohl als ästhetisches Phänomen, aber auch als revolutionäre Kraft betrachtet werden.

Schließlich bietet sich die Avantgarde auf ganz besondere Weise an für die wichtige Diskussion um das Praktischwerden von Literaturwissen und die gesellschaftliche Relevanz der Geisteswissenschaften, denn sie hat alternative Lebensentwürfe aufgezeigt und eine bessere Welt in Aussicht gestellt.

Das poetische Theater Frankreichs im Zeichen des Surrealismus

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