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3.4.7 Wirkung auf den Zuschauer

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Die Avantgarde hat die Beziehung zwischen Kunstproduzenten und -rezipienten radikal verändert. Am Theater, wo Bühne und Zuschauerraum aufeinandertreffen, wird diese Beziehung so gut wie in keiner anderen Kunstform sichtbar. Die Positionen der Surrealisten gegenüber ihrem Publikum werden im Folgenden skizziert.

In ihrer spät-dadaistischen Phase sind die angehenden Surrealisten auf Krawall gebürstet: Schock, Unverständnis und Empörung prägen die Reaktionen der Zuschauer auf das Bühnengeschehen. Jarrys Auffassung vom Publikum als „masse inerte et incompréhensive et passive“1, die man ab und zu schlagen müsse, um an ihrem Stöhnen zu erfahren, wo sie sich befinde, ist bei den frühen Surrealisten noch stark präsent. Die avantgardistische Kunst soll kein Konsumgut für eine bräsige Bourgeoisie mehr sein, Theater soll nicht rühren, sondern aufrühren, es soll die Zuschauer zur Reaktion zwingen. Dieser provokante Charakter des frühsurrealistischen Theaters manifestiert sich im vierten Akt von S’il vous plaît, in dem ein vermeintlicher Zuschauer seinem Unmut lautstark Luft macht und schließlich empört den Saal verlässt:

Je répète que je ne comprends rien. (Applaudissements.) Il est probable que je ne suis pas le seul. (Debout sur son fauteuil.) Depuis quelque temps, sous prétexte d’originalité et d’indépendance, notre bel art est saboté par une bande d’individus dont le nombre grossit chaque jour et qui ne sont, pour la plupart, que des énergumènes, des paresseux ou des farceurs. (Le rideau tombe. Applaudissements.) Il est plus facile de faire parler de soi de cette manière que d’atteindre la vraie gloire aux prix d’un travail sérieux. (113)

Das Stück endet im Tumult, man verlangt nach den Autoren. Dieser vierte Akt, den Aragon später als „happening“2 avant la lettre bezeichnet hat, speiste sich in seiner Erinnerung aus echten Zuschauerreaktionen anlässlich der Uraufführung des zweiten Akts am „Théâtre de l’Œuvre“.3 Das avantgardistische Theater stößt beim gebildeten Publikum auf Unverständnis, Ratlosigkeit, Verärgerung und das Gefühl, zum Narren gehalten zu werden. In Soupaults Erinnerung blieben der Widerstand und die Empörung der Zuschauer angesichts der Aufführung des zweiten Akts zwar aus, was aber nichts an der Relevanz seiner Aussage ändert, dass die Surrealisten es auf Provokation abgesehen hatten. Ihm zufolge waren sie irritiert, dass,

lorsque furent joués, si l’on ose s’exprimer ainsi, la pièce de Ribemont-Dessaignes, Le Serin muet et le deuxième acte de S’il vous plaît, le public les écouta attentivement, du moins en silence. Ce qui nous surprit et même nous inquiéta. […] J’étais mécontent. J’avais l’impression que nous étions des acteurs amateurs mal à l’aise dans nos rôles. On aurait dû nous siffler mais on nous écoutait.4

Die Beziehung zwischen Akteuren und Publikum war nicht gleichberechtigt, man suchte keine Kommunikation. Das Bureau de Recherches surréalistes, das eigentlich als Mittler zwischen der Öffentlichkeit und den Surrealisten fungieren sollte, das aber nach kurzer Zeit „devant le nombre de curieux et d’importuns qui l’assiègent“5 wieder geschlossen wurde, steht sinnbildlich für die Verweigerung der Surrealisten, mit ihrem Publikum in einen echten Austausch zu treten. Im Second Manifeste (1930) machte Breton das Verhältnis der Surrealisten zu ihrem Publikum erneut deutlich:

L’approbation du public est à fuir par-dessus tout. Il faut absolument empêcher le public d’entrer si l’on veut éviter la confusion. J’ajoute qu’il faut le tenir exaspéré à la porte par un système de défis et de provocations.6

Diese Art der Publikumsbegegnung war nicht dauerhaft aufrecht zu erhalten, da sich die Schockwirkung durch Wiederholung und Gewöhnung abnutzte und zur kalkulierbaren und schließlich vom Zuschauer antizipierten und geforderten Geste wurde.

Im Gegensatz zu den antagonistisch geprägten surrealistischen Literaten stehen die Dramatiker Artaud und Vitrac, die zusammen mit Aron im Jahr 1926 das „Théâtre Alfred Jarry“ gegründet haben. Artaud hat die Einbeziehung des Publikums zu einem der wichtigsten Ziele des Theaters erhoben. Die Theateraufführung solle zu einem einmaligen und unwiederholbaren Ereignis werden, in dem der Zuschauer seine Existenz aufs Spiel setze, denn das, was auf der Bühne stattfinde, betreffe ihn direkt. Artaud nimmt sein Publikum als gleichberechtigten Partner, von dem auch etwas eingefordert werden kann, ernst:

L’illusion que nous cherchons à créer ne portera pas sur le plus ou moins de vraisemblance de l’action, mais sur la force communicative et la réalité de cette action. Chaque spectacle deviendra par le fait même une sorte d’événement. Il faudra que le spectateur ait le sentiment que se joue devant lui une scène de son existence même, et une scène capitale vraiment. Nous demandons, en un mot, à notre public, une adhésion intime, profonde.7

Die Theateraufführung wird zur Operation: das Publikum verlässt den Operationssaal nicht mehr so, wie es ihn betreten hat. In der Aufführung soll das Innerste des Zuschauers auf die Bühne gekehrt werden:

Le spectateur qui vient chez nous sait qu’il vient s’offrir à une opération véritable, où non seulement son esprit mais ses sens et sa chair sont en jeu. Il ira désormais au théâtre comme il va chez le chirurgien ou chez le dentiste. Dans le même état d’esprit, avec la pensée évidemment qu’il n’en mourra pas, mais que c’est grave, et qu’il ne sortira pas de là dedans intact.8

Das Theater der surrealistischen Dramatiker spricht das Innerste des Menschen an und wird zur „nécessité spirituelle“ und „opération magique“9. Artaud verspottet sein Publikum nicht mehr, sondern er sucht Verbundenheit und Kommunikation. Dafür braucht er ein talentiertes Publikum, das in der Lage ist, „de nous faire le minimum de confiance et de crédit nécessaires, en un mot de lier partie avec nous“10.

Das poetische Theater Frankreichs im Zeichen des Surrealismus

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