Читать книгу Der NSU Prozess - Tanjev Schultz - Страница 22
Tag 5
Оглавление4. Juni 2013
Manfred Götzl, Richter. Carsten Schultze, Angeklagter. Herbert Diemer, Vertreter der Bundesanwaltschaft. Anja Sturm, Verteidigerin von Beate Zschäpe. Alexander Kienzle, Edith Lunnebach, Anwälte der Nebenklage
Götzl: Zunächst sind einige Beschlüsse zu verkünden. Der Antrag auf Aussetzung oder Unterbrechung des Prozesses durch die Verteidigung von Frau Zschäpe wird abgelehnt. Das Beschleunigungsgebot geht vor. Die Verteidiger hätten sich in die Akten in den sieben Tagen einarbeiten können, die durch die Unterbrechung des Prozesses frei wurden, zudem sind auch die Pfingstferien frei von Verhandlungstagen. Eine weitere Unterbrechung ist nicht veranlasst.
Der Antrag, die Akten der Landesstaatsanwaltschaften hinzuzuziehen, wird abgelehnt. Es besteht kein Anspruch auf die Beiziehung dieser Akten. Der Aktenumfang der Hauptverhandlung wird durch die Identität der Tat und der Angeklagten bestimmt. Verfahrensfremde Akten beizuziehen ist sachlich nicht geboten, dadurch würde der Ablauf des Verfahrens erschwert. Zudem konnten diese Akten beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe eingesehen werden. Die Nebenkläger haben diese Akten dort eingesehen, nicht aber die Verteidiger der Angeklagten Zschäpe.
Der Antrag auf Aussetzung des Verfahrens durch die Verteidigung von Herrn Wohlleben wird abgelehnt, zudem der Antrag auf Einstellung des Verfahrens. Die Verteidigung macht geltend, dass es wegen der medialen Vorverurteilung ihres Mandanten und der Verwicklung von Geheimdiensten ein nicht behebbares Verfahrenshindernis gibt. Der Senat sieht keine Anzeichen, dass ein faires Verfahren ausgeschlossen oder infrage gestellt ist. Es handelt sich hier lediglich um abstrakte Überlegungen der Verteidigung, die selbst angibt, der Senat habe sich bisher standhaft und unabhängig gezeigt. Anzeichen, dass sich dieses Verhalten des Senats ändern könnte, zeigt die Verteidigung nicht auf. (Es folgt noch eine Verfügung des Vorsitzenden Richters Götzl.)
Der Antrag der Verteidigung von Beate Zschäpe, dass die Vertreter der Bundesanwaltschaft Diemer und Greger abgelöst werden, wird abgelehnt. Die Maßstäbe an die Befangenheit wie für Richter gelten nicht für Staatsanwälte. Um eine Ablösung zu rechtfertigen, muss sich ihre Voreingenommenheit aufdrängen und einen Missbrauch staatlicher Macht darstellen.
Verteidigerin Sturm Aufgrund der gezielten, von den Strafverfolgungsbehörden selbst gesteuerten und betriebenen Vorverurteilung unserer Mandantin ist ein rechtsstaatlicher, fairer Prozess auch unter der Berücksichtigung der berufsständischen Objektivität der dem Senat angehörenden Berufsrichter nicht mehr durchführbar. Gravierend, das heißt nicht mehr zu heilen, ist auch der Umstand der Beeinflussung der Personal-Beweismittel, namentlich der Zeugen, welche durch ein bestimmtes meinungsbildendes Klima zumindest unterschwellig in ihrem Aussageverhalten beeinflusst werden. Es hat eine beispiellose Vorverurteilung durch den Generalbundesanwalt stattgefunden, der auch nicht alle relevanten Akten vorgelegt hat. Insbesondere Verfahrensakten zu verschiedenen V-Leuten wurden der Verteidigung vorenthalten. Zudem wurden Akten vernichtet, die relevant gewesen wären. Es war eine Vielzahl von V-Personen in der rechten Szene eingesetzt, die an der Entwicklung der rechten Szene mitgewirkt haben, darunter Tino Brandt, der Gründer des Thüringer Heimatschutzes. (Der Thüringer Heimatschutz wurde Mitte der Neunzigerjahre aktiv und war lange Zeit die aktivste rechtsextreme Vereinigung in Thüringen. Sie hatte Sektionen in mehreren Städten. Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe gehörten der Sektion Jena an.) Die Verfassungsschutzbehörden haben die Akten nur widerwillig und unvollständig herausgegeben. Der Strafanspruch des Staates ist deswegen verwirkt.
