Читать книгу Sperrgebiet! - Susanne Klein - Страница 21

FÜNFZEHN

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Ich war gerade im Büro angekommen und wunderte mich, dass noch niemand da war, als Frank mich wie auf ein Stichwort anrief. Vorwurfsvoll fragte er mich: „Schaust Du eigentlich auch mal auf Dein Handy?“ Obwohl ich alleine war, errötete ich voller Scham, als ich die vielen Nachrichten des gestrigen Abends auf meinem Display entdeckte. Gerade als ich zur Entschuldigung ansetzen und losstottern wollte, ging er zur Normalität über und berichtete von dem, was ich verpasst hatte:

„Sie hat zwar keine Papiere dabei, aber wir gehen davon aus, dass die Tote Lena Grimm ist. Ich schick‘ Dir ein paar Fotos zum Abgleich.“ Er war aufgewühlt und hatte, wie die anderen auch, die Nacht draußen vor Ort verbracht, um keine Spur zu verlieren. „Und Du musst irgendwie versuchen, an die strategischen Pläne der belgischen Streitkräfte zu kommen, damit wir sehen können, wo die Gefahren ihrer militärischen Hinterlassenschaften lauern und wie groß das Risiko ist, abseits der gekennzeichneten Wege versehentlich Selbstmord zu begehen oder sogar ein Gemetzel anzurichten.“

Das passte zu dem Bußgeld, das man trotz aller Dramatik dem jungen Paar aufbrummte, das die tote Frau gefunden hatte, weil sie sich eben nicht an das Wegegebot gehalten und mutwillig das Sperrgebiet betreten hatten. „Grobe Gefährdung des eigenen Lebens und das anderer“, hieß es im Bescheid, den die Kollegen vor Ort ausstellten und mit 80 Euro Strafgeld versahen. Als ich den Vermerk darüber in der elektronischen Datenbank gesehen hatte, empfand ich es als äußerst kleinkariert, Menschen in einer derartigen Situation auch noch eine solche Strafe zu verpassen. Aber jetzt, wo ich etwas über die Konsequenzen gehört hatte, konnte ich es durchaus nachvollziehen.

„Wir sehen uns später Sara“, hörte ich Frank sagen, gerade als ich mich über den Bußgeldbescheid noch einmal mit ihm austauschen wollte. Da hatte er aber längst aufgelegt. Ich zuckte mit den Schultern und setzte mich auf die Kante meines Schreibtischs, um dort aus dem Fenster starrend meine Gedanken und die daraus wachsenden Aufgaben zu sortieren. Die Vermutung, dass die Tote keine Papiere mit sich geführt hatte, teilte ich nicht unbedingt. Sicher war nur, dass keine gefunden worden waren. Keine Handtasche – keine Papiere. Also beschloss ich, an diesem Punkt anzusetzen und mich ansonsten hier im Präsidium einigermaßen nützlich zu machen.

„Wann werdet ihr zurück sein?“, fragte ich Frank in einem erneuten Anruf.

„Gegen 11.00 Uhr“, blieb er knapp.

„Okay, dann bis nachher.“ Ich lief die fünf Etagen durch das Treppenhaus nach unten in die noch leere Kantine und suchte vergeblich Personal. Immer dem Klappern nach, dachte ich und konnte mich durch lautes Klopfen an der Küchentüre bemerkbar machen.

„Hallo, guten Morgen!“, rief ich ins Innere der Verpflegungszentrale. Hektisch ging es dort zu und der Ton war auch gewöhnungsbedürftig.

„Was wollen Sie?“, war noch das Freundlichste, das ich wahrnahm.

„Könnte ich bei Ihnen zwanzig belegte Brötchen bestellen? Ich würde sie in ca. einer Stunde abholen kommen.“

„Glaubst Du eigentlich, wir hätten Zeit zu viel?“, fragte mich die deutlich genervte Küchenchefin. Oder war es ein Küchenchef? Da steckte wohl ein Kerl in einer wohlgeformten Hülle und war unzufrieden, nicht er und nicht sie zu sein. Wie dem auch sei. Ich blieb bei meinem Anliegen und wiederholte die Frage.

