Читать книгу Der NSU Prozess - Tanjev Schultz - Страница 37
Tag 20
Оглавление9. Juli 2013
Manfred Götzl, Richter. Gerwin Moldenhauer, 39, Staatsanwalt bei der Bundesanwaltschaft. Das Gericht hat ihn als Zeugen geladen, um über die Vernehmung von Holger Gerlach durch eine Richterin des BGH auszusagen. Er sagte auch am Tag 256 aus. René K., 35, einer der Handwerker, die in Zschäpes Wohnhaus in der Frühlingsstraße in Zwickau arbeiteten, bevor es dort zur Explosion kam. Er sagte auch an Tag 16 aus. Karl W., 65, Pensionär, ehemaliger Polizist in Nürnberg. Er fand am 9.9.2000 den Blumenhändler Enver Şimşek Dieter S., 60, Kriminalhauptkommissar aus Nürnberg, untersuchte den Tatort im Mordfall Enver Şimşek Stefan Schmidt, Vertreter der Bundesanwaltschaft. Herbert Hedrich, Verteidiger von André Eminger. Stefan Hachmeister, Verteidiger von Holger Gerlach.
Moldenhauer Eine Vernehmung von Herrn Gerlach am BGH fand am 14. November 2011 statt. Der Haftbefehl lautete damals noch auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und wurde dann auf Unterstützung abgeändert. Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos nannte er immer die drei. Er erzählte, sie seien auf der Rückfahrt vom Urlaub bei ihm vorbeigekommen und hätten seinen Pass zufällig in der Tür seines Autos liegen sehen. Es sei ein Freundschaftsdienst gewesen, ihnen den Pass zu geben. Da hat er mich angelogen.
Sein Anwalt Hachmeister sagte mir später am Telefon, dass Holger Gerlach weitere Angaben machen werde. Der Pass sei bewusst für Böhnhardt hergestellt worden, dennoch habe sich sein Mandant aus der Szene gelöst.
Götzl Herr Gerlach hat dazu ausgesagt, ich zitiere: »Ich bin seit sieben Jahren aus der Nummer raus. Wenn ich gewusst hätte, was die machen, wäre ich letzte Woche doch noch stiften gegangen.«
Moldenhauer Er meinte damit, dann wäre ich doch längst weg gewesen, wenn das so stimmte.
Über die Besuche der drei in Hannover erzählte er, sie seien sehr harmonisch gewesen. Man habe Kuchen gegessen, Karten gespielt, einmal auch die Stadt angeschaut. Die beiden Uwes hat er bewundert, als Macher, als starke Typen, Ideengeber, wegen ihres Tatendrangs. Er hat zu ihnen aufgeschaut. Die hatten Charakterstärke, meinte er. Er sagte, sie hätten ihm erzählt, dass sie sich eine legale Existenz aufgebaut hatten, einen Laden, mithilfe des Vaters Mundlos.
Er sagte aus, dass die drei einmal jährlich vor oder nach ihrem Urlaub bei ihm vorbeikamen. Sie hatten ständig neue Autos, einmal auch einen nagelneuen BMW. Das erklärte er sich damit, dass die beiden Uwes vermögende Eltern hatten, und eben ihren Computerladen. Er habe ihre Telefonnummern oder Anschriften nicht gehabt. Böhnhardt habe ihn gefragt, ob sie den Reisepass haben könnten. Er solle ihnen vertrauen, es hätte doch mit dem Führerschein auch keinen Ärger gegeben. Sein Anwalt, Herr Hachmeister, hat mich, wie gesagt, später angerufen und korrigiert, dass der Pass bewusst für Böhnhardt erstellt wurde.
Schließlich sagte er auch noch über den Bombenfund in der Garage 1998 aus: Er meinte, im Nationalen Widerstand hätten damals alle gedacht, dass Böhnhardt und Mundlos es waren, die die Bombenattrappen gelegt hatten.
Götzl Vor dem BGH fand ja dann auch eine zweite Vernehmung statt, am 24. Februar 2012. Erzählen Sie doch mal.
Moldenhauer Da ist viel dazwischen passiert. Herr Gerlach hat umfassende Aussagen gemacht zum Waffentransport. Daraufhin wurde der Haftbefehl gegen ihn erweitert. Er war kooperativ, und als Quittung hat er die Erweiterung des Haftbefehls bekommen. Er war erschüttert. Er war richtig niedergeschlagen. Er sagte: Ich bin, wie mein bisheriger Lebensweg zeigt, nicht gewalttätig. Er musste es sich hochwürgen, die einzelnen Sachen. Da kam dann auch raus, dass er eine Sporttasche mit einem Jutebeutel von Wohlleben bekommen hat, und dass er die Tasche dann in die Polenzstraße in Zwickau gebracht hat.
Er will nicht gewusst haben, dass da eine Waffe drin war. Im Zug habe er interessehalber den Beutel befühlt, er habe nicht gedacht, dass Wohlleben ihn mit der Waffe Zug fahren lässt. Er sagte: Ich ging von der Unschuldsvermutung für meine Freunde aus. Er sagte auch, dass er keine Möglichkeit sah, die Waffe loszuwerden, ohne sich und andere einer Gefahr auszusetzen: Ich konnte sie nicht aus dem Zug werfen, ich konnte nicht zur Polizei gehen. Was hätte ich machen sollen?
Er gab zu, dass es eine Bewaffnungsdiskussion in der Szene gab. Er habe den dreien aber nicht zugetraut, dass sie Menschen ermorden würden. Die Freundschaft mit Wohlleben sei über den Waffentransport zerbrochen. Er sagte: Heute weiß ich, dass ich damals sehr naiv war. Für ihn seien die Diskussionen über Gewaltanwendung nur Diskussionen gewesen und nicht mehr.
Insgesamt muss man zur Vernehmung sagen: Es war eine Zangengeburt, die Angaben kamen scheibchenweise raus, er tat sich nicht leicht damit. Er hat zum Ausdruck gebracht, dass er nicht stellvertretend für andere verurteilt werden möchte.
(Als nächster Zeuge betritt René K. den Gerichtssaal.)
René K. Am 4.11.2011 arbeitete ich dort (im Haus in der Frühlingsstraße in Zwickau) mit einem Kollegen, meinem Schwager. Wir haben im obersten Stockwerk renoviert. An der Klingelanlage stand der Name Dienelt dran, aber ganz sicher bin ich mir nicht. Am Montag und Dienstag hat der Elektriker dort gearbeitet. Ich war größtenteils mit Entkernungsarbeiten in der Wohnung beschäftigt und der Dämmung im Bad.
Später wurden mir bei der Polizei Lichtbilder von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe vorgelegt. Ich habe sie wiedererkannt. Ich denke, das waren die zwei Herrn. Sie haben immer nur freundlich gegrüßt. Der Böhnhardt hat mal nachgefragt, wann bei ihnen der Termin in der Wohnung wäre und ob er seinen Bürosessel entsorgen kann in unserem Container.
(Der Zeuge K. wird entlassen, Herbert Hedrich, der Verteidiger von André Eminger, ergreift das Wort.)
Verteidiger Hedrich Herr Vorsitzender, wir möchten einen Antrag stellen nach Paragraf 231c Strafprozessordnung: Wir beantragen für unseren Mandanten Herrn Eminger, dass er an den Tagen dem Prozess fernbleiben kann, an denen es nicht um ihn geht.
Staatsanwalt Schmidt Dem tritt die Generalbundesanwaltschaft entgegen. Bei einem Organisationsdelikt kann man die einzelnen Sachverhalte nicht abtrennen. Außerdem geht es darum, ob der Verdacht zutrifft, dass es eine terroristische Vereinigung war, die Herr Eminger unterstützte. (Als nächster Zeuge betritt Karl W. den Gerichtssaal.)
Karl W. Ich war auf dem Weg zur Dienststelle, zwischen 8 Uhr und 8.30 Uhr, als ich beim Stand von Herrn Şimşek vorbeifuhr und gesehen habe, wie Herr Şimşek gerade den Stand aufbaute. Gegen 14.30 Uhr war ich dort mit einem Kollegen, der inzwischen verstorben ist, auf Streife unterwegs. Ich sah, dass sich dort ein Pärchen aufhielt, mit dunkler Hautfarbe. Herrn Şimşek konnte ich nicht sehen. Kurz darauf wurden wir verständigt, dass ein Mann dort wartet, weil der Blumenmann nicht da ist. Wir sind zu dem Stand gefahren und haben uns umgeschaut. Dann hat mein Kollege die Schiebetür geöffnet und Herrn Şimşek am Boden liegen gesehen. Er lag auf dem Rücken, im Gesicht war er blutverschmiert. Von mir wurden sofort die nötigen Dienststellen informiert, die Einsatzzentrale und der Kriminaldauerdienst.
Götzl Lebte der Geschädigte noch?
Karl W. Ja.
Götzl Woran haben Sie das gemerkt?
Karl W. Er röchelte noch.
Götzl Wie ging es dann weiter?
Karl W. Der Notarzt hat den Verletzten behandelt. Mein Kollege und ich, wir sind eingerückt, um den Bericht zu schreiben.
(Der Zeuge wird entlassen, Stefan Hachmeister, der Verteidiger von Holger Gerlach, gibt eine Erklärung zum Zeugen L. ab, der am Vortag aussagte.)
Verteidiger Hachmeister Der Zeuge Polizist L. schilderte die Vernehmung meines Mandanten Holger Gerlach am 4.11. und 6.11.2011. Die Aussagen waren glaubhaft und er konnte sich an Details erinnern. Der Angeklagte Holger Gerlach hat bereits in erster Vernehmung umfangreiche und detaillierte Angaben gemacht. Seine Erklärungen erfolgten freiwillig. Die Angaben wurden später präzisiert und er belastete sich damit selbst. Der Zeuge L. sagte, es habe dem Angeklagten Gerlach nicht gefallen, dass seine Dokumente für Straftaten benutzt wurden. Er habe dem Holger Gerlach abgenommen, dass dieser nicht wusste, wozu die Dokumente verwendet wurden. Aus Sicht seiner Verteidigung ist damit klar, dass Holger Gerlach sich auf seine Freunde verlassen hatte.
(Der nächste Zeuge ist Kriminalhauptkommissar Dieter S. aus Nürnberg, der an den Ermittlungen im Mordfall Enver Şimşek beteiligt war.)
Dieter S. Ich bin gegen 16.30 Uhr am Tatort eingetroffen. Das Opfer war angeschossen und hatte schwere Verletzungen, es war tendenziell mit dem Ableben zu rechnen.
(Er zeigt eine Zeichnung, die vom Tatort angefertigt wurde.)
Das ist die Liegnitzer Straße, sie verbindet Fischbach und Altenfurt und liegt ganz nah an den Autobahnanschlüssen.
(Die Zeichnung zeigt, wo der Wagen von Enver Şimşek stand, davor waren Blumen aufgestellt auf einem Tapeziertisch, unter einem bunten Schirm. Zu sehen ist auch die Verkehrsbucht, in der Şimşeks Wagen stand, dahinter ein Fahrradweg.
Dann zeigt der Zeuge Lichtbilder, zunächst von der stark befahrenen Straße. Ein rot-gelbblauer Schirm, schwarze Plastikeimer mit den Blumen, die Sonne steht schon tief. Ein weißer VW Sprinter mit der roten Aufschrift »Şimşek Blumen«. Eine Aufnahme von Abdruckspuren von Turnschuhen im Sand. Eine weitere Aufnahme, die den Innenraum des Sprinters zeigt. Dieter S. referiert zu den einzelnen Bildern.)
Dieter S. In der Herrenhandtasche hier im Bild waren fast 7000 D-Mark drin sowie ein Pass, Papiere und die Sondernutzungserlaubnis für den Standort des Blumenstands. Im Rucksack befanden sich Toilettenartikel, Kleidung und ein Päckchen HB-Zigaretten. Wir fanden auch einen Korb mit Nahrungsmitteln, Bananen, Fladenbrot, ein Trinkbecher mit Kaffeeresten steht noch auf der Ablage. Weitere 21,50 Mark Münzgeld befanden sich in einer kleinen Plastiktüte. Auf dem nächsten Bild: Das Rote hier ist eine ganz ausgedehnte Blutlache. In der Blutlache, hier mit einer grünen 2 gekennzeichnet, liegt eine Schachtel HB und, mit 3 gekennzeichnet, ein Handy. Es gehörte Herrn Şimşek Und Nummer 1 in der Blutlache ist ein Zahn.
Im Fahrzeuginneren war eine Standhöhe von 182 Zentimeter, man kann also gut stehen. Der Wagen war innen mit Metall verkleidet. Ganz offensichtlich ist massiv Blut ausgetreten. Überall sind deutlich erkennbar Blutspritzer. Am Bindematerial, an der Blumenschere, an den Gerbera und den Lilien, das Blut ist noch frisch.
Des Weiteren sieht man hier die blutbespritzte grüne Hose des Opfers und eine Wolljacke, die massiv von Blut durchtränkt ist und ein Einschussloch aufweist. Hier ein blaues Hemd mit drei Einschusslöchern und Blutflecken.
Wir haben die Situation mit einer Styroporpuppe nachgestellt. Unser Fazit lautete: Die Schusskanäle, die wir vorfanden, können nur dann entstehen, wenn das Opfer liegt.
(Der Zeuge wird entlassen. Schon an der Tür, dreht er sich um und fragt, wem der Kuli gehört, und hebt einen Stift in die Höhe.)
Götzl Das ist meiner, den möchte ich behalten. Man muss seine Augen ja wirklich überall haben.
(Verhaltenes Lachen im Gerichtssaal.)