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Baldrian

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Valeriana officinalis – Arzneibaldrian

Familie der Baldriangewächse - Valerianaceae

Für den guten Ruf des Baldrians braucht man nicht zu sorgen. Er ist bereits eine der populärsten einheimischen Heilpflanzen. Im Laufe der Jahrhunderte hat er verschiedene Wandlungen erfahren, mal wurde die eine Heilkraft an ihm gelobt und genutzt, mal die andere.

Die griechischen und römischen Ärzte der Antike kannten ihn unter dem geheimnisvollen Namen »Phu«. Dioskurides schätzte das Kraut Phu als erwärmendes, menstruationsförderndes und harntreibendes Mittel. Hippokrates, der Hildegard von Bingen und Paracelsus galt der Baldrian als zuverlässiges Heilmittel. Er wurde sogar in die Reihe der »Liebesmittel« gestellt, wie wir einer Handschrift aus dem 15. Jahrhundert entnehmen können:

»Wilter gute freuntschaft machen under manne und under weibe, so nym valerianum und stosz die czu pulver und gib ins czu trinken in Wein«

Der neapolitanische Rechtsgelehrte Fabio Colonna hat dem Baldrian zwei Jahrhunderte später sogar ein Buch gewidmet. Colonna litt unter Epilepsie und stieß auf der Suche nach einem Heilmittel für seine Krankheit auf den Baldrian. Er wurde durch ihn geheilt, studierte Botanik und verfasste aus Dankbarkeit ein Buch, in dem er die Heilkräfte des Baldrians beschrieb. In diesem Werk wird zum erstenmal der Baldrian als großes Nervenmittel angeführt, und in diesem Ruf steht er bis heute.

Im Mittelalter schrieb man dem Baldrian eine Allheilwirkung zu. Sein lateinischer Name »Valeriana«, abgeleitet vom lateinischen valere = kräftig sein, sich wohl befinden, wert sein, zeugt hiervon. Noch heute wird der Baldrian im Englischen auch »all heal« = Allesheilen genannt.

Der Baldrian, so wusste man im Mittelalter, kann nicht nur die Nerven heilen, sondern er schützt sogar vor Pest und Seuchen. Sein alter Name »Theriakkraut« erinnert noch an diese alte Verwendung. Theriak waren meist besonders wirksame Heilmittel, sie wurden teuer bezahlt, und ihre Zusammensetzung hielt man streng geheim. Auch Angelika gehört zu diesen Theriakkräutern.

Warum gerade der Baldrian gut gegen Pest und Ansteckung sein soll, dafür hatten die Menschen des Mittelalters eine »einfache Erklärung«. Die Waldfräulein, das heißt die Waldfeen, sollen es nämlich während der Pestzeit den Menschen verraten haben:

»Eßt Bimellen und Baldrian, So geht euch die Pest nicht an«

Sogar die Vögel haben es gewusst und zwitscherten es den Menschen zu:

»Häst du getruncken Bibrioll und Bollrio Wärst du nicht ‘storben dro!«

Noch lange nach den Pestzeiten hat man den Baldrian als Mittel gegen Ansteckung verwendet. Er hing als Amulett um den Hals, wurde gekaut oder man räucherte mit seinem Wurzelpulver.

Besonders auffällig ist, dass der Baldrian in den alten Kräuterbüchern hauptsächlich als großes Augenheilmittel gelobt wird. Davon ist in der neueren Literatur nichts mehr zu finden. Nur bei einem alten Kräuterweiblein habe ich noch von dieser Anwendung gehört, »Baldrian ischt gut für des Licht«, wobei sie mit Licht die Augen meinte. Ob wohl etwas an der alten Sage vom Goldschmied zu Würzburg dran ist? Dieser, so heißt es, hat sich mit Baldrian die Augen so gestärkt, dass er auf eine gebrochene Nähnadel einen deutlich erkennbaren, in allen Einzelheiten abgebildeten Löwen gravieren konnte.

