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Beate Zschäpe

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Im Mittelpunkt des Prozesses aber stand die Hauptangeklagte. Je nach Sichtweise ist Beate Zschäpe die rechtsextreme Terroristin. Oder die Stellvertreterin, die nur für ihre toten Neonazi-Freunde vor Gericht stand. Oder das verführte, abhängige Mädchen. Oder gar die Marionette der Geheimdienste, so eine beliebte Deutung rechtsextremer Kreise. Es gab viele Prozessbeteiligte, die sagten, es sei doch klar, dass Zschäpe nicht die Geisel des NSU war, sondern eher die Kraft, die alles zusammenhielt. Dass ein heimliches Leben, bei dem man so aufeinander angewiesen ist wie Zschäpe und ihre Männer, nur aufrechtzuerhalten ist, wenn ein gemeinsames Ziel die drei zusammenschweißte. Geselliges Prosecco-Trinken mit den Nachbarn oder Radfahren im Urlaub, so wie Zschäpe das erzählte, konnte es kaum gewesen sein, so sah es auch der psychiatrische Gutachter Henning Saß, der Zschäpe vier Jahre lang beobachtet und ihr Verhalten analysiert hat. Er hielt sie für eine selbstbewusste, eigenständige Frau, die andere manipulieren konnte. Saß sah sie als voll schuldfähig an und sagte, sie sei auch noch immer gefährlich.

Der von der Verteidigung Zschäpes aufgebotene psychiatrische Gutachter Joachim Bauer dagegen diagnostizierte bei ihr eine Persönlichkeitsstörung, die sie krankhaft abhängig von ihren Gefährten gemacht habe und deswegen auch unfähig, sich von ihnen zu lösen, obwohl sie immer wieder von ihrem Freund Uwe Böhnhardt geschlagen worden sei. Psychiater Bauer sah Zschäpe als vermindert schuldfähig an und erklärte sogar, sie habe 13 Jahre lang in »verschärfter Geiselhaft« bei ihren Freunden gelebt. In einer E-Mail an eine Zeitung verglich er das Verfahren und dessen mediale Begleitung mit einer Hexenverbrennung und erklärte, man wolle in Zschäpe »das nackte Böse in einem weiblichen Körper« sehen. Die Nebenkläger beantragten, den Psychiater für befangen zu erklären. Das Gericht erklärte ihn tatsächlich für befangen – es war der einzige Befangenheitsantrag im gesamten Prozess, der Erfolg hatte.

Die Anklage sah die Rolle von Zschäpe völlig anders. Die 1975 geborene Frau aus Jena war für die Bundesanwaltschaft ein unverzichtbarer Teil der Terrorzelle – weil sie die Tarnung für die Männer lieferte. Weil bei ihr der sichere Rückzugsort war, an den Mundlos und Böhnhardt nach den Morden zurückkehren konnten. Für den Generalbundesanwalt galt: Die Frau war nicht nur Helferin, sie war gleichberechtigte Mittäterin ihrer Männer, selbst wenn sie nicht selbst getötet hatte und an keinem Tatort beobachtet worden war. Das ist nichts wirklich Neues: Bereits in etlichen Prozessen gegen die RAF hatten Gerichte Angehörige der Terrororganisation wegen der Mittäterschaft bei Anschlägen verurteilt, obwohl sie nicht selbst geschossen hatten. Sie galten als Mittäter, weil sie einem Kommando angehört und den Anschlag gewollt hatten. Um als Mörder verurteilt zu werden, muss man nicht selbst den Finger am Abzug gehabt haben – das hat die Rechtsprechung gegen die Kommandos der Rote Armee Fraktion gezeigt.

