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6. Die Gaffer

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.....dunkle Seelen.....

Der nächste Morgen zeigte das ganze Ausmaß der Zerstörung. Der Sturm hatte ganze Arbeit geleistet. Dumpf lag der Tod ihres Nachbarn über allen Dorfbewohnern. Die Nachricht von seinem Ableben hatte sich rapide herumgesprochen. Niemand wusste etwas Genaues. Stillschweigen herrschte über die Todesursache, so sprachen es die Polizisten mit den Angehörigen ab. Ebenso mit Tabea und ihren Freunden. Jemand brachte in Umlauf, Frieso sei auf den nassen Fliesen ausgerutscht und hatte sich beim Sturz den Kopf eingeschlagen. Irgendwie wollte jeder das bereitwillig glauben. Aber tief im Inneren wussten sie alle, dass irgendetwas Schreckliches vor sich ging und das Dorf und seine Bewohner in den Klauen hielt.

Tabea und Femke hatten die Nacht auf dem Sofa verbracht. Der Tod ihres Freundes setzte ihnen zu. Die Narben von Tammes grausamen Tod waren noch nicht einmal ansatzweise verheilt und der Tod ihres anderen Freundes riss die alte Wunde wieder auf. Alle waren sich darüber im Klaren, dass merkwürdige Dinge sich anhäuften. Gewaltsamer Tod hatte Einzug gehalten in eine kleine Gemeinde und zutiefst verstörte und angespannte Menschen hinterlassen.

Die Dorfbewohner waren damit beschäftigt die Straßen und Grundstücke wieder begehbar und befahrbar zu machen. Die Telefone der Versicherungen liefen heiß und so mancher traf Vorbereitungen, den vom Sturm verursachten Schaden zu vergrößern.

Gebke und Jelde Remmers räumten ebenso auf ihrem Grundstück auf. Der Sturm hatte drei Bäume umgeknickt und die lagen nun übereinander getürmt und versperrten den Weg zum Schweinestall.

Während Jelde die Kettensäge anwarf, sah er, dass seine Nachbarn an der Reithalle auch aufräumten. Vorsichtig begann er die Äste von den Stämmen zu trennen. Als alter Feuerwehrmann wusste er, plötzlich hochschnellende Äste konnten auch durchaus töten. Gebke unterstützte ihn in seinen Bemühungen, aber zu zweit war das Ganze sehr mühselig.

Nach zwei Stunden hatte sich auch ihr Sohn Remmer aufgerafft und missmutig begann er seinem Vater zur Hand zu gehen. Er hatte bereits in jungen Jahren angefangen Drogen zu konsumieren. Bereits mit 16 Jahren war er durch schwere Körperverletzungsdelikte und ungezügelte Gewaltbereitschaft aufgefallen. Kaum eine Erziehungsmaßregel erwies sich als tauglich und so war auch irgendwann bei Gebke der Geduldsfaden gerissen. Zwischen ihnen herrschte immer eine höchst aggressive Stimmung.

An sich war Jelde ein Feigling und ihm fehlte jegliches Einfühlungsvermögen. Gebke und Remmer bekamen das täglich zu spüren. Jelde hatte diesen Charakterzug von seinem Vater geerbt und der von seinem und insgeheim vermutete Gebke, dass die männlichen Remmers schon immer so gewesen waren. Oft sah Gebke, dass Jelde das Leid genoss, das er verursachte. Die Remmersfamilie gehörte zu den Alteingesessenen, die seit hunderten von Jahren hier lebte. Der Hof hatte sich im Laufe der Jahre immer mehr vergrößert und uralte Gerüchte besagten, nicht alles sei rechtmäßig zugeflossen. Und auch jetzt trauerte er nicht um seinen Nachbarn Frieso, sondern dachte darüber nach, wie er sich dessen Hof einverleiben konnte. Wiebke und Silas würden den Hof nicht weiterführen und so dachte er kaltblütig und berechnend darüber nach, wann der richtige Moment sei, die beiden Nachbarn anzusprechen, bevor andere Dorfbewohner Interesse bekunden konnten.

.....Lebensfeuer....

In der ersten Februarwoche beschloss Tabea wieder mit ihrem Pferd in ihr eigenes Haus zu ziehen. Trotz Aufbegehrens durch Femke, packte sie ihre Sachen und Wilke fuhr sie mit der Stute und ihren angesammelten Habseligkeiten rüber zum Haus. Er versicherte ihr noch einmal, dass sie jederzeit zurückkommen könne und fuhr dann zur Halle zurück. Tabea versorgte ihr Shire Horse mit Stroh, Heusilage und Wasser. Es war zwar kalt, aber hatte seit Tagen nicht gefroren. Sie war froh, dass sie keine Wassereimer vom Haus zum Stall schleppen musste, sondern die Regentonne am Stall benutzen konnte.

