Читать книгу Der NSU Prozess - Tanjev Schultz - Страница 23
Tag 6
Оглавление5. Juni 2013
Manfred Götzl, Richter. Carsten Schultze, Angeklagter. Herbert Diemer, Vertreter der Bundesanwaltschaft. Wolfgang Heer, Verteidiger von Beate Zschäpe. Johannes Pausch, Verteidiger von Carsten Schultze. Thomas Bliwier, Stephan Lucas, Gül Pinar, Anwälte der Nebenklage.
Anwalt Bliwier Ich beantrage, dass die Besucher befragt werden, ob unter ihnen Mitarbeiter von Geheimdiensten sind. Man muss das von Tag zu Tag klären.
Götzl Es wird über den Prozess doch sowieso ausführlichst berichtet.
Anwalt Bliwier Es ist ja nicht schwierig, trotzdem nachzufragen. Sie haben es ja gestern auch kurz gemacht.
Bundesanwalt Diemer Wir können nur Besucher ausschließen, die als Zeugen infrage kommen. Ich halte das für völlig überzogen.
Anwalt Bliwier Es geht auch um Beamte, die Kontakt mit Carsten Schultze haben.
Bundesanwalt Diemer Niemand kann vernünftigerweise davon ausgehen, dass Behörden hierher Leute schicken, die als Zeugen infrage kommen.
(Gelächter.)
Anwältin Pinar Herr Diemer, das meinen Sie nicht ernst. Ich kann Ihnen Aktenzeichen geben, wo genau das geschehen ist.
Anwalt Lucas In Betäubungsmittel-Verfahren erleben wir das standig, dass Ermittlerkollegen sich im Prozess aufhalten. Es ware doch ärgerlich, wenn wir später eine Unsicherheit hätten. Es ist doch so unkompliziert.
Götzl Es ergeht Verfügung, nicht bei den Besuchern nachzufragen. Wenn sich Mitarbeiter von Behörden im Sitzungssaal befänden, wären sie Teil der allgemeinen Öffentlichkeit. Es gibt keinen konkreten Hinweis, dass sie auf Zeugen einwirken würden.
Verteidiger Heer Ich verlange eine Entscheidung des Gerichts.
(Einige der Nebenklage-Anwälte schließen sich der Forderung an. Nach einer kurzen Unterbrechung ergeht der Senatsbeschluss, mit dem die Verfügung bestätigt wird.)
Götzl Damit kommen wir zum Zeugen Carsten Schultze.
Schultze Mir sind noch Sachen eingefallen. Ich habe Herrn Böhnhardt zum ersten Mal wahrgenommen, da war ich noch nicht in der organisierten Szene. Wir waren Billard spielen, Böhnhardt spielte Darts. Er trug eine braune Uniform und hohe Stiefel. Das war wohl Ende 1996, Anfang 1997. Später hieß es, Böhnhardt müsse ins Gefängnis, auch deshalb wollten die drei nun abhauen. Es war von Namibia oder Südafrika die Rede.
Es gab ein Treffen mit dem Rechtsanwalt Dr. Eisenecker, ich bin mit Herrn Wohlleben hingefahren. (Hans Günter Eisenecker war Rechtsanwalt in Mecklenburg-Vorpommern und vertrat wiederholt Rechtsextreme. Er gehörte dem Bundesvorstand der NPD an.) Aber worum es genau ging, habe ich nicht mehr in Erinnerung. Ich habe Tino Brandt angesprochen, mehrfach, aber nicht auf die drei. Zum Waffenkauf ist mir noch eingefallen, dass Herr Wohlleben sagte, ich soll zu Andreas Schultz ins Madley (damals ein rechter Szeneladen in Jena) gehen und sagen: Der Wohlleben schickt mich. Dann weiß ich noch, dass mir einer der beiden Uwes in Chemnitz vor der Waffenübergabe in einem Kaufhausrestaurant einen Brief mitgegeben hat. Den habe ich bei der Familie Mundlos eingeworfen. Einmal war ich mit Wohlleben in Jena-Nord, bei Mutter Mundlos, an der Kasse in der Rewe-Kaufhalle. Sie hat gefragt, ob alles in Ordnung ist bei den dreien. Wir haben ihr gesagt: Ja.
Bei der Übergabe der Waffe, da trafen wir uns in einem Abbruchhaus. Wir wurden aber gestört. Es kam ein Mann, der hat uns rausgescheucht. Einer der beiden Uwes hat die Waffe hinter dem Rücken versteckt.
(Schultze berichtet dann von Übergriffen und Sachbeschädigungen, an denen er beteiligt war.) Wir haben mal in Winzerla eine mobile Dönerbude umgeworfen. Wir waren sechs, sieben, acht Personen. Einer hatte die Idee dazu.
