Читать книгу Sperrgebiet! - Susanne Klein - Страница 19

DREIZEHN

Оглавление

Die Farben der Heide begannen der Jahreszeit entsprechend zu leuchten und zwischen sanft blühenden Sträuchern, lagen eingebettet, Flächen aus zartem, grünem Moos. Weich und nur wenige Zentimeter hoch. Aus der Ferne sah alles aus wie immer. Eine Rotte Wildschweine stöberte durch die Region und machte bei jeder sich bietenden Gelegenheit Halt, in der Hoffnung etwas Fressbares zu finden. Seit einer ganzen Weile verharrten die Tiere. Aufgeregt tauchten sie ihre Nasen ab und trüffelten an einem offenbar größeren Fund. Erst das Rascheln im Unterholz und menschliche Stimmen ließen sie aufschrecken und fluchtartig fortrennen. Der Blick auf ihre Beute wurde frei.

Wie aufgebahrt lag eine Frau jetzt unübersehbar auf der Anhöhe mitten in dem ansonsten mehr oder weniger flachen Gelände. Mit toten Augen starrte sie in den abendlichen Himmel. Ihre Arme lagen eng neben dem Körper und waren ab den Ellenbogen angewinkelt und auf der Mitte des Bauches zu betenden Händen zusammengeführt. Ihr, für dieses noch frühe Stadium des Frühlings definitiv zu sommerliche Kleid, war bis zur Hüfte hochgeschoben. Die langen, schlanken Beine waren gespreizt und ließen von vorne einen Blick auf ihre blank rasierte Scham zu. Im direkten Vergleich mit den kräftigen Farbtönen der sprießenden Natur wirkte ihre Hautfarbe weiß und wie aus Wachs.

Ein junges Paar hatte die Leiche gefunden, als die beiden, um ungestört zu sein, sich ein lauschiges Plätzchen in der Wahner Heide gesucht hatten. Zwar hatten sie die offiziellen Wege entgegen der Warnungen an einigen Stellen verlassen, waren dann aber letztendlich über einen Wanderpfad auf dem kleinen Plateau gelandet, das sie für genau den richtigen Ort hielten. Sie wollten dort bei einer Flasche billigem Sekt einen schönen Abend verbringen, die wunderbare Aussicht genießen und wohl ihre jungen, trainierten Körper gemeinsam und gegenseitig erkunden. Durchaus nachvollziehbar, wenn man sie so in ihrer jugendlichen Schönheit sah. Als sie voller Vorfreude und Aufregung die kleine Anhöhe erreicht hatten, stießen sie unvermittelt auf die Tote. Sie lag plötzlich vor ihnen und war für beide die erste Begegnung mit dem Tod. Ohne Vorwarnung. Das Mädchen wurde beim Anblick der Leiche von derart heftigen Magenkrämpfen befallen, dass sie niederging und nicht mehr in der Lage war, zu handeln. Sie kniete auf dem Boden und übergab sich, während sie bei jedem Würgen einen yogamäßigen Katzenbuckel machte. Der junge Mann war schnell wieder einigermaßen neutralisiert, hielt seiner Begleitung die langen Haare beim Spucken zurück und bettete sie nach ihrer Übelkeitsattacke fürsorglich in stabiler Seitenlage auf dem weichen Boden. Durch diese Position war ihr Blick von der Toten abgewandt und daran würde sie freiwillig garantiert auch nichts mehr ändern. Das sprachen jedenfalls ihre weit aufgerissenen Augen. Erst als es ihr scheinbar ein wenig besser ging, wählte ihr Freund die 110 und verständigte mit präzisen Angaben die Polizei, die sich gleich mit drei Einsatzfahrzeugen, einer zivilen Streife und zwei Notarztwagen auf den Weg machte und einen polizeilichen Großalarm auslöste.

„Wir sind arglos auf sie zugegangen. Meine Freundin wunderte sich, weil die Frau auf dem Boden lag und schon so sommerlich gekleidet war.“ Er strich sich über seine Arme, als friere ihn bei den Gedanken daran. „‚Die holt sich noch den Tod‘, hat sie gesagt!“, berichtete der junge Mann, als die Polizei eintraf und erste Informationen von ihm erfragte. Er stand starr vor den Beamten, als würde er das Geschehene selbst verantworten müssen. Um ihn nicht unnötig zu strapazieren, notierte man seine Daten und entließ ihn aus der ersten Befragung in die Obhut der Sanitäter. Auch damit er in der Nähe seiner Freundin sein konnte. Die Polizei hielt ihn nicht für den Mörder und widmete sich den Untersuchungen vor Ort.

Momentan und erst recht im Verlauf des Abends würden sie künstliches Licht benötigen, um den Fundort auszuleuchten und nach Spuren zu suchen. Zur Verstärkung alarmierte die Organisationseinheit das Technische Hilfswerk. Erschwerte Arbeitsbedingungen verursachte zusätzlich das nicht überall zugängliche Gelände und die Tatsache, dass die Einsatzfahrzeuge rund 250 m zuvor stoppen und sich alle auf einen mühsamen Fußmarsch einstellen mussten. An der Weiterfahrt wurden sie von einem Wassergraben und wild wuchernden Brombeersträuchern gehindert. Ob die militärischen Rückstände zusätzliche Probleme bereiten konnten, wusste zur Zeit niemand. Aber alle hofften, nicht auf eine vergessene Mine zu treten oder plötzlich eine Handgranate im Spurensicherungsbeutel zu haben, weil man sie für einen Scherzartikel, das Mordinstrument oder gleich beides hielt.