Der Präsident des Bundeskriminalamtes hat vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags vom »Zwickauer Mördertrio« gesprochen. Der Generalbundesanwalt lud am 1. Dezember 2011 zu einer Pressekonferenz. Dort sagte Generalbundesanwalt Range: »Wir ermitteln nicht gegen die NPD, sondern gegen die terroristische Gruppierung, die sich NSU nennt.« Das Wort »mutmaßlich« fehlte. Diese öffentlichen, vorverurteilenden Bemerkungen flossen unmittelbar in die Arbeit der Ermittler ein. Sie übernehmen die Begriffe Terrortrio und Mörderbande. Auch bei Zeugenvernehmungen heißt es immer wieder: Terrortrio. Auch Politiker haben sich vorverurteilend geäußert. Die thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht erklärte, das Mördertrio habe seit Mitte der Neunzigerjahre sein Unwesen getrieben. Sie forderte, dass Beate Zschäpe ihr Schweigen bricht. Der bayerische Innenminister sprach ebenfalls von einem Mördertrio, das sächsische Innenministerium von einem Terrortrio. Und der Grünen-Politiker Christian Ströbele erklärte, es wäre deprimierend, wenn sich die Anklage nicht bestätigt und nicht zu einer Verurteilung führt.
Es wird deswegen beantragt, das Verfahren gegen Beate Zschäpe einzustellen. Der staatliche Verfolgungsanspruch darf nicht ohne Rücksicht auf die Rechte der Angeklagten geltend gemacht werden. Unsere Mandantin wurde von Beginn des Verfahrens an zum Objekt degradiert. Sie stand als Mitglied einer Mörderbande von vornherein fest. Die gesamten Ermittlungen gingen davon aus und suchten nur noch nach Beweisen. Dies stellt eine eklatante Verletzung des Grundsatzes auf ein faires Verfahren dar. Die Behörden wollten ihre V-Leute schützen. Eine Waffengleichheit lässt sich nicht mehr herstellen, da Akten vernichtet wurden. Eine ordnungsgemäße Beweisaufnahme wird durch die fehlenden Akten nicht mehr möglich sein.
Bundesanwalt Diemer Wer die Akten wirklich kennt, weiß, dass der Generalbundesanwalt stets die Unschuldsvermutung beachtet. Für den Generalbundesanwalt Range ist die Unschuldsvermutung oberstes Prinzip. Wir haben nicht einseitig ermittelt, das wird in aller Deutlichkeit zurückgewiesen. Das Wort Terrortrio ist lediglich eine schlagwortartige Verkürzung. Zu den V-Personen: Im Zentrum des Ermittlungsverfahrens stehen die Straftaten und die beschuldigten Personen. Alles, was dazugehört, ist von uns vernommen worden. Alles andere sind Spekulationen. Ich bitte darum, den Antrag der Verteidigung auf Einstellung des Verfahrens zurückzuweisen.
Anwältin Lunnebach Sicher ist die Gefahr der Vorverurteilung in diesem Verfahren groß. Damit muss man umgehen. Doch durch das Wort »mutmaßlich« wäre Ihre Mandantin nicht geschützt. Bisher gibt es nur die These des Generalbundesanwalts, dass das Terrortrio die Morde ausgeführt hat. Möglicherweise ist da ein größerer Zusammenhang gegeben, auch mit V-Leuten.
Anwalt Kienzle Ich beantrage, das Gericht möge bekannt geben oder feststellen, ob sich unter den Prozessbeobachtern auf der Besuchertribüne Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes, der Landeskriminalämter oder Mitarbeiter des Verfassungsschutzes befinden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat angekündigt, es werde den Prozess begleiten. Deshalb ist davon auszugehen, dass im Saal Vertreter der Ämter sind. Ich beantrage fernerhin, dass diese Mitarbeiter während der Beweisaufnahme vom Prozess ausgeschlossen werden. Sonst hat das Auswirkungen auf die Unbefangenheit der Zeugen.
Götzl Bei mir haben sich keine Prozessbeobachter gemeldet. Dann stelle ich die Frage an die Zuschauer: Sind Prozessbeobachter vom Verfassungsschutz im Sitzungssaal? (Schweigen.) Dann beginnen wir jetzt mit der Befragung von Herrn Schultze.
(Carsten Schultze, 33, rückt mit seinen Verteidigern eigens um eine Reihe nach vorne, direkt hinter Beate Zschäpe.)
Schultze Wo soll ich anfangen?
Götzl Berichten Sie einfach von sich aus im Zusammenhang.
Schultze Dann fange ich mit der Kindheit an. Ich bin in Neu-Delhi geboren, mein Vater war da auf Auslandsposten, wir mussten in die DDR zurückkehren, weil bei meiner Mutter eine Psychose durchbrach. (Als er vier Jahre alt war, seien sie nach Jena gezogen.) Mein Vater war sehr streng, meine Schwester und ich durften bei Tisch nicht sprechen, auch nicht lachen. (Er erzählt, dass er 1996 die Schule mit der Mittleren Reife beendete und in Springe bei Hannover eine Lehre zum Konditor begann. Nach drei Monaten wurde er von seinen Eltern gegen seinen Willen zurück nach Thüringen geholt. Es folgte eine Ausbildung zum Kfz-Lackierer. Im Sommer 2000, noch in Jena, hatte Carsten Schultze sein Coming-out. Er holt das Fachabitur nach und ging 2003 nach Düsseldorf, um Sozialpädagogik zu studieren. 2007 machte er sein Diplom. Bis zu seiner Verhaftung arbeitete er in Düsseldorf bei der Aidshilfe und in einem schwullesbischen Jugendprojekt.)
