Читать книгу Sperrgebiet! - Susanne Klein - Страница 9
DREI
ОглавлениеZiel und meine primäre Aufgabe hier im Präsidium sollte irgendwann in absehbarer Zeit die eigenständige, administrative Unterstützung von insgesamt sechs Kriminalisten sein. Je selbstständiger ich dabei agierte, desto besser – hatte mir der Personalchef bereits in meinem Vorstellungsgespräch ziemlich deutlich gesagt. Und genau darauf arbeitete ich seit dem ersten Tag akribisch hin. In den letzten Wochen hatte ich viel beobachtet, gelernt und mich langsam an die Polizeirealität herangetastet. Nach der Probezeit und einer damit einhergehenden Einarbeitungsphase würden die Tätigkeiten ausgedehnt und ich wäre dann in der Lage, eigene Erkenntnisse in die Ermittlungen zu tragen. Wenn alles gut lief, war dieser kleine Fall ein Quantensprung.
Meine Vorgesetzten und die besten Chefs der Welt, sind der eben erwähnte Andreas Kurani, 50 Jahre alt, Kriminaloberkommissar und Frank Labonte, 44 Jahre alt, sein Stellvertreter, ebenfalls Kriminaloberkommissar. Beide scharfe Analytiker und hervorragende Kriminalisten, aber ansonsten absolut unterschiedlich. Während Andreas sehr introvertiert und – sieht man mal von seinem Monolog von eben ab – eher still und einsilbig auftritt, ist Frank immer und überall präsent. Sobald er einen Raum betritt, füllt er ihn mit seinem Charisma. Bääähm! Auch optisch ist er genau das Gegenteil von Andreas. Es kommt nicht selten vor, dass Frank wie für ein Männermodemagazin gestylt, nach teuren Parfüms duftend und im Designeranzug auf der Arbeit erscheint und die reinste Provokation für diejenigen ist, die morgens aus dem Bett und in ihre nichtssagenden Klamotten vom Vor- und gerne auch mal vom Vorvortag springen. Andreas gibt sich eher so, wie man einen typischen Kriminalbeamten aus dem Fernsehen kennt. Etwas mürrisch, ansonsten kernig und sportlich. Auch optisch. Jeans, Shirt, Turnschuhe. Fertig. Vier weitere Beamte und ich sind den beiden unterstellt. Während sie ermitteln und die Arbeiten am und rund um den Tatort vornehmen, hüte ich in der Regel unser Büro im Linksrheinischen am Rande der Kölner Innenstadt. Kalk – am Puls der Kriminalität und mitten im sozialen Brennpunkt der Stadt.
Die Kollegen aus meiner Truppe sind immer die Ersten an einem Tatort und in mehreren Schichtdiensten rund um die Uhr im Einsatz. Sie werten zusammen mit den Mitarbeitern der Spurensicherung die frühen und unangetasteten Spuren aus, bevor die Vorgänge dann mit der Mordkommission gemeinsam ermittelt werden. Erst wenn ein Verbrechen mit Todesfolge aufgeklärt ist oder es nach dem Ablauf einer bestimmten Zeit nicht gelöst werden kann, wird die Mordkommission verkleinert und das Dezernat XI wieder abgezogen. Es kommt dann auch vor, hängt aber vom Arbeitsaufkommen der verschiedenen Abteilungen ab, dass wir Vermisstenfälle mit übernehmen oder im kleinkriminellen Milieu, beziehungsweise bei der Drogenfahndung ermitteln.