In neueren Zeiten haben sich alle Heilkräfte des Baldrians auf eine Hauptwirkung reduziert: er ist ein Beruhigungsmittel für die Nerven. In unserer Zeit ist der Baldrian durch die Instrumente und Reagenzien der Labors gegangen und hat dort den Stempel »Geprüft und als heilkräftig befunden« erhalten. Seine entkrampfende Wirkung auf das Zentralnervensystem bei Mensch und Tier gilt als bewiesen. Von den anderen Heilkräften des Baldrians ist nichts mehr übriggeblieben.

Nach diesem Spaziergang durch die medizinische Geschichte des Baldrians sollten wir ihn uns einmal in natura anschauen. Vielleicht können wir dann mehr vom eigentlichen Wesen dieser Pflanze erfassen und verstehen einige der alten Baldriannamen zu deuten.

Der Baldrian erwartet uns draußen im Wald, auf einer kleinen Lichtung, am Wegrand, im feuchten Laub- und Mischwald, im Auwald oder ganz nah am Fluss. Er liebt das feuchte Element; wenn wir ihn pflücken, welkt er rasch. Die Geister des Wassers und des Mondes sollen in mondhellen Nächten um ihn tanzen, die Undinen, Wassernixen und Elfen. Von ihnen hat er seine Namen Mondwurz und Elfenkraut. Der Baldrian hat eine anmutige Gestalt, ganz eine Elfenpflanze. Der hohe, schlanke, rasch aufgeschossene Stängel ist von feinen, fiederblättrigen Blättern geziert, nicht zu viele, gerade so, dass sie einen schönen Kontrast zum gerillten Stängel bilden. Ein Blütenschirm krönt die Erscheinung, zusammengesetzt aus weiß-rosa-farbenen Blütchen. Man könnte meinen, der Baldrian gehöre mit dieser schirmförmigen Blüte zur Familie der Doldengewächse, wie die Angelika, die Möhre, der Kerbel. Doch der Baldrian bildet eine eigene Familie, die der Baldriangewächse. Sie enthält 350 Arten.

Am Baldrian ist nichts Schweres, Dunkles. Wie eine rosa Wolke schwebt die Blüte über dem grazilen Stängel und Blätterwerk. Selbst luftig und leicht, lebt er ganz zum Licht hin. Die Gunst eines Lichtgottes scheint durch diese Pflanze zu leuchten, dessen Namen sie trägt. Die Germanen sahen im Baldrian die Kräfte des Baldur, des Gottes des Lichtes, der Reinheit und Güte. Baldur heißt »der Hilfbereiteste«, und die Germanen sahen so im Baldrian eine Pflanze, die bei allen Gebrechen ihre Hilfe anbietet. Noch ein zweites Mal hat der Baldrian in der nordischen Mythologie einen Ehrenplatz erhalten. Diesmal in den zarten Händen der Göttin Hertha, die ihn als Gerte benutzt, wenn sie auf ihrem mit Hopfen gezäumten Hirsch durch den Wald reitet. Hier symbolisiert der Baldrian die besänftigenden Kräfte, mit denen man wilde Tiere und »wilde Nerven« zähmen kann. Dies ist ein schönes Bild für die entspannenden und beruhigenden Heilkräfte des guten Waldgeistes Baldrian, der unser wildes Gemüt zähmt und die erregten Nerven entspannt.

Ein Tier jedoch gebärdet sich wie toll, wenn es Baldrian riecht. Katzenkraut, Tollerjahn, Katzenwurz, diese Baldriannamen entstanden aus der intensiven Bekanntschaft der Katzen mit dem Baldrian. In meinem Garten steht eine schöne große Baldrianstaude, und oft habe ich mich gewundert, warum ihre hohen Stängel geknickt und zertreten am Boden liegen. Bis ich einmal unsere Katze dabei erwischt habe, wie sie in den Baldrian sprang, Zweige auf den Boden drückte und sich darauf wälzte. Katzen werden wirklich toll, wenn sie den Tollerjahn riechen. Noch zwei weitere Tierarten stehen in Bezug zum Baldrianduft. Regenwürmer werden im Boden von seinem Geruch angezogen, vermehren sich verstärkt und sind so noch intensiver in der Bodenverbesserung unseres Bodens tätig. Baldrian ist sozusagen ein Liebesparfüm für Regenwürmer. Auch Forellen reagieren auf den Duft des Baldrians. Bestimmte Zubereitungen aus dieser Pflanze benützte man früher, um diese Fische für den Fang anzulocken.