Zunächst waren neben den Streifenbeamten nur Kollegen des Kriminaldauerdienstes vor Ort. Und mit etwas Verzögerung Labonte und Kurani aus unserem Dezernat. Sie verschafften sich einen ersten Überblick, machten Fotos und betrachteten mit ernstem Gesichtsausdruck die Leiche. Der Gerichtsmediziner erreichte mit seinem schweren Equipment keuchend zehn Minuten später den Fundort und schlüpfte etwas umständlich in seinen weißen Overall, bevor er die Kapuze überzog und sich der Toten näherte. In einer ersten, oberflächlichen Untersuchung bestätigte Carlo Seitz, so hieß der Experte, dann nicht überraschend ihren Tod und diagnostizierte fortgeschrittene Anzeichen der Verwesung. Spätestens, als er die Leiche umgedreht hatte, war dies, auch ohne ein Spezialist zu sein, erkennbar. Mehr oder weniger alle drehten sich reflexartig weg, als der offene Rücken sichtbar wurde und hunderte Maden in ihm wuselten.

„Es ist definitiv nicht der Tatort. Das Territorium unter ihr weist nur geringe Körperabdrücke und wenige Rückstände des aus ihrem Leib austretenden Leichenwassers auf. Das heißt, sie liegt nicht so lange hier, wie sie tot ist.“ Er erklärte noch weiter: „Wir müssen den Boden trotzdem abtragen. Hier sind sicherlich Larven der Insekten abgelegt, die sich gerade über ihre Rückseite hermachen. Damit lässt sich der Zeitpunkt des Todes dann genauer bestimmen.“ Das wollte nun wirklich niemand so genau hören. Plötzlich hatte jeder irgendetwas Wichtiges zu tun und einen guten Grund dafür parat, die Fundstelle zumindest für die Dauer der Leichenanschauung zu verlassen.

Das Gebiet wurde weiträumig abgesperrt. Die geschockten jungen Leute waren inzwischen erstuntersucht und ins Krankenhaus nach Troisdorf gebracht worden. Beide. Vorsorglich. Um sie nicht den unberechenbaren Risiken und Folgen eines schweren Schocks auszusetzen. Ein Streifenwagen fuhr zu den Eltern des Mädchens, um sie über ihren Aufenthaltsort und das Vorgefallene zu informieren. Sie war erst 17, so dass das Gesetz es vorsah, Minderjährige in die Obhut ihrer Erziehungsberechtigten zu bringen oder aber diese über die Situation zu unterrichten. Die verbleibenden Ermittler und Polizisten kamen zusammen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Andreas richtete sich mit seinem Appell an alle Anwesenden: „Wir werden, wenn es sein muss, die ganze Nacht hierbleiben und nach Spuren suchen. Notfalls drehen wir jeden Stein um und fotografieren alle Grashalme. Noch so unscheinbare Hinweise sind wichtig. Auch wenn sie unspektakulär und weit weg von der Sache erscheinen. Betrachtet jedes Teil als wäre es unser wichtigstes Beweisstück und fügt alles zu einem Puzzle zusammen.“ Er machte eine Pause, damit sich sein Vortrag bei den Zuhörern verankern konnte und nicht sofort in der Kammer des Vergessens landete. „Und wir suchen ihre Handtasche. Vielleicht hatte sie ja doch ihre Papiere bei sich. Dann wüssten wir sicher, dass es Lena Grimm ist. Oder eben nicht.“

Er klatschte aufmunternd in die Hände: „Kommt Leute, bleibt hellwach und gebt alles!“

Nachdem das THW und eine kleine Einheit der Feuerwehr für Licht gesorgt hatten, wies Frank Labonte die Beamten an, vor Ort zu bleiben und den Tatort großräumiger zugänglich zu machen. Er hoffte, persönliche Dinge und vor allem das Handy der Frau zu finden. In ihrem Auto hatte es jedenfalls nicht gelegen und in der Wohnung, soweit die beiden Beamten das gecheckt hatten, auch nicht. Alle Spuren, die noch da waren, sollten so gut wie möglich erhalten bleiben und, in kleinen Plastiktüten gesichert, den Weg ins Präsidium finden. Das anfangs wuselige und ameisenähnliche Treiben rund um den Fundort wirkte inzwischen kontrollierter. Trotzdem war es schwer, die in weiße Overalls gehüllten Ermittler auseinanderzuhalten, obwohl jeder von ihnen auf der Rückseite seiner Zuordnung entsprechend „GERICHTSMEDIZIN“ oder „POLIZEI“ stehen hatte. Irgendwie sahen doch alle gleich aus. Einzig die Beamten in Zivil, die, um nicht versehentlich in einem Kugelhagel zu enden, weil man sie für den gesuchten Verbrecher hielt, trugen neongelbe Warnwesten und umrahmten das abgesteckte Territorium. Auch auf ihrer Kleidung stand in silbernen Leuchtlettern „POLIZEI“. Am nächsten Morgen sollten weitere 50 angehende Beamte einer Hundertschaft der Polizeischule Brühl hinzugerufen werden, die in einer eng geführten Reihe in kleinen Schritten und mit sogenannten Taststangen und Sonden den Boden nach Gegenständen absuchen sollten, die heute übersehen oder nicht gefunden wurden. Allem voran, suchte man nach möglichen Besitztümern des Opfers. Bestenfalls fand man welche des Täters.

Sperrgebiet!

Подняться наверх