„Oder soll ich sie lieber drüben in der Bäckerei Mauel holen?“, legte ich nach. Ich hatte schließlich meinen Kollegen gegenüber etwas gutzumachen und wollte, egal wie und woher, ein versöhnliches Frühstück vorbereiten. Dass ich die gestrigen Nachrichten nicht mehr gelesen hatte, war mir nämlich echt peinlich.

„Nein. Ist schon in Ordnung. Wenn Du kurz vor 11.00 Uhr wieder hier bist, werden sie fertig sein.“ Was für ein Wandel.

„Das ist super. Vielen Dank. Soll ich auch schon bezahlen?“

„Gerne erst, wenn Du alles abholst. Möchtest Du auch Kaffee dazu? Ich kann Dir Literkannen anbieten.“

„Das ist ja perfekt. Dann nehme ich drei Liter Kaffee dazu.“

„Okay. Bis nachher.“

Etwas langsamer als vorhin auf dem Weg nach unten, begab ich mich nun wieder zurück in die 5. Etage und setzte mich an den Rechner, in der Hoffnung, eine zündende Idee zu entwickeln, die uns weiterbrachte. Es vergingen Minuten, in denen ich nichts weiter tat, als meinen Bildschirm nonverbal anzuflehen, mir endlich ein Zeichen zu geben. Nichts geschah. Lange nichts. Ich glaube, es gehört zur Polizeiarbeit dazu, genau das auszuhalten. Dass eben manchmal über mehrere Tage oder gar Wochen nichts passiert und im nächsten Augenblick ein bahnbrechender Hinweis zum Durchbruch verhilft, ist Alltag der Polizei und sagt null über die Quantität der Arbeit aus. Noch viel weniger über deren Qualität. Also starrte ich weiter, bis mich mein Telefon aus dem Blicken ins Leere riss.

Es war Tomas Weber, der mir ankündigte in zwei Minuten bei mir zu sein, um mir seinen Bericht zu dem Mini zu bringen.

„Aber den wollte ich doch abholen kommen“, meinte ich noch, um ihm den Weg zu ersparen und etwas Abwechslung zu haben.

„Ich dachte, ich spare Dir den Weg in die finstere Spurensicherung.“ An seinem Lachen hörte ich, dass er das nicht ganz ernst meinte, obwohl die Räumlichkeiten tatsächlich im dunklen Keller des Gebäudes lagen. Trotzdem schob er nach: „Ich brauch einfach etwas Bewegung. Bis nachher.“

Aus dem Bericht ergab sich leider keine Neuigkeit. Die Informationen waren äußerst spärlich und brachten uns für den Moment nicht sehr viel weiter. Fundort und Datum kannten wir, und dass sich ihr Gepäck im Wagen befunden hatte, war uns ebenfalls nicht neu. Andere Fingerabdrücke als die von Lena Grimm gab es nicht. Tomas wirkte frustriert darüber – er hatte sich, wie ich auch, mehr davon versprochen. Viel mehr. Ein gemeinsamer Austausch darüber wurde unterbrochen, weil mein Handy erneut klingelte. Tomas rief mir noch ein paar Worte zu, winkte zum Abschied und verschwand wieder in seinen Spurensicherungskeller.

Das Klingeln meines Handys wurde penetrant und die Küchenchefin plärrte direkt in mein Ohr, als ich das Telefonat annahm:

