Читать книгу Leefke - Suta Wanji - Страница 15
11. Erste Begegnung
Оглавление….Mut und Sehnsucht….
Tabea und Peppi liefen den Weg zum Waldrand hoch. Trotz der düsteren Geheimnisse, die ihren Wohnort zu umschließen schienen, stand sie heute Morgen auf, um festzustellen, es ging ihr gut und diese positiven Gefühle sprudelten in ihrem Inneren. Sie hoffte, dort am See oder im angrenzenden Moor und Wald auf den Mann zu treffen, der sie beobachtete. Tief im Inneren fühlte sie eine Verbindung und die ging weiß Gott über rein körperliche Gelüste hinaus.
Peppi vermittelte ihr Vertrauen und Stärke, ließ sie über ihre momentanen Unzulänglichkeiten hinwegsehen und sie beherzt durch den Schnee schreiten. Peppi biss übermütig in Schneewehen und genoss den Spaziergang wie sie selbst auch.
Eiszapfen hingen an den Ästen, die sich unter der schweren Schneelast nach unten bogen. Die Luft war eisig kalt und klar. Tabea setzte sich auf einen umgekippten Baumstamm und ließ die Stille auf sich wirken. Die Sonnenstrahlen streichelten ihre Gesichtshaut und ließen sie Angst, Leid und Bitterkeit vergessen. Wohlige Wärme machte sich in ihrem Inneren breit.
Nach einer Weile spitzte Peppi die Ohren und fing an zu knurren. Stocksteif stand sie im Schnee und starrte in die Ferne zur Baumgrenze auf der anderen Seite des Sees. Tabea spürte Aufruhr im Inneren, konnte aber nichts sehen. Peppi lief aufgeregt hin und her, ihr Nackenhaar gesträubt. Nichts war zu sehen und doch fühlten sie sich beobachtet. Tabea spürte brennende Augen auf sich ruhen und konnte nicht feststellen, wo dieses Augenpaar zu suchen war. Peppi beruhigte sich, blieb trotzdem sehr wachsam. Es begann zu schneien, die Luft bestand nur noch aus wirbelnden Flocken, die die Sicht erschwerten. Tabea und Peppi setzten sich wieder in Bewegung Richtung Wald, vorbei an einsamen Bäumen am Wegrand, in denen Spinnennetze wie Perlenketten schimmerten. Schritt für Schritt setzte Tabea einen Fuß vor den anderen, einem unbekannten Ziel entgegen und angetrieben durch hohe Erwartungen.
Nach einer Weile setzte sie sich wieder hin, umgeben von Birken und abgestorbenen Bäumen. In ihrem Inneren kribbelte es unaufhaltsam, sie wusste, sie war nicht allein. Dann sah sie ihn, schemenhaft, sein langes Haar tanzte im Wind und Schnee. Regungslos stand er dort und starrte sie an, dessen war sie sich sicher. Mutig und doch auch unsicher winkte sie ihm zu…keine Reaktion. Er stand weiter einfach nur da und starrte sie an. Sie fühlte sich, als ob sich die Augen in ihr Innerstes brannten. Sie winkte noch einmal und sie fühlte sich gedemütigt, weil wieder keine Reaktion erfolgte. Sie stand auf und gemeinsam mit Peppi lief sie auf die Gestalt zu. Doch je näher sie kam, desto mehr schien sich die Gestalt zu entfernen, rückte immer mehr von ihr ab. Schon lange hatte
sie die Stelle erreicht, an der er vorher gestanden haben musste…nichts, nur riesige Fußabdrücke, die darauf schließen ließen, dass hier jemand gestanden hatte und Laufspuren, die tief ins Moor führten. Nichts war zu sehen, auch die Gestalt war verschwunden, das Kribbeln im Inneren war fort.
Tabea sah sich noch einmal sorgfältig um, dann rief sie die stromernde Peppi zu sich und gemeinsam begaben sie sich auf den Heimweg, raus aus dem Schneegestöber, hin zu Kamin und Ohrensessel und heißer Schokolade. Zu Hause zog Tabea die nassen Sachen aus, hängte sie zum Trocknen in den Heizungsraum. Peppi wurde ordentlich mit einem dicken Handtuch durchgerubbelt. Im Wohnraum begab sie sich direkt in ihren Korb, Tabea in die Küche. Sie kochte einen Topf voll Kakao, schenkte sich dazu einen Havanna Club ein und fütterte den Kamin. Sie zog sich Stricksocken an und holte sich einen Becher Eis aus dem Kühlschrank.
