Читать книгу Heile die Wunden deiner Kindheit - Susanne Huhn - Страница 39

SILVIA

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Auch Silvia ist glücklich und freut sich auf den Abend. Charlotte ist eine tolle Frau, denkt sie, während sie ihr Businesskostüm auszieht und in Jeans und Pulli schlüpft, so fürsorglich und warmherzig! Sie löst den strengen Haarknoten und kämmt sich die langen Haare nur rasch mit den Fingern aus. Heute Abend würde sie niemandem beweisen müssen, dass sie erfolgreich und kompetent ist. Sie wird keine scharfsinnigen Diskussionen führen müssen, um zu zeigen, dass sie ihrem Vater ebenbürtig ist. Sie atmet tief durch und erlaubt sich ein Lächeln.

Normalerweise verbringt sie ihre Abende mit Kollegen – in schicken Restaurants oder per Chat am Computer. »Networking« nennt man das und es ist dringend nötig, wenn man in Silvias Kreisen beruflich erfolgreich sein will. Heute nicht, seufzt sie und schenkt sich ein Glas Wein ein, um sich zu entspannen. Sie weiß gar nicht mehr, wie das geht, sich einfach zu unterhalten, ohne dabei beweisen zu müssen, wie kompetent und klug sie ist. Vielleicht kann Charlotte zu einer echten Freundin werden, denkt sie, eine, mit der sie nicht konkurrieren muss, sondern mit der sie lachen, sich einfach gut fühlen und über alles Mögliche reden kann, ohne eine ausgefeilte, sorgfältig formulierte Meinung haben zu müssen. »Stell dich doch nicht so dumm an!« ist der Satz, den sie noch heute von ihrem Vater zu hören bekommt, wann immer sie einfach losplaudert. Sie zieht sich eine Jacke über und macht sich auf den Weg.

Silvia fühlt förmlich, wie ihre Schultern leichter werden, wenn sie an Charlotte denkt. Bei ihr muss sie nicht auf der Hut sein. Sie muss nicht so tun, als wäre sie perfekt, damit sie nicht niedergemacht wird – und egal, denkt Silvia und verzieht ihren Mund, egal, wie perfekt, schlank, erfolgreich und gut angezogen sie auch ist, es gibt immer etwas, an dem ihr Vater herummäkelt. Er kann es offenbar nicht ertragen, wenn er nicht in allem und jedem der Beste ist. Mit diesen Gedanken geht sie aus dem Haus.

Als sie auf die sorgfältig gestylte Charlotte trifft, ist diese seltsam distanziert und unnahbar. Die Herzenswärme, die Silvia gespürt hat, als sie sich kennenlernten, ist weg und Silvia fragt sich den ganzen Abend über, was sie falsch gemacht und ob sie sich in Charlotte geirrt hat. Sie, Silvia, hätte sich wenigstens etwas schicker anziehen können, denkt sie und schämt sich. So tut sie das, was sie am besten kann: Sie beginnt über ein unpersönliches, allgemeines, aber kompliziertes Thema zu sprechen – nein, zu referieren. Charlotte nickt und lächelt höflich, nippt an ihrem Tee und lässt die eine oder andere Bemerkung zum Thema fallen – doch das vertrauliche Freundinnentreffen, auf das sich Silvia so sehr gefreut hat, findet nicht statt.

Sobald sie zu Hause ankommt, löscht sie Charlottes Nummer aus ihrem Handy. Ich eigne mich einfach nicht für Freundschaften, denkt sie enttäuscht und fährt ihren Computer hoch. Arbeit bringt sie immer ins Gleichgewicht.

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Heile die Wunden deiner Kindheit

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