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Die gefriergetrocknete Welt des Gerichts

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Mit großer Präzision, aber mit einem Mindestmaß an Emotion leuchtete das Gericht in München einen Abgrund an Hass, Gewalt und Versagen aus. Die Welt des Münchner Gerichtssaals war eine sehr eigene Welt. Eine Welt wie gefriergetrocknet, in der die Gefühle der Zeugen, der Opfer, der Angehörigen, der Angeklagten durch den Richter sorgfältig extrahiert und dann juristisch vakuumverpackt wurden, so dass nichts mehr stören konnte bei der Suche nach den Fakten. Gefühle waren im Gerichtssaal A101 nicht vorgesehen, sie wurden kurz abgefragt, notiert, dann ins Regal gelegt, zu den anderen Akten. Dieser Prozess verwandelte Hass in Schweigen, Wut in Fragen, Verzweiflung in Beweisanträge. Ein Raum der Regeln. Aseptisch. Wie unter dem grellen Licht über einem Operationstisch wurde im fensterlosen Gerichtssaal eine monströse Reihe von Verbrechen seziert, unter denen Opfer und Hinterbliebene noch immer leiden. Und so sehr die Strafprozessordnung die Regeln vorgibt, so sehr das Gericht versuchte, die Gefühle zu bannen – sie kamen doch beklemmend nahe.

»Reden Sie«, beschwor die Mutter des getöteten Halit Yozgat die Angeklagte. Eindringlich sah die Frau mit dem blauen Kopftuch Beate Zschäpe an. Seit dem Tag, als ihr Sohn im April 2006 getötet wurde, könne sie keine Nacht mehr schlafen. »Sie sind auch eine Dame«, sagte die Mutter zu Zschäpe. »Denken Sie daran, dass ich nicht schlafen kann.« Zschäpe schaute die Frau nicht an. Erst in ihrem Schlusswort wurde klar, dass die Worte der Mutter sie berührt hatten. Sie sei »ein mitfühlender Mensch«, sagte Zschäpe im Juli 2018 zu Mutter Yozgat. Einmal stürzte der Vater von Halit Yozgat nach vorn, warf sich auf den Boden des Gerichtssaals, direkt vor Zschäpe, und zeigte, wie er sein »Lämmchen« gefunden hat. Zschäpe erschrak, senkte den Blick in ihren Laptop. Der Vater am Boden schluchzte auf. Der Sohn, gerade 21, war damals in seinen Armen gestorben.

Es waren Zeugenaussagen wie diese, die für die regelmäßigen Beobachter und Besucher des Prozesses zu den eindringlichsten Ereignissen gehörten. Da gab es die verstörte Witwe eines Opfers, die nicht verstand, was sie noch vor Gericht sagen sollte – nachdem ihr Leben vor 14 Jahren zerstört worden war. Sie herrschte den Richter an, er solle doch Zschäpe fragen, »diese Frau« – sie selbst sei wie eine Verdächtige behandelt worden. Da war der Kollege der getöteten Polizistin Michèle Kiesewetter, der sich in den Gerichtssaal tastete, weil er seit dem Anschlag des NSU das Gleichgewicht nicht mehr halten kann. Er hatte durch den Schuss der Täter schwerste Kopfverletzungen erlitten, sich dennoch danach durch ein Studium gekämpft, um weiter als Polizist arbeiten zu können – im Innendienst. Jedes Mal, wenn er einen Streifenwagen sehe, so gab er zu Protokoll, bange er nun, ob die Besatzung heil nach Hause kommen werde.

Und da war die junge Frau, die als 19-Jährige kurz vor dem Abitur im Lebensmittelgeschäft ihrer Eltern in der Kölner Probsteigasse aushalf. Ein Kunde hatte scheinbar eine Christstollendose im Laden vergessen, seit Wochen stand sie unberührt da. Das Mädchen öffnete die Dose. Als die Bombe explodierte, verbrannte sie die Haare der jungen Frau, zerschnitt ihr Gesicht, schweißte ihr die Augen zu und zerfetzte die Trommelfelle. Aber sie überlebte. Und machte noch im gleichen Jahr das Abitur nach. Sie hat dann studiert und ist heute Chirurgin. Auch ihre Geschwister haben studiert, längst sind alle Deutsche geworden. Die Eltern waren vor Jahren aus dem Iran geflohen. Als die junge Chirurgin am 118. Verhandlungstag als Zeugin vor Gericht aussagte, wurde sie gefragt, ob sie nach dem Anschlag daran gedacht habe, Deutschland zu verlassen. Sie antwortete: Ja, kurz. Doch dann habe sie überlegt, dass die Attentäter genau das bewirken wollten. Und sie sagte: »Nein, jetzt erst recht! Ich lasse mich mit Sicherheit nicht aus Deutschland rausjagen.«

Der NSU-Prozess war auch geprägt von Einsilbigkeit und Schweigen. Vor allem dann, wenn Zeugen aus der rechten Szene vor Gericht erschienen waren. Es waren viele. Sie ließen die Fragen des Gerichts abtropfen an ihren Lederwesten und Szene-T-Shirts, auf denen ständig von »Freedom« die Rede war und auf denen Adler prangten. Über Stunden gaben sie nur Wortfetzen von sich: »Nein«, »nicht dass ich wüsste«, »kann mich nicht erinnern«, »keine Ahnung«. Es waren zermürbende Tage, vor allem für die Opfer-Angehörigen. Sie mussten erleben, wie viele dieser Zeugen den Morden an ihren Männern und Vätern mit demonstrativer Gleichgültigkeit begegneten und kaum Bereitschaft zeigten, ihren Teil zur Aufklärung der Straftaten beizutragen.

Der NSU Prozess

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