Bewaffnet mit ihrem Seelenfutter begab sie sich Richtung Ohrensessel. Bevor sie sich setzte, ging sie zu ihrem Sekretär und holte eine Dose und ein Feuerzeug aus der Schublade. In der Dose befanden sich Tabak und noch ein paar buds Silver Haze, ihrem Lieblingsgras. Bei gelegentlichen starken Schmerzen und auch bei starken Depressionen griff sie immer gerne darauf zurück, sie hatte für sich die Erfahrung gemacht, kein Pharmazeutikum half so gut und so schnell wie eine Zigarette mit sauberem Gras. Nach Schokolade, Eis und Havanna Club rauchte sie ihre Zigarette und entspannte sich sofort, ihr Geist war jedoch hellwach. Sie dachte über die Erscheinung im Wald nach und in ihrer Fantasie ließ sie sich noch einmal von seinem männlichen Anblick verzaubern.
Bevor sich der Zigarettenrauch verzogen hatte und der würzige Geruch sich im Raum verteilt hatte, war Tabea, eingekuschelt in ihre Decke, eingeschlafen. Peppi tat es ihr gleich und keine von beiden bemerkte die Gestalt am Fenster, die sehnsuchtsvoll zu ihnen hinüber sah, die Stirn an die Terrassentür gelehnt, alles um sich herum vergessend. Beim Anblick der friedlich Schlafenden wurde er sich seiner Einsamkeit bewusst und er spürte heiße Tränen in sich aufsteigen. Zu gern hätte er dort mit der Frau am Kamin gesessen, den Hund zu Füßen. Wie gern hätte er eine zärtliche Berührung gespürt, wie gern die nasse Zunge des Hundes, der seine Hand ableckt.
So wie Tabea in ihrer Welt zeitweise von Traurigkeit eingehüllt war, so war er es in seiner Welt ebenso. All das, was Tabea schmerzlich vermisste, das vermisste er ebenso. Zwei getrennte Welten und doch nur getrennt durch eine Glasscheibe, nur dass sich keiner von beiden dessen bewusst war und doch schienen beide eine starke Strömung zwischen ihnen zu spüren. Er hatte sich aus Angst aus dem Staub gemacht, als sich die Frau auf ihn zu bewegte und ihm zuwinkte. Er bewunderte sie für ihren Mut. Auf andere schien er immer furchteinflößend zu wirken, nur bei ihr schien das nicht so zu sein und das nahm ihm seine Sicherheit. Er wusste nicht, dass es ihr genauso ging. Zwei Stunden stand er da, starrte beide liebevoll, hoffnungsvoll und versunken in Träume an, dann zog er sich zurück, als Peppi anfing sich zu strecken und ihn anstarrte. Langsam trottete der Hund auf die Tür zu und wedelte mit dem Schwanz. Sie drehte sich um, lief zu Tabea und drückte ihren Kopf unter ihre Arme, so dass
auch sie wach wurde. Nach Recken und Strecken wurden der Kamin neu befüllt und die Kaffeemaschine in Gang gesetzt. Peppi erhielt ein Leckerli und Tabea suchte in Ihrem Gefrierfach nach einem Mittagessen, das zum Wetter passte. Sie entschied sich für eine Portion „Insett Kohl“ und stellte den Topf zum Auftauen in die Mikrowelle.
Sie lief zur Terrassentür um Peppi kurz in den Garten zu lassen und um zu lüften. Sie bemerkte die frischen Fußabdrücke im Schnee und diesmal zauberte der Anblick ein Lächeln auf ihr Gesicht. Sie sah hinüber zum Waldrand, konnte aber nichts entdecken. Wärme hüllte sie ein, als ihr bewusst wurde, dass er sie wieder beim Schlafen beobachtet hatte. Im Polizeijargon hieß das stalken, was sie erfolgreich verdrängte.
Die Nacht war schlaflos, Tabea drehte sich von einer auf die andere Seite und versuchte das Gedankenrasen anzuhalten. Selbst Peppy war es irgendwann zu viel und legte sich vors Bett.
“Judas!“, entfuhr es Tabea im Halbschlaf.
Sie hatte keine Ahnung, wie spät es war, aber sie fühlte sich wach und so stand sie auf. Die Küchenuhr zeigte vier Uhr fünfzehn.
Tabea ließ Peppy in den Garten und kochte Milch für Kakao. Sie zog sich an und begab sich mit Kakao und Zigarette auf die Terrasse. Kaltes LED Licht ließ den Garten wie eine Eislandschaft wirken. Nebelschwaden umtanzten die Bäume und Staudenbeete, tauchten alles in eine unwirkliche beklemmende Landschaft. Ihr heißgeliebter Garten wirkte bedrohlich und lebensfeindlich. Alles war eingetaucht in ein unheimliches Grau. Die Gartenlampen tauchten alles in ein gespenstisches Licht.