Während das Wasser in die Eimer lief, schaute sie zum Wald. Es war jetzt knapp sechzehn Uhr und es wurde zunehmend dunkler. Sie ertappte sich bei dem Gedanken, was der Wald wohl verbarg. Unwohlsein beschlich sie und während sie Boxen, – und Stalltüren verschloss, versuchte sie es abzuschütteln. Fröstelnd betrat sie die ans Wohnhaus angrenzende Garage und verriegelte sie von innen.

Der Kamin hatte bereits wohlige Wärme ins Haus gezaubert. Tabea begann ihre Taschen auszuräumen, füllte die Waschmaschine und begab sich dann mit sich selbst hadernd in die Küche. Alles war sauber von außen, der Tatort gereinigt und nichts erinnerte mehr an den grausigen Vorfall vor ein paar Wochen.

In Tabea jedoch lebte die Erinnerung weiter und begann sich düster auf ihr Gemüt zu legen. Bevor die Traurigkeit und tiefe Niedergeschlagenheit jedoch vollständig von ihr Besitz ergreifen und in der Tiefe verwurzeln konnten, schüttelte sie sich, um das Lebensfeuer neu zu entfachen. Sie beschloss sich an der Würze eines Glases Retsina zu wärmen und lief in die Küche, um ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Sie stellte das Glas auf dem Beistelltisch neben ihrem Ohrensessel ab und kümmerte sich um den Kamin. Tabea lächelte in die Flammen und genoss die sich um sie hüllende Wärme.

Sie lief ins Bad und bereitete ein Wacholderbad zu. Eine viertel Stunde später lag sie bewaffnet mit Wein bei Kerzenschein in der Wanne und begrüßte die sich wieder bemerkbar machenden Lebensgeister. Während sie die herbe Würze des Weines genoss, lauschte sie der im Hintergrund laufenden CD. Das Londoner Symphony Orchester spielte Werke von Frederic Chopin.

Nach 30 min in der Schwere des Wacholderbades trocknete sie sich ab und zog Hinni, Strickjacke und Stricksocken an. Wider Erwarten begab sie sich jedoch nicht in den Ohrensessel, sondern an ihren Schreibtisch im Arbeitszimmer, das durch die Doppelflügeltür vom Wohnzimmer getrennt war. Die Wärme des Kamins hatte sich auch hier ausgebreitet. Der riesige ovale alte Esszimmertisch ihrer letzten Pflegeeltern stand direkt vor dem Fenster und diente als Schreibtisch. Sie konnte von hier aus direkt durch den Garten über die Wiesen zum angrenzenden Wald schauen.

Noch einmal wurde ihr klar, dass sie zurück ins Leben musste, sie brauchte ihre Arbeit und sie wollte dabei sein, wenn die Morde an ihren Freunden aufgeklärt wurden…falls das überhaupt möglich war. Sie nahm einen großen Schluck Retsina und begann eine to - do Liste zu erstellen, anhand der sie in die Fülle des Lebens zurückkehren wollte. Im Hintergrund löste Richard Strauß Chopin ab und Beethoven diesen.

Nach 2 Stunden begab sie sich entspannt und zuversichtlich ins Bett und fiel in einen erholsamen Schlaf. Draußen war es stockfinster und so entging ihr die Gestalt im Garten, die unter den Obstbäumen stand und sie die ganze Zeit sehnsuchtsvoll beobachtete.

Um kurz nach sechs Uhr wurde sie wach und entfachte das Feuer im Kamin neu. Draußen war es dunkel und diesig. Feuchte Nebel lagen drückend in der Luft. Sie kuschelte sich in Decken im Ohrensessel und genoss das Knistern des Holzes, das gierig von den Flammen verschlungen wurde. In der Ferne hörte sie die Jack Russel von Femke bellen, die wohl wieder das Gelände um die Reithalle durchstöberten. Sie dachte an ihre alte Hündin Thea, die sie vor 2 Jahren einschläfern lassen musste. Sie vermisste sie sehr und spontan beschloss sie heute nach Oldenburg ins Tierheim zu fahren und sich die zu vermittelnden Hunde dort anzuschauen. Sie sprang unter die Dusche und übermütig begann sie sich für diesen Gedanken zu erwärmen. Irgendwas Großes sollte es werden mit riesigen Pfoten und kurzem Fell. Sie schlüpfte in Jeans und Flanellhemd, zog Stiefel und Wachscottonjacke an und begab sich zu ihrem Nachbarn Ricklefs, um sich frische Kuhmilch für ihren Kaffee zu holen. Sie ließ sich den Milchpott von einem Betriebshelfer füllen und stapfte durch den Nebel zurück zu ihrem Haus. Wübbo Janssen hatte mittlerweile Pferd und ihre heißgeliebten Dominikaner Hühner versorgt.