Dann gab es immer noch Aktionen in Burgau im Alten Gut. Auf dem Heimweg von der Disco kam es immer wieder zu Randale. Wir haben Feuerlöscher an einer Tankstelle leer gesprüht. Und wir haben mal die Scheiben von einer Dönerbude eingeworfen. Das ist mindestens zweimal vorgekommen. Einmal gab es einen Vorfall, da sind wir von einer Kirmes mit Autos in Winzerla angekommen. Einer namens Jimmy kam auf uns zu und sagte, er sei als Nazi beschimpft worden. Da gingen alle los. Wir sind zu einem Holzhäuschen gelaufen. Da waren zwei Leute, auf die haben wir eingeschlagen. Ich habe auch zugetreten, einmal oder zweimal.
(Er wischt sich Tränen aus den Augen und schnieft.)
Götzl Wie wirkte sich das aus? War jemand verletzt?
Schultze Ich weiß, dass wir dann weg sind, ohne uns zu kümmern.
Götzl Aber wie war der Zustand der Person, auf die Sie eingetreten haben?
Schultze Ich mein’, es stand in der Zeitung, dass die schwer verletzt waren.
Götzl Schwer verletzt – was heißt das?
Schultze Ich weiß nicht. Es muss 1998 gewesen sein. So um 2001 gab es dann mal zwei, drei Tage, wo ich von verschiedenen Autos verfolgt wurde. Ich hatte Bammel, dass es die Polizei ist. Ich habe Wohlleben angesprochen, ob er etwas weiß.
Ich bin zur Polizei gegangen und habe gesagt, das soll aufhören. Und es hörte auf.
Götzl Was war denn das Motiv dafür, dass Sie Dönerbuden umgeworfen haben?
Schultze Die Dönerbuden waren ein bestimmtes Feindbild.
Götzl Sie dürfen ruhig ein wenig ausholen.
Schultze Es war eine spontane Aktion, da wurde nichts geplant. Ich bin halt mitgegangen. Ich habe die anderen nicht überredet, aber mich auch nicht zurückgehalten. Wir hielten das für eine lustige Aktion, wir haben denen eins ausgewischt.
Götzl Sie schildern uns die äußeren Umstände. Aber ich möchte die innere Motivation erfahren.
Schultze Wenn da eine Bockwurstbude gestanden hätte, hätten wir das nicht gemacht.
Götzl Sie weichen mir aus. Was war Ihre Motivation?
Schultze Es ging um Nervenkitzel, Action. Wir hatten ein gewisses Feindbild, das auf den Vorstellungen der rechten Szene fußte. Ausländer sind Kriminelle und sollen raus aus Deutschland.
Götzl Wie waren denn damals Ihre politischen Vorstellungen?
Schultze Die Texte der »Zillertaler Türkenjäger« fand ich lustig. Gemeinschaftsgefühl fand ich toll, die Meinungsbildung lief über Musik.
Götzl Gab es Themen, mit denen Sie sich identifiziert haben?
Schultze Christian Kapke (damals Mitglied der rechten Szene und Bruder von André Kapke) hat uns geschult bei den Mittwoch-Stammtischen. Konkret ist es für mich schwer, das wiederherzustellen. Es ging um das Reich in den alten Grenzen, gegen die multikulturelle Gesellschaft, gegen das Finanzkapital.
Götzl Hat denn Ausländerfeindlichkeit eine Rolle gespielt?
Schultze Das war Thema, sowieso in der Musik. Das hat eine Rolle gespielt bei den Aktionen. Es war dieses einfache Weltbild, sehr schwarz-weiß. Den Deutschen geht es schlecht, wir büßen unsere Heimat ein, werden regiert vom Finanzjudentum.
Götzl Was stand für Sie im Mittelpunkt?
Schultze Ich fühlte mich sicher, wurde von Leuten gegrüßt, die mich früher gemobbt hatten. Ich bekam Respekt und hab mich stark gefühlt. Zu einem guten Abend gehörte auch eine Polizeikontrolle dazu. Cop-Running nannten wir das, losrennen, wenn Polizei kommt. Dann ging bei denen das Blaulicht an.
Götzl Welche Rolle haben Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe für Sie gespielt?
Schultze Die waren einige von den Älteren. Ich habe erst aus der Presse erfahren, dass Frau Zschäpe erst mit dem einen, dann mit dem anderen zusammen war.
Götzl Haben Sie sich nicht gefragt, warum Wohlleben auf Sie zukam?
Schultze Ich hab mich nicht gefragt. Zu Herrn Kapke muss ich ein sehr gutes Verhältnis gehabt haben. (Gemeint ist André Kapke, einer der Hauptakteure des Thüringer Heimatschutzes. Er steht unter Verdacht, das untergetauchte Trio Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe wesentlich unterstützt zu haben.) Und auch zu Wohlleben muss ich ein Vertrauensverhältnis gehabt haben, dass die mich ansprechen. Sie sagten, sie könnten das nicht machen, weil sie überwacht werden.
Götzl Was wussten Sie über die Situation von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe?
Schultze Dass sie nicht gefasst werden wollten und Geldsorgen hatten. Ich wusste nicht, wo und wie sie wohnten.