„Wann gedenkst Du Deine Sachen zu holen, Prinzessin?“

Ich wusste, wenn ich nicht sofort losrannte, würde ein großes Donnerwetter auf mich einprasseln. Ausläufer konnte ich noch wahrnehmen, bevor ich mein Handy, ohne das Gespräch wegzudrücken, in meine Hosentasche steckte und mich auf den Weg machte. So ein Mist. Es war 11.00 Uhr und meine Kollegen würden jeden Augenblick hier sein und ich hatte vergessen, die bestellten Brötchen und den Kaffee abzuholen. Noch schneller als bei meinem ersten Treppen-Run begab ich mich ins Erdgeschoss und stand nur wenige Sekunden nach dem Anruf der Küchenchefin leibhaftig vor ihr, während sie immer noch in ihr Handy schimpfte wie ein Rohrspatz. Vorsichtshalber strahlte ich sie an. Es funktionierte – ich hatte sie besänftigt, bevor sie erneut den Mund aufmachen konnte. Als ich die Platte vor mir sah, wusste ich, warum sie verärgert war. Köstlich aussehend und liebevoll bis ins kleinste Detail dekorierte Brötchenhälften lagen auf einem silbernen Tablett mit weißer Tortenspitze vor mir.

„Wow!!!“, war das Einzige, was ich hervorbrachte. Und ein strahlendes: „Dankeschön.“

„Gern geschehen.“ Sie reichte mir die Hand. „Ich bin Sabrina Michels.“

„Sara Lange.“

„Soll Dir jemand helfen, die Sachen nach oben bringen?“

„Das wäre toll. Was habe ich zu zahlen?“

„Mit dem Kaffee zusammen genau 35 Euro.“

Ich legte ihr 40 Euro auf den Tresen und betrachtete den Rest als Trinkgeld. Eine junge Küchenhilfe trug mit mir alles in unsere Abteilung und half, das Ganze hübsch und wie aus einem Nobelfeinkostladen in unserem Besprechungsraum zu drapieren. Schnell holte ich noch Tassen für den Kaffee, als die Aufzugstüre aufging und Andreas mit den ersten Kollegen das Zimmer enterte und sich sofort und ungefragt über Brötchen und Kaffee hermachte. Die anderen taten es ihm nach. Perfektes Timing.

„Sara, Du bist wirklich ein Schatz.“ Er blickte mich dankbar an und lächelte aus traurigen Augen, die von dunklen Rändern umgeben waren. Frank kam nach 10 Minuten dazu und übergab mir ein paar Unterlagen, die nach Arbeit aussahen. Ich ließ die Gruppe alleine frühstücken und zog mich an meinen, immer noch ruhenden Bildschirm zurück. Bis der Rechner wieder hochgefahren war, blätterte ich mich schon einmal durch die Seiten, die Frank mir in die Hand gedrückt hatte. Die Namen der beiden Zeugen, die die Leiche gefunden hatten, jagte ich durch die Google-Welt. Das Ergebnis war unspektakulär. Ganz normale junge Leute, die keine Geheimnisse vor sich und der Welt hatten. Das zeigte jedenfalls ihre Offenheit in den sozialen Netzwerken.

„Danke für das super Frühstück, Sara. Das hat gutgetan“, stand Frank plötzlich hinter mir und massierte mir den Nacken, bis es hier und da deutlich knackte.

„Ohhhh“, stöhnte ich. „Das tut aber auch gut.“ Ich schloss die Augen und genoss den kurzen Moment der Entspannung. Dabei hätte er sie viel nötiger gehabt.

„Kommst Du klar mit dem, was ich Dir gegeben habe?“, wollte er fürsorglich wissen.

„Klar, komme ich klar.“

„Melde Dich, wenn Du Fragen hast.“ Er verschwand genauso schnell, wie er gekommen war und ging zurück in sein Büro. Wir sahen uns erst zur Mittagspause in der Kantine wieder und besprachen ein paar Punkte. Andreas kam später, als wir schon fertig waren, um Frank abzuholen. Sie würden zum Krankenhaus Troisdorf fahren und die Zeugin Leonie Ohoven befragen. Vorsicht war geboten, das hatte die Ärztin am Telefon bereits angedeutet. Denn das Mädchen war in der Nacht noch auf die Intensivstation verlegt worden, da sich die Vitalwerte aufgrund des Schockzustandes dramatisch verschlechtert hatten und infolgedessen für einen Moment ihr Leben in akute Gefahr geraten war. Da aber auch der Klinik bewusst war, dass wir unsere Fragen so schnell wie möglich stellen mussten, durften die beiden für ein paar Minuten zu ihr. Ich hatte im Präsidium noch einiges zu erledigen und würde von hier aus gegen 17.00 Uhr zum Betriebssport aufbrechen. Aber, eins nach dem anderen. Mit einem großen „Hallo“ brachte ich nach meiner Mittagspause die ratzeputz leer gegessenen Platten zurück in die Küche.