Das Gericht hat das am Ende ähnlich gesehen und Zschäpe zu lebenslanger Haft mit besonderer Schwere der Schuld verurteilt – für die Richter war sie gleichberechtigte Mittäterin ihrer Männer. Götzl zeichnete in seinem Urteil das Bild einer Terrorbande, die sich von Anfang an dazu verabredet hatte, eine Mordserie gegen Ausländer und Repräsentanten des Staates zu begehen, um eine Gesellschaftsordnung nach dem Vorbild des Nationalsozialismus zu schaffen. Die Taten sollten aber verübt werden, ohne sich dazu zu bekennen. Und zwar aus einem besonderen Grund: Man wollte erst später ein Bekennervideo veröffentlichen, weil die Gruppe »die Machtlosigkeit des Sicherheitsapparats und die Schutzlosigkeit der angegriffenen Bevölkerungsgruppe zeigen wollte.« Richter Götzl erklärte, Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt hätten von vorneherein die Absicht gehabt, im Untergrund eine terroristische Vereinigung zu bilden und ihre ausländerfeindliche Gesinnung durch Gewalttaten zum Ausdruck zu bringen. Zschäpe hatte nach Überzeugung des Gerichts die Aufgabe, die Videos nach dem Auffliegen der Bande zu verschicken und die Hinweise auf die Taten und mögliche Helfer im gemeinsamen Unterschlupf zu vernichten, indem sie in der Wohnung Feuer legen sollte. Um diesen Auftrag zu erfüllen, musste sie sich während der Straftaten ihrer Freunde in der Nähe der Wohnung aufhalten.

Sollte der Bundesgerichtshof das Urteil des Oberlandesgerichts München bestätigen, stehen Beate Zschäpe noch mindestens 20 Jahre Haft bevor – zusätzlich zu den sechseinhalb Jahren, die sie bis zum Urteil bereits abgesessen hatte. Denn die besondere Schwere der Schuld bedeutet, dass sie nicht schon nach 15 Jahren im Gefängnis Aussicht auf ein Leben in Freiheit hat. Das Gericht blieb bei Zschäpe nur in einem Punkt hinter den Forderungen der Bundesanwaltschaft zurück: Es verhängte nicht die Sicherungsverwahrung gegen sie. Das fand Richter Götzl »nicht unerlässlich«.

Die lebenslange Haftstrafe für Beate Zschäpe überdeckte zunächst die aus Sicht vieler Prozessbeobachter erstaunlich milden Strafen für die anderen Angeklagten. Ralf Wohlleben, der den NSU wie die Spinne im Netz unterstützt und die Tatwaffe für neun Morde vermittelt hatte, erhielt zehn Jahre – zwei Jahre weniger als von der Bundesanwaltschaft gefordert. Er hatte schon sechs Jahre und acht Monate abgesessen und kam bereits eine Woche nach dem Urteil vorläufig frei. Der bekennende Neonazi André Eminger, für den die Bundesanwaltschaft ebenfalls zwölf Jahre Haft gefordert hatte, wurde zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Das Gericht hob seinen Haftbefehl auf, er verließ das Gericht als freier Mann. Seine Freunde und Unterstützer, die am Tag der Verkündung auf der Besuchertribüne saßen, klatschten und johlten dazu. Auch Holger Gerlach, der seinen Freunden jahrelang den Pass und seinen Führerschein überlassen hatte, bekam drei Jahre Haft – zwei weniger als gefordert. Nur der Angeklagte, der seine Taten offen bereut hatte, der Aussteiger Carsten Schultze, erhielt keine mildere Strafe als von der Anklage beantragt. Das Gericht verurteilte ihn zu drei Jahren Jugendhaft. Er war der einzige, der auf alle Fragen geantwortet und sich selbst schwer belastet hatte. Einige Familien der Opfer hatten das Gericht gebeten, ihn milde zu bestrafen, weil sein Gewissen ihn schon genug strafe.

