Читать книгу Sperrgebiet! - Susanne Klein - Страница 18

ZWÖLF

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Ich hielt auf dem Parkplatz und versuchte möglichst unauffällig meinen Mini genauso abzustellen, wie der von Lena Grimm bei seinem Auffinden gestanden hatte, um eine Art Duplizität der Ereignisse herbeizuführen. Allerdings wirbelte ich schon bei meiner Ankunft viel Staub auf, als ich im ersten Gang über den nicht vorhandenen Belag holperte und die gewünschte Parkposition einnahm. Das Gelände war nicht geteert und hier und dort waren entstandene Schlaglöcher mit Schotter oder Sand gefüllt, dessen Gemisch nun wüstenähnlich durch die sonnige und trockene Luft flimmerte. Dadurch erweckte meine Anwesenheit sofort das Interesse von mehreren Mitarbeitern des Deutschen Roten Kreuzes, die hier regelmäßig die Hobby-Rennradler versorgten und ihnen bei Unwohlsein oder anderen Wehwehchen zur Verfügung standen. Sie warteten auf jeden einzelnen Radfahrer – auch auf diejenigen, die erst nach Stunden eintrudelten. Das war ein festes Abkommen mit dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club und Teil einer sportlichen Absprache mit den Anrainerorten der Wahner Heide, die die Vitalität ihrer Bewohner im Zusammenwirken mit den Krankenkassen förderten.

„Hallo“, grüßte einer von ihnen zu mir herüber.

„Auch hallo.“ Ich ging auf den Bus zu und stellte mich seinen Insassen vor.

Wie sich herausstellte, waren sie über den Knochenfund „Heidi“ informiert und rein vorsorglich zur Aufmerksamkeit veranlasst worden. Vom Vermisstenfall Lena Grimm erfuhren sie jetzt von mir.

„Könnt ihr mich bitte anrufen, wenn ihr euch an irgendetwas erinnert, was in der letzten Zeit auffällig war? Natürlich auch, wenn heute noch etwas passiert oder anders ist, als sonst.“

„Was meinst Du mit ‚wenn heute noch etwas passiert‘?“, fragte der junge Mann auf dem Beifahrersitz und blickte provozierend zu seinem Kumpel auf dem Fahrersitz. „Es wird ja wohl niemand hier aufkreuzen und sich über das nächste Opfer hermachen, während wir hier sind.“

Er hatte zwar nicht ganz Unrecht, aber seine Zurechtweisung ging mir eindeutig zu weit und so zu tun, als hätte ich die blödeste Frage des Tages gestellt, ziemte sich nicht. Ganz und gar nicht.

„Das meinte ich nicht“, rechtfertigte ich mich trotzdem. „Aber vielleicht fährt hier z.B. jemand mehrfach mit dem Auto vorbei und verhält sich dabei irgendwie auffällig. Oder ihr findet Gegenstände. Egal was, es kann wichtig für unsere Ermittlungen sein. Immerhin wird ein Mensch vermisst. Eine Frau, die in großer Gefahr sein könnte!“ Blöder Schnösel. „Falls vorhanden, lass einfach mal Deiner Phantasie freien Lauf und so lange Du nichts beitragen kannst – halt einfach die Klappe.“ Leider konnte ich mich nicht zurückhalten. Aber es hatte wohl gewirkt.

Er nickte betreten und hatte offenbar mit meiner verschärften Ansage nicht gerechnet und sich zudem eine weitere von seinem Vorgesetzten eingefangen. „War ’ne blöde Frage“, nuschelte er so etwas wie eine Entschuldigung.

Ich zog eine Visitenkarte aus meiner Jackentasche. Zum ersten Mal in meinem gesamten Berufsleben besaß ich eigene und war stolz wie Bolle, endlich eine herauszugeben. Mit der entsprechenden Würde strich ich sie glatt, fühlte sanft über das gestanzte Logo des Polizeipräsidiums und zeigte sie dem Empfänger, als handele es sich mindestens um einen Dienstausweis. Ungewollt zelebrierte ich die geplante Übergabe eine Spur zu feierlich und bemerkte gar nicht, dass sich die Sanitäter nach meiner Zurechtweisung längst abgewendet und wieder anderen Dingen gewidmet hatten. Ich klemmte die Karte hinter den Scheibenwischer des Rettungswagens und tauchte ein in die vollkommen unbeteiligt wirkende Natur.