Je lebensfeindlicher ihre Welt wurde, umso mehr wurde ihr klar, dass sie Leefke aufhalten musste aber ihr war auch klar, auf herkömmliche Weise war das nicht zu bewerkstelligen. Sie musste und wollte einen Weg finden, wollte alles verstehen und diese Antworten würde sie nur bekommen durch das Aufsuchen ihrer Ahnen. Diese Täterin war nicht aus dieser Welt, die Mittel sie zu bezwingen konnten daher auch nur aus einer anderen sein.
Sie beschloss die Reise in zwei Tagen anzutreten, damit hatte sie noch genügend Zeit diesen Schritt vorzubereiten.
…..Wanderin zwischen den Welten….
Tabea begann den Tag der Reise mit Reinigungsritualen und Heilungszeremonien für sich selbst. Sie hatte diesen Weg lange nicht mehr beschritten und wusste nicht, ob sie in der anderen Welt noch willkommen war oder sie überhaupt den Zugang finden würde. Sie wusste, sie hätte ihre Depressionen niemals so ausgelebt, wenn sie dem anderen Weg vertraut hätte.
Sie konnte nichts ungeschehen machen und musste einfach ihrer neu gefundenen Stärke vertrauen. Nach einem heißen Bad in Wacholderbeeren rieb sie ihren noch nassen Körper mit einem nach einer alten Rezeptur von ihr hergestellten Kräuteröl ein und sog den aromatischen Geruch des Öls tief in ihre Lungen. Sie begab sich ins vorher vorbereitete Meditationszimmer, das nur durch das Licht vieler Kerzen erleuchtet wurde. Die Kerzen zauberten ein warmes Licht auf ihren eingeölten Körper, das sie kraftvoll in den vorbereiteten Kreis treten ließ.
Sie nahm die Menge aus gekochtem Fliegenpilz zu sich, die ihr den Eintritt erleichtern sollte, und von der sie wusste, dass sie sie nicht umbringen würde. Salbei und Zedar verbrannte sie in einer Muschelschale, damit der Rauch ihr Anliegen in die obere Welt trug. Dann schlug sie die Trommel und ließ sich zu ihrem Kraftplatz treiben, um die Reise anzutreten.
Tabea fand sich unter einer riesigen Birke wieder, deren herab hängende Äste fast den Boden berührten. Ihre Augen suchten den Boden ab und schnell fand sie ein Mauseloch zwischen den riesigen, den Boden überziehenden Wurzeln. Dieses würde ihr als Eintritt dienen und so schlüpfte sie hinein.
Links und rechts krabbelten Spinnen an den Wänden, die sie alle anzustarren schienen. Beherzt stapfte sie die vor ihr liegenden Stufen hinab, vorbei an allerlei Getier, das teilweise mehr als 8 Beine hatte.
Immer tiefer ging die Reise, immer mehr Stufen bauten sich spiralförmig unter ihr auf. Die Erdwände verwandelten sich langsam in Gestein, schiefergrau, nass glänzend.
Sie lief weiter und durchquerte mehrere Tunnel, instinktiv wusste sie jedoch den Weg. Spinnen und Käfer krabbelten über ihre nackten Füße, sie schritt weiter und schenkte ihnen keine Beachtung. Dann sah sie Licht am Ende des Tunnels, spärlich, aber mit jedem Schritt wurde es intensiver. Das Ende der Höhle war in Sicht. Sie durchschritt den Ausgang und sah sich unter einem strahlenden Himmel, links und rechts graue Steinwände, die hoch in den Himmel hinauf ragten. Ein schmaler, sich in der Ferne verlierender Sandweg führte hinauf in das Gestein. Sie lief den ansteigenden Sandweg hoch, höher und höher, der Anstieg schien kein Ende zu nehmen.
An der rechten Seite veränderte sich plötzlich das sonst zerklüftete Gestein, wandelte sich in eine glatte Schieferplatte. Tabea blieb vor ihr stehen und starrte die Wand an. Langsam formten sich Handabdrücke im Gestein und bald war die riesige Fläche von Handabdrücken überseht, kleine und große, breite und schmale. Hunderte von Ihnen und doch wusste Tabea, wo sich ihre befanden. Sie legte ihre Hände in das kühle Gestein, das ihre Hände sofort fest umschloss. Langsam schob sich die Platte an die Seite und gab den Blick auf eine große Höhle frei, in deren Mitte ein wunderschönes Feuer brannte und knisterte.