Götzl Wie war Ihre Jugend in Jena?
Schultze Ich habe eine Lehre gemacht, da habe ich bei einem Kollegen zum ersten Mal die »Zillertaler Türkenjäger« gehört. Das fanden wir damals lustig. (Er berichtet, dass er über die Teilnahme an Neonazi-Demonstrationen und einem Kongress der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten, kurz JN, mehr und mehr Anschluss in der rechten Szene fand.) Und dann hat Ralf Wohlleben zu mir gesagt, ihn würde es ankotzen, wenn einer sagt, er sei schwul. Da wurde mir klar: Das sind nicht deine Leute.
Götzl Wie war das mit Ihren politischen Ämtern?
Schultze 1999 wurde ich stellvertretender Vorsitzender des NPD-Kreisverbandes Jena unter Ralf Wohlleben, dann Kreisvorsitzender der JN in Jena. Im Jahr 2000 stellvertretender JN-Bundesgeschäftsführer und kurz darauf stellvertretender JN-Vorsitzender in Thüringen. Aber da habe ich eigentlich schon nicht mehr mitgemacht. Ich wollte nicht Landeschef der JN werden, ich habe gedacht: Da komm ich sonst nicht mehr raus. Im September 2000 bin ich ausgestiegen und habe alle Ämter niedergelegt.
Götzl Wie sind Sie zu Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gekommen? Damit wir mal zur Vorgeschichte dessen kommen, was Ihnen vorgeworfen wird.
Schultze Vor deren Untertauchen hatte ich, glaube ich, dreimal Kontakt zu denen. Einmal war ich in der Wohnung von der Frau Zschäpe, da war auch einer der Uwes anwesend. Einmal waren wir gemeinsam in einem Jugendklub. Und einmal waren sie bei mir zu Hause. Einmal war ich bei einer Demo in Erfurt. Im Internet habe ich in den »Tagesthemen« gesehen, dass Frau Zschäpe da auch war. Und dann waren die drei schon weg. Dann ging es mit den Telefonkontakten los.
Götzl Wie gestaltete sich das?
Schultze Herr Wohlleben und André Kapke kamen auf mich zu und fragten, ob ich bereit wäre zu helfen. Herr Wohlleben hat mir dann gezeigt, wie ich aus Telefonzellen ein Handy anrufe, und dann kam ein Rückruf von denen.
Götzl Wer war am Apparat?
Schultze Einer der beiden Uwes. Mindestens einmal war auch Frau Zschäpe am Telefon.
Götzl Wie ging es weiter?
Schultze Ich habe dann ein Handy besorgt, das habe ich mit Herrn Wohlleben besprochen, so was habe ich nicht selbst entschieden. Ich hab dann mit den dreien Kontakt gehalten. Einmal haben die beiden Uwes gefragt, ob ich in die Wohnung von Beate Zschäpe einsteigen und Unterlagen rausholen kann. Ich habe die Tür eingetreten, das ganze Haus hat gerummst. Ich hab Pässe und Zeugs in die Tasche gestopft. Da lag eine schwarz-weiß-rote Fahne auf dem Boden, die hab ich auch mit eingepackt. Das Nächste, woran ich mich erinnern kann, ist, dass ich mit Herrn Wohlleben die Tasche ausgeräumt habe.
Götzl Was haben Sie mit den Ausweisen gemacht?
Schultze Die Ausweise haben wir vergraben, die Unterlagen angezündet. Dann habe ich mich auch mal mit den dreien getroffen, die haben mich nie mit Namen angesprochen, immer nur mit »Kleiner«. Dann sollten wir für die drei ein Motorrad stehlen. (Er beschreibt, dass Wohlleben und er zunehmend von den Aufträgen genervt gewesen seien. Sie hätten auch nicht gewusst, wie sich ein Motorrad kurzschließen lasse.) Wir schoben es in ein Gebüsch und deckten es ab. Aber als wir es holen wollten, war es weg. Die beiden Uwes waren ziemlich sauer. Das Nächste war dann der Wunsch nach der Waffe. Herr Wohlleben schickte mich in einen Szeneladen, dass ich die besorge. Ich habe die dann nach Chemnitz gebracht. Wir waren in so einem Abbruchhaus, da habe ich die übergeben.
Götzl Für was brauchten die drei die Waffe?
Schultze Ich habe es nicht gewusst.
Götzl Haben Sie nachgefragt?
Schultze Nein.
Götzl Haben Sie sich Gedanken gemacht?
Schultze Ich dachte mir irgendwie, dass da nichts Schlimmes passieren würde, ich hatte ein positives Gefühl, dass die drei in Ordnung seien. Für mich waren die drei arme Verfolgte, denen muss man helfen.