Nachdem ich ein paar Meter gegangen war und mit jedem Schritt Abstand zu den äußeren Einflüssen gewann, verlor sich das gegenseitige Interesse aller Anwesenden und ich konnte ungestört die milde Frühlingsluft aufsaugen. Und nachdenken. Aus allen Richtungen war munteres Gezwitscher der heimischen Vögel zu hören und der Boden roch wunderbar muffig nach tonhaltigem, altem Erdreich. Mahnende Schilder forderten die Besucher immer wieder auf, das Wegegebot zwingend einzuhalten, um damit das Naturschutzgebiet vor Eindringlingen und sich selbst vor den Kampfmittelresten zu schützen. Sperrgebiet halt. Während ich bei meinem Spaziergang versuchte, die beruflichen Eindrücke der letzten Tage zu sortieren und sie auf den aktuellen Fall zu übertragen, kam mir auf dem engen Trampelpfad eine Gruppe Jogger entgegen und trotz der großen Weite der Region kam man sich hautnah und musste sich zumindest an dieser Stelle ausweichen. Einer der jüngeren Läufer schenkte mir ein strahlendweißes Lächeln und wirkte mit seiner engen Laufhose und einem Achselshirt, das jeden seiner definierten Muskeln zeigte, sehr fit. Wirklich sehr fit. Der Schweißgeruch, der unsichtbar über jedem einzelnen von ihnen hing und durch die unvermeidbare Nähe sofort in mein Nasenzentrum drang, zerschlug den Hauch der Erotik. Er zog noch eine Weile nach und störte meine Wahrnehmung derart, dass ich die Mission für gescheitert erklärte, sie abbrach und nach Hause fuhr.

Ich checkte noch im Auto an jeder roten Ampel meine E-Mails. Alleine 39 Eingänge heute – davon 31 Werbung. Schuhe, Wäsche, Bücher, Elektrogeräte und treusorgende, gutbestückte Lebenspartner wurden mir angepriesen. Es war schon mehr als erstaunlich, dass das Internet immer genau wusste, wonach ich mich gerade sehnte. Als ich dann später auf meinem XXL-Sofa saß, löschte ich beinahe alle Nachrichten und beschränkte mich auf die vermeintlich wichtigen Mails. Eine war von meinem damaligen Abteilungsleiter. Unwichtig. Der hatte immer noch nicht überwunden, dass ich ihm nicht nur unser Arbeitsverhältnis gekündigt hatte. Auch diese landete sofort im virtuellen Papierkorb. Kurz überlegte ich sogar, ob ich ihm den Eingang in meine elektronische Welt durch das Blockieren seines Namens generell verwehren sollte. Denn schließlich war er einer der Hauptgründe für meine Kündigung gewesen. Während unserer Zusammenarbeit bewegte er sich ständig am Rande der Übergriffigkeit – physisch und psychisch. Aber das war Vergangenheit und ich nahm mir vor, seine Nachrichten einfach zu ignorieren und fing heute – fast erleichtert über diese Entscheidung – damit an.

Eine weitere Mail kam von meiner Mutter, die sich am Wochenende mit mir zu einem ausgedehnten Frühstück verabreden wollte. Ich streifte meine dunkelblauen Sneakers ungeöffnet ab, legte meine Füße auf den Tisch bis sich Gemütlichkeit einstellte und rief sie an.

„Meine liebe Sara, schön Dich zu hören. Geht’s Dir gut?“

„Ehrlich gesagt, weiß ich das selbst nicht so genau. Die Tätigkeit bei der Polizei ist schon sehr speziell und mir gelingt es nicht immer, das Erlebte abends einfach abzustreifen.“

Ich erzählte ihr nur so viel, wie ich vertreten konnte und sparte die Einzelheiten aus.

„Die Art der Arbeit ist echt eine Riesenumstellung für mich. Ich weiß gar nicht, ob ich das alles schaffe“, seufzte ich.