„Vielen Dank noch mal, dass ihr mir so spontan geholfen habt. Und liebe Grüße an die Chefin.“ Sabrina war nirgends zu sehen. Bei nächster Gelegenheit sollte sie eine Flasche Champagner von mir für ihre Unterstützung heute Morgen bekommen.

Eine ganze Kiste davon stand noch in meinem Keller. Auch so eine Hinterlassenschaft meines früheren Vorgesetzten, als ich noch seine gut funktionierende Geliebte war, und er gelegentlich, wenn seine Olle mal wieder auf Golf- oder Schönheitsreise war, bei mir vorbeschneite. Champagner musste immer im Haus sein, wenn sich der gnädige Herr in meinen Laken räkelte. Die Nacht verbrachte er dann nur in meinem Bett, weil er meist nach einem, ausschließlich zu seinen Gunsten verlaufenden, Quickie und ein paar Gläsern zu viel noch auf mir einschlief und fahruntüchtig war. Ich sollte nicht mehr darüber nachdenken – es war vorbei und wühlte mich nur auf. Am besten würde ich Sabrina die ganze Kiste schenken und den Blick nach vorne richten, bevor die, mit ihm immer wieder aufkommenden negativen Gefühle, die Gegenwart überlagerten.

Als äußeres Zeichen meiner Abneigung schüttelte ich meinen Körper, warf meinen Kopf entschlossen in den Nacken und ging voller Selbstbewusstsein zurück in mein Büro. Die letzten Schritte musste ich schon im Spurt nehmen, um noch rechtzeitig das schier endlos klingelnde Telefon zu erreichen. Es war Andreas, der sich meldete und mich sofort anbrüllte, weil ich nicht unverzüglich ans Telefon gegangen war. Selbst als ich den Hörer eine Armlänge von meinem Ohr weghielt, vernahm ich seine Ansprache. Echt merkwürdig, wie die Stimmung im Minutentakt kippen konnte und sich genau ins Gegenteil wandelte. Vor einer viertel Stunde noch erfreute ich mich am schönen Augenblick eines wirklich gelungenen Vormittages und stand jetzt im Auge eines Sturmes im Wasserglas. Ich ließ mich von der schlechten Laune nicht anstecken und hörte mir ohne etwas zu sagen an, was Andreas mir so lautstark mitzuteilen hatte. Das machte ihn allerdings noch wütender.

„Warum gibst Du mir verdammt noch mal keine Antwort?“ Er wollte offensichtlich immer noch wissen, warum ich nicht ans Telefon gegangen war. Aber was sollte ich ihm darauf antworten. Ich blieb sachlich.

„Ich war nicht hier.“

Seine Reaktion darauf hätte ich mir denken können. Trotzdem bebte mein Trommelfell, als das nächste Gebrüll ins Innere meines Ohres drang. Das musste ich mir nun wirklich nicht gefallen lassen. Ich legte auf und nahm mögliche Konsequenzen in Kauf. Als ich mich mit meinem Handeln nach einer halben Stunde immer noch nicht unwohl fühlte, war mir klar, dass ich das Richtige getan hatte. Nach ein paar Recherchearbeiten am Nachmittag nahm ich Kontakt mit Frank auf und informierte ihn vorsichtshalber, dass ich Feierabend machen würde. Nicht, dass der auch noch ausrastete, falls er mich später noch brauchte. Er war lieb, wie immer und erzählte vom Krankenhausbesuch, der ohne neue Erkenntnisse geblieben war. „Ist gut, Sara. Mach Dir einen schönen Abend und viel Spaß beim Sport. Wir sehen uns morgen früh.“

Sperrgebiet!

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