Der Geruch des Baldrians ist eigenartig. Die Wurzel riecht besonders getrocknet scharf und moschusartig, ja sogar etwas nach Katzenharn. Beim Duft der Blüte schwanke ich oft, ob ich ihn nun angenehm empfinden soll oder nicht. An einem sonnigen Tag umgibt meine Baldrianpflanze im Garten ein starker Duft, er ist einhüllend, süß und warm. Aber an einem regnerischen Tag ist der schöne Blütenduft wieder »katzig«. Zur Rettung der Baldriane für empfindliche Nasen möchte ich aber noch von einigen Mitgliedern der Baldrianfamilie berichten, die besonders angenehme Düfte erzeugen. Dazu müssen wir in die Berge steigen, denn dort oben leben einige weitere Baldrianarten. Wir begegnen dem Berg-Baldrian (Valeriana montana L.), dessen Blätter nicht mehr so fein gegliedert sind wie bei seinem Bruder drunten im Tal. Sie stehen wie bei ihm gegenständig am Stängel. Dann gibt es hier noch einen Felsenbaldrian, Valeriana saxatilis L., eine kleine, unscheinbare Pflanze im Vergleich zum hohen Baldrian. Der nächste Verwandte dieses Felsenbaldrians ist der echte Speik, Valeriana celtica L., und hier dürfen wir unsere Nasen wieder gebrauchen. Sein Wurzelstock strömt einen aromatischen, stärkenden Duft aus. Schon im Altertum war dieser Baldrian als Duft- und Räucherpflanze geschätzt. Leider ist er selten geworden, denn er war zu begehrt. Heute steht er unter Naturschutz. Die Krönung der Baldriandüfte aber ist eine nahe Verwandte, die indische Narde, Nardostachys jatamansi, ein Baldriangewächs, das an den Südhängen des Himalaja gedeiht. Aus ihr stellte man schon in der Antike das beste Nardenöl her, das in Alabasterfläschchen in den Handel gebracht wurde und mit dem schon Jesus gesalbt worden sein soll. Es galt als das kostbarste Öl und diente auch zu rituellen Salbungen. Deshalb finden wir auf vielen christlichen Bildern des Mittelalters den Baldrian oft in allererster Reihe.


Im Hochland von Mexiko an felsigen Berghängen in 2400 bis 3200 Metern Höhe wächst eine Baldrianart, Valeriana edulis, die in neuester Zeit für Baldrianpräparate viel verwendet wird. Die Blüten ähneln jenen unseres einheimischen Baldrians. Die Blätter sind im Gegensatz zu ihm nicht gefiedert, sondern ganzrandig und entspringen aus dem Stamm. Die Wurzeln dieses Baldrians werden sehr groß wie besonders gut gelungene Meerrettichwurzeln. Er entwickelt sich zu einer gewaltigen Pflanze von bis zu 2 Metern Höhe. Die mexikanischen Eingeborenen gebrauchen diese Wurzel seit langem als Stärkungsmittel. Der Gehalt an Wirkstoffen des mexikanischen Baldrians ist sechsmal so hoch wie der unseres einheimischen Baldrians. Diese Pflanze hat sich als wirksamer Tranquilizer, besonders bei stressbedingter Unruhe, Schlaflosigkeit und körperlichen Störungen, erwiesen. Man wurde erst so spät auf den Baldrian aus Mexiko aufmerksam, da seine Wirkstoffe bei der sonst üblichen Zubereitungsart als Tee verloren gehen. Die Wirkstoffe dieses Baldrians sind heute in verschiedenen pflanzlichen »Antistressmitteln« enthalten.

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