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Tag 18

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3. Juli 2015

Manfred Götzl, Richter. Rainer B., Kriminalbeamter beim Bundeskriminalamt, begleitete im Sommer 2012 Beate Zschäpe bei einem Gefangenentransport von der JVA Köln zur JVA Gera, wo sie ihre Großmutter und ihre Mutter treffen sollte. Wolfgang Stahl, Anja Sturm, Verteidiger von Beate Zschäpe. Stefan Schmidt, Vertreter der Bundesanwaltschaft. Christina Clemm, Detlef Kolloge, Sebastian Scharmer, Angela Wierig, Anwälte der Nebenklage.

Rainer B. Frau Zschäpe freute sich auf diese Fahrt, auf Oma und Mutter, und auch mal was anderes zu sehen außerhalb der JVA. Sie hatte blonde Strähnen in ihrem Haar. Wie kommen Sie in der JVA zu diesen Strähnen, fragte ich. Die Friseurmeisterin bildet Gefangene aus, sagte sie. Die machen das für zehn Euro. Dann haben wir übers Wetter geredet. Ich kenne die Insel Fehmarn gut von den Ferien mit meinen Kindern. Da scheint bestimmt die Sonne. Da ist es ja fast immer sonniger als anderswo. Ob sie das auch so wahrgenommen hat. (Ermittlungen ergaben, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe auf der Insel regelmäßig Campingurlaub gemacht hatten.) Wer sagt denn, dass ich jemals auf Fehmarn war, sagte sie. Dann haben wir über die JVA Köln geredet. Sie klagte, in ihrer Zelle habe es immer nur 18 Grad und kaltes Wasser. In Chemnitz fand sie es schön warm. Ich fragte sie, haben Sie schon in die Akten geschaut? Ja, sie hat Zeugenvernehmungen gelesen. Sie sei sehr interessiert daran, wie die Leute über sie denken, die sie gekannt hat, ihre früheren Nachbarn in der Polenzstraße und in der Frühlingsstraße. Die anderen Dinge habe sie erst mal nicht zur Kenntnis genommen, das sei schon sehr belastend, das könnte sie nicht so lange machen. Ich sagte ihr, sie solle den Bericht des Brandermittlers lesen, er hatte an 23 Stellen in ihrer Wohnung Benzin gefunden und einen leeren 10-Liter-Benzinkanister. Und dann habe ich noch ergänzt: Es gibt ungefähr 1800 Asservate, die alle auswertbar sind. Das wusste sie offenbar nicht.

Ich habe sie dann auf ihren Satz angesprochen, dass sie sich nicht gestellt habe, um nicht auszusagen. Sie wollte das eigentlich, auch um ihrer Großmutter deutlich zu machen, wie alles gekommen ist, und um sich bei ihr zu entschuldigen, sagte sie. Aber ihr Anwalt rät davon ab. Sie war sehr, sehr unzufrieden mit der Arbeit ihres Verteidigers. Er macht ja eigentlich sehr wenig, meinte sie. Dann kam noch die Sache mit der SZ. Sie hat die SZ abonniert und zahlt das Abo auch selbst. Und da hat sie immer wieder Teile aus ihrer Akte gefunden. Wie kann das sein, dass das in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wird, fragte sie. Ob wir das gewesen seien. Ich habe ihr gesagt, dass ich mir das überhaupt nicht vorstellen kann, dass wir Aktenteile herausgeben. So was machen wir nicht. Frau Zschäpe habe auch ihren Verteidiger, Herrn Heer, gefragt, der gute Verbindungen zu Herrn Leyendecker von der SZ hatte, ob er das gewesen sei. Nee, er sei das nicht gewesen, habe er gesagt. Das könnte theoretisch jeder gewesen sein. Vielleicht Nebenkläger. Sie war darüber nachhaltig erbost und kam ständig auf das Thema. Und sie war am Überlegen: So einen Fall wie mich, den hat es ja noch nie gegeben, sagte sie. Och, da täuschen Sie sich, habe ich gesagt. Ich erinnerte sie an die RAF, in jedem öffentlichen Gebäude hingen Fahndungsplakate von denen. Ich habe ihr von Susanne Albrecht erzählt, die in der DDR lebte. Albrecht hat alles gesagt, was sie wusste. Christian Klar hat nie etwas gesagt. Klar hat über 26 Jahre verbüßt, und Albrecht war nach sechs Jahren wieder draußen. Sie führt heute ein normales Leben, in einem anerkannten Beruf, unter anderem Namen, habe ich Frau Zschäpe dann noch gesagt.

