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Tag 19

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4. Juli 2013

Manfred Götzl, Richter. Andreas V., 50, Kriminalbeamter beim BKA. Er war bei der Waffenvorlage zugegen, bei der Holger Gerlach die Tatwaffen identifizieren sollte. Michael L., 42, Kriminalbeamter aus Eisenach. Er hat am 5. Und 6. November 2011 Holger Gerlach vernommen. Carsten Schultze, Angeklagter. Herbert Diemer, Anette Greger, Stefan Schmidt, Jochen Weingarten, Vertreter der Bundesanwaltschaft. Wolfgang Stahl, Verteidiger von Beate Zschäpe. Stefan Hachmeister, Olaf Klemke, Verteidiger von Ralf Wohlleben. Verteidiger von Holger Gerlach. Jacob Hösl, Johannes Pausch, Verteidiger von Carsten Schultze. Christina Clemm, Alexander Hoffmann, Sebastian Scharmer, Ferhat Tikbaş, Anwälte der Nebenklage.

(An diesem Tag geht es um die Identifizierung der Mordwaffe des NSU durch den Angeklagten Carsten Schultze. Schultze hat gestanden, Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mithilfe des Mitangeklagten Ralf Wohlleben eine Česká 83 mit Schalldämpfer besorgt zu haben. Er hat die Pistole bei Vernehmungen wiedererkannt. Deswegen sind er und Wohlleben wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen angeklagt.)

Götzl Herr Schultze, ich hätte noch einige Fragen zu der Waffe, die Sie übergeben haben. Bitte schildern Sie, welche Lichtbilder Ihnen vorgelegt wurden und ob Sie die Waffe wiedererkannt haben. Ich möchte, dass sie genau zwischen Ihrer Erinnerung und Ihrem Wissen aus den Akten differenzieren.

Schultze Am 1. Februar 2012 bei der Vernehmung in Karlsruhe wurden mir Kopien von Fotos von Waffen vorgelegt, da kamen drei, vier, fünf in die engere Auswahl. Am 6. Februar 2012 war ich in Köln bei der Polizei, da lagen auf dem Tisch viele Waffen, und da habe ich zwei mit Schalldämpfer gesehen. Ich hab das aus der Größe des Schalldämpfers geschlossen, dass es sich um die mit dem längeren Schalldämpfer handelte, auch weil an der Waffe ein Gewinde war. Es war eine schwarze Pistole.

Götzl Wie sicher waren Sie, dass es so eine Waffe war, wie Sie eine übergeben haben?

Schultze Die müsste so ausgesehen haben. Aber hätten da 15 ähnliche Pistolen mit Schalldämpfer und Gewinde gelegen, wäre es schon schwieriger geworden.

Anwalt Scharmer Wo war das Gewinde?

Schultze An der Waffe, das hat sich eingeprägt.

Verteidiger Stahl Die Farbe war schwarz. Matt oder glänzend schwarz?

Schultze Eher glänzend als matt. Nicht so matt, wie das jetzt bei Autos in ist.

Verteidiger Stahl Der Griff, ist Ihnen da was aufgefallen? Die Griffschalen können aus unterschiedlichen Materialien sein, aus Holz oder Kunststoff.

Schultze Holzfarben war da nichts dran, das war alles schwarz.

Verteidiger Stahl War das glatt oder geriffelt, hatte das eine Struktur?

Schultze Glaube nicht, dass die glatt waren. Aber ich bin nicht sicher.

Verteidiger Stahl Hatte die Waffe einen Abzugshahn?

Schultze Ist das der Hahn, wo der Zeigefinger draufkommt?

Verteidiger Stahl Oberhalb des Griffes sitzt der Hahn.

Schultze Daran habe ich keine Erinnerung.

Verteidiger Stahl Können Sie etwas zur Größe des Schalldämpfers sagen?

Schultze Ich habe damals zum ersten Mal im Leben einen Schalldämpfer gesehen. Dass der so lang und so schwer ist, mindestens so lang wie die Waffe selbst, das wusste ich alles nicht.

Verteidiger Pausch Bei dieser Waffenvorlage bei der Polizei – wie waren da die Waffen auf dem Tisch sortiert?

Schultze Links lagen die mit dem Schalldämpfer, rechts die anderen.

Anwalt Tikbas Haben Sie die Waffen in die Hand genommen?

Schultze Ja, ich habe eine in die Hand genommen. Es war komisch, ich dachte, das ist die Tatwaffe, mit der sie geschossen hatten. Ich dachte, dass dies die Waffen sind, die dort gefunden wurden. Später habe ich gelesen, dass es nur baugleiche Fabrikate waren.