Viele Angehörige der Opfer hatten bereits zu Beginn des Prozesses betont, es gehe ihnen nicht um eine möglichst hohe Strafe für die Angeklagten. Was sich aber die Angehörigen unbedingt erhofften – dies machten ihre Anwälte immer wieder deutlich – war die Antwort auf eine quälende Frage: die Frage, warum ausgerechnet ihr Mann, ihr Bruder, ihr Sohn getötet wurde. Doch Zschäpe hatte als Angeklagte das Recht, zu schweigen. Dieses Recht hat sie 248 Tage lang in Anspruch genommen. Am 249. Tag hat sie eine Erklärung abgegeben, 54 Seiten lang, vorgelesen von ihren Anwälten. Darin stellte sie sich als Opfer des NSU dar, emotional erpresst von ihren Freunden, die damit drohten, sich zu erschießen, wenn Zschäpe sie verließe. Sie selbst habe die Morde abgelehnt und auch immer erst hinterher davon erfahren, ließ sie vortragen. Das Motiv für die Taten: Mundlos und Böhnhardt hätten gesagt, ihr Leben sei ohnehin »verkackt« gewesen. Für den Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter hat es laut Zschäpe nur einen Grund gegeben: Die Männer wollten eine moderne Polizeipistole erbeuten. Und die Raubüberfälle – die habe sie in Kauf genommen, ließ Zschäpe erklären, schließlich habe die Gruppe während der mehr als 13 Jahre im Untergrund ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen. Die Bekennervideos habe sie nach dem Tod ihrer Gefährten nur deswegen verschickt, weil sie es den beiden einst versprochen hatte.

Im Herbst 2016 hatte Zschäpe schließlich selbst das Wort ergriffen und erklärt, sie verurteile die Taten von Mundlos und Böhnhardt. Sie beurteile Menschen nicht nach ihrer Herkunft oder ihrer politischen Einstellung, sondern nach ihrem »Benehmen«. Sie bedauere ihr eigenes Fehlverhalten. Dann schwieg sie erneut fast zwei Jahre – bis zu ihrem letzten Wort am 3. Juli 2018. Bei dieser Gelegenheit äußerte sie, ihr täten die Taten ihrer Freunde leid, sie empfinde Mitleid mit den Angehörigen der Opfer und habe sich von der rechten Szene abgewandt. Gleichzeitig erklärte sie, sie akzeptiere die politische Gesinnung ihrer Mitangeklagten. Sie ignorierte dabei, dass genau diese Gesinnung erst das Leid verursacht hatte, das sie nun beklagte.

Zschäpes Worten stehen Aussagen Hunderter Zeugen entgegen, die im Gerichtssaal gehört wurden. Sie sprachen darüber, wie Zschäpe mit ihnen über »Germanenkunde« debattierte, mit ihnen ihr selbstgemachtes rassistisches Spiel »Pogromly« spielte, in dem auf die Gräber von Juden »gekackt« wurde, wie sie ihnen ihre Schreckschusswaffe zeigte, die sie liebevoll »Wally« nannte. Im Gerichtssaal traten auch Nachbarn und Freundinnen auf, mit denen sie sich zum Prosecco zusammengesetzt hat, unter einem Hitlerbild im Keller. Urlaubsfreunde berichteten als Zeugen von ungetrübter Harmonie unter den drei Freunden Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. Und ihr Cousin, mit dem Zschäpe aufgewachsen war, erklärte, seine Cousine habe ihre Jungs »im Griff« gehabt. Sie selbst hat sich während des Prozesses mit ihren drei ursprünglichen Verteidigern zerstritten und sich einen neuen, vierten Pflichtverteidiger vom Gericht erkämpft, der sie seit Sommer 2015 vertrat. Zusätzlich wurde sie von einem Wahlverteidiger beraten. Ihre alten Verteidiger grüßte sie nicht, beachtete sie nicht, schwieg sie an, obwohl die sich weiter für ihre Rechte einsetzten. Sie hielt das drei Jahre lang durch, bis zum Urteil.

Doch vor dem Oberlandesgericht München ging es nicht nur um Beate Zschäpe und ihre Mitangeklagten. Es ging um die Republik. Um ihre Sicherheitsbehörden. Um die Justiz. Um die Demokratie. Es ging um Hass und Gewalt und die Grundfesten des Staates.

Der NSU Prozess

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