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Die Angehörigen

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Immer wieder wurde in diesem Prozess deutlich, wie sehr sich die Jahre voll ungerechtfertigter Verdächtigungen bei den Angehörigen der Opfer eingegraben haben: Die Ermittler hielten sie für verstockt, für eingesponnen in Mafia-Kreise, in den Drogenhandel. Ihre Nachbarn wurden befragt, ob sie von Liebschaften, Spiel- oder Sex-Sucht der Getöteten wüssten. Die Hinterbliebenen waren beschämt und trauten sich jahrelang nicht mehr auf die Straße. Der Witwe des ersten Mordopfers Enver Şimşek hatten Polizeibeamte ein Bild mit einer blonden Frau gezeigt und erklärt, das sei die heimliche Geliebte ihres Mannes. Er habe zwei Kinder mit ihr. Kein Wort war wahr. Die Witwe war schon dankbar, als ihr ein Polizist nach Monaten sagte, das sei nur eine Finte gewesen, man habe gehofft, so das »Schweigekartell« der Familie zu erschüttern. Auf die Familie Yozgat, deren Sohn in Kassel ermordet worden war, wurde ein verdeckter Ermittler angesetzt, die Anschlüsse von Eltern und Geschwistern wurden monatelang überwacht. Die Witwe eines Mordopfers in München sollte auf Drängen anderer Eltern ihre Tochter von der Schule nehmen. Die Eltern hatten Angst, der Täter aus »türkischem Milieu« könnte auch ihre Kinder treffen, wenn sie in der Pause auf dem Schulhof spielten.

Die Opferfamilien empfanden die Enttarnung des NSU geradezu als Befreiung von einem Alpdruck. Sie erschienen immer wieder im Prozess, um mehr zu erfahren. Sie erlebten, wie das Gericht herausdestillierte, dass die Mordwaffe, eine Česká 83, von einem Waffenhändler in der Schweiz über einen krebskranken Zwischenhändler und einen ostdeutschen Freund in die rechte Szene von Jena gelangte und schließlich dort im Szeneladen Madley an Carsten Schultze übergeben wurde. Und wie der sie dann nach Chemnitz zum NSU brachte. Die Angehörigen hörten im Gerichtssaal, welches Unterstützernetzwerk die drei Untergetauchten hatten. Sie erfuhren, wie rechte Kameraden und Kameradinnen den dreien Wohnungen und Pässe besorgten, für sie Apartments anmieteten, dass der Angeklagte André Eminger Beate Zschäpe sogar als seine Frau ausgab, als sie einmal nach einem Wasserschaden in der Wohnung als Zeugin bei der Polizei aussagen musste.

Viele Angehörige konnten nicht fassen, wie nah Polizei und Verfassungsschutz den drei Untergetauchten immer wieder gewesen waren. Einmal, nach dem Wasserschaden, war Beate Zschäpe sogar im Polizeirevier Zwickau gesessen. Kühn hatte sie behauptet, sie habe in der Wohnung nur die Blumen gegossen. Der Polizist glaubte ihr.

Angeblich wusste keiner, wo sich die drei aufhielten. Dabei war der NSU geradezu umstellt von Spitzeln. Tino Brandt, bestbezahlter V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes, telefonierte sogar mit den untergetauchten Neonazis. Er berichtete darüber dem Verfassungsschutz. Aber Konsequenzen folgten nicht. Auch andere Dienste hatten Spitzel in der Szene, die davon berichteten, die drei wollten nach Südafrika gehen. Auf die Spur aber kamen ihnen die Dienste nicht. Wichtige Informationen wurden nicht beachtet, nicht weitergegeben oder falsch bewertet, V-Leute wurden vor Polizeiaktionen gewarnt. Nicht nur den Angehörigen der Opfer drängte sich angesichts der vom Gericht befragten Verfassungsschutzmitarbeiter und deren V-Männer der Eindruck auf, dass Polizei und Verfassungsschutz fatale Fehler gemacht hatten – auf allen Ebenen und immer wieder.

Obwohl diese Versäumnisse im Prozess offen zu Tage traten, die Fehler der Ermittler vom Gericht ausführlich mitprotokolliert wurden und den Angehörigen der Opfer viel Zeit eingeräumt wurde, um den Schmerz über den Verlust der Ermordeten zu schildern, hinterließ der Prozess bei vielen Nebenklägern einen bitteren Nachgeschmack. Sie hatten dieses Mammutverfahren über all die Jahre verfolgt, waren immer wieder von weit her angereist, hatten Zeit und Kraft geopfert, um dabei zu sein. Sie hatten sich erhofft, dass das Gericht am Ende das Unrecht, das ihnen angetan worden ist, die Unzulänglichkeiten der Behörden und die vielen offenen Fragen im Zusammenhang mit den NSU-Morden zumindest erwähnt. Sie wurden enttäuscht. Richter Manfred Götzl beschränkte sich in seinem nur vier Stunden umfassenden mündlichen Vortrag auf eine knappe, fast kursorische Beweiswürdigung. Kein Wort an die Angehörigen, kein Satz über das Versagen des Staates, nichts zur gesellschaftlichen Bedeutung dieses Verfahrens.

Ein Nebenklage-Anwalt hatte noch wenige Monate vor dem Urteil das Gericht gemahnt: »Ich bin überzeugt davon, dass dieser Senat ein Urteil fällen wird, das der Revision standhält. Ich darf an Sie appellieren: Sprechen Sie ein Urteil, das auch vor der Geschichte Bestand hat.« Er hatte damit vielen Opferfamilien aus der Seele gesprochen. Nach der Urteilsverkündung verließen viele Angehörige das Gerichtsgebäude fassungslos.

Der NSU Prozess

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