Читать книгу Der NSU Prozess - Tanjev Schultz - Страница 29
Tag 12
Оглавление19. Juni 2013
Manfred Götzl, Richter. Carsten Schultze, Angeklagter. Wolfgang Heer, Verteidiger von Beate Zschäpe. Olaf Klemke, Verteidiger von Ralf Wohlleben. Mustafa Kaplan, Walter Martinek, Reinhard Schön, Sabine Singer, Tobias Westkamp, Burkhard Zimmer, Anwälte der Nebenklage.
Anwalt Schön Es soll ja so eine Art Bettelbrief des NSU gegeben haben. Ich lese Ihnen das mal vor: »Verbote zwingen uns Nationalisten immer wieder, nach neuen Wegen im Widerstandskampf zu suchen. Verfolgung und Strafen zwingen uns, anonym und unerkannt zu agieren. Der Nationalsozialistische Untergrund verkörpert die neue politische Kraft im Ringen um die Freiheit der deutschen Nation …«
Götzl (unterbricht) Könnten Sie bitte Ihre Frage stellen!
Anwalt Schön Meine Frage: Haben Sie mal gehört, dass es diesen Brief gibt?
Schultze Nein.
Anwalt Schön Sind Ihnen Bettelbriefe bekannt, wo Geld gesammelt werden sollte für den NSU?
Schultze Nein.
Anwalt Schön Kommt Ihnen noch eine genauere Erinnerung zu Auseinandersetzungen über Gewalt in Neonazi-Kreisen?
Verteidiger Klemke Ich beanstande die Frage. Was ist denn unter dem Begriff Neonazi-Kreise zu verstehen?
Anwalt Schön Was sind Sie denn dann?
Verteidiger Klemke Wen meinen Sie denn? Mich?
Anwalt Schön Überprüfen Sie mal Ihre eigenen Aktivitäten und die Ihrer Kollegin!
Verteidiger Klemke Werden Sie jetzt persönlich? Passen Sie auf, dass Sie keine Anzeige bekommen!
Götzl (zu Klemke) Halten Sie sich zurück! (zu Schön) Wenn das so läuft und Sie nicht präzise fragen, werden wir für jeden Zeugen einen ganzen Tag einplanen müssen.
Anwalt Schön Ich halte das für präzise.
Götzl Nein. Kann man die Frage nicht einfach stellen? Wenn es dann Beanstandungen gibt und die Dinge in den persönlichen Bereich gehen, sind wir mit einer Frage 20 Minuten beschäftigt.
Anwalt Schön Das ist nicht erforderlich.
Götzl Das sehe ich auch so.
Anwalt Kaplan Herr Schultze, haben Sie nach Ihrem Ausstieg auch ideologisch abgeschlossen?
Schultze Ja.
Anwalt Kaplan Welchen Eindruck hatten Sie von Beate Zschäpe damals, können Sie sie charakterlich beschreiben?
Schultze Das wurde ich schon mehrfach gefragt. Kann ich nicht. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt mehr als fünf bis acht Sätze mit ihr gesprochen habe.
Anwalt Kaplan Haben Sie Ihren Ausstieg aus der rechten Szene als Befreiung empfunden?
Schultze Auf jeden Fall.
Anwalt Kaplan Mussten Sie danach noch Ihre Sexualität verstecken?
Schultze Nein. Das ging ja alles durch die rechte Szene, aber es war mir egal. Es war eine Riesenbefreiung für mich.
Anwalt Kaplan Haben Sie denn nach Ihrem Ausstieg noch viel an Ihre Vergangenheit denken müssen, als Sie Ihre Sexualität verstecken mussten?
Schultze (schaut sich hilflos um)
Götzl (wendet sich Rechtsanwalt Kaplan zu) Wenn die Frage erläutert werden muss, ist sie offensichtlich nicht zu verstehen. Vielleicht sollten Sie mal kurz nachdenken!
Anwalt Kaplan Als Sie nach dem Ausstieg eine Therapie gemacht haben, spielte dort auch Ihre frühere Gesinnung eine Rolle?
Schultze Ich habe mich schon gefragt, wie ich da reingeraten bin. Darüber haben wir gesprochen. Aber der Psychotherapeut ist da nicht in die Tiefe gegangen. Das Trio spielte in der Therapie keine Rolle.
Anwältin Singer Wo saß Herr Wohlleben im Auto? Vor Ihnen oder neben Ihnen?
Götzl (interveniert) Was meinen Sie denn? Welche Situation?
Anwältin Singer Ich meine das symbolisch.
Verteidiger Heer Ich beanstande die Frage. Wenn der Anfang schon so schlecht ist, ist keine gute Frage zu erwarten.
Anwalt Westkamp Eine etwas persönlichere Frage: Empfinden Sie heute ein Gefühl der Verantwortung für die Taten von Mundlos und Böhnhardt, wie die Anklageschrift sie benennt?
Schultze Ich fühle auf jeden Fall eine Verantwortung, dass ich mich damals schuldig gemacht habe, die Waffe übergeben und die Sache dann weggeschoben habe.
Anwalt Westkamp Das bezieht sich auf die Übergabe der Waffe. Beziehen Sie sich auch darauf, den Behörden nicht Erkenntnisse übermittelt zu haben, die zur Festnahme hätten führen können?
Schultze Ja.
Anwalt Westkamp Dafür sehen Sie sich verantwortlich?
Schultze Ja.
Anwalt Zimmer Könnten Sie mal die beiden Uwes als Menschen charakterisieren?
Schultze Selbstbewusst auftretend, witzig. Das weiß ich noch.
Anwalt Zimmer Gab es Unterschiede zwischen den beiden?
Schultze Dafür kannte ich sie zu wenig.
Anwalt Zimmer Waren sie dominant? Aggressiv?
Schultze Hab ich so nicht in Erinnerung.
Anwalt Zimmer Gab es eine Rangfolge zwischen den beiden?
Schultze Das ist Spekulation. Ich weiß nicht mal, mit wem von den beiden ich damals am Telefon mehr gesprochen habe.
Anwalt Martinek Was können Sie uns über das von Ihnen erwähnte Katz-und-Maus-Spiel erzählen, das Sie mit der Polizei betrieben haben?
Schultze Das hat sich entwickelt, aufgrund der regelmäßigen Polizeikontrollen. Wir nannten es »cops running« – es gab ein Zeichen, sofort loszurennen. Man musste halt wegkommen.
Anwalt Martinek Wie haben Sie die Rolle eines Polizeibeamten gesehen?
Schultze (überlegt) In der Szene wurden Polizisten auch als Schergen des Systems bezeichnet. Im Umgang für mich habe ich das immer als lustig empfunden. Ich hatte auch zwei Polizisten aus Jena, die hab ich als meine Lieblingspolizisten bezeichnet. Wenn die mich gesehen haben, machten sie gern Witze: Na, ist der Scheitel wieder rechts gezogen? Das war lustig. Es gehörte so mit dazu.
(Die Anwälte der Nebenklage haben keine weiteren Fragen.)
Schultze (wendet sich an die Angehörigen der Opfer, knetet die Hände, räuspert sich) Ich möchte noch etwas Wichtiges sagen: Ich kann nicht ermessen, was Ihren Angehörigen für unglaubliches Leid und Unrecht angetan wurde. Sie als Angehörige … (setzt neu an) Mir fehlen die Worte, um zu beschreiben, wie ich dafür empfinde. Da finde ich nicht die passenden Worte, was das in mir auslöst. Ich bin mir auch absolut nicht sicher, ich denk mir, eine Entschuldigung wäre zu wenig, das ist … ich … eine Entschuldigung klingt für mich wie ein ›Sorry‹, dann ist es vorbei. Aber es ist noch lange nicht vorbei. Ich wollte Ihnen mein tiefes Mitgefühl ausdrücken.
Götzl Eine Frage habe ich noch: Wurde denn im Gespräch mit Herrn Wohlleben thematisiert, wovon das Trio seinen Lebensunterhalt bestritten hat?
Schultze Nein. Und auch mit sonst niemandem.
Götzl Haben Sie selbst mal Überlegungen dazu angestellt?
Schultze Die Assoziationen damals, als ich das Geld bekommen habe, hatte ich: Dass das mit Banküberfällen zu tun haben könnte.