Sie kochte Kaffee und backte zwei Mehrkornbrötchen im Backofen auf, die sie dann mit gesalzener Butter bestrich und mit altem Gouda belegte. Zusammen mit Kaffeepott und Brötchenbrett begab sie sich zum Ohrensessel, um ihr Frühstück zu genießen. Vaya con Dios liefen im Hintergrund und Tabea bemerkte lächelnd, dass sie sich zum Takt Musik im Ohrensessel bewegte. Sie ließ die Musik bis zum Ende der CD auf sich wirken und räumte dann das Geschirr ab.

Das Telefon nahm sie mit zum Schreibtisch, es war mittlerweile neun Uhr. Sie telefonierte mit Ihrer Ärztin, der Krankenkasse und ihrem Arbeitgeber, um die Wiedereingliederung zu regeln. Sie einigten sich versuchsweise auf den 1.4., aber Tabea konnte dann in den nächsten Wochen von zu Haus aus recherchieren und Informationen mit dem Team besprechen.

In Aurich hatte man zwischenzeitlich eine Ermittlungsgruppe „Leefke“ ins Leben gerufen unter der Leitung von Reent Saathoff.


.....kein Erbarmen.....

Algried und Daaje Buttfanger , eineiige Zwillinge von Leorben und Bennet Buttfanger, halfen ihren Eltern bei den Aufräumarbeiten im Garten und auf dem Hof. Der Sturm hatte auch hier gut gewütet und einige Dachziegeln vom Dach gefegt.

Der 18 jährige Birger stand oben auf der Leiter und entfernte Reste der auszutauschenden Ziegeln. Völlig vertieft in seine Arbeit und in Gedanken bei seinem Freund Silas und seiner Familie. Er bemerkte nicht Leefke, die ein paar Meter von ihm entfernt auf dem Dachboden stand, mit Friesos abgerissenem Kopf in der Hand. Bösartig grinste sie vor sich hin und überlegte, wie sie dem Buttfanger Balg eins auswischen konnte. Sie schlich sich langsam an den Jungen heran und ruckartig sprang sie ihm mit dem ganzen Ausmaß ihrer Hässlichkeit vors Gesicht und hielt dabei Friesos Kopf direkt vor sich. Dann warf sie ihm den Kopf entgegen.

Panische Schreie entfuhren dem Jungen, er verlor das Gleichgewicht und stürzte in die Tiefe, wo er direkt vor den Füßen seiner Schwestern landete und regungslos liegen blieb. Seine Schwestern begannen zu kreischen und Algrieds Gesicht verlor alle Farbe, als sie erkannte, was dort neben ihrem Bruder auf dem Fußboden kullerte. Sie verlor das Bewusstsein und ihre Schwester Daaje begann hemmungslos zu kreischen und zu schluchzen, als sie meinte, oben in dem Loch im Dach eine hässliche Fratze erkennen zu können. Sie blinzelte noch einmal und das Gesicht war verschwunden.

Panik breitete sich aus mit dem Unvermögen, irgendetwas regeln zu können. Leorben kniete schreiend und weinend neben ihrem Sohn, Bennet versuchte sich um seine Töchter zu kümmern. Da beide nicht ansprechbar waren, war er zur Hilflosigkeit verdammt, da er nicht wusste, um wen er sich zuerst kümmern sollte. Der kuriose Ball neben ihm war ihm noch nicht aufgefallen. Oben lugte Leefke durch das marode Dach und höchst zufrieden beobachtete sie das Chaos und das Leid, das sie ausgelöst hatte. „Für meine Söhne“, murmelte sie. Nach einer Weile wurde Remmer durch das Kreischen aufmerksam und sah seine Mutter an. Beide setzten sich sofort in Bewegung und rannten zum Nachbarhof. Remmer sah seinen Freund in völlig verdrehter Haltung auf dem Boden liegen, eine riesige Blutlache um ihn herum, in der schreiend und weinend Leorben blutbesudelt saß und ihren Sohn schüttelte. Bennet schüttelte weinend seine Tochter Daaje, die völlig weggetreten zum Dach starrte und schrie. Algried lag ebenfalls in der Blutlache und rührte sich nicht.