„Und ob Du das schaffst, mein Mädchen. Komm doch am Wochenende vorbei und erzähl mir alles in Ruhe.“

„Das darf ich ja noch nicht mal. Ist leider alles Dienstgeheimnis. Aber vorbeikommen würde ich trotzdem gerne. Lass uns irgendwo lecker Frühstücken gehen und einen gemütlichen Sonntag machen. Ein ausgedehnter Spaziergang wäre auch toll. Ich habe die paar Minuten gerade in der Wahner Heide schon sehr genossen und gemerkt, dass ich das viel zu selten gemacht habe, in den letzten Wochen.“

„Wir können ja wie früher nach Altenberg in den Märchenwald fahren“, lachte meine Mutter und ich fühlte mich sehr behütet und wie aus dem Nichts in meine Kindheit versetzt. „Spaß beiseite. Wir finden bestimmt etwas zwischen meiner Naivität und deinem beruflichen Irrsinn.“

So telefonierten wir noch eine ganze Weile über dies und das, bis ich um ca. 22.30 Uhr, nach einem langen Tag, vor dem Fernseher und der Grimm-Akte saß.

Ein kurzes akustisches Signal riss mich aus meinen Überlegungen und kündigte die nächste Mail an. Absender war der Flughafen, der mich nun offiziell informierte, dass die gesuchte Person nicht abgeflogen und demnach nicht in Spanien eingereist war. Nicht am Tag des gebuchten Fluges und auch nicht an einem anderen. Lena Grimm galt somit offiziell als verschwunden. Ich musste Andreas und Frank umgehend benachrichtigen und leitete die Mail kommentarlos an die beiden weiter. Jetzt würde die Arbeit eine ganze andere Dynamik bekommen und wir konnten morgen mit der Befragung ihres Umfeldes beginnen. In der Akte war zu lesen, dass im Wageninneren eine Tankquittung gefunden worden war, die besagte, dass Sara Lange am Abreisetag um 17.20 Uhr, also gut zwei Stunden vor dem geplanten Flug, für zehn Euro in der Nähe des Flughafens getankt hatte. Es war demnach höchstwahrscheinlich, dass sie danach auf dem Weg zum Flughafen verschwunden ist.

Ich versetzte meine Phantasie in den besagten Nachmittag, begab mich auf die gemeinsame Reise und fuhr die Strecke hinter meiner Stirn ab. Vielleicht hatte sie den Parkplatz dort als preiswerte Möglichkeit genutzt, ihren Wagen für die Zeit ihrer Abwesenheit abzustellen. Von dort aus konnte man sogar zu Fuß zum Flughafen gehen – auch mit Gepäck. Nutzte man hingegen eines der Parkhäuser am Flughafen, war man für die vorgesehenen vier Wochen schnell einen mittleren dreistelligen Betrag los, den man gut und gerne auch in Spanien lassen und als Reisegeld nutzen konnte. Solche Überlegungen traute ich Frau Grimm auf jeden Fall zu, denn ihr Lebenswandel wirkte auf den ersten Blick bescheiden und sah man von dem Mini ab, eher bodenständig. Die Kollegen, die ihre Wohnung aufgesucht hatten, sprachen von einer einfachen Einrichtung und einer gewissen Unordnung dort. Es habe aber nichts auf ein gewaltsames Eindringen anderer hingedeutet – also auch nicht auf eine Entführung aus ihren eigenen vier Wänden. Ich stocherte mit meinen Gedanken im Ungewissen und mit einer Gabel in einem Glas Oliven herum und, um meiner Nacht ein wenig Ruhe zu geben, trank ich den ziemlich großen Rest aus der ohnehin offenen Flasche Rotwein. So konnte ich die Akte für diesen Abend loslassen und hing im Bett noch ein wenig meinem und dem Leben von Lena Grimm nach. Mit dem Wissen, dass morgen eine Menge Arbeit auf mich zukommen würde, schlief ich endlich ein und wälzte mich auf 1,60 x 2,00 m Federkern durch eine unruhige Nacht. Die abendlichen WhatsApp-Nachrichten meiner Kollegen erreichten mich nicht mehr.

Sperrgebiet!

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