Nach über zwanzig Jahren im Vertrieb einer Versicherung in Köln, kam ich als absolute Quereinsteigerin und in relativ fortgeschrittenem Alter zur Polizei und genoss in diesen ersten Wochen noch die volle Aufmerksamkeit der Kolleginnen und Kollegen und eine Art Welpenschutz. Es gefiel mir, die Verantwortung auf anderen breiten Schultern zu wissen und nicht selber im Fokus zu stehen. Am 1. Januar war für mich mit dieser Stelle ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen. Und trotz einer ausgiebigen Silvesternacht mit wenig Schlaf und meines ersten Feiertagsdienstes war ich voller Motivation und mit viel Vorfreude gestartet. Ich war stolz, diese Chance zur rechten Zeit für mich erkannt und angenommen zu haben. Schon seit Kindheitstagen wollte ich zur Polizei. Allerdings war es in meiner Generation zum damaligen Zeitpunkt noch nicht weit verbreitet, sich zur Polizeibeamtin ausbilden zu lassen und in den Jahren danach war ich viel zu bequem geworden für eine solche Veränderung, die damals wie heute erhebliche finanzielle Einbußen bedeutet.
Gefangen in meinem persönlichen Rückblick schweifte ich ab und war so vertieft im eigenen Gedankenuniversum, dass ich den Vortrag meines Chefs von vorhin trotz der vielen Informationen nicht mehr abrufen konnte und jetzt krampfhaft überlegte, was er mir so lange und breit angeraten hatte. Nachfragen zu müssen, wäre natürlich der Supergau und an Peinlichkeit nicht zu überbieten. Also kramte ich in allen Gehirnschubladen, fand langsam zurück in einen Konzentrationsmodus, der die Hinweise in einer Art Endlosschleife vor meinen Augen umherflimmern ließ, bis ich wieder in der kriminalistischen Spur war und mir einfiel, dass ich zuerst bei der Stadt Köln anrufen wollte.
Nervös tastete ich über das Tattoo in meinem Nacken, das den meisten wegen meiner langen Haare verborgen blieb. Es war ein kleiner Schutzengel, der mir Kraft und Ruhe gab.
Bisher war es für mich nie unmittelbar um Tote gegangen, und jetzt blickte ich erstmalig auf eine. Das Foto zeigte die Fundstücke fein säuberlich zu einem Knochengerüst zusammengefügt. Sie waren nicht Furcht einflößend, erinnerten vielmehr an meinen Biologieunterricht in der achten Klasse, als uns Tom, das Schulskelett vorgestellt wurde und wir Schüler vom Amboss bis zur Speiche des Wadenbeins alle menschlichen Knochen persönlich kennenlernten.
Okay, um mich für meine Aufgabe zu stärken und mein Mantra zu zentralisieren, tastete ich noch mal den Engel im Nacken ab. Alles klar.
Ich griff zum Telefonhörer, räusperte mich aufgeregt und wählte die Nummer der Stadtverwaltung Köln. Nach vier Fehlversuchen und etlichem Weiterverbinden wegen nicht zuständig sein, landete ich nach einer gefühlten Ewigkeit bei einem Sachbearbeiter. Endlich, freute ich mich – verfrüht …
„Guten Morgen, ich bin Sara Lange von der Kripo Köln. Wir haben ein paar Fragen im Zusammenhang mit dem Fund der sterblichen Überreste einer Frauenleiche, deren Knochen kürzlich auf Ihre Anweisung hin im Krematorium in Mechernich eingeäschert wurden.“
„Ja, und welche?“
„Welche was?“
„Welche Fragen?“
„Ach so! Wir würden gerne versuchen, sie über ihre familiären Verhältnisse und die Daten in ihrem Ehering zu identifizieren und bräuchten dazu dringend Akteneinsicht. Und den Ring.“
„Aha.“
Langsam wurde ich wütend. Wie träge war der denn?
„Könnte ich die Sachen bei Ihnen abholen lassen?“
Ich visualisierte meine Vorstellung von ihm. Bestimmt saß er zurückgelehnt in einem abgehalfterten Bürostuhl, schaute genervt an die Zimmerdecke und kaute an seinem Rotstift, mit dem er im Laufe des Tages Bewilligungen aus dem Leben Bedürftiger strich.
„Ja, sicher. Aber frühestens morgen.“
Als ich ansetzte mich aufzuregen, hatte er längst aufgelegt und sich vermutlich seinem Büroschlaf gewidmet. Mannomann!