Anwalt Tikbas¸ Und wie war es in Karlsruhe? Hat man Ihnen da Farbkopien vorgelegt?

Schultze Ich hatte damals Schwarz-Weiß-Kopien gesehen bei der ersten Vorlage, das waren gruselige Kopien.

Verteidiger Stahl Hat man Sie nicht darauf hingewiesen, dass man auf jede Waffe einen Schalldämpfer aufschrauben kann?

Schultze Nein.

Verteidiger Stahl Als Sie die Waffe an Ralf Wohlleben übergaben, hat er sich die Waffe mal angeschaut?

Schultze Die lag auf der Erde in einem weißen Tuch. Er hat den Schalldämpfer draufgeschraubt und die Waffe auf mich gerichtet.

(Ende der Vernehmung von Carsten Schultze, der Zeuge Andreas V. betritt den Gerichtssaal. Nun geht es um eine andere Waffe, diejenige, die Holger Gerlach den Untergetauchten übergeben haben will. Mit ihr wurde den Ermittlungen zufolge niemand ermordet. Doch auch er sollte sie in Köln identifizieren.)

Andreas V. Es lagen damals neun Waffen auf dem Tisch, aber Herr Gerlach konnte sich nicht mehr erinnern.

(Der Beamte holt aus einem hellblauen Plastikbehälter neun Waffen heraus und legt sie auf den Richtertisch. Darunter zwei Maschinenpistolen.)

Andreas V. Wir hatten sie ohne Schalldämpfer vorgelegt und die großen Waffen ausgeschlossen. Ich bin kein Waffenexperte, wir haben sie nur mal eben vorgelegt. Ich habe meine Brille leider nicht dabei, deswegen kann ich jetzt auch die Nummerierung der Waffen auf dem Tisch nicht lesen. Die Nummern, die jetzt darauf stehen, sind aber andere, als ich hatte. (Der Zeuge ist zunehmend verwirrt, bringt Nummern durcheinander. Zschäpes Verteidigerin Anja Sturm schüttelt den Kopf. Schultzes Verteidiger Jacob Hösl hilft mit einer Lupe aus.)

Ich war ja bei der Vernehmung von Herrn Gerlach dabei. Es wurden ihm Bilder von zwei Pumpguns vorgelegt. Herr Gerlach hatte nämlich mal gesagt, Böhnhardt habe ihm eine Pumpgun gezeigt. Herr Gerlach sagte, es könnte die schwarze sein, nicht die schwarz-braune auf dem zweiten Bild.

Verteidiger Stahl Welchem Zweck diente die Waffenvorlage?

Andreas V. Wir dachten, vielleicht erkennt er eine, er hatte ja eine davon transportiert.

Verteidiger Stahl Sie haben nur die Waffen vorgelegt, die an den Tatorten gefunden wurden?

Andreas V. Ja. Er sagte, die Waffe sei klein und schwarz gewesen.

Verteidiger Stahl Und die Maschinenpistolen, die Sie vorgelegt haben, sind die auch klein und schwarz?

Andreas V. Die haben wir der Vollständigkeit halber hingelegt.

Verteidiger Klemke Warum haben Sie nicht mehr Waffen hingelegt? Ähnliche Waffen?

Andreas V. Wir haben uns auf diese beschränkt, weil sie einen Zusammenhang mit dem Verfahren hatten.

Verteidiger Klemke Mit welcher Intention haben Sie keine anderen Waffen hingelegt?

Oberstaatsanwältin Greger Die Frage beanstande ich.

Verteidiger Klemke Warum?

Oberstaatsanwältin Greger Ich beanstande die Frage.

Verteidiger Klemke Begründen Sie das!

Oberstaatsanwältin Greger Ich halte die Frage für unzulässig.

Verteidiger Klemke Ich halte die Frage aufrecht. Dann muss der Senat entscheiden.

Oberstaatsanwältin Greger Erst entscheidet der Vorsitzende, dann der Senat.

Verteidiger Klemke Danke für die Belehrung.

Götzl Stellen Sie die Frage erneut.

Staatsanwalt Schmidt Aber die Frage ist suggestiv.

Götzl Die ist nicht suggestiv, die lasse ich zu.

Verteidiger Klemke Warum haben Sie nur diese Waffen vorgelegt?

Bundesanwalt Diemer Herr Vorsitzender!

Verteidiger Klemke Herr Gerlach hat eine kleine schwarze Waffe beschrieben. Warum haben Sie dann die großen Waffen vorgelegt?

Andreas V. Wir wollten ihm eine große Auswahl präsentieren. Und klein ist relativ, wenn man den Schalldämpfer abschraubt, wird die Waffe auch kleiner.

Verteidiger Klemke Das meinen Sie jetzt nicht im Ernst?

(Die Anwälte gehen zum Richtertisch und schauen sich die Waffen an.)

Verteidiger Stahl Ich habe ein kleines Problem, Herr V. Sind das wirklich die Waffen, die vorgelegt wurden?

Andreas V. Weiß ich nicht. Vielleicht hat der Kollege andere, baugleiche eingepackt.

Verteidiger Stahl Sind es dieselben?

(Die Verhandlung wird für eine Mittagspause unterbrochen, danach wird die Vernehmung des Zeugen V. fortgesetzt.)

Andreas V. Ein Kollege hat mich informiert, dass für diesen Prozess nicht dieselben Waffen eingepackt wurden, sondern nur eine baugleiche. Es könnte auch sein, dass hier Modelle dabei sind, die damals bei der Vorlage in Köln nicht dabei waren.

Götzl Es ist aber schon empfehlenswert, das vorher abzuklären. Geht es nur um die Česká?

Andreas V. Nein, der Mann in der Waffenkammer lieferte nur baugleiche Waffen. Ob genau die gleiche, weiß ich nicht.

Verteidiger Pausch Ich habe eine Nachfrage zum Begriff baugleich: Bezieht sich das auch auf die Farbe?

Andreas V. Die Farbe ist nicht ausschlaggebend.

Verteidiger Hösl Sie haben geglaubt, was Herr Gerlach Ihnen gesagt hat?

Andreas V. Ich habe daraus geschlossen, wenn er sagt, dass es sich um eine Pistole handelte und keinen Revolver, dann lege ich nur Pistolen vor. (Der Zeuge wird entlassen.)

Oberstaatsanwalt Weingarten (gibt eine Erklärung ab) Die Vorlage der Vergleichswaffen ist hinreichend dokumentiert durch die Lichtbilder. Es kommt nicht auf Kratzer an, sondern auf Typen. Deswegen ist es nicht wichtig, ob die Waffen jetzt identisch sind mit den vorgelegten.

Verteidiger Stahl Die Zielrichtung einer solchen Waffenvorlage kann doch nicht sein, aus feststehenden Tatwaffen eine zu identifizieren. Zunächst muss man klären, ob ein Zeuge sie überhaupt nachträglich identifizieren kann. Wenn es um eine kleine schwarze Waffe geht und diese Waffe mit einem Potpourri von großen Waffen präsentiert wird, dann ist der Beweiswert gleich null.

Anwalt Hoffmann Herr Schultze hatte aber originäre Erinnerungen an die Waffe.

Verteidiger Klemke Ich bleibe dabei, diese Art von Waffenvorlage ist äußerst kritisch zu bewerten. Der Beweiswert ist gering.

(Der Zeuge Michael L. wird aufgerufen.)

Michael L. Ich war am 4. November dabei, als das Wohnmobil mit den Leichen drin untersucht wurde. Am nächsten Tag bin ich nach Niedersachsen zu Holger Gerlach, der festgenommen worden war. Er soll der Anmieter des Wohnmobils gewesen sein. Es war eine Abtast-Vernehmung, weil die Informationslage noch schwach war. Holger Gerlach sagte, er sei an den fraglichen Tagen arbeiten, bei einem Prozess in Hannover und in den Niederlanden im Urlaub gewesen, mit seiner Lebensgefährtin und den zwei Kindern. Ich legte ihm die Unterschrift auf dem Mietvertrag vor, er meinte, er hat die Unterschrift bei der Anmietung nicht geleistet, es könnte sein, dass das jemand war, der ihn kennt. Wohlleben, Mundlos, Böhnhardt, zwei Leute aus Hannover vielleicht. Dann kam die Vernehmung ins Stocken. Er hat mit sich gerungen und dann zugegeben, dass er seinen Reisepass dem Böhnhardt gegeben hat. Das war während eines Besuchs im Jahr 2011, Frau Zschäpe war da nicht dabei. Er wollte seinen Pass zunächst nicht hergeben, aber er wollte auch nicht als Verräter dastehen. Dann hat er den Pass doch hergegeben. Er wollte nicht wissen, was die damit machen.

Götzl Wann hatte Herr Gerlach mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zuletzt Kontakt?

Michael L. Zwei bis drei Monate zuvor. Die drei kamen seit 2007 immer vor oder nach dem Urlaub an der Ostsee bei ihm vorbei, weil Hannover auf der Strecke lag, sagte er. Eigenartig, habe ich gesagt, Hannover liegt doch gar nicht auf der Strecke. Da war er dann auch so ein bisschen am Zweifeln. Mundlos habe einen Computerladen in Chemnitz gehabt, auch Zschäpe arbeitete dort. Uwe Böhnhardt habe sich mit Gelegenheitsarbeiten durchgeschlagen. Herr Gerlach sagte, er habe eine Telefonnummer von ihnen gewollt, aber nicht bekommen. Wenn was ist, rufen wir dich an, sagten sie ihm. Holger Gelach sprach immer von »diesen Leuten«. Es gab also eine Diskrepanz, gleichzeitig waren es Freunde. Er wollte kein Verräter sein, sagte er und meinte: Das verstehen Sie nicht.

Er erzählte außerdem, Beate Zschäpe sei mit keinem der beiden fest zusammen, sondern mal mit dem einen, mal mit dem anderen. Ich habe gefragt, ob es denn Kinder gibt. Bei einer Autovermietung waren nämlich ein Mann, eine Frau und ein Kind aufgetreten. Seines Wissens nach gab es keine Kinder.

Herr Gerlach hatte mit Ralf Wohlleben zuletzt 2006 oder 2007 Kontakt und meinte, er hätte jetzt auch der Vergangenheit abgeschworen. Das waren damals seine Freunde in Jena. Ich fragte ihn dann nach seiner finanziellen Situation. Er sagte, sein Monatslohn seien 2100 Euro auf die Hand. Nach einer Kündigung habe er 2011 eine Abfindung über 18 000 Euro erhalten. Nun sei ihre finanzielle Lage ausgeglichen. Er und seine Lebensgefährtin kämen gut über die Runden. Später ist bekannt geworden, dass er ein Spieler ist und seine Freundin ihr Geld immer in Sicherheit bringen musste. Er sagte, er habe die Treffen mit den dreien immer so gelegt, dass sie nicht da war.

Götzl Hat sich Herr Gerlach geäußert, wie die Hierarchie in dem Trio war?

Michael L. Er meinte, Böhnhardt und Mundlos standen gleichberechtigt an der Spitze, danach Frau Zschäpe. Dann Wohlleben, und er selbst hat sich ganz unten in der Hierarchie eingeordnet. Das fand ich eigenartig, dass Freundschaft so hierarchisch strukturiert sein soll.

Götzl Hat bei den Treffen mit dem Trio Politik eine Rolle gespielt?

Michael L. Politik war kein Thema, hat er mir erzählt. Er sagte: Ich habe beide mehr als Geschäftsmänner erlebt, sie haben irgendwie raushängen lassen, was sie jetzt für Sachen machen und wie sie verdienen.

Götzl Hat Herr Gerlach etwas zu seinen eigenen politischen Aktivitäten gesagt?

Michael L. Ja, er sagte, dass er sich seit seinem 15. Lebensjahr nur mit Politik beschäftigt habe, Politik, Politik, Politik. Dann habe er festgestellt, dass das alles scheiße war. Heute ärgert mich das, dass ich da nicht genauer nachgefragt habe.

Anwalt Scharmer Zur Vernehmung am 5.11.2011: Hatten Sie da schon Kenntnisse über die Verbindungen von Holger Gerlach zur rechten Szene?

Michael L. Mir war bekannt, dass Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt zur rechten Szene gehören, bei Holger Gerlach war ich mir nicht sicher. Ich kannte den entsprechenden Vermerk vom Staatsschutz nicht. Gerlach selbst sagte, er sei auf Demonstrationen in Süddeutschland dabei gewesen. Die Freundin von Gerlach hat mich damals sehr intensiv angesprochen. Sie wollte wissen, was ihrem Freund vorgeworfen wird. Ich erklärte ihr, es habe am 4.11. einen Banküberfall in Eisenach gegeben. Ihr Freund stehe unter Verdacht, dass er Mittäter oder Beihelfer ist.

Anwältin Clemm Haben Sie Herrn Gerlach über die Leichen im Wohnmobil informiert?

Michael L. Ich habe gegenüber Herrn Gerlach zunächst nicht über die Leichen im Wohnmobil geredet. Als ich ihm dann sagte, dass Herr Mundlos tot ist, war er total geschockt. Ich habe nur von Mundlos gesprochen. Die zweite Person war noch nicht identifiziert.

Verteidiger Hachmeister Hat er überrascht gewirkt, dass sein Name im Zusammenhang mit dem Wohnmobil auftauchte?

Michael L. Er wirkte schon so, als ob er damit nicht gerechnet hat.

Der NSU Prozess

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