Tabea betrat die Höhle und verbeugte sich, die Öffnung schloss sich hinter ihr. Sie schritt zum Feuer und wartete….dann kamen sie, aus der linken Seite der Höhle die Frauen, aus der rechten die Männer, alle uralt. Lange, weiße Haare umflatterten faltenreiche Gesichter mit zahnlosen Mündern und scheinbar trüben Augen, die durch sie hindurchzustarren schienen. Tabea verbeugte sich erneut und wartete ab. Sie wurde von einer Frau per Handzeichen aufgefordert sich an Feuer neben sie zu setzen, alle anderen nahmen im Kreis ums Feuer ebenso Platz.
Die alte Frau forderte Tabea auf, ihr Anliegen vorzubringen und so erzählte Tabea von Leefke und ihrem schrecklichen Treiben und bat um Hilfe, um ihrer habhaft u werden. Schweigend hörten die Alten ohne Unterbrechung zu, dann standen sie auf und zogen sich zur Beratung zurück, Tabea blieb allein am Feuer zurück. Geduldig wartete sie und hoffte, dass sie Antworten bekommen möge.
Nach einer Weile betrat die alte Frau allein die Höhle und setzte sich zu ihr. Sie fragte Tabea, ob sie ihren Familienstammbaum kenne, was Tabea verneinte. Sanft nahm sie Tabeas Hand und umschloss sie mit ihren Händen, die sich wie Pergament anfühlten.
„Ich zeig ihn dir!“, murmelte sie und für Tabea begann eine neue Reise, die mit ihr startete, vorbei an ihrer Mutter und Großmutter, vorbei bei allen Urmüttern sah sie in ihre weiblichen Ahnen, stolze Frauen, Kriegerinnen, Heilerinnen, Lehrerinnen und Seherinnen um irgendwann bei der alten Frau anzukommen.
Tabea riss die Augen auf, dies war ihr Fleisch und Blut. Sie erfuhr den Namen der alten Frau, AALTJE, Leefkes Schwester. Sanft drückte Aaltje noch einmal Tabeas Hand und ließ sie dann los.
„Du kannst Leefke nur gemeinsam mit dem Mann unschädlich machen, du kennst den Mann, der bei dir hinterm Wald wohnt. Gemeinsam könnt ihr sie bezwingen, gemeinsam könnt ihr Großes und Gutes bewirken, für alle Zeit, aber es kann auch sein, das du allein eine Lösung findest. Hör auf Dein Herz und entscheide dann.“
Einem Beutel entnahm sie drei Amulette.
„Trage das, eins für dein Pferd, deinen Hund und für dich. Tragt es immer, solange Leefke noch am Leben ist, sie kann euch nichts anhaben. Ihr müsst das Dorf dazu bekommen, sich seiner Geschichte zu stellen. Die Nachfahren, die noch leben, müssen Leefke um Vergebung bitten. Leefke war nicht immer so, der Schmerz hat ihre dunkle Seite zum Vorschein gebracht.“
Mit diesen letzten Worten stand sie auf und Tabea tat es ihr nach.
„Du musst jetzt gehen, meine Tochter, gute Reise, ich passe auf dich auf. Richte Leefke aus, dass ihre Schwester und ihre Mutter auf sie warten.“
Sie drückte Tabea ein letztes Mal und ging ohne sich umzusehen.
Hinter Tabea öffnete sich der Felsen und Tabea verließ gemeinsam mit den Amuletten die Höhle, deren Wand sich verschloss. Alle Handabdrücke verschwanden langsam und bald bestand die Gesteinswand nur noch aus
glatter Gleichmäßigkeit, die sich jedoch langsam in einen grobstrukturierten Felsen verwandelte. Nichts war mehr vom Eingang zu sehen.
Fest umklammerte Tabea die Amulette und begab sich auf den Rückweg, der diesmal sehr schnell ging. Sie durchquerte den Eingang und befand sich bald wieder unter dem großen Baum, der langsam verblasste. Nach einer Weile kam Tabea zu sich auf dem Boden liegend, die Amulette neben sich. Die Reise war geglückt.
Langsam erhob sich Tabea, löschte nach einem Gebet die Kerzen und zog sich an. Sie ging in die Küche, wo schon ein vorbereitetes kleines Buffet auf sie wartete. Gemeinsam mit Peppi, einem Teller voll Essen und einer Karaffe Wein begab sie sich in den winterlichen Garten um die gelungene Reise zu feiern.