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Bärlauch

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Allium ursinum

Familie der Liliengewächse - Liliaceae

Zwei Tiere waren es, die unsere frühen Vorfahren besonders beeindruckt haben: Bär und Wolf. Notgedrungen, denn von diesen Tieren war der Mensch manchmal bedroht. Die germanischen und später die mittelalterlichen bäuerlichen Siedlungen waren inmitten von Wäldern gelegen, bildeten kleine, geschützte Inseln im Meer der riesigen Wälder, dem Gebiet der wilden Tiere, die den Menschen und seine Nutztiere bedrohten. Die Menschen waren noch stark in einem magischen Denken verwoben, in dem der Mensch von der Magie der Tiere und Pflanzen wusste. Bär und Wolf galten bei den Germanen als Seelentiere, so wie in der heute noch lebendigen Tradition der Indianer bestimmte Tiere als Helfer und Führer eine wichtige Rolle spielen. Das Seelentier zeigt Suchenden ihre Lebensaufgabe und verleiht ihnen besondere Kräfte. Heute noch erscheinen uns diese Tiere als archetypische Bilder in Träumen in Zeiten schwieriger Lebenssituationen, und wer ihre Sprache versteht, kann ihre Ratschläge befolgen.

Der Bär galt bei unseren Vorfahren als ein fruchtbarkeits-förderndes Krafttier, das symbolisch für ein kraftvolles Urwesen stand und das mit seiner Kraft und Stärke die Macht des Winters brechen und neue Fruchtbarkeit bringen kann. Er war der symbolische Frühlingsbringer, der noch heute auf der alemannischen Fastnacht in Gestalt von stroh- oder fellbekleideten Männern oder mit Bärenmasken durch die Straßen stapft. Der Bär als Fruchtbarkeitstier ist noch heute in unserem Wort ge-bär-en enthalten.

Die Seelentiere konnten sich, so glaubte man, auch in bestimmten Pflanzen verkörpern, durch deren Verzehr man sich diese Kraft einverleiben wollte. Solche Zauberpflanzen wurden bei den Germanen an bestimmten heiligen Tagen als Kultspeise gegessen und galten als besonders heilkräftig. Noch heute tragen viele Heilpflanzen die Namen der germanischen Seelentiere:

Wolfsbeeren, Wolfsmilch, Wolfdisteln, Fuchsbeeren, Fuchssalbenkraut, Fuchswurz, Bärwurz, Bärlapp, Bärenklau, Bärlauch.

Die Pflanzen des Bären, so wusste man, haben die Kraft der Erneuerung, Revitalisierung und Reinigung, sie brechen das Verhärtete und erwärmen den Körper. Manche machen »bärenstark«. Unser Bärlauch gehört mit zu den kräftigsten Bärenpflanzen. Leider sind seine Bärenkräfte fast ganz in Vergessenheit geraten, und doch gehört er mit zu den stärksten Heilpflanzen. Er ist eine Frühlingspflanze, so wie der Bär, sein Meister, der Frühlingsbringer ist. Deshalb entfaltet der Bärlauch im Frühjahr seine stärksten Kräfte, und man sollte ihn in dieser Jahreszeit als Heilmittel verwenden, um den Körper zu stärken und zu reinigen. Doch darüber mehr im Kapitel über seine Heilkräfte.

Bleiben wir noch etwas bei seinem Namen, denn jeder alte Pflanzenname birgt eine Geschichte, die uns über die Bestimmung und Heilkraft der Pflanze Aufschluss gibt. Ramser, Räms und Raines sind weitere alte Namen unseres Bärlauchs. Sie deuten auf einen sehr alten Wortstamm, auf das germanische »hroms«, das althochdeutsche »rämesadr«, womit Zwiebel- und Lauchgewächse benannt wurden. Diese Verbindung findet sich in allen europäischen Sprachen. Die Lauchgewächse galten als eine heilkräftige Pflanzenfamilie, und wer ahnt heute noch, dass in unserem »normalen« Küchenlauch Heilkräfte stecken (er regt die Magenund Darmsäfte an, hemmt Gärungs- und Fäulniserreger). Schon bei den Nordgermanen wurde der Lauch als Speise-und Heilpflanze in »Lauchgärtlein« kultiviert. In der Edda wird der Lauch hochgerühmt und als Mittel empfohlen, um eine Speise zu prüfen, ob sie giftig sei. Hier gilt er auch als eine der ersten Pflanzen, die am Anfang der Welt geschaffen wurden:

»Sonne von Süden fiel auf den Felsen, und dem Grunde entspross der grüne Lauch.«

Wie der Name erkennen lässt, ist unser kleiner Bärlauch auch ein Vertreter dieser ehrenwerten Lauchfamilie. In früheren Zeiten wurde er sogar in Gärten gepflanzt. Kaiser Karl ordnete im 8. Jh. in seiner Landgüterverordnung an, neben anderen Pflanzen auch den Bärlauch in den Gärten zu pflanzen. Doch er scheint aus der Mode gekommen zu sein, er durfte wieder verwildern und ist deshalb ein ganz urwüchsiger Vertreter der Familie. Es heißt sogar, er übertreffe in seiner Heilwirkung noch seinen Vetter, den Knoblauch.

