Читать книгу Medizin der Erde - Susanne Fischer-Rizzi - Страница 7
ОглавлениеVorwort
Als ich einmal einen indianischen Medizinmann fragte, ob ich etwas von ihm über Heilpflanzen lernen könne, wies er mich ab mit den Worten: »Lerne zuerst, wie man über die Erde geht.« Erst viele Jahre danach habe ich wirklich begriffen, was er damit meinte. Ich hatte mich und meine Mitmenschen beobachtet, wie wir über die Erde gehen, in welchem Bezug wir zu ihr stehen, wie wir sie wahrnehmen, sie gebrauchen, sie verbrauchen. Wir nehmen und denken nicht ans Geben. Wir zerstören dadurch ihre Harmonie, ihre Gesundheit und merken nicht, dass auch wir dabei aus unserer Harmonie treten und uns von den heilenden Kräften der Natur abschneiden.
»Kein Mensch kann lange leben, noch glücklich sein, wenn er seine Mutter Erde nicht ehrt und ihre Gesetze befolgt.« Diese alte Weisheit, vor langer Zeit von den Essenern niedergeschrieben, haben wir fast vergessen.
Alles ist miteinander verbunden, die Erde schwingt im Rhythmus mit dem Kosmos, und im Kleinsten auf der Erde erkennen wir das Höchste im Himmel. Wir sind eingebunden in diese kosmische Verwobenheit, und in Harmonie mit dem Himmel und der Erde zu leben galt für die Menschen als Erfüllung ihres Lebens. In der Fruchtbarkeit der Erde, im Wachsen der Pflanzen, im Reifen der Früchte erkannten sie das selbstlose Geben unserer Erde. Die Pflanzen, besonders die Heilpflanzen, waren ihnen heilig, sie unterstellten sie den Göttern, sprachen Gebete beim Sammeln, verarbeiteten sie achtsam und dankbar. Wir haben heute vergessen, auf die Verwobenheit aller Dinge zu achten, als wir uns »die Welt untertan machten«, und erkennen die Hingabe unserer Erde nicht mehr, wir nehmen, ohne nach der Verantwortung zu fragen. Die Folgen dieses Handelns werden in unserer Zeit erschreckend sichtbar: die Wälder sterben, Gewässer und Luft sind verpestet. Das Artensterben schreitet bedrohlich schnell voran. Die Gesamtzahl der Arten hat zwischen 1970 und 2000 um 40 Prozent abgenommen.
Wir sind über die Erde gegangen, ohne sie zu achten, und nur durch Achtsamkeit, Demut und Dankbarkeit können wir wieder lernen, ihre Gesetze zu erkennen und wieder in Harmonie mit Himmel und Erde zu leben. Schon wenn wir uns ein wenig dafür öffnen, spüren wir, dass dies uns heil und gesund macht. Die Erde schenkt uns noch immer ihre Gaben, in jeder Heilpflanze steckt ein Stück ihrer Lebenskraft; wenn wir sie mit Achtsamkeit und Dankbarkeit annehmen, wird sie uns eine starke Medizin sein.
Wir können diese Haltung nicht aus Büchern lernen, wenn wir nicht selbst unser Herz dafür öffnen. Ich weiß, ich kann in einem Buch nie eine Pflanze so beschreiben, dass die Leserin oder der Leser eine wirkliche Erfahrung ihres Wesens und ihrer Wirkungskraft haben kann und sie mit Dankbarkeit zum Heilen verwendet. Jemand, der einige wenige Pflanzen in der Natur beobachtet hat, ihnen wirklich begegnet ist, ihre Heilwirkung ganzheitlich erfasst hat, weiß viel mehr als jemand, der viele Pflanzen nur aus Büchern kennt. Ich möchte deshalb dazu anregen, hinauszugehen, eigene Erfahrungen zu machen, achtsam zu sein und sich für den Schutz der Heilpflanzen einzusetzen. Gemeinsam können wir uns fragen: »Welche Kräfte hat diese Pflanze, was kann ich von ihr lernen, was ist ihr Wesen, zu welchem Teil in meinem Körper steht sie in Verbindung, welche Pflanzen sind mein Heilmittel, und wie können wir helfen, dass diese Pflanzen geschützt und vermehrt werden?«
Wenn wir uns in dankbarer und respektvoller Haltung dem Pflanzenreich zuwenden, verspüren wir den Wunsch, mehr als uns selbst zu heilen. Unser Blickfeld erweitert sich, wir möchten Sorge tragen für die Gesundheit des ganzen Planeten. Inspiriert von der äußeren Natur werden wir wieder zu unserer eigenen inneren Natur finden.
