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3. Bente Klaas Ricklefs

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.....Wolfsmoor - Hexenmoor.....


Schon lange lebte er hier, unerkannt, dafür hatte er Sorge getragen. Es war immer genug zu essen dagewesen. Seine Brüder und er hatten nie Not gelitten. Wild gab es genug im Hochmoor, ebenso verirrte Viecher von Landwirten. Von Menschen ernährten sie sich nur in Notzeiten. Sie verabscheuten das zutiefst, war doch ein Teil von ihnen ebenso menschlich.

Übel mitgespielt hatten sie ihm. Nachdem sie ihn im Moor versenkt hatten, sich alles genommen, was ihm einmal gehört hatte. Lang war es her, doch niemals würde er diesen Tag vergessen. Er war draußen gewesen bei seinen Buchweizenfeldern, hatte sie gehegt und gepflegt, denn sie sicherten das Überleben seiner Familie. Es war nicht mehr lange hin bis zur Ernte, dann würden sie alle mit anpacken müssen. Er war der erste hier, dem sie einen Teil des Moores vermessen hatten, einer der ersten Abkömmlinge der früheren Moorkolonisten aber nicht der Erste hier mit einer 2. Natur. Sie lebten auf einem kleinen, bescheidenen Hof. Sie arbeiteten hart und es ging ihnen allen gut, beargwöhnt von den Nachbarn.

Heilerin war seine Frau, Kräuterfrau. Sie kamen alle her, damit sie ihnen half. Egal ob Schatten auf der Seele oder körperliches Unwohlsein, sie half wo sie konnte. Selbst nach 12 Kindern, von denen drei nur älter als 6 Jahre alt wurden und nur zwei erwachsen, war sie immer noch schön und nicht verbraucht vom Kinderkriegen und harter Arbeit wie andere Frauen ihres Alters. Ihre 2. Natur hatte dazu beigetragen.

Ihre zwei gebliebenen Söhne halfen beide kräftig mit und so war ihr Leben erträglich. Oft gab er Nachbarn, die in bitterer Armut mit ihren Familien lebten ab. So entwickelte sich im Laufe der Jahre nicht nur Dankbarkeit, sondern auch viel Neid.

Dann zogen Männer mit Kreuzen ins Land, nicht zum ersten Mal, das lief schon seit hunderten von Jahren so. Es gab immer wieder neue Prediger, sie kamen auf den wenigen befestigten Wegen und den angelegten Kanälen. Und je befestigter die Wege, desto mehr von ihnen. Sie sprachen von der Hölle, ein grausiger Ort, von einem Teufel und einem Gott. Sie richteten über Menschen, die sie nicht kannten, streuten Argwohn. Sie alle sollten mit dem Teufel im Bunde stehen. Eine Frau, die der verbotenen Heilkunst nachging und mit ihren fast 40 Jahren immer noch sehr schön war, passte genau in ihr Bild von der Verdammnis.

Wo sie zu finden war, das war dank einiger Münzen schnell rausgefunden, und so rückten sie eines Tages an, um sie mitzunehmen. Unterstützt durch einige Alteingesessene, denen seine Familie schon immer ein Dorn im Auge gewesen war.

Seine Frau und seine Söhne wehrten sich heftig und so wurden sie alle an Ort und Stelle niedergemetzelt und samt ihrem Hof und Vieh verbrannt. Bevor sie starb, verwünschte sie die Alteingesessenen, die hier kräftig mit am Werk gewesen waren. Sie schwor ihnen, sie würde wiederkommen und über ihre Kinder und Kindeskinder richten. Die Kirchenmänner zogen eiligst von dannen. Die Dorfbewohner blieben allein zurück auf einem niedergebrannten Hof, Tod, den sie mit zu verantworten hatten. Ebenso einer Drohung, die über ihnen schwebte, die jedem Angst machte, wohl wissend, dass diese Frau nicht zu unterschätzen gewesen war.