Ein gemeinsames Merkmal aller Lauchgewächse ist ihr hoher Gehalt an ätherischem, schwefelhaltigem Öl, auf dem die anregende, entgiftende und reinigende Wirkung beruht. Der Bärlauch sprüht nur so davon.

Als ich drunten im Auwald auf einer kleinen Halbinsel die metallgrün glänzenden Bärlauchblätter zum erstenmal in diesem Frühjahr fand, habe ich eigentlich schon vorher gewusst bzw. gerochen, um wen es sich hier handelt. Ein intensiver Knoblauchgeruch lag über der kleinen Lichtung. Für ein Liliengewächs duftet der Bärlauch ganz schön deftig!

Der Bärlauch liebt die Gesellschaft. An günstigen Standorten, feuchte, humusreiche und schattige Laubwälder, tritt er meist in Massen auf. Im zeitigen Frühjahr streckt er dann dort seine grün glänzenden, schwertförmigen Blätter fast senkrecht und ganz optimistisch gen Himmel. Sie entspringen aus kleinen, länglich schmalen Zwiebeln, ähnlich den Knoblauchzehen.


Jetzt sollte man die Blätter sammeln und frisch verwenden. Der getrocknete Bärlauch ist wertlos. Achtsamkeit und Kenntnis ist beim Sammeln von Bärlauch jedoch erforderlich. Maiglöckchenblätter und jene der Herbstzeitlosen sehen Bärlauchblättern sehr ähnlich. Wenn sie zum Beispiel im Korb zusammen mit Bärlauchblättern liegen, nehmen sie deren Geruch an und sind so geruchlich nicht mehr voneinander zu unterscheiden. Eine Verwechslung kann tödlich sein. Kräuterpfarrer Künzle gab deshalb wohlweißlich den Rat: »Kinder und ungeschickte Leute nicht aussenden um Bärlauch zu sammeln.« Bärlauch erlebt gerade eine Renaissance und wird vermehrt gesammelt. Ich freue mich, dass ich mit diesem Buch die letzten 20 Jahre dazu beitragen durfte. Was mich jedoch sehr betrübt ist, dass ich nun mehr und mehr Menschen in der Natur begegne, die den Bärlauch in großen Mengen abrupfen, mit einer Einstellung wie: hier gibt es etwas umsonst, dieser Supermarkt ist ständig geöffnet. Beim Sammeln von Wildpflanzen sind wir besonders gefordert, achtsam und maßvoll zu sein, um so die Bestände der Wildpflanzen nicht zu dezimieren.

Vom April bis hinein in den Juni leuchten wunderschöne weiße Blütenbüschel über dem Grün der Blätter. Die Blüten sind streng nach der Zahl drei aufgebaut, sie bilden Nektar in drei Drüsen in einem dreifächerigen Fruchtknoten. Und dieser Nektar sammelt sich in den sechs Staubblättchen. Den süßen Nektarsaft bietet der Bärlauch vielen Insekten an; nicht nur Bienen und Hummeln, sondern auch Fliegen erreichen ihn mit ihrem kürzeren Rüssel. Die kleinen schwarzen Samen des Bärlauchs sind in einer schwarzen Kapsel verschlossen, die ihr Geheimnis im Juni und Juli preisgibt. Diese Samen haben ihre ganz besonderen Liebhaber, die Ameisen. Sie tragen die ölhaltigen (das ist es, worauf sie scharf sind) Kügelchen in ihrer Geschäftigkeit überall herum und säen so neue Pflanzen. Aber der Bärlauch sorgt auch selbst für Nachwuchs in seiner Nähe: in der Reifezeit kippt der mit Samen trächtige Blütenstängel einfach um, und es entsteht wieder ein neues Stück Bärlauchteppich.

Mit einem Körbchen voll dieser Bärlauchblätter bin ich an einem Frühlingsmorgen von der Halbinsel zurückgewandert. Ich hatte schon einige Blätter frisch genascht, sie hatten ihre appetitanregende Wirkung schon entfaltet. Meine Schritte wurden immer schneller. Ich bekam einen Bärenhunger.

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