Gebke stand dort und die Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie konnte die Situation nicht einschätzen und war völlig überfordert. Remmer riss sein Handy aus der Tasche und versuchte den Notruf zu wählen. Außer Schluchzen und Weinen brachte er jedoch keinen Ton raus und in der Notrufzentrale kam nur Weinen, Kreischen und Schluchzen an. Nach einer Weile konnte Remmer, immer noch schluchzend, seinen Namen sagen und die Adresse und das Wort Krankenwagen.

Zwanzig Minuten später bog der Notarztwagen zusammen mit zwei Rettungssanitätern in den Hof ein, wo sich die Situation immer noch nicht entspannt hatte. Während sich die Rettungssanitäter um die Mädchen und Frauen kümmerten, konnte der Notarzt nur noch den Tod des Jungen feststellen. Irgendwann sah er Friesos entsetzlich zugerichteten Kopf und Übelkeit überkam ihn. Er konnte sich jedoch fangen und ließ über die Zentrale die Polizei benachrichtigen. Bei Angabe des Ortes wurde sofort das „Leefke Team“ informiert und Reent Saathoff setzte sich sofort mit zwei Kollegen ins Fahrzeug. Die Kriminaltechniker wurden ebenfalls benachrichtigt und weitere 30 Minuten später trafen alle am Unfallort bzw. am Tatort ein.

.....die Gaffer.....

Leefke hatte nun beschlossen, das Dorf nicht zur Ruhe kommen zu lassen. Sie verschwand von der Bildfläche, um in einem Moment wieder aufzutauchen, als die Bewohner des Dorfes angefangen hatten, die unangenehmen Ereignisse unter ihrer Angst zu begraben. Viele zogen das Vergessen und Verleugnen vor, nur die, die trauerten, lebten immer noch mit den schrecklichen Erinnerungen.

Die Sirenen der Krankenwagen und der Polizei hatten die meisten Bewohner alarmiert und in Schrecken versetzt. Die nicht abreißende Folge von Unglücksfällen verstärkte die ohnehin schon vorhandene Angst um ein Vielfaches. Diese Angst löste völlig unterschiedliche Reaktionen in der Erwachsenenwelt aus. Wut, Hass und all die Gefühle, die sie lieber zu deckeln wollten, suchten nach einem Ventil und das öffnete sich mit dem Tod von Birger. Es dauerte keine halbe Stunde und das ganze Umland schien auf den Beinen zu sein, um sich angeführt von verschiedenen Pressefotografen und Redakteuren auf dem Hof der Buttfanger zu treffen. Die Menschenmenge wurde größer und lauter. Hasstiraden und unverhohlene Schaulust erschwerte die Arbeit der Retter vor Ort ungemein. Bald begann ein Gerangel um die besten Plätze. Blitzlichter, ständige Fragen und immer näher an den Unfallort rückende Menschen wurden von Polizisten zurückgedrängt, um sich gleich wieder mit langem Hals zu nähern und die Arbeiten der Sanitäter, des Arztes und der Techniker zu behindern. Die Kriminaltechniker hatten alle Hände voll zu tun um den Ort abzusperren. Trotzdem versuchte ein Fotograf das Absperrband zu durchbrechen und Fotos vom Geschehen zu ergattern. Reent Saathoff hatte die Nase voll, entriss ihm die Kamera und ließ ihn festnehmen.

Wütend fingen die ersten Gaffer an sich lautstark über die Inkompetenz der Polizei zu äußern und diese zu beschimpfen. Erst die Androhung einer Massenverhaftung veranlasste die bedrohliche Gruppe sich immer noch motzend zurückzuziehen.

Irgendwann hatten die Sanitäter Daaje wieder ins Hier und Jetzt zurückgeholt. Der Notarzt hatte für den Abtransport von Birger und dem Kopf von Frieso in die Pathologie nach Oldenburg gesorgt. Der Polizeipsychologe kümmerte sich um die Mädchen und ihre Eltern. Da Daaje ausgesagt hatte, sie habe oben im Dach eine Person gesehen, wurde der komplette Dachboden und alle Gebäude nebst umliegendem Gelände abgeriegelt und durchsucht. Allerdings blieb die Suche ergebnislos. Nur Reent gestand sich ein, oben auf dem Dachboden einen leichten Brandgeruch wahrgenommen zu haben. Da nichts gefunden wurde, ging man davon aus, dass Birger bei seinen Reparaturen oben im Dach den Kopf von Frieso gefunden hatte und vor Schreck von der Leiter gestürzt war. Die Familie verdrängte in ihrer Trauer den abgerissenen Kopf von Frieso, was dem Team im Moment sehr gelegen kam. Trotzdem war allen Beteiligten klar, dass hier im Ort etwas vor sich ging, was über normale Polizeiarbeit hinausging.

Leefke

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