Götzl Sie haben auch Telefonate mit ihnen geführt.
Schultze Ich hatte den Kontaktjob. Solange alles in Ordnung war, war alles in Ordnung. Es gab auch längere Phasen, wo nichts war.
Götzl Können Sie mir ein Telefongespräch schildern, das Sie mit Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe führten?
Schultze Es wurde ganz schnell gesprochen, von hinten hat einer von denen dazwischengequakt. Es gab kurze Infos, dann war das wieder fertig.
Götzl War das eine Freundschaft zu Wohlleben?
Schultze Ja, schon.
Götzl Aus welchem Grund haben Sie mitgemacht, als Kapke und Wohlleben auf Sie zukamen?
Schultze Ich gehe davon aus, dass ich denen helfen wollte. Die sagten, sie brauchten meine Hilfe.
Götzl Kannten Sie Herrn Eminger?
Schultze Nein.
Götzl Kannten Sie Herrn Gerlach?
Schultze Er war ein alter Kumpel von Herrn Wohlleben. Ich habe ihn zweimal in Jena gesehen. Soweit ich mich erinnere, war er eine Vertrauensperson. Er war einmal dabei, als wir uns über die drei unterhalten haben, und er hat zwischen seinen zwei Brötchenhälften eine Zigarette geraucht. Das habe ich noch in Erinnerung. Das war bei einem Lagerfeuer. An einen Kumpel kann ich mich noch erinnern, weil ich den sehr attraktiv fand.
Götzl Wie war Frau Zschäpe, als Sie sie getroffen haben?
Schultze Beim Treffen zur Übergabe der Waffe war sie nur kurz da, zwei, drei Minuten. Sie hat keinen der beiden Uwes auf den Mund geküsst.
(Götzl überlegt kurz.)
Götzl Es geht um die zeitliche Abfolge, wann die Telefonate begannen.
Schultze Das muss 1998 gewesen sein.
Götzl Wieso dachten Sie, dass die Wohnung von Frau Zschäpe noch nicht geräumt ist?
Schultze Ich hatte den Auftrag, reinzugehen.
Götzl Damit gebe ich mich nicht zufrieden.
Schultze Ich reime mir das so zusammen, dass da noch der Name an der Tür stand.
Götzl Zusammenreimen hilft uns nicht weiter. Haben Sie Informationen bekommen?
Schultze Ich habe zwei Leitzordner aus Zschäpes Wohnung geholt.
Götzl Haben Sie reingesehen?
Schultze Wir haben draufgeguckt, als wir sie verbrannt haben. An mehr kann ich mich nicht erinnern.
Götzl Warum haben Sie das Risiko des Einbruchs auf sich genommen?
Schultze Das gehörte so dazu. Man hat es von mir verlangt.
Götzl Wo ist die Grenze dessen, was man von Ihnen verlangt? Hatten Sie keine Skrupel, einzubrechen?
Schultze Weiß ich nicht mehr.
Götzl Beschreiben Sie die Situation, als Sie die Waffe übergeben haben.
Schultze Ich erinnere mich an ein Döschen Munition, da waren zwischen zwanzig und fünfzig Schuss drin.
Götzl Hatten Sie keine Bedenken, die Pistole mit Schalldämpfer und Munition zu übergeben?
Schultze Anscheinend nicht.
Götzl Was haben Sie sich vorgestellt?
Schultze Das wurde ich schon oft gefragt, ich versuche es auch selber zu verstehen, aber ich kriege es nicht mehr zusammen. Wir wussten von Geldnöten. Dass sie vielleicht Geld brauchten. Vielleicht dafür.
Götzl Wofür war dann der Schalldämpfer nötig?
Schultze Der war halt dabei.
Götzl Hätten Sie ihn halt nicht übergeben. Hatten Sie keine Befürchtung?
Schultze Ich weiß es nicht.
Götzl Haben Sie sich überhaupt keine Gedanken gemacht?
Schultze Ich kann mich an keine erinnern.
Götzl Sie haben in der polizeilichen Vernehmung gesagt, der Wunsch nach einer Waffe sei Ihnen komisch vorgekommen und Sie hätten Bauchschmerzen gehabt. Was haben Sie damit gemeint?
Schultze Das ist ja kein normaler Wunsch, deswegen war das komisch.
Verteidiger Pausch Wir sehen Ihr Anliegen, aber es ist überaus anstrengend für meinen Mandanten, die Konzentration zu behalten.
Götzl Drei Punkte würde ich aber gern noch abklären: die Kameradschaft Jena, den Thüringer Heimatschutz und den technischen Ablauf der Handyanrufe der Untergetauchten. Fühlen Sie sich dazu noch in der Lage?
Verteidiger Pausch Sie sehen ja selbst sein Bemühen, die Erinnerung wieder wachzurufen. Aber es zehrt an den Kräften meines Mandanten.
Götzl Na gut, dann werden wir unterbrechen.