Vielleicht fällt uns, wenn wir draußen die Pflanzen entdekken, die eine oder andere Geschichte, ein Märchen, ein alter oder neuer Name der Pflanze ein. Dies kann uns manchmal einen Hinweis auf ihr Wesen geben. Sagen, Mythen, Verbindungen von Pflanzen und Festen im Jahreskreislauf und alte Pflanzennamen sind Reste eines alten, tiefen Wissens. Mich hat manchmal eine Geschichte, der Name einer Pflanze dem Verständnis ihrer Wirkung näher gebracht als eine Auflistung ihrer Inhaltsstoffe oder ihre genaue botanische Beschreibung. Deshalb habe ich im Text über die Heilpflanzen oft versucht, den alten Namen nachzugehen, Sagen und Märchen zu deuten.
In diesem Buch habe ich nur jene Pflanzen beschrieben, zu denen ich selbst eine tiefe Beziehung habe, deren Heilwirkung ich an mir und vielen anderen beobachten und erfahren konnte. Heilpflanzen, die zu den Bäumen und Sträuchern gezählt werden, wie Holunder, Schlehe, Berberitze und so weiter, sind in meinem Buch »Blätter von Bäumen« beschrieben. Die duftenden Pflanzen wie Salbei, Lavendel, Rosmarin und so weiter fanden ihren Platz in meinem Buch »Himmlische Düfte«. Die Anwendung und Magie der Räucherpflanzen habe ich in meinem »Buch vom Räuchern« beschrieben. Angaben und Rezepte zu essbaren Wildpflanzen finden Sie in meinen Büchern »Mit der Wildnis verbunden« und »Wilde Küche«.
Wenn wir die Schönheit und Heilkraft der Pflanzen wieder entdecken, werden wir uns unserer Verantwortung bewusst und machen uns Gedanken, wie wir diese heilenden Geschenke schützen können. Wir könnten darauf achten, nur so viele Pflanzen mitzunehmen, wie wir wirklich brauchen, und dort, wo von einer Pflanzenart nur noch wenige wachsen, diese Pflanzen stehen zu lassen. Auf unseren Spaziergängen können wir Samen der Pflanzen sammeln und an einem anderen, der Pflanze gemäßeren Ort aussäen, um sie so wieder zu verbreiten. Auch die Heilpflanzen, die wir im Garten ziehen, können wir zum Vermehren verwenden. Und wir sollten helfen zu verhindern, dass noch mehr Natur in unserem Land zerstört wird.
Danken möchte ich von Herzen allen meinen Lehrerinnen und Lehrern, die ihr Wissen mit mir geteilt und mich auf meinem Wege begleitet haben.
Mein besonderer Dank gilt auch meinen Schülerinnen und Schülern, die mich in den über drei Jahrzehnten meiner bisherigen Lehrtätigkeit mit ihrem Wissensdurst und ihrem liebevollen Dabeisein getragen und auf meinem Weg begleitet und gefördert haben.
Herzlichen Dank auch meiner Familie, die mich in vieler Hinsicht bei der Arbeit an diesem Buch unterstützte.
Sulzberg im Allgäu, Wintersonnwende 1984 und Lichtmess 2010, im Jahr der Biodiversität