Mit Einbruch der Dunkelheit, die sich unheilvoll mit den Nebeln des Moores verband, zündete er sich ein Licht an und suchte den Weg heim. Unheil beschlich ihn, je näher er kam. Intensiv stieg ihm der Geruch von Feuer und auch verbranntem Fleisch in die Nase. Er lief so schnell er konnte, stolperte über den schmalen befestigten Weg seinem persönlichen Elend entgegen. Er sah sie alle, sah sie ihm entgegen starren. Der Ausdruck auf ihren Gesichtern, der gefiel ihm ganz und gar nicht…es war nicht Anteilnahme, nicht Mitgefühl. Er sah Hass, Habgier, Verschlagenheit auf ihren Gesichtern und er fühlte, wie sie ihm in Wellen entgegenschlug.

Benommen von Schmerz und Unverständnis stolperte er weiter seiner Verdammnis entgegen. Das schlechte Gewissen tobte in allen Anwesenden, suchte nach Rechtfertigungen, die nicht befriedigten. Wut staute sich und wollte sich Luft machen. Später konnte niemand mehr sagen, wer ihn zuerst ergriff. Alle hatten nur das Gefühl, dass auch er verschwinden müsse. Jemand schlug ihn nieder und mitschuldig, wie sie alle waren, schleiften sie ihn gemeinsam ins nasse Moor, dorthin, wo der Boden Blasen schlug und schmatzende Geräusche von sich gab. Unheimlich war es hier, im Nebel meinten sie die Umrisse von Gestalten wahrzunehmen. Schnell wollten sie sich des Beweises ihrer Schande entledigen. Als sie an einem kleinen Tümpel ankamen, zögerten sie nicht, seinen bewusstlosen Körper hineinzustoßen, wissend, es würde kein Entrinnen geben. Sie sahen zu, wie er durch die Berührung mit dem kalten, sumpfigen Boden wieder das Bewusstsein erlangte und jemand ergriff einen langen Ast und begann ihn nach unten zu drücken. Bald war nichts mehr von ihm zu sehen, außer ein paar Blasen, die langsam blubbernd an die Oberfläche stiegen.

In diesem Moment veränderte der Nebel seine Farbe, wurde rötlicher und der Geruch von Feuer und verbranntem Fleisch stieg Ihnen in die Nase. Eigentlich kaum möglich hier, so weit entfernt vom Ort ihrer Schande. Sie wurden unruhig und ängstlicher und als es um sie herum zu knistern begann, stieg ihnen die blanke Angst in die Glieder.

„Mörder!“, schien der Nebel zu raunen und im Nebel hörten sie noch einmal die Todesschreie von Bentes Söhnen und seiner Frau, ganz dicht neben ihnen. Panikartig flohen sie los in alle Richtungen, keiner achtete mehr auf den Weg. Ein schauriges Lachen ertönte, eine Stimme, die sie sehr wohl kannten, nur viel kälter, grausamer und unbarmherziger. Jeder von ihnen wusste, dass seine Zeit gekommen war und jeder spürte, dass sie kein Erbarmen kennen würde.

Bente selbst spürte, wie sie ihm zusetzten und auch, dass sie ihn mit einem Stock in den moorigen Sumpf drückten, spürte das stinkende, braune Wasser in seiner Nase und seinen Mund steigen. Er versuchte nach oben zu kommen, aber das kalte Wasser zog ihn gnadenlos nach unten. Schon nach kurzer Zeit spürte er nichts mehr.

Irgendwann kam er wieder zu sich. Er versuchte sich zu orientieren und spürte, dass er auf dem Weg lag, nahe der Stelle, an der sie ihn versenkt hatten. Es musste bitterkalt sein, aber er spürte die Kälte nicht. Ihm war schlecht vor Hunger. Alles fühlte sich anders an, er fühlte sich wie von einer Seifenblase umgeben, die in seine alte Welt platziert worden war, alles sehend aber auch auf abstrakte Weise davon entfernt.

Dann sah er sie, oder das, was sie einmal gewesen war. Sie schien um hundert Jahre gealtert zu sein. In ihren Augen hatte er immer Liebe und Mitgefühl für ihre Mitmenschen erkennen können, sie hatte die Schönheit innen und außen getragen. Er hatte sie so sehr geliebt, sie war so sanftmütig gewesen und doch verkörperte sie auch den Kampfgeist eines Bullen und wenn es um das Wohlbefinden ihrer Kinder ging, dann war dieser Kampfgeist gepaart mit Angriffslust. Das, was er jetzt sah, war völlig anders. In ihm tobte ein Kampf. Er konnte nicht einordnen, ob er etwas fühlte und falls doch, dann was? Er müsste doch tot sein und so alt wie sie aussah auch sie. Er rappelte sich auf, versuchte Zugang zu dem zu bekommen, was um ihn herum und ebenso mit ihm geschah. „Mein Liebster“, hauchte sie, „dich habe ich gerettet, die Jungen konnte ich nicht mehr retten. Die Nachbarn haben sie gerichtet und ermordet. Hilf mir, dass diese Tat nicht ungesühnt bleibt“, flüsterte sie. „Die Männer, die mordeten, habe ich bereits von ihrem schändlichen Dasein erlöst, ich will auch die Frauen und Kinder und alle, die mit ihnen verwandt sind“, flüsterte sie mit rauer Stimme. „ Ich werde ihre Katen dem Erdboden gleichmachen und sie selbst bei lebendigem Leib in Stücke reißen, langsam, auf dass sie ihr Leid ins Moor hinausschreien können. Ich werde ihre Kinder im Feuer rösten und ihre Frauen zusehen lassen, bis sie den Verstand verlieren vor Pein.“

Er versuchte zu begreifen, was sie dort von sich gab. Versuchte immer noch zu ergründen, aus welchem Grund er sich so fehl am Platze fühlte. „Hexe, was hast du getan?“, stammelte er. „Gib mein Weib frei, damit wir unsere Ruh finden, gemeinsam mit den Kindern.“ Das alte Weib kam auf ihn zu, versuchte ihn zu berühren. Entsetzt wich er zurück. „Ich bin es doch. Liebster, erkennst du mich denn nicht?“

„Du bist es nicht, solcher Taten wäre mein Weib niemals fähig gewesen, so schaurig anzusehen obendrein.“

„Hört, hört!“, raunte sie. Ihre dunklen, kalten Augen auf ihn gerichtet. „Du musst mir helfen, die Frauen und Kinder zu metzeln, es geht nur mit dir. Im Zeitpunkt des Todes ging ich einen Bund ein. Meine Mörder kann ich richten, die Familien nur gemeinsam mit dir!“ „Niemals!“, flehte er, „gib mir mein Weib und lass uns Ruhe finden“.

Ein kaltes Lächeln zog über ihr Gesicht. „Ich gebe dir viele Jahre Zeit, für jedes unserer Kinder zweihundert Jahre, in denen du leiden sollst, ausgestoßen von der Gemeinschaft, du sollst keinen Schlaf finden und Blut soll deine Nahrung sein, das schaurige Moor soll dein Zuhause und der Nebel dein ständiger Begleiter. Bente Klaas Ricklefs, ich komme wieder und werde mein Werk vollenden und du wirst nichts tun können.“

Mit einem schaurigen Lachen verblasste ihre Gestalt im Nebel, langsam löste sich auch der Geruch von verbranntem Fleisch auf. Er stand dort, einsam und verloren im Nebel und ein dunkler Schatten legte sich auf seine Seele. Eiseskälte schoss ihm in die Glieder, legte sich wie ein Panzer um ihn. Die Schattenwelt war jetzt sein Zuhause, die Nacht und der Nebel seine Begleiter.

Die Jahre vergingen und er zählte sie nicht mehr. Nachts verließ er das Moor, sah die Veränderungen, die vier Jahrhunderte mit sich brachten. Er sah Kriege, sah Leben und Tod und Generation um Generation auf die Alteingesessenen folgen. Sein Moor wurde im Laufe der Jahrhunderte zum Weideland verändert und Torf immer weiter abgebaut. Sein Moor veränderte sich und sein Lebensraum wurde immer kleiner. Früher fanden Wanderer den Weg aus dem Moor oft nicht zurück, heute gab es nur noch wenig Niedermoor hier und die Wege wurden sicher, so dass er gezwungen war, sich von Tieren zu ernähren. Eins hatte sich nicht verändert, sein jugendliches Aussehen. War er zu seiner Zeit schon ein alter Mann gewesen mit seinen 54 Jahren, so sah er heute für einen Mann, der mitten im Leben stand - was immer das in seinem Fall auch sein mochte - noch gut aus. Er ließ sein Haar wachsen, trug es zum Zopf gebunden. Seinen Bart stutzte er. Nachts drang er in leere Häuser ein, säuberte sich dort und versorgte sich mit frischer Kleidung und mit Einbruch der Dämmerung ging er ins Moor zurück, zusammen mit dem Nebel.

Oft drang er in Bauernhäuser ein, versorgte sich an Kühen oder Pferden mit frischem Blut. Stets nahm er alte Tiere, so dass die Bauern immer glaubten, ihre Tiere seien den Alterstod gestorben. Klagend zog er sich oft zurück und die Bauern hörten beängstigende Geräusche aus dem Moor. Sie sprachen von Zauberlichtern, tanzenden Flammen und hinter vorgehaltener Hand erzählte man sich, dass Bente Klaas Ricklefs wieder keine Ruhe fand und im Nebel den Namen seiner Frau Leefke rief.

Wenn auch die Nachfahren der Alteingesessenen die Schandtaten ihrer Vorfahren verdrängt und vergessen hatten, so überdauerte doch ein Teil der Geschichte. Die Geschichte eines Dorfes, das an einem Tag im Hochsommer 1612 all seine Männer verlor bei dem Versuch, den Brand auf dem Hof von Bente Klaas Saathoff Ricklefs zu löschen, der seine Familie verlor und aus Trauer ins Moor ging und nie wiederkehrte. Die unschönen Details ließ man weg und verdrängte sie und irgendwann waren sie wirklich vergessen.

Bente selbst passte sich über die Jahre an. Durch Vermögen, das er und seine Brüder sich im Laufe der Jahre nachts beschafft hatten, kauften sie im Laufe der Jahre immer Häuser, in denen sie tagsüber schliefen. Alle paar Jahre wechselten sie das Haus und die Gegend, sobald ihr Umfeld alterte und sie nicht. So blieben sie immer Männer, die irgendwann zugezogen waren. Niemand wunderte sich darüber und so konnten seine Brüder und er im Laufe der Jahrhunderte ein riesiges Vermögen, viele Firmen und viele ha Wald und Moorland erwerben.

Gut war Bente anzuschauen, über 2 m groß, muskulös, Bart und lange blonde Haare, die manchmal offen im Wind flatterten und manchmal zum Zopf gebunden waren. Seine Augen waren blau und je nach Stimmung ließ die innere Hitze sie auch schon mal orange erscheinen. Ein Mann, dem die Frauen hinterher schauten, seinen Brüdern ebenso. Regelmäßig ernährten sie sich von Rehen, Wildschweinen und anderem Wild, wie es zu ihrer 2. Natur gehörte.

Und wenn Bente sich nach Außen angepasst hatte, eins konnte er nicht ändern: Den nächtlichen Rückzug ins Moor, tiefe Trauer und Einsamkeit, die ihn dort stets befiel. Auch heute noch klagt er der Nacht sein Leid, quälend nach seinen Kindern und seiner Frau rufend.

Leefke

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