Sie hasst das Bild, das von ihr in der Öffentlichkeit ist. Aber sie ist froh, dass es kein aktuelleres Foto gibt. Dann erkennt sie keiner, wenn sie rauskommt. Sie wolle dann auch ihren Namen ändern. In Müller, Meier oder Schulze. Ich habe in einer Buchhandlung in Gera das Buch »Die Zelle« gekauft. Anschließend fragte ich sie: Möchten Sie einen Blick reinwerfen? Sie hat eine halbe Stunde drin gelesen, vor allem über die Flucht von ihr. Ist das denn abschließend, fragte sie. Ich sagte: Nein, wir ermitteln ja weiter.

Die Zeit verging wie im Flug, es war eine freundliche, sachliche Atmosphäre. Auf der Rückfahrt sah sie den Kölner Dom. Den würde ich gern mal besichtigen, sagte sie. Und dass sie gern mal am Rhein spazieren gehen würde und Bier im Biergarten trinken. Dann erzählte sie, dass in der JVA Köln viele Häftlinge wegen Drogendelikten waren. Sie sagte, mit Drogen wollte sie nichts zu tun haben. Es sei schon schlimm genug, dass sie raucht.

Es gab auf der Fahrt eine Situation, als wir an Jena vorbeigefahren sind. Der Ort, wo sie aufgewachsen ist. Ich sagte: Übrigens, da oben, da habe ich die Eltern von Uwe Böhnhardt vernommen. Ich wollte sehen, wie sie reagiert. Ich sagte: Das waren nette Leute, die mochten Sie gut leiden. Sie sagte: Ich mochte sie auch. Ich habe dann noch gesagt: Der Vater sieht dem Sohn wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich. Da schaute sie auf die Plattenbauten, den Kopf frontal an der Scheibe, sie schien emotional berührt zu sein. Sie hatte ein klein bisschen feuchte Augen. Sie hat aber trotzdem nicht gesagt, wie alles gewesen ist.

Es gibt noch einige Dinge, die nicht in den Akten stehen und die mir jetzt aufgefallen sind: Frau Zschäpe hat mir zum Beispiel erklärt, wie man ein Moped baut in der JVA: Man steckt zwei Gabeln in eine Steckdose und stellt ein Gefäß mit Wasser drunter. Das wird dann ganz schnell heiß. Oft fliegen dann die Sicherungen raus – das nennt man Moped bauen.

Götzl Hat sie sich dazu geäußert, dass Matthias Dienelt und Holger Gerlach aus der Untersuchungshaft entlassen wurden?

Rainer B. Sie fragte, wer ist das eigentlich, der da aus der JVA entlassen wurde? Das war der Herr Dienelt, sagte ich. Ach so, es sei ihm gegönnt. Bei anderen sieht sie das nicht so. Das hat sie völlig unkommentiert so stehen lassen. Dass Herr Gerlach auch in der JVA Köln saß, habe sie erst aus der Zeitung erfahren.

Götzl Waren denn die Briefe ein Thema?

Rainer B. Ich habe sie auf den Brief von Herrn Breivik aus Norwegen angesprochen. (Im Mai 2012 hatte der Rechtsextremist und verurteilte Massenmörder Anders Breivik einen Brief an die »liebe Schwester Beate« in der JVA Köln geschickt. Das Schreiben war aber von der Justiz abgefangen und beschlagnahmt worden.) Sie wusste das nur aus der Zeitung. Sie hat den Brief nicht bekommen und glaubte damals auch nicht, dass sie ihn kriegen wird. Ich habe sie gefragt, ob sie denn Englisch kann. Sie meinte, sie könne sich den Brief mit einem Wörterbuch schon übersetzen. Insbesondere, wenn der Brief so verworren geschrieben sei wie seine Statements.

Götzl Hat sie was zu Breivik persönlich gesagt?

Rainer B. Sie hat zu erkennen gegeben, dass sie den nicht kennt.

Götzl Wurde auch über die Arbeit gesprochen?

Rainer B. Es gebe die Möglichkeit, in der JVA ein Handwerk zu erlernen. Für sie käme nur etwas wie Hausmädchen infrage. Das wolle sie aber nicht.

Götzl War Uwe Böhnhardts Bruder ein Thema zwischen Ihnen?

Rainer B. Uwe war der jüngste, es ging um den mittleren Bruder. Ich kenne die Geschichte, zu DDR-Zeiten, im Jahr 1988, war er zu Tode gekommen, aus ungeklärten Umständen. Er lag morgens tot vor der Haustür, verunglückt. Kein Knochen im Körper war mehr ganz. Sturz aus großer Höhe oder Autounfall. Die Volkspolizei hat nichts getan, Frau Böhnhardt ist bei Freunden rumgegangen und hat gefragt. Er war auf der Lobdeburg bei Lobeda herumgeklettert und abgestürzt. Freunde hatten ihn heimgebracht und sich nicht weiter gekümmert. Ich kann mich aber nicht mehr erinnern, wer das Thema auf der Fahrt angesprochen hat. Meine Kollegin und ich haben erst am Abend im Hotel in Gera aufgeschrieben, an was wir uns erinnern konnten. Daraus entstand ein zwölfseitiger Vermerk.

Götzl Wie war die Reaktion von Frau Zschäpe auf Albrecht und Klar?

Rainer B. Man hat schon gemerkt, dass sie da nachdenklich geworden ist. Mir ist übrigens noch etwas eingefallen: Frau Zschäpe sagte, ich kann ja bis zu drei Verteidiger haben. Ihre jetzigen Verteidiger werde sie nicht mehr los, sie hätte also gern einen dritten. Ich schlug vor, vielleicht könne ihre Mutter einen Verteidiger auswählen und der sich schriftlich an den Generalbundesanwalt wenden. Weiter erzählte Frau Zschäpe, ihre Mutter solle ein Interview machen mit dem Journalisten John Goetz von »Panorama«. Das missbillige sie, sie habe sich über die Sendung schon mehrfach geärgert. Sie sprach immer von Herrn Heer. Der andere Verteidiger aus Koblenz, Herr Stahl, der habe immer die gleiche Meinung wie Herr Heer. Deswegen sei sie ganz froh, mit uns zu reden, auch mal eine andere Meinung zu hören. Die dritte Verteidigerin hatte sie damals ja noch nicht. Sie meinte auch, die Bediensteten in der JVA Köln hätten sie vor ihrem Verteidiger gewarnt und würden ganz schlecht über ihn reden.

Götzl In Ihrem Vermerk heißt es, sie misstraue mittlerweile jeder und jedem. Hat sie das so gesagt?

Rainer B. Sie hatte den Eindruck, alle um sie herum wollen etwas von ihr. In die Presse kommen, Geld, Ermittlungsansätze. Sie meinte, sie habe schon ein paranoides Verhalten und wisse nicht mehr, wer die Wahrheit sage.

Anwältin Clemm In einem Aktenvermerk heißt es, Frau Zschäpe habe geäußert, sie sei kein Mensch, der nicht zu seinen Taten stehe. Ihre Aussage würde vollständig und umfassend sein.

Rainer B. Als die Oma so krank war und gestürzt war, da war sie kurz davor, eine Aussage zu machen.

Anwalt Scharmer Erinnern Sie sich daran, ob sie gemeint hat, dass sie mit einer Aussage etwas am Strafmaß ändern würde?

Rainer B. Ich bin mir nicht sicher. Ich glaube, sie hat gesagt, daran glaube sie nicht. Es gehe ihr darum, sie würde ihrer Oma gerne erklären, warum es so gekommen sei, und sich entschuldigen. Mir war der Hintergrund nicht klar.

Anwältin Wierig Haben Sie sich auch über regionale Unterschiede von Menschen unterhalten?

Rainer B. Haben wir. Sie meinte, sie empfinde die Rheinländer als aufgeschlossene, freundliche Menschen, Norddeutsche seien etwas ruhig und grimmig.

Anwältin Wierig Hat sie etwas über Besonderheiten aus der JVA Gera erzählt?

Rainer B. Das Einzige, was ich in Erinnerung habe, war die Verpflegung. Thüringer Bratwürste hätte sie gerne gegessen, aber nicht bekommen, stattdessen gab es Königsberger Klopse. Den Unterschied von Thüringer Bratwürsten zu anderen schmeckt halt nur ein Thüringer.

Verteidiger Stahl Herr B., kennen Sie das Schreiben von meinem Kollegen Heer vom 5. Juni 2012 an die Vertreter der Bundesanwaltschaft?

Rainer B. Das Schreiben mit dem Hinweis, dass Frau Zschäpe keine Angaben zur Sache machen wird, und die Verteidigung wünscht, dass es keine förmliche Vernehmung gibt?

Verteidiger Stahl Das ist nicht der Wortlaut, trifft es aber vom Inhalt her ganz gut. Man möge von Versuchen absehen, sie zu vernehmen.

Rainer B. Haben wir ja auch gar nicht gemacht.

Verteidiger Stahl Sie wollen mir erzählen, dass Sie rein zufällig auf Fehmarn zu sprechen kamen?

Rainer B. Na klar. Das war so.

Verteidigerin Sturm Wann waren Sie denn zuletzt auf Fehmarn?

Rainer B. Das ist sehr lange her. Mehr als zehn Jahre.

Verteidigerin Sturm Zehn Jahre? Und dann soll es rein zufällig gewesen sein?

Rainer B. (lachend) Na klar, das war es auch.

Verteidigerin Sturm Sie hatten keinerlei dienstliches Interesse, das Gespräch auf Fehmarn zu bringen?

Rainer B. Natürlich wusste ich, dass es einen Bezug gibt. (Der Zeuge muss selbst lachen.) Aber wenn man jemanden nicht kennt, worüber redet man? Übers Wetter.

(Nachdem BKA-Mann B. den Saal verlassen hat, widerspricht Zschäpes Verteidigerin Sturm der Verwertung seiner Aussage. Sturm wirft B. unter anderem die Anwendung verbotener Vernehmungsmethoden vor.)

Verteidigerin Sturm Frau Zschäpe wurde getäuscht. Es war nicht nur eine fröhliche, sachlich freundliche Unterhaltung. Es ging eindeutig darum, Frau Zschäpe zu vernehmen und zu beeinflussen. Frau Zschäpe hat mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass sie schweigen und keiner Vernehmungssituation ausgesetzt werden möchte. Darüber hat sich Herr B. deutlich hinweggesetzt. Es war eine Vernehmung. Mt dem Ziel, das weitere Aussageverhalten unserer Mandantin zu erfragen.

Anwalt Kolloge Ich teile den Ärger eines jeden Verteidigers, wenn sein Mandant mit einem Ermittler spricht, aber hier ist niemand getäuscht worden. Denn mehr kann man nicht verlangen, als zu sagen, dass hier niemand sprechen muss.

Staatsanwalt Schmidt Es war kein Vernehmungsversuch. Es war auch keine informatorische Befragung. Es war schlicht und einfach ein Gespräch